Was müssen Kinder in einer sich immer schneller verändernden Welt voller Krisen, Brüche und Unvorhersehbarkeiten lernen und wie muss eine entsprechende nachhaltige Bildung für morgen aussehen? Diese Fragen standen im Mittelpunkt einer auch vom nifbe unterstützten Veranstaltung der Volkshochschule Osnabrück und der Bürgerinitiative Osnabrücker Schule im Aufbruch (OSIA), in der Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg und Margret Rasfeld die dramatischen Herausforderungen skizzierten und ihre mutigen und inspirierenden Reformansätze vorstellten. Deutlich wurde dabei auch, dass Schule noch so einiges von der frühkindlichen Bildung lernen kann.

hamburg„Das Thema brennt unter den Nägeln“ unterstrich Julia Willie Hamburg zu Beginn ihres Vortrags und „die Frage ist für uns, was und wie Kinder und Jugendliche in einer schnelllebigen und komplexen Welt lernen sollen“. Für die Lösung dieser Frage brauche es „Kreativität und den Dialog aller Beteiligten“, denn auf viele Fragen hätten die Erwachsenen heute einfach noch keine Antwort.

Freiräume eröffnen

Die Kultusministerin forderte, „Schule im bestehenden System neu zu denken“ und von vorhandenen ausgezeichneten Modellschulen zu lernen – und mit einem leichten Augenzwinkern wies sie darauf hin, dass diese die starre Kultusbürokratie häufig kreativ umgehen und sich so Freiräume eröffnen.

„Was leistet zukunftsfähige Schule“ fragte Julia Willie Hamburg und führte folgende Punkte an:
  • Sie denkt vernetzt und um die Ecke
  • Sie lehrt zu lernen
  • Sie lehrt mündig Standpunkte zu vertreten und lebt Demokratie
  • Sie verbindet Individualität und soziale Verantwortung
  • Sie nimmt die ganzheitliche Entwicklung in den Blick
  • Sie vermittelt Kompetenzen statt reinem Wissen
  • Sie ermöglicht Lernen im eigenen Takt
  • Sie lehrt nicht im 45-Minuten-Takt und fächerübergreifend
  • Sie setzt auf Projektarbeit, auch klassen- und schulübergreifend

Für diese Ziele, so die Kultusministerin, müssten Schulen die Möglichkeit bekommen, ihre eigenen pädagogischen Konzepte zu entwickeln und umzusetzen. Zu fragen sei dabei auch, welche Kompetenzen die Lehrer*innen jeweils einbringen können und was diese wirklich begeistert. Notwendig sei des Weiteren Teamarbeit statt Einzelkämpfertum und das Team der Schule der Zukunft sei multiprofessionell.

Im Hinblick auf die Digitalisierung hob Julia Willie Hamburg heraus, dass diese unumgänglich sei, aber kein Selbstzweck sein dürfe. So könne auch der in den letzten Wochen viel diskutierte Chat GPT im Unterricht eingesetzt werden – als Werkzeug für gute Ideen. Spätestens mit der künstlichen Intelligenz seien nun neue Konzepte für Hausaufgaben und Prüfungen gefragt.

"Lernen, die Welt zu verändern"

Screenshot01„Der Kernauftrag der Schule ist es zu lernen, die Welt zu verändern“ – so Margret Rasfeld zum Auftakt ihres bewegenden Vortrags. Um diesen Kernauftrag umzusetzen, brauche es „eine tiefgreifende Haltungsänderung“ und einen weitreichenden Transformationsprozess.

Die langjährige Schulleiterin und Mitbegründern der bundesweiten Initiative „Schule im Aufbruch“ zeichnete in der Folge unsere dramatische globale Situation nach: Der Massenkonsum sei „ein Albtraum für die Umwelt“ und unser rastloses „höher, schneller, weiter“ ginge auf die Kosten der Zukunft unserer Kinder. Unsere Gegenwart sei von drei großen Krisen geprägt: Der ökologischen Krise, der sozialen Krise und einer tiefen Sinnkrise. „Wir müssen wieder lernen zu fühlen und Empathie zu entwickeln“ und erkennen, dass unser jetziges Leben vor allen Dingen aus Ersatzbefriedigungen bestehe.

Im Hinblick auf die Kinder und Jugendlichen konstatierte Margret Rasfeld eine prekäre mentale Gesundheit und eine drastische Zunahme von Depressionen. Das Aufwachsen von Kindern sei heute geprägt durch Zukunftsangst und Ohnmachtsgefühle und „das ist gefährlich für unsere Demokratie“. Ziel müsste aber ein glückliches und selbstbestimmtes Leben sein.

In der Folge warf Margret Rasfeld erschreckende – und wie sie selbst eingestand durchaus überzeichnete - Schlaglichter auf unse heutiges System Schule. Schule sei geprägt durch Konkurrenz und Effizienz, durch Kontrolle und Selektion. Kinder und Jugendliche seien in der Schule fremdbestimmt und dauerbewertet und durch die Betonung der Ungleichwertigkeit herrsche hier ein „struktureller Rassismus“. Das heutige System Schule stehe damit im diametralen Gegensatz zu den Grundbedürfnissen von Menschen – nämlich Autonomie, Verbundenheit und Sinn.

Große Transformation und "Macht des Wir"

„Was wir jetzt brauchen, ist eine große Transformation und die Kraft des Wir“ folgerte Margret Rasfeld. Schule müsse den Kindern und Jugendlichen vermitteln, Verantwortung für sich, für ihre Mitmenschen und für ihre Umwelt zu übernehmen. Diesen Paradigmenwechsel für Schule lehnte sie an die 17 UNESCO-Ziele für nachhaltige Entwicklung an, in der die Bildung eine Schlüsselrolle spiele. In Deutschland sei ein entsprechender Nationaler Aktionsplan für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung bereits 2017 verabschiedet worden – und dennoch erstaunlich unbekannt. Niedersachsen sah sie hier allerdings als Vorreiter im Schulbereich.

Aus ihrer langjährigen Reformarbeit an Modellschulen und den Ansätzen von „Schule im Aufbruch“ skizzierte Margret Rasfeld die Schule der Zukunft aus ihrer Perspektive. Notwendig sei dafür ein tiefgreifender „Haltungs- und Rollenwechsel“ von Lehrer*innen – zum Beispiel auch im Hinblick auf den in der frühkindlichen Bildung fest verankerten sicheren Beziehungsaufbau und Selbstwirksamkeitserfahrungen, den ganzheitlichen Ansatz, die Ressourcenorientierung und dem individuellen Abholen des Kindes, dort, wo es steht.

Die Schule und das Lernen der Zukunft ist demnach geprägt durch Selbstorganisation, einen forschend-partizipativen Unterricht, in dem alle zusammen lernen. Eine große Rolle spiele hier auch Theater, Tanz, Kultur und Achtsamkeit. In einer Schule der Zukunft, so Margret Rasfeld, „stellt das Leben die Fragen“ und es gehe um soziale und ökologische Verantwortung. Konkret würden die Schüler*innen ihrer Modellschulen in begleiteten Gruppen so für drei Wochen im Jahr mit 150 Euro in die Welt geschickt, um sich in ihren Lebensansprüchen radikal zu reduzieren, (Überlebens-) Strategien zu entwickeln und mit fremden Menschen in Kontakt zu treten. Zudem übernähmen die Schüler*innen Aufgaben in sozialen oder ökologischen Bereichen. Hierzu hatte die Reformerin ergreifende Film- und Tonbeispiele aus ihrer langjährigen Arbeit mitgebracht.

"Spirale der Ermächtigung"

Weiterhin setze die Schule der Zukunft auf das Lernen in Projekten und auf selbstbestimmte Aktions- und Freiräume. Es gehe hier nicht mehr um Ergebnis-, sondern um Prozessorientierung. Lehrer*innen hätten dabei die Rolle von Coaches und Prozessbegleiter*innen. „Die Schule der Zukunft setzt eine Spirale der Ermächtigung in Gang“ resümierte Margret Rasfeld und rief die über 200 Teilnehmer*innen dazu auf, jetzt nicht nur zu klatschen, sondern hinauszugehen in die Welt und zu handeln.

Zum Abschluss der von Thorsten Sandvoß von OSIA moderierten Veranstaltung trugen Schüler*innen, Eltern, Lehrer*innen und Schulleiter*innen ihrer Wünsche für eine zukunftsfähige Schule vor und die Teilnehmer*innen konnten ihre Commitments auf einem Mentimeter hinterlassen – Aufbruchstimmung war zu spüren und auch das nifbe wird zukünftig zusammen mit „Schulen im Aufbruch“ kooperieren, um die Bildung von morgen zu diskutieren und auf den Weg zu bringen.

Karsten Herrmann


Zur Aufzeichnung der Veranstaltung geht es hier:


 

Weitere Infos unter:

Osnabrücker Schulen im Aufbruch

Schule im Aufbruch auf Bundesebene