Kinder stärken und Schutzräume achten

Kinderschutz umsetzen

Kinderschutz im Sinne von der Erhaltung des Kindeswohls ist ein sehr komplexes und wichtiges Thema, über das sich das Kita-Team Gedanken machen muss. Dabei ist z. B. Kinder in ihrem Körpergefühl und ihrem Selbstbewusstsein zu stärken ein wichtiger Teil der Präventionsarbeit. Und es gibt noch weitere Komponenten, die zu beachten und hilfreich bei der Umsetzung eines Kinderschutz-Konzepts sind. Ein Interview mit Elisabeth Raffauf von klein&groß:

  • Was verstehen Sie unter Kinderschutz?
Jede Menge. Erwachsene können ganz viel tun und gleichzeitig ist auch klar: Einen 100% igen Schutz gibt es nicht. Kinderschutz fängt schon an, wenn Kinder auf die Welt kommen. Kinderschutz ist zunächst einmal präventiv, also vorbeugend.

Kinder sind gut, so wie sie sind
Es ist wichtig, dass Kinder liebevoll aufgenommen werden und so angenommen werden wie sie sind. Dass sie die Erfahrung machen: „Ich bin gut so wie ich bin.“ Das stärkt ihr Selbstvertrauen. Von Anfang an. Also wir können Kinder stärken, indem wir sie als ganzen Menschen annehmen.

Kinder brauchen Worte
Mit Worten erschließen wir uns die Welt. Worte helfen uns Gefühle, Ereignisse, Dinge zu symbolisieren, sie weiterzutragen und sie sich von außen anzuschauen. Wenn wir ein Wort für etwas haben, können wir sagen, was ist. Das heißt auch, dass Kinder Worte für alle Körperteile brauchen, nur so können sie sich ganz fühlen. Worte für die Gefühle, die sie haben. Sie brauchen kindgerechtes Wissen über Körper und Sexualität.

Grenzen wahrnehmen und achten
Kinderschutz ist es auch, wenn wir die Grenzen der Kinder achten in dem was wir tun und sagen. Kinder haben Grenzen und zeigen sie auch. Schon kleine Kinder drehen den Kopf weg, wenn ihnen jemand zu nah kommt, sie spucken das Essen aus, wenn sie satt sind oder etwas nicht mögen, sie schreien, wenn sie bei jemandem auf dem Arm sind, bei dem sie sich nicht wohl fühlen. Wir können die Signale der Kinder ernst nehmen und ihnen vorleben, dass sie niemanden küssen müssen, den sie nicht küssen möchten und bei niemandem auf dem Schoß sitzen müssen, bei dem sie das nicht möchten.

Respektvoller Umgang
Kinderschutz heißt auch, dass wir respektvoll mit den Kindern umgehen. Das bedeutet, z. B., dass wir nicht über sie lachen, wenn ihnen etwas peinlich ist, dass wir ihre Schamgefühle achten, wenn sie sich z. B. nicht nackt zeigen möchten. So lernen Kinder, dass sie ein Recht darauf haben zu entscheiden, wer ihren Körper zu sehen bekommt und wer sie anfassen darf.

Vorbild sein
Wir zeigen Kindern dass Respekt wichtig ist, indem wir mit uns selbst, mit unseren Mitarbeitern, Partnern respektvoll umgehen. Auch das signalisiert ihnen: Respekt ist wichtig. Respektlosigkeiten muss ich nicht akzeptieren.

Vertrauensvolle Atmosphäre
Kinder brauchen eine geschützte Umgebung. Menschen, denen sie vertrauen können, die nicht hinter ihrem Rücken etwas anderes tun als sie sagen. Sie brauchen eine Atmosphäre, in der sie sich sicher fühlen können und sich auf die Erwachsenen verlassen können.

Kindern Glauben schenken
Auch das ist Kinderschutz: Kinder brauchen Erwachsene, die ihnen glauben und die ihre Anliegen zunächst nicht bewerten. Nur so können sie zu ihnen kommen, wenn ihnen etwas komisch vorkommt. Es ist wichtig, dass Erwachsenen klar ist: Kinder denken sich keinen Übergriff oder Missbrauch aus.


  • Wie können pädagogische Fachkräfte in der Kita präventiv in Bezug auf Kindesmissbrauch arbeiten?
Nehmen wir die Kinderrechte. In den Kinderrechten der Vereinten Nationen ist festgelegt, dass Kinder beschützt, gefördert und beteiligt werden. Das bedeutet folgendes konkret.

Wie schützt man Kinder in der Kita?
Kinder brauchen geschützte Räume. Räume, die vom Kind aus gedacht und eingerichtet sind. Sie brauchen verantwortungsvolle Erzieher*innen, die sie ernst nehmen. Sie brauchen aufmerksame Erzieher*innen, die spüren, wenn mit ihnen etwas nicht stimmt und die dann nicht weggucken, sondern hingucken und gegebenenfalls Hilfe holen. Sie brauchen Schutz gegen Angriffe durch andere.

Wie fördert man Kinder?
Dafür, dass Kinder gestärkt werden und sich selbst etwas zutrauen, können Erzieher*innen sehr viel tun: Sie können ihnen Erfahrungsräume für ihre Sinne und ihren Körper eröffnen: Riechen, Hören, Sehen, Schmecken, Fühlen – über die Sinne erfahren wir die Welt. Für Kinder sind viele Sinneserfahrungen ganz neu und aufregend und erweitern die Welterfahrung. Es gibt unzählige Spiele und Übungen, die Erzieher*innen im Kindergarten mit den Kindern machen können: Einen Kräutergarten anlegen, Kräuter in der Natur finden, einen Klanggarten anlegen, einen Barfußparcour mit Steinen, Watte, Sand, Erde, Blättern bauen, eine Autowaschstraße für die Bobby-cars, einen Friseur-Salon usw. Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt und vieles ergibt sich aus dem, was die Kinder zurzeit beschäftigt. Erzieher*innen können auch die Körperbeherrschung fördern, Möglichkeiten zum Turnen, Balancieren, mit Bällen, Bändern, Tüchern jonglieren und Geschicklichkeitsübungen machen. Das trainiert das Körperbewusstsein und fördert die Sicherheit im eigenen Körper.

Wie beteiligt man Kinder in der Kita?
Auch da gibt es viele Möglichkeiten. Es gibt den Morgenkreis, das Kinderparlament, eine Box, in die Kinder Bilder oder Texte mit Wünschen werfen können. Kinder können mitentscheiden, was gespielt wird und wie gespielt wird. Oft ist es so, gerade wenn etwas passiert ist, dass Kinder gar nicht mehr in Ruhe gehört werden. Sie werden vielleicht in der ersten Aufregung kurz befragt und dann nicht mehr. Kinder in Ruhe anhören, nicht mit bohrenden Fragen, aber mit der Möglichkeit sich zu äußern, ohne, dass z. B. andere Kinder dabei sind, vor denen sie sich nicht trauen etwas zu erzählen, ist sehr wichtig.

  • Können Sie etwas zur Sexualentwicklung von Kindern sagen und wie Erzieher*innen diesbezüglich mit „Doktor spielen“ umgehen können?
Erstmal ist es wichtig zu wissen: Kindliche Sexualität ist nicht gleich erwachsene Sexualität. Wenn wir über kindliche Sexualität sprechen müssen wir sozusagen die Erwachsenenbrille absetzen und die Kinderbrille aufsetzen. Kinder sind neugierige Entdecker und Forscher. Sie wollen wissen, was passiert, wenn ich auf einen Baum klettere, was passiert, wenn ich einen Wasserhahn aufdrehe und was passiert, wenn ich jemandem die Zunge rausstrecke oder die Hose runterziehe. Sie wollen wissen: Was kommt danach? Wie fühlt es sich an? Wer ist mit mir begeistert? Und dieser Forscher- und Entdeckergeist macht auch nicht vor dem Körper halt. „Körper erkunden“ ist ein Spiel neben allen anderen Erkundungstouren. Das ist ganz normal.

Kinder wollen wissen, wie sieht ein anderes Kind nackt aus? Darf man das auch sehen? Und in der Kita ist häufig große Angst vor Doktorspielen. Erzieher*innen wissen vielleicht nicht, wie sie damit umgehen sollen, sie haben Angst vor der Reaktion der Eltern oder dass etwas nicht mehr o.k. ist oder sie sind selbst nicht so erzogen, dass das eine normale Sache ist. Deshalb würden manche vielleicht lieber nichts damit zu tun haben. Aber es ist eben auch klar: Der Körper bleibt nicht vor der Tür und auch die kindliche Neugier auf Körperlichkeit nicht.

Also ist es gut zu gucken: Wie gehen wir damit um? Wollen wir eine Kuschelecke in der Kita? Dürfen die Kinder im Sommer nackt unter den Gartenschlauch? Oder wollen wir so etwas lieber nicht?
Manche haben vielleicht auch Sorge, dass sie nicht erkennen, wann es kippt.
Sind das jetzt noch Doktorspiele oder ist es übergriffig, was zwischen den Kindern läuft? Ist es für alle freiwillig oder wird jemand zu etwas gezwungen?

Folgende Aspekte sind gut und hilfreich für die Beurteilung von Situationen:

  • Ähnliches Alter der Kinder: Kinder, die Doktorspiele machen, sollten ungefähr gleich alt sein. Wenn mehr als 2 oder 3 Jahre Altersunterschied bestehen, ist der ältere in seiner Entwicklung weiter und auch mächtiger.
  • Ähnliche Stärken und Einwirkungsmöglichkeiten: Es sollte kein Machtgefälle zwischen den Kindern, die miteinander spielen bestehen. Das kann zum Beispiel auch durch Status-Unterschiede in der Gruppe deutlich werden. Das heißt auch, dass die Kinder intellektuell ungefähr auf der gleichen Stufe stehen sollten. Auch wenn die Familien einen unterschiedliches gesellschaftliches Ansehen genießen oder aus verschiedenen Kulturen kommen, kann das ein Machtgefälle ausmachen. Ob ein Machtgefälle zwischen Kindern besteht, ist für Erzieher*innen oft nicht leicht einzuschätzen. Um das beurteilen zu können ist es wichtig die Gruppenstruktur zu kennen.

Und es wichtig, dass es wenige klare Regeln für die Kinder gibt. Diese Regeln müssen allen bekannt sein, den Kindern, den Eltern und natürlich den Erzieher*innen:

  • Niemand darf etwas tun, das der oder die andere nicht möchte. Jedes Kind bestimmt selbst über seinen Körper und wo es angefasst werden möchte.
  • Berührungen an den Geschlechtsteilen finden nicht in der Öffentlichkeit statt. Sie benötigen einen geschützten, privaten Raum.
  • Es wird nichts in Körperöffnungen gesteckt, kein Bleistift oder anderer spitzer Gegenstand, weder in den Po noch in die Scheide, aber auch nicht in Mund, Nase oder Ohren.
  • Es gibt kein Redeverbot oder Schweigegebot.

  • Was empfehlen Sie Kita-Teams, wie Sie die Thematik „Kinderschutz“ als Team bearbeiten können?
Für Teams ist es wichtig, dass sie sich aktiv mit dem Thema beschäftigen und zwar präventiv. Oft kommt das Thema erst, wenn etwas passiert ist. Oder manche Erzieher*innen sind der Meinung: „Ich warte, bis die Kinder etwas ansprechen oder es eine Situation gibt.“ Nein – Vorher. So hat man die Möglichkeit das Thema positiv zu gestalten. Alle Bundesländer empfehlen mittlerweile für Kitas einen offenen Umgang mit dem Thema Körperlichkeit in der Kita. Und beim Thema „Kinderschutz“ ist es keine Empfehlung, sondern ein Muss. Oft wird vergessen, dass selbstbewusste Kinder und Kinder, die einen guten Umgang mit dem Thema Körper und kindliche Sexualität haben am besten geschützt sind.

Also Teams sollten sich aktiv damit beschäftigen:
  • Für jede Erzieherin und jeden Erzieher persönlich bedeutet das zuerst mal eine Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualerziehung. Das kann z. B. in einem Workshop sein. Nur wenn ich selbst mir bewusst bin, wie ich zu dem Thema stehe, kann ich auch bewusst und professionell handeln.
  • Dann ist es wichtig, dass über das Thema im Team gesprochen werden kann. Dass gemeinsam überlegt wird: Wie wollen wir hier damit umgehen? Welche Angebote wollen wir machen? Wer macht das? Wie verankern wir unsere Haltung in einem sexualpädagogischen Konzept? Und wie setzen wir dieses Konzept im Kita- Alltag um?
  • Transparenz: Das Konzept wird gemeinsam erarbeitet. Es wird jedem bekannt gemacht.
  • Unklare Situationen werden besprochen im Team. Dafür braucht es Vertrauen und eine kreative, positive Gesprächskultur.
  • Es gibt klare Zuständigkeitsbereiche im Team und die sind jedem klar.
  • Es gibt ein Teilhabe-Forum für die Kinder. Sie können sich informieren, mitteilen, treffen und werden gehört.
  • Transparenz nach außen: Es gibt außenstehende Ansprechpartner für das Team und für die Eltern. Eine erfahrende Fachkraft, an die man sich wenden kann. Für die Kinder ist es schwierig jemand Außenstehenden zu etablieren, auch wenn das wünschenswert wäre. Für sie könnte es ein Kinderparlament geben, wo sie ihre Themen besprechen können. Und sie brauchen eine Erzieherin oder einen Erzieher, dem sie besonders vertrauen.
  • Es ist wichtig, dass man als Kita- Team auch kritisch bleibt gegenüber der eigenen Sicht auf die Einrichtung. Sich immer mal wieder Außen-Einsichten einholen.

Literatur

  • Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend/ Elisabeth Raffauf (Redaktionelle Leitung dieser Eltern-Broschüre): Mutig fragen – besonnen handeln. Informationen für Mütter und Väter zur Thematik des sexuellen Missbrauchs an Mädchen und Jungen. BFSFJ 2012
  • Raffauf, Elisabeth: So schützen sie Kinder vor sexuellem Missbrauch. Prävention von Anfang an. Patmos 2012
  • Raffauf, Elisabeth: Kinder verstehen und im Kita-Alltag professionell begleiten: Wenn Jonah und Sophie Doktor spielen. Cornelsen 2019

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
klein&groß 1-2020, S. 6-11





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