
Vernetzen und Bündnisse schmieden

Wohlbefinden als "fuzzy"-Konzept

Die Erziehungswissenschaftlerin zeigte zwei Zugänge zum Konzept des Wohlbefindens auf: Einen „makroanalytischen Zugang“, der die Lebensqualität indikatorgestützt und quantifizierend beschreibe sowie einen „mikroanalytischen Zugang“, der die verschiedenen Dimensionen des Wohlbefindens (körperlich, psychologisch, kognitiv, sozial, materiell) konkret in den Blick nehme. Hierbei zeigten sich allerdings zum Teil deutliche Überschneidungen mit Konzepten wie der ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese. , der Selbstbestimmungstheorie mit den psychologischen Grundbedürfnissen nach Autonomie, Kompetenz und Sozialer Teilhabe sowie der Bindungstheorie.
Mit Blick auf die Forschungslage musste Susanne Viernickel insgesamt eine „Reduzierung auf nur eine oder wenige Dimensionen“ sowie eine „fehlenden Operationalisierung“ im Hinblick auf die Erfassung des kindlichen Wohlbefindens in der KiTa konstatieren. Im Überblick stellte sie verschiedene Report- und Beobachtungsverfahren wie KOMPIK, die Leuvener „Wellbeing and Involvement Scale“ oder das von ihr gemeinsam mit Prof. Dr. Rahel Dreyer entwickelte „PSW 12-36", einem videobasierten Verfahren zum psycho-sozialen Wohlbefinden von Kindern in der Krippe, vor. Hierauf aufbauend erprobt sie derzeit auch das „WoGe“-Verfahren zur Erfassung von Wohlbefinden und psychischen Gefährdungen in KiTas“.
Kinderperspektiven als neuer Zugang
Als neue Entwicklung der vergangenen Jahre führte sie zudem das „Wohlbefinden aus Kinderperspektive“ an. Hier geben Kinder über Befragungen, erzählgenerierende Gruppendiskussionen, KiTa-Führungen oder Fotodokumentationen selbst Auskunft zu ihrem Wohlbefinden und können die Perspektive von Eltern oder Fachkräften ergänzen.Aus dem Studienüberblick ergab sich insgesamt ein relativ hohes Wohlbefinden der Kinder in KiTas, wobei ältere Kinder ein höheres Wohlbefinden als jüngere Kinder zeigten. Geschlechtsbezogene Unterschiede konnten dabei nicht festgestellt werden, allerdings negative Zusammenhänge mit Schüchternheit, Introversion, Ängstlichkeit oder sozialer Unsicherheit. Das Betreuungssetting wies im Hinblick z.B. auf folgende Aspekte Zusammenhänge mit kindlichem Wohlbefinden auf:
- Stabilität von Betreuungsverhältnissen
- Lärmpegel
- Fachkraft-Kind-Relation
- Feinfühligkeit / Interaktionsqualität
- Besonders hohes Wohlbefinden im freien Spiel
Kompetentes und resilientes System entwickeln

Die Arbeits- und Organisationspsychologin zeigte anhand der „CoRe“-Studie zunächst die verschiedenen Ebenen, Akteur*innen und Kernaufgaben innerhalb eines kompetenten Systems auf. Kompetenz umfasse dabei „Wissen, Handlungspraxis und Werte, die sich in jeder Facette des Systems der frühkindlichen Bildung entfalten“.
Für die institutionelle Leitungs-Ebene führte sie so beispielsweise unter Wissen „Pädagogisches Wissen über frühe Kindheit und Vielfalt“, aber auch das „Wissen über situiertes Lernen und Lerngemeinschaften“ an. Die Handlungspraxis bestehe u.a. aus Konzeptentwicklung, Förderung der professionellen Weiterentwicklung des Personals sowie entsprechender Unterstützung durch Fachberatung, Inter- oder Supervision. Die Werte-Ebene mit weit reichenden Implikationen stellte sie wie folgt dar:
- Demokratie und Wertschätzung von Vielfalt
- professionelle Weiterentwicklung als kontinuierlicher Lernprozess
- professionelles Lernen als rekursive Interaktion zwischen Praxis und theoretischer Interpretation
- Kindertageseinrichtungen als kritisch reflektierte Gemeinschaften, die sich mit den sich verändernden Bedürfnissen von Kindern, Eltern und der Gesellschaft auseinandersetzen
- Auffassung von Kitas als Forum für bürgerschaftliches Engagement, welches den sozialen Zusammenhalt fördert
In einem Zwischenfazit musste Petra Strehmel konstatieren, dass die Beziehungen und Interaktionen zwischen den verschiedenen Ebenen des Systems bisher kaum erforscht sind und dass es insgesamt einen unzureichenden Diskurs über das kompetente System gebe.
"Protektive Faktoren" für das System
Die Resilienz umriss Petra Strehmel in der Folge als „Widerstandskraft und die Fähigkeit, sich schnell an Veränderungen anzupassen“. Da Resilienz erst beim Auftreten eines Risikofaktors sichtbar werde, gelte es von vornherein „protektive Faktoren“ zu fördern und eine „Immunität gegen spezifische Krisensituationen“ herzustellen. Als Gefahr des Resilienz-Konzeptes sowohl auf das einzelne Kind wie auf die KiTa bezogen, benannte sie „die Verdeckung von Unzulänglichkeiten“ und „die Individualisierung des Risikos“.„Organisationale Resilienz“ sei die „Fähigkeit einer Organisation sich verändernden Umwelten anzupassen, um weiterhin in der Lage sein, seine Ziele zu erreichen, zu überleben und zu wachsen“. Protektive Faktoren dafür seien z.B.
- Geteilte Vision
- Klarheit der Kernaufgabe
- Analyse und Beeinflussbarkeit des Umfelds
- effektive und ermächtigende Leitung
- kulturelle Elemente, geteiltes Wissen, Verfügbarkeit von Ressourcen
- Entwicklung und Koordination von Managementformen
Wichtig, so Petra Strehmel abschließend, sei es Risiken wie z.B. Fachkräftemangel, Fluchtbewegungen oder Klimawandel zu antizipieren und entsprechende Vorkehrungen zu treffen, um so auch in Krisensituationen handlungsfähig zu bleiben. Resilienz könne aber auch gezielt durch Leitungs- und Managementstrategien gefördert werden, „welche die Robustheit und Flexibilität sowie die Veränderungsbereitschaft der Organisation und ihrer Mitglieder erhöhen“.
Im Hinblick auf das Gesamtsystem forderte sie „kompetente und widerstandsfähige Individuen und Strukturen auf allen Ebenen“, „partizipative, transparente und flexible Entscheidungs- und Kommunikationsstrukturen innerhalb und zwischen den Ebenen des Systems“ sowie „die Vernetzung und den Aufbau von tragfähigen Arbeitsbeziehungen zwischen den Akteur:innen auf verschiedenen Ebenen des Systems“. Dazu gehöre aber auch eine entsprechende Ressourcenausstattung des Systems – womit der Bogen wieder zum Anfang der Tagung gespannt war, in dem die Politik deutlich in die Verantwortung genommen wurde.

Im Anschluss an die beiden Hauptvorträge wurden in vier verschiedenen Workshops konkrete Verfahren wie „WoGe“, „WaBE" oder das „Dresdener Modell“ zur Erfassung des Wohlbefindens von Kindern in der KiTa näher vorgestellt. Zudem beleuchtete die AG Gesundheit der BAG-BEK „Die Bedeutung der Resilienz und Gesundheit als systemischer Prozess im Setting KiTa“.
Am zweiten Tag der Herbsttagung stand die Arbeit in den AG’s der BAG-BEK sowie der Austausch über aktuelle Entwicklungen in den Bundesländern im Fokus. Auch hier zeigte sich, dass der Fachkräftemangel das alles beherrschende Thema in der Diskussion um die frühkindliche Bildung ist und dass hier ein Dilemma zwischen kurzfristigen Maßnahmen (Alltagshelfer*innen, Quereinsteiger*innen, „Schnellbesohlungen“) und der Gefahr der dauerhaften Deprofessionalisierung besteht. Hier gilt es sorgsam abzuwägen!
Download Präsentation Petra Strehmel
Download Präsentation Susanne Viernickel (kommt in Kürze)
Lesetipp:
Kindliches Wohlbefinden (Susanne Viernickel)

Ein besonderer Dank galt auf der BAG-BEK-Tagung dem Organisationsteam von der Universität Leipzig
Karsten Herrmann