Wie können Fachkräfte in der KiTa die Kinder auch in Krisen- und Kriegszeiten gut begleiten? Diese Frage stand im Fokus eines Vortrags von Anne Kuhnert in der kostenlosen nifbe-Vortragsreihe „Partizipation und Demokratiebildung in der KiTa“. Moderiert wurde die Veranstaltung von nifbe-Transfermanagerin Gerlinde Schmidt-Hood.


Wie Anne Kuhnert zu Beginn aufzeigte, hat die Begleitung von Kindern in Krisen- und Kriegszeiten viele verschiedene Ansatzpunkte – vom Kinderschutz über die Zusammenarbeit mit Eltern bis zur Stärkung der Resilienz der Kinder. In ihrem Vortrag richtete sie ihren Blick jedoch insbesondere auf Belastungen durch Angst, Stress und Trauma sowie auf die politische Bildung und die Frage, welche Themen denn in der KiTa überhaupt etwas zu suchen hätten.

Angst, Stress und Trauma

Entwicklungspsychologisch, so Anne Kuhnert, ist Angst zunächst einmal eine „normale Reaktion auf Gefahr“ mit den Optionen „fight oder flight“. In verschiedenen Altersstufen träten so auch (Ur-) Ängste vor fremden Menschen, Tieren, Dunkelheit oder dem Alleinsein, aber auch vor Geistern, Gespenstern und Monstern auf. Der Umgang mit Ängsten „ist Teil der Entwicklung“ und daher sei es auch nicht förderlich eine möglichst angstfreie Umgebung für die Kinder zu schaffen: „Kinder müssen Strategien entwickeln, um mit ihren Ängsten umzugehen.“
Im Bezug zum aktuellen Ukraine-Krieg richtete Anne Kuhnert ihren Blick einerseits auf die direkt betroffen und mit ihren Familien zu uns geflüchteten Kinder und andererseits auf die nur indirekt durch Nachrichten, Bilder und Gespräche betroffenen Kinder in den KiTas. Beide Gruppen hätten ganz unterschiedliche Bedürfnisse, aber für beide sei „eine große Tüte Geduld und Entschleunigung“ gefragt. In Krisenzeiten dürften Fachkräfte auch mal eigene pädagogische Ansprüche und Regeln in der KiTa zurückstellen und Ausnahmen von der Regel machen. Wichtig sei aber auch eine „rassismuskritische Perspektive“ im Hinblick auf die Frage, inwiefern die jetzt aus der Ukraine Geflüchteten anders behandelt werden als die 2015/2016 zu uns kommenden Menschen aus dem Nahen Osten.

Im Blick auf die Belastungen der jetzt aus der Ukraine in die KiTas gekommenen Kinder müsse, so Anne Kuhnert, zwischen Trauma und Stress unterschieden werden. Sie erläuterte: „Bei Stress greifen Bewältigungsstrategien, beim Trauma nicht.“ Hier komme es zu „freeze & fragment“-Phänomenen, also dem Einfrieren und Erstarren. Posttraumatische Belastungssyndrome könnten unter anderem durch Albträume, Schlafstörungen, Überreizung, Interessenverlust, Aggressivität oder Rückzug zum Ausdruck kommen. Anne Kuhnert unterstrich, dass die Aufgabe von Fachkräften in der KiTa jedoch nicht die Trauma-Diagnose oder- Therapie sei, aber notwendig sei das Wissen rund um dieses Thema und die sensible Beobachtung der Kinder. Grundsätzlich sollten Fachkräfte für „möglichst viel Alltag und Normalität in der KiTa sorgen“ und einen sicheren Raum schaffen. Hierbei komme es darauf an, die Resilienz der Kinder ( s.a. hier: Resilienz oder die "Kraft ein Kaktus zu sein") zu stärken und hier insbesondere ihre Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit zu fördern. Zudem sei es wichtig, die Gefühle der Kinder in der KiTa bewusst zu thematisieren.

Fragen beantworten und sensibel Fragen stellen

Im Blick auf die nicht direkt vom Krieg in der Ukraine betroffenen Kinder markierte Anne Kuhnert drei ganz unterschiedliche Herausforderungen für die KiTas: Zum einen den Umgang mit widersprüchlichen und teilweise gezielten Des-Informationen, zum anderen (überbehütende) Eltern, die das Thema von ihren Kindern fernhalten wollen und nicht zuletzt die selber verunsicherten Fachkräfte. Für Erwachsene sei es wichtig „die eigenen Ängste und Sorgen wahrzunehmen und zu reflektieren“ und soweit wie möglich „Normalität zu bewahren und nicht in Aktionismus und Hysterie zu verfallen“. In der Interaktion mit den Kindern komm es darauf an, auf die Fragen der Kinder zu antworten, aber auch aufmerksam die nonverbalen Signale oder auch Spiele der Kinder wahrzunehmen und selbst entsprechende Fragen zu stellen.

„Demokratie und Zivilcourage wollen gelernt sein“

Abschließend stellte Anne Kuhnert unmissverständlich klar, dass „Kitas keine Schonräume sind“: „Wenn wir Kindern die Welt erklären wollen, gehören auch die Themen Krieg, Flucht und Vertreibung dazu“, sagte sie. Der Bildungsauftrag der KiTas umfasse grundsätzlich auch das (altersangemessene) Aufgreifen von unbequemen Themen und die wertebasierte Auseinandersetzung damit. „Demokratie und Zivilcourage wollen gelernt sein“ unterstrich sie im Hinblick auf unsere gesellschaftliche Entwicklung. Grundlage und Kompass für den Umgang mit diesen Themen seien einerseits die UN-Menschenrechtskonvention und andererseits die UN-Kinderrechtskonvention. Zum bewegenden Abschluss zitierte sie Astrid Lindgren, die schon 1978 unter der Überschrift „Niemals Gewalt!“ gesagt hatte:

"Wie aber sollte das geschehen, und wo sollte man anfangen? Ich glaube, wir müssen von Grund auf beginnen. Bei den Kindern. [...] Die jetzt Kinder sind, werden ja einst die Geschäfte unserer Welt übernehmen, sofern dann noch etwas von ihr übrig ist. Sie sind es, die über Krieg und Frieden bestimmen werden und darüber, in was für einer Gesellschaft sie leben wollen. In einer, wo die Gewalt nur ständig weiterwächst, oder in einer, wo die Menschen in Frieden und Eintracht miteinander leben." (http://www.niemals-gewalt.de/rede.htm)

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Karsten Herrmann