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Zunächst einmal verdeutlichte Gülcan Yoksulabakan-Üstüay, wie wichtig im Umgang mit geflüchteten Familien der jeweilige Herkunfts-Kontext sei. Dies sei auch ein Unterschied zu der in vielen KiTas schon nachhaltig verankerten interkulturellen Kompetenz, bei der es in erster Linie auf die Haltung und kritische Selbstreflexion ankomme. Bei Eltern und Kindern mit Fluchterfahrungen könnten jedoch Welten zwischen den einzelnen Schicksalen liegen, die in der pädagogischen Arbeit zu berücksichtigen seien. Wichtige Fragen seien hier beispielsweise:
- Sind die Familien aufgrund von Krieg und Bürgerkrieg wie aktuell in Syrien geflohen oder kommen sie wie viele Roma aus Ländern mit einer strukturellen Diskriminierung?
- Haben Sie chronische / akute Belastungen / Traumata vor und bei ihrer Flucht erlebt?
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"Sich vor Sterotypen hüten"
Sehr hilfreich für die pädagogische Arbeit könne es sein, für jedes Kind mit Fluchterfahrung die schwächenden oder problematischen „Minusfaktoren" und die stärkenden oder unterstützenden „Plusfaktoren" ihrer Herkunfts- und Fluchtgeschichte zu analysieren - und dabei immer im Hinterkopf zu behalten, dass auch geflüchtete Kinder „in erster Linie erst einmal Kinder mit entsprechenden Bedürfnissen sind". Grundsätzlich müssten sich die Pädagogischen Fachkräfte vor einer „Stereotypisierung" im Hinblick auf Familien mit Fluchterfahrungen hüten. So seien einerseits zwar bis zu 40 Prozent der geflüchteten Kinder traumatisiert, aber andererseits hätten viele auch eine „ungeheure Resilienz" und seien „ganz starke Persönlichkeiten", die nicht auf eine „Opfer-Rolle" reduziert werden dürften.
Im Hinblick auf traumatisierte Kinder warnte sie davor, in die Tiefe der traumatischen Erfahrung zu gehen und empfahl, in einer entsprechenden kritischen Situation eher „abzulenken" und auf positive Erfahrungen „umzuleiten". Primäre Aufgabe der KiTa sei es, im Hier und Jetzt für die Kinder eine sichere und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen: „Das Schaffen einer Perspektive, das Erfahren von Selbstwirksamkeit und die Inklusion beeinflussen dabei auch den Verlauf einer Traumatisierung positiv".
Bestandsaufnahme in der KiTa
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Über ein unabdingbares Basiswissen im Hinblick auf den Umgang mit Vielfalt sei bei Kindern mit Fluchterfahrungen und ihren Eltern aber auch häufig noch Spezialwissen notwendig – so zu den Themen Traumatisierung, individuelle AnamneseAnamnese|||||Anamnese "bedeutet Basiserfassung von Daten und Informationen. Das Wort Anamnese stammt aus dem Griechischen und bedeutet Erinnerung, Wiedererinnerung und Gedächtnis. Ziel einer Anamnese ist es, Informationen zum biografischen Hintergrund des Kindes und seiner Familie zu erhalten." (Quelle: Schlösser, KiTa Fachtexte, 2011) oder auch zur jeweiligen Situation im Herkunftsland.
Nach der Bestandsaufnahme müsse geprüft werden, was die KiTa an zusätzlicher Vernetzung (z.B. mit Ausländer- und Jugendamt, Flüchtlingsorganisationen, DolmetscherInnen, ÄrztInnen, TherapeutInnen) und Unterstützung (z.B. Fortbildung, kollegiale Beratung, Supervision) benötige. Ganz besonders wichtig sei es, dass sich die Pädagogischen Fachkräfte auch klar machten, wo die Grenzen ihres Tuns liegen – gegen schlechte strukturelle Rahmenbedingungen könne auch das individuelle Engagement häufig nichts ausrichten. Hier komme es auf eine entsprechende professionelle (Selbst-) Reflexion und ggf. auch Distanzierung an.
Übergang von der geflüchteten Familie in die KiTa
Einen breiten Raum nahm in dem nifbe-MultiplikatorInnen-Workshop die Frage ein, wann und wie Kinder mit Fluchterfahrungen in der KiTa aufgenommen werden sollten. Grundsätzlich, so Gülcan Yoksulabakan-Üstüay, hätten Kinder mit Fluchterfahrungen „bereits eine Vielzahl von Übergängen bewältigen müssen".
Als sehr problematisch wertete sie daher auch die Aufnahme von Kindern in die KiTa, die sich noch in Erstaufnahmelagern bzw. Notunterkünften aufhielten. Hier drohe nach einer aufwändigen Eingewöhnung schon bald die nächste einschneidende Trennungserfahrung. Besser seien hier Übergangs-Lösungen vor Ort wie zum Beispiel SpielkreisSpielkreis||||| Der Begriff des Spielkreises wird sehr unterschiedlich verwendet. Einige Anbieter vermischen Begriffe wie Spielkreise und Krabbelgruppen, so dass dort auch Babys ab der 4. Lebenswoche teilnehmen dürfen. In Spielkreisen findet häufig eine Kinderbetreuung zwischen zwei und sechs Stunden statt - ein oder mehrmals in der Woche. Spielreise können auf privater Basis organisiert sein, in Vereinen oder auch von Gemeinden. Die Qualifizierung zur Spielkreisleiterin kann in eingen Gemeinden durch eine Fortbildung erlangt werden, die 4 Wochenendtermine umfasst. e mit Eltern – soweit dafür die räumlichen Voraussetzungen gegeben seien.
Bei der Aufnahme von schon in die Kommunen zugewiesenen Kindern mit Flüchtlingserfahrungen empfahl die Referentin möglichst frühzeitig mit den Eltern zu kommunizieren (ggf. auch mit Hilfe von DolmetscherInnen), um sie beispielsweise auch mit dem System der Kindertagesbetreuung in Deutschland vertraut zu machen. Grundsätzlich wichtig sei hier auch das Wissen bzw. die Sensibilität für kulturelle Unterschiede. Eigene Vorstellungen und Bewertungen müssten dabei im Bewusstsein „Es kann auch anders und auch anderes richtig sein" kritisch hinterfragt werden.
Eingewöhnung in die Krippe braucht individuelle Lösungen
Eine besondere Herausforderung stellt noch einmal die Eingewöhnung von Kindern aus geflüchteten Familien in die Krippe dar und hier sind kulturelle geprägte unterschiedliche Abschiedsrituale zu beachten. Als kritisch für Eltern und Kinder, die gerade extreme Trennungs- und Verlusterfahrungen gemacht hätten, schätzte Gülcan Yoksulabakan-Üstüay das „Berliner Eingewöhnungsmodell" ein. Hier seien „Modelle der sanften Ablösung" oder auch individuelle Lösungen, bei denen das Kind bestimmt, wann Mama oder Papa gehen dürfen, die bessere Wahl.