Kinder schützen, fördern und beteiligen

Gesundheit und Wohlbefinden in der KiTa stärken

Die Gewährleistung der Kinderrechte sowie die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern in der KiTa sind in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der frühpädagogischen DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput. e geraten und gelten heute als zentrale Qualitätskriterien. Aktuelle Studien weisen jedoch darauf hin, dass die physische und psychische Gesundheit sowie das Wohlbefinden der Kinder nach der Corona-Pandemie deutlich belastet sind – gerade auch Kinder aus sozial benachteiligten und aus Familien mit Migrationshintergrund scheinen davon besonders betroffen. Als Anzeichen für das beeinträchtige Wohlbefinden kann auch das durch die Fachkräfte in den KiTas zunehmend beklagte herausfordernde Verhalten von Kindern interpretiert werden – und hinter diesem Verhalten steckt unter systemischer Perspektive natürlich immer ein Sinn und ein (nicht erfülltes) Bedürfnis (vgl. nifbe 2022).

Eine neue nifbe-Qualifizierungsinitiative möchte diesen aktuellen Herausforderungen nun begegnen. Unter dem Titel „Kinder schützen, fördern und beteiligen“ soll die Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern auf der Grundlage der Kinderrechte gestärkt und Fachkräften entsprechendes Wissen und Können vermittelt werden. Ziel ist es dabei auch insbesondere, die sozio-emotionale Entwicklung, Selbstwirksamkeit und ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese.  der Kinder zu stärken, sie als kompetente und selbstbestimmte Akteure ernst zu nehmen und im KiTa-Alltag systematisch zu beteiligen.

Fokus Gesundheit und Wohlbefinden

Lange Zeit wurde die Gesundheit des Menschen nur unter einer physischen und biomedizinischen Perspektive gesehen. Der aktuelle fachwissenschaftliche Diskurs bezieht sich jedoch auf eine weit darüber hinaus gehende Definition der WHO: „Gesundheit ist der Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen.“ Deutlich wird hier eine Multidimensionalität mit entsprechenden Interdependenzen zwischen der körperlichen, geistig-psychischen und sozialen Dimension. Auch wenn die WHO-Definition Gesundheit als umfassendes Wohlbefinden beschreibt, sind diese Begriffe nicht ganz deckungsgleich. Gesundheit kann aber als Grundstein von Wohlbefinden gesehen werden: ein Mangel an körperlicher und geistiger Gesundheit beeinträchtigt die Entwicklungsmöglichkeiten und die Teilhabe an allen Facetten der eigenen Lebenswelt. Andererseits beeinflusst umgekehrt das Wohlbefinden auch die eigene Gesundheit. Gesundheit und Wohlbefinden sind somit als zwei Seiten derselben Medaille zu verstehen.

Nachdem kindliches Wohlbefinden lange Zeit insbesondere über die Lebenssituation der Eltern definiert wurde, ist in den letzten Jahren ein Paradigmenwechsel zu konstatieren: In den Fokus rückt nun das Kind als Akteur seines eigenen Wohlbefindens und damit auch die Kinderperspektive. So wird das in vielen Studien bisher im Vordergrund stehende und zumeist sozio-ökonomisch und statistisch erfasste „objektive“ Wohlbefinden zunehmend durch das „subjektive“ Wohlbefinden ergänzt – und damit auch der zukunftsorientierte Blick auf ein späteres „Well-becoming“ um das gegenwartsorientierte „Well-being“.

In der Erforschung des kindlichen Wohlbefindens sind vor allem zwei Traditionen identifizierbar, eine hedonische und eine eudaimonische. Erstes ist eher auf das momentane subjektive Wohlbefinden und damit auf ein Gefühl von Glück und Zufriedenheit ausgerichtet. Zweites berücksichtigt stärker den psychologischen Gesamtkontext menschlicher Entwicklung und ist dabei auch auf ein zukünftig gelingendes, erfülltes Leben in der Gemeinschaft ausgerichtet. In diesem Sinne ist Wohlbefinden auf einer „Matrix aus Sein und Werden“ zu verorten, in dem sowohl das aktuelle subjektive Wohlbefinden (being) einfließt wie auch die Potenziale einer zukünftigen positiven Entwicklung und Selbstverwirklichung (Viernickel & Jankowicz 2022).

Neben der engen Verbindung mit dem Gesundheitsbegriff sind im aktuellen Diskurs um das Wohlbefinden auch immer wieder Überschneidungen zu anderen Konzepten wie der Resilienz, der Motivationstheorie der Selbstbestimmung oder der (seelischen) Grundbedürfnisse zu konstatieren. Grundsätzlich kann man davon ausgehen, dass bei Kindern Schutz- und Risikofaktoren bzw. die Ressourcen und Herausforderungen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen müssen, damit das Wohlbefinden und Entwicklungsmöglichkeiten gewährleistet werden können.
Im Anklang an die Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan können drei Grundbedürfnisse als besonders zentral für das Wohlbefinden benannt werden:
  • das Bedürfnis nach Kompetenz oder Wirksamkeit (competence): Sich als wirkungsvoll, effektiv, funktionierend und kompetent zu erleben; Aufgaben und Herausforderungen aus eigener Kraft zu bewältigen und für sich selbst positive Ergebnisse zu erzielen;
  • das Bedürfnis nach Selbstbestimmung oder Autonomie (autonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.y): Das eigene Handeln steuern können, sich innerhalb und außerhalb sozialer Interaktionen als persönlich autonom, selbstbestimmt und eigeninitiativ zu erleben;
  • das Bedürfnis nach Zugehörigkeit oder sozialer Eingebundenheit (relatedness): Sich in einem sozialen Milieu eingebunden und akzeptiert zu fühlen, enge zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen, sich um andere zu kümmern, Zugehörigkeit und Anerkennung zu erfahren und sich als liebesfähig und liebenswert zu erleben (vgl. Viernickel & Jankowicz 2022)

Für den KiTa-Bereich resümieren Viernickel & Jankowicz (ebd. S. 166):

„Ein positives Betreuungsverhalten, das sich u. a. durch eine hohe Sensitivität für kindliche Signale und ein angemessenes Antwortverhalten, die sensible Balance von Unterstützung, Verhaltenssteuerung und Autonomiegewährung sowie emotional warme Zuwendung auszeichnet, wurde vielfach empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden. als förderlich für die kindliche Entwicklung im kognitiv-sprachlichen und sozial-emotionalen Bereich bestätigt, auch und insbesondere für Kinder in den ersten drei Lebensjahren.“

Kinderrechte als Faktoren für Gesundheit und Wohlbefinden

Aus dem Vorhergehenden ist schon an mehreren Stellen zumindest implizit deutlich geworden, wie eng die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder auch von der Gewährleistung ihrer Rechte abhängt. Die entsprechende Kinderrechtskonvention wurden 1989 von der UN verabschiedet und 1990 auch von Deutschland ratifiziertratifiziert|||||Die Ratifikation, auch Ratifizierung ist eine verbindliche Erklärung des Abschlusses eines Vertrages durch  Vertragsparteien.. Die übergreifenden allgemeinen Prinzipien der Kinderrechte sind die Nicht-Diskriminierung, der Vorrang des Kindeswohls, das Recht auf Leben und Entwicklung (und damit auch auf Chancengleichheit) sowie das Recht auf Beteiligung. Im viel benutzen Bild vom „Haus der Kinderrechte“ bildet der Vorrang des Kindeswohls das Dach, das von den drei Säulen der Schutzrechte, der Förderungsrechte und der Beteiligungsrechte getragen wird. Im KiTa-Alltag muss auf der Grundlage immer wieder neu die Balance hergestellt werden zwischen der Frage des Schutzes der Kinder (z.B. bei der Frage Regenhose ja oder nein?) und der gezielten Förderung ihrer Eigenständigkeit, Selbstwirksamkeit und ihrer Beteiligung.


Weiterführender Lese-Tipp:
Begleitend zur Qualifizierungsinitiative ist der nifbe-ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.  sbeitrag Nr. 17 "Kinder schützen, fördern und beteiligen. Gesundheit und Wohlbefinden in der KiTa" erschienen:

Weitere Infos zur Qualifizierungsinitiaitve finden Sie hier


Literatur

  • nifbe (Hg.:) (2022): Jedes Verhalten hat seinen Sinn. Herausfordernden Kindern in der KiTa begegnen. Freiburg: Herder
  • Viernickel, S. & Jankowicz, V. (2022). Erfassung frühkindlichen Wohlbefindens. In: K. Kluczniok, S. Faas & H.-G. Roßbach (Hrsg.), Kindliche Kompetenzen im Krippenalter: Bedeutung und Messung (S. 128-227). Berlin: pädquis Stiftung b.R.