Interview mit Petra Best vom Deutschen Jugendinstitut (DJI)

„Überall steckt Sprache drin“ – so lautet ein Motto des langjährigen Projektes „Sprachliche Förderung in der Kita“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI), zu dessen Abschluss jetzt umfangreiche Praxis-Materialien erschienen sind. Im Interview erläutert Petra Best zentrale Erkenntnisse aus diesem Projekt und die Grundidee des entwickelten Konzepts.

  • Frau Best, warum ist die Sprachentwicklung ein so wichtiger Aspekt der Kinderbetreuung?

Sprache ist in vielerlei Hinsicht von zentraler Bedeutung. Zunächst einmal ist sie Teil der Persönlichkeit. Alles Erleben, alle Erfahrungen, alles Wollen und Wünschen ist mit Sprache verbunden. Sprache ist außerdem ein fantastisches Werkzeug, um sich verständlich zu machen und andere zu verstehen – kurz: an der sozialen Gemeinschaft teilzuhaben. Vor allem aber beflügelt Sprache den Geist und das Denken. Sie ermöglicht Wissen zu erwerben, sich Dinge vorzustellen und zu ergründen, Zusammenhänge zu verstehen, sich die Welt zu erschließen und die Fantasie auf Reisen zu schicken. Mit anderen Worten: Sprache spielt in allen Bildungsprozessen des Kindes eine wichtige, zentrale Rolle.

  • In welchem Umfang werden ErzieherInnen auf diese zentrale Aufgabe der Sprachförderung in ihrer Ausbildung vorbereitet?

Nach wie vor noch nicht ausreichend und systematisch – weder an Fachschulen noch an Hochschulen, die ErzieherInnen ausbilden. Durchaus kommen im Rahmen der Pädagogik und Entwicklungspsychologie unter anderem einzelne Aspekte der Sprachentwicklung vor, es mangelt aber vor allem an grundlegendem Wissen zur Kindersprache und an der Verknüpfung von Theorie und Praxis. Das heißt, an konkretem Wissen und Handwerkszeug, um im pädagogischen Alltag Kindersprache systematisch entdecken und einordnen zu können.

In der berufsbegleitenden Fort- und Weiterbildung sind Sprache und Sprachförderung zwar seit dem PISA-Schock ein weit verbreitetes Thema, allerdings mit sehr unterschiedlichen Ansätzen. In unserem früheren DJI-Forschungsprojekt Schlüsselkompetenz Sprache konnten wir feststellen, dass sich im Wesentlichen zwei Linien gegenüberstehen: auf der einen Seite sprachwissenschaftliche Konzepte, die ihr Augenmerk auf die sprachlichen Strukturen legen. Auf der anderen Seite Konzepte der Elementarpädagogik, die sich stärker auf die kommunikativen Aspekte von Sprache beziehen.

Zunehmend bieten Kindertageseinrichtungen gezielt Sprachförderstunden für bestimmte Kindergruppen an. Zielt das am DJI entwickelte Konzept „Kinder-Sprache stärken“ auch auf diese „Sprachkurse“ ab?

Nein, im Gegenteil. Aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass Kinder Sprache am besten erwerben, wenn es quasi nebenbei geschieht, also nicht in eigens dafür eingerichteten Zeiten und Räumen, sondern in für sie handlungsrelevanten Situationen, wenn also Sprache für sie wichtig und nützlich ist: um mit anderen Kindern auf der Bewegungsbaustelle zu spielen, um ein Lied zu singen, um so zu tun, als seien sie Astronauten, um herauszufinden, ob der Regenwurm riechen kann oder um auszuhandeln, wer als nächstes beim Schaukeln an der Reihe ist.

  • Wie schlägt sich dieses Verständnis im DJI-Konzept nieder?

Die Grundidee unseres Konzepts ist die kontinuierliche und langfristige Begleitung und Unterstützung aller Kinder, auch der mehrsprachig aufwachsenden, in ihrem alltäglichen Spracherwerb – und zwar vom ersten Tag an; nicht losgelöst von, sondern verknüpft mit den alltäglichen Angeboten quer durch den Bildungskanon der Kita, zum Beispiel eingebettet in musikalische Aktivitäten oder naturwissenschaftliches Forschen.

Die Themen, die Kinder interessieren, sind der Stoff, aus dem sich ihr sprachliches Handeln speist. Ein reichhaltiges pädagogisches Angebot kann damit gleichzeitig zum Anker werden, um Kinder beim Ausbau ihrer sprachlichen Fähigkeiten anzuregen und sie zu einem differenzierten Sprachgebrauch zu motivieren. Insofern verstehen wir unser Sprachförderkonzept auch als ein Basiskonzept, das die spezifischen Möglichkeiten und Stärken der Bildungsinstitution Kindergarten für eine systematische sprachliche Begleitung und Unterstützung herausarbeitet und nutzt. Dabei vereint unser Konzept unterschiedliche Sichtweisen auf Sprache und Spracherwerb: die sprachwissenschaftliche, die entwicklungspsychologische und die pädagogische. Und es kann bei Bedarf mit anderen Sprachförderangeboten verknüpft werden.

An wen richten sich die von Ihnen und den KollegInnen am DJI entwickelten Praxismaterialien?

Sie richten sich in erster Linie an diejenigen, die mit den Kindern arbeiten: an die Erzieherinnen und Erzieher, mit denen die Materialien in enger Kooperation entstanden sind. Sie eignen sich aber auch für die Ausbildung und die berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung.

Ergänzen möchte ich noch, dass wir die theoretische Fundierung unseres Ansatzes bereits 2006 formuliert haben, mit dem Buch „Sprachliche Förderung in der Kita. Wie viel Sprache steckt in Musik, Bewegung, Naturwissenschaften und Medien?“. Das vorliegende Material „Kinder-Sprache stärken“ ist das Ergebnis der zweiten Projektphase, in der die praktische Erprobung und Weiterentwicklung im Mittelpunkt stand. Wir haben dazu mit Modelleinrichtungen aus sechs Bundesländern in Ost und West zusammengearbeitet, genauer gesagt, mit den pädagogischen Fachkräften und FachberaterInnen dieser Einrichtungen.

  • Was ist das vorrangige Ziel von „Kinder-Sprache stärken“?

Knapp ausgedrückt: Fachkräfte für eine handlungs- und inhaltsorientierte Sprachförderung anzuregen und zu unterstützen, die bei den Kompetenzen der Kinder ansetzt.

Es ist ein wichtiges Merkmal unseres Ansatzes, dass es nicht um das möglichst rasche Auffüllen von Lücken im Wortschatz oder in der Grammatik geht. Vielmehr geht es uns darum, Fachkräfte für eine sensible und theoriegestützte Wahrnehmung der Kindersprache zu qualifizieren. Wir möchten sie aufmerksam machen auf das, was Kinder sprachlich schon können, auf die Strategien, die sie anwenden, um grammatikalische Regeln zu verinnerlichen und darauf, womit sich Kinder auf ihrem Weg in die Sprache hinein gerade beschäftigen. Das sprachliche Wissen, über das Kinder bereits verfügen, die Art und Weise, wie sie sich das Werkzeug Sprache erobern, ist in unserem Konzept Anknüpfungspunkt und Bestandteil der Förderung. Das setzt freilich eine offene Haltung dem kindlichen Sprachhandeln gegenüber voraus, ohne einen permanent angesetzten geistigen Rotstift zur Markierung der vielen kleinen „Fehler“.

  • Geben Sie uns ein paar Beispiele für solche Fehler?

Gern. Kinder zeigen ja einen ausgesprochen experimentierfreudigen Umgang mit Sprache. Sie stellen zum Beispiel eine ganz schöne „Glättigkeit“ fest oder fordern auf: „Zeig doch mal wie dein Hund hunden kann“. Das ist nicht zufällig: Denn es gibt es doch eine ganze Menge von Wörtern, bei denen sich Substantiv und Adjektiv oder Verb voneinander ableiten, wie etwa müde – Müdigkeit, Spiel – spielen. Das Erwerbsprinzip, dass sich hinter den Äußerungen der Kinder verbirgt, ist hier das der Übergeneralisierung. Es bedeutet, dass die Kinder eine grundlegende Regel, in diesem Fall die der Wortableitung, erkannt haben. Und diese Regel wenden sie erst einmal eisern an, mal passend, mal unpassend. In einem weiteren Erwerbsschritt wird es für sie darum gehen, zu der Regel auch die Ausnahmen zu verinnerlichen.

  • Dafür brauchen die Fachkräfte aber ein ganz spezifisches Wissen! Sind die Materialien ein sprachwissenschaftlicher „Crashkurs“ für ErzieherInnen?

Nun, Crashkurs ist vielleicht der falsche Begriff. Uns geht es darum, Fachkräfte dazu anzuregen, die sprachlichen Äußerungen von Kindern differenziert zu beachten und ihre Strategien, mit denen sie Sprache erwerben, als Fähigkeit zu werten. Kinder sind aktive Sprachlerner und die vermeintlichen Fehler, die sie machen, sind in der Regel Hinweise darauf, dass sie aktiv dabei sind, sich die Sprache mit all ihren Regeln, Ausnahmen und Möglichkeiten anzueignen. Dazu kommt, dass Kinder ja nicht nur das System Sprache als einen zentralen Lerngegenstand erwerben. Vielmehr hat der Erwerb von Sprache auch entscheidende Auswirkungen auf ihr Wahrnehmen, auf ihr Handeln und auf ihr Denken sowie auf die Gestaltung ihrer sozialen Beziehungen. Es geht also ums Verstehen und Einordnen, was hinter den Äußerungen eines Kindes steckt.

Die Wahrnehmung der kindlichen Sprachkompetenzen setzt deshalb einen erweiterten Blick auf Sprache voraus, der sowohl die sprachstrukturellen Bereiche, also Laute und ProsodieProsodie|||||Sammelbegriff für die Merkmale Betonung, Dauer, Lautstärke, Intonation, Rhythmus und Tempo., Wörter und Wortbedeutung und Grammatik mit den Bereichen Wortbildung und Satzbau umfasst, als auch die Bedeutung der Sprache für die geistige und soziale Entwicklung. Zu diesem weiten Blick auf Sprache und Spracherwerb möchten wir Fachkräften ein solides Grundwissen an die Hand geben.

  • Das hört sich jetzt sehr theoretisch an ...

Der Eindruck täuscht. Viele Beobachtungen und Erfahrungen der Fachkräfte aus den Projekteinrichtungen sind in das Praxismaterial eingeflossen. Es lebt von sehr vielen Beispielen und lässt durch den „Kindermund“ die trockene Theorie anschaulich und lebendig werden.

Insgesamt hat sich die theoriegestützte Sprachbeobachtung nicht nur als praxistauglich im Kita-Alltag erwiesen, sondern als notwendige Grundlage, um Kindern Gelegenheiten und Aktivitäten anzubieten, in deren Rahmen sie ihre sprachlichen Fähigkeiten anwenden, stabilisieren und erweitern können. Dazu haben wir im Projekt Orientierungsleitfäden entwickelt zur Beobachtung und Dokumentation von kindlichem Sprachverhalten. Sozusagen als Türöffner ins Reich der Kindersprache.

Aus der Erfahrung damit meldeten uns die Fachkräfte zurück, dass sie nun nicht nur stärker sensibilisiert für die Wahrnehmung der Sprache der Kinder sind, sondern zugleich ihr eigenes Sprachwissen aufgefrischt haben. Denn, um zu wissen, ob bzw. dass Kinder die Regeln der Sprache erkannt haben, muss man ja selbst diese Regeln kennen und reflektieren können.

  • Welche wichtige Erkenntnis, die Sie aus der Entwicklungsarbeit mit den PraktikerInnen gewonnen haben, möchten Sie besonders hervorheben?

Die Einsicht, dass sich die Verankerung einer ganzheitlichen und gleichzeitig systematischen Sprachbildung im Kita-Alltag nicht über Nacht entwickelt. Im Modellprojekt hat sich gezeigt, dass nicht das perfekte Angebot zählt, sondern die kontinuierliche Bereitschaft und Möglichkeit zur gemeinsamen Reflexion und Sensibilisierung. Deutlich wurde außerdem, dass eine qualitativ hochwertige Sprachförderung als Querschnittsaufgabe eine fundierte Qualifizierung in den Bildungsbereichen erfordert.

Diese Qualifizierung bezieht sich aber nicht nur auf ein fachspezifisches Wissen, sondern auch auf ein pädagogisches Know-how. In allen Bildungsbereichen ging es immer wieder darum zu konkretisieren: Wie arbeite ich mit Kindern in dieser Altersgruppe? Wie gestalte ich das Verhältnis von Anleitung und bewusster Zurücknahme, damit Kinder aktive Erfahrungen machen können und damit zu sprachlichem Handeln herausgefordert sind?


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Quelle: DJI