Kinder und Erwachsene stärken in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche


Am 11./12. November 2022 findet der 19. Göttinger Kongress für Erziehung & Bildung in Kooperation mit dem „Netzwerk Lehrkräftefortbildung“ im ZHG der Georg-August-Universität in Göttingen statt. Das Kongressteam um Dr. Karl Gebauer hat jetzt eine fachliche Erläuterung zum Thema des Kongresses im Kontext aktueller Herausforderungen erarbeitet:

Die Bedeutung früher Bildung für die Gesamtentwicklung eines Kindes ist in den letzten 20 Jahren in das Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Forschungsergebnisse haben Eingang in die KiTa-Gesetze und Bildungspläne der Bundesländer gefunden. Die Erwartungen der Eltern an eine qualitativ gute Arbeit in den Kitas sind in diesem Zusammenhang gewachsen.

Inzwischen ist aber eine Kluft zwischen den wissenschaftlichen Erkenntnissen und den Rahmenbedingungen einer guten frühkindlichen Bildung entstanden. Die in den Bildungsplänen formulierten Ziele sind nur dann zu erreichen, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen und wenn Erzieher*innen einen angemessenen Zeitrahmen für ihre Vorbereitungen und die nachfolgenden Reflexionen haben.

Zur Dynamik von Selbstwirksamkeit und Resonanz

Jeder Menschen kennt in seinem Leben Momente der Selbstwirksamkeit. Es sind Situationen, in denen etwas gelungen ist. Wird das Ergebnis von anderen Personen gewürdigt, so erfährt das Erlebnis von Selbstwirksamkeit durch diese wohlwollende Resonanz noch eine Steigerung. Dieser Prozess führt zu einem Gefühl von Zuversicht. Es entsteht die Hoffnung, dass auch in der Zukunft Gutes gelingen könnte.In der Dynamik von Selbstwirksamkeit und Resonanz liegt die Quelle für unsere Antriebskraft auch in schwierigen Zeiten.

Frühe Erfahrungen von Selbstwirksamkeit

Schon in der ersten Phase des Lebens gelingt es Babys durch Lächeln, Weinen oder Schreien die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf sich zu lenken. Es sind erste und wichtige Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Werden solche Situationen von den Eltern wohlwollend begleitet, entwickelt sich eine sichere emotionalen Bindung eines Kindes an seine Eltern. Damit ist ein bedeutender Schutzfaktor für seine Entwicklung gegeben. Bindungssichere Kinder haben ein grundlegendes Gefühl von Ur-Vertrauen verinnerlicht, von dem aus sie nicht nur neugierig die Welt erkunden können, sie können auch in Zeiten von äußerer und innerer Bedrohung an dieses angeborene Bindungssystem anknüpfen.
Die Kunst der Erziehung besteht in der frühen Kindheit darin, sich in Ruhe den Bedürfnissen der Kinder widmen zu können. Jedes Kind muss sich wahrgenommen fühlen. Es muss die Chance erhalten, sein Befinden in Worte fassen und mitteilen zu können. Das gibt ihm Hoffnung. In einer gelingenden Interaktion zwischen Erzieher*in und Kind liegt eine elementare Erfahrung, die eine Chance für die gesamte Gesellschaft bedeutet.

Die Bedingungen müssen stimmen

Wir leben in einer Zeit, in der unsere individuelle und gesellschaftliche Sicherheit durch eine anhaltende Pandemie, durch Kriege und Klimaveränderungen bedroht ist. Ohnmacht und Hilflosigkeit sind oft Merkmale unseres Erlebens. Viele Erzieherinnen arbeiten am Limit. Der Fachkräftemangel, die krisenhaften Ereignisse der letzten Jahre und die immer komplexer werdenden Anforderungen an Erziehung und Bildung haben das System in eine starke Schieflage gebracht.
Die in den Bildungsplänen formulierten Ziele einer guten frühkindlichen Bildung, sind allerdings nur dann zu erreichen, wenn die äußeren Rahmenbedingungen stimmen und wenn Erzieher*innen einen angemessenen Zeitrahmen für ihre Vorbereitungen und die nachfolgenden Reflexionen haben. Hier tut sich eine Kluft auf.
Der jetzige Zustand muss alle, die sich für Erziehung und Bildung verantwortlich fühlen, sehr beunruhigen. Ursachen der Belastungen liegen z.B. in einem unangemessenen Personalschlüssel. Dauerhaft erschöpftes Personal kann den Bedürfnissen der Kinder nicht gerecht werden.

Das bedeutet, dass viele Kinder während einer zentralen Entwicklungsphase ihres Lebens die grundlegende Erfahrung von Selbstwirksamkeit nur begrenzt machen können.
Hier liegt der Grund für das diesjährige Thema des Kongresses. Gerade in einer Zeit der Krisen kommt es darauf an, dass Erzieher*innen und Kinder sich in ihrer Selbstwirksamkeit erleben können. Die Erfahrung von Selbstwirksamkeit beflügelt.

Der Kongress ist so komponiert, dass die Teilnehmenden die Chance haben, sich aktiv an Lösungsvorstellungen zu beteiligen, sich in ihrer Selbstwirksamkeit zu erleben. Es geht darum, angesichts der Krisen stark zu werden, stark zu bleiben, ResilienzResilienz|||||Resilienz kann als "seelische Widerstandsfähigkeit" verstanden werden mit der Fähigkeit Krisen zu meistern und diese als Anlass für Selbstentwicklungen zu nutzen. In der Resilienzförderung geht es speziell darum die Widerstandsfähigkeit von Kindern und Erwachsenen in belasteten und risikobehafteten Lebenssituationen durch schützende Faktoren zu entwicklen, zu ermutigen und zu stärken. Ein verwandter Begriff ist der der Salutogenese.  zu erwerben.

Gelingende Interaktionen sind eine Kraftquelle

Wenn gelingende Interaktionen in der frühen Kindheit eine solche Bedeutung für die Resilienz eines Menschen haben, sollten sie in den Kitas und Schulen ins Zentrum der Bildungsarbeit gestellt werden. Wenn sich ein Kind gehört und verstanden fühlt, befindet es sich in der Dynamik von Urheberschaft und Resonanz. In der gelingenden zwischenmenschlichen Interaktion ist das zu finden, was sich als Fundament für Resilienz herausstellen wird.

Interaktionen werden in Handlungen sichtbar. Manchmal sind sie kaum wahrnehmbar. Oft handelt es sich um eine Geste, einen Laut, ein Lächeln, ein leichtes Nicken. In solchen Augenblicken können Kinder – aber auch erwachsene Person - glückliche Momente erleben. So können kleinste Handlungen innerhalb emotional gestalteter Interaktionen Hoffnung spenden.

Klippen im Alltag

Der Kita-Alltag hält permanent Ereignisse bereit, deren Bedeutung für ein Kind oder eine Kindergruppe von den Erzieher*innen erst noch entschlüsselt und interpretiert werden muss. Um auffällige Verhaltensweisen von Kindern verstehen und ihnen helfen zu können, braucht es in vielen Fällen die Kompetenz des gesamten Teams.
Oft ist das aggressive, passive, oppositionelle oder scheinbar desinteressierte Verhalten eines Kindes nicht zu erklären. Einsamkeit, Verlassenheit oder ein Gefühl der Angst können Gründe sein.

Die Kunst der Erziehung besteht in der frühen Kindheit darin, sich in Ruhe den Bedürfnissen der Kinder widmen zu können. Jedes Kind muss sich in seinem Tun wahrgenommen fühlen. Es braucht eine Reaktion. Das gibt ihm Hoffnung. Hoffnung liegt also im interaktiven Prozess. Und darin liegt auch die große Bedeutung für die gesamte Gesellschaft.

Die Kindheitsforscherin Susanne Viernickel zeigt allerdings in ihrer Analyse der gegenwärtigen Situation, dass „unzureichende Rahmenbedingungen in der Kindertagesbetreuung kindliches Wohlbefinden gefährden.“ Kritisch merkt sie an, dass es die Politik nicht schaffe, die Rahmenbedingungen für eine hohe Bildungsqualität im System der frühen Bildung und Erziehung abzusichern. Der Fachkräftemangel in Verbindung mit den krisenhaften Ereignisse der letzten Jahre und den immer komplexer werdenden Anforderungen brächten das System in eine starke Schieflage. Erzieher*innen seien am Limit ihrer Leistungsfähigkeit angekommen. Das bedeutet, dass viele Kinder während einer zentralen Entwicklungsphase ihres Lebens die grundlegende Erfahrung von Selbstwirksamkeit nur begrenzt machen können.


Zur Kongress-Website geht es hier: https://goe-keb.de