Wir sprechen mit dem Körper

Ein langgezogenes Oooh und ein sanfter Blick – mit Säuglingen sprechen wir in einer besonderen Sprache. Warum es auch für ältere Kinder wichtig ist, sich an diese Form der Kommunikation zu erinnern, beschreibt der Sozialpädagoge und Therapeut Klaus Kokemoor.

Den Begriff der Resonanz können wir in dem Zusammenhang, in dem ich ihn hier beschreiben werde, auch mit Kontakt oder Kommunikationsinitiative umschreiben. Wir sind von unserer Geburt an auf Kontakt beziehungsweise Resonanz hin angelegte Wesen. Die Kommunikation mit einem Säugling, die von oft ungebrochenem Interesse in einem wechselseitigen Resonanzerleben geprägt ist, leistet einen beachtlichen Beitrag zur Selbst- und Identitätsbildung, so der Neurowissenschaftler Joachim Bauer. Eltern sprechen mit ihrem Neugeborenen in einer besonderen Sprache. In dieser Sprache geht es vordergründig nicht darum, Informationen weiterzugeben, sondern in einem Beziehungserleben zu sein. Weil die Eltern den großen Wunsch in sich tragen, mit dem Säugling in Kontakt zu treten, werden sie auf seine Bedürfnisse, seine Empfindungen, seine Wahrnehmungen, seine Blicke und seine Laute reagieren.
Diese wechselseitige Kommunikation nennt der französische Psychomotoriker Bernard Aucouturier einen tonisch-emotionalen Dialog. Es ist eine Sprache, bei der unser Körper mitspricht und die durch Emotionen getragen wird. Es ist ein Dialog, den alle Eltern weltweit führen und dessen Sprache eine besondere Betonung, Sinnlichkeit, Sprachmelodie aufweist. In dieser Sprache wird das Kind mit Worten umhüllt, und die wesentliche Botschaft, die diese Sprache bereithält, heißt: „Ich bin jetzt, in diesem Moment, für dich da!“

Im Verlaufe des kindlichen Reifungsprozesses verändert sich die Sprache, und Eltern sowie auch sozialpädagogische Fachkräfte in den Kindertagesstatten passen die Worte intuitiv an das Entwicklungsalter des Kindes an. Nun richten sich unsere Blicke und Worte zunehmend an das Spiel, die Handlungen und die Initiativen des Kindes. Aus diesem Erleben macht das Kind die elementare Erfahrung der Selbstwirksamkeit, die mit dem Gefühl, in den Augen des anderen zu existieren, einhergeht.

Es klappern die Knöpfe

Der zweieinhalbjährige Ben schüttelt eine Dose, die mit Knöpfen gefüllt ist, als im Raum ein langgezogenes „Oooh – ein Geräusch“ der Erzieherin erklingt. Ben halt inne, betrachtet für Bruchteile einer Sekunde die Dose, bevor er erneut zu schütteln beginnt. Die Erzieherin folgt ihm weiter mit Worten „Klappert das!?“ sowie einem zarten Lachen, einer emotionalen Resonanz.

Der gleichaltrige Tim begibt sich nun zu der Erzieherin, legt seine kleine Hand auf ihre Hand und betrachtet die sich bewegende Dose von Ben. Jetzt spricht sie in ruhigen und beschreibenden Worten „Ganz laut – das klappert ganz laut!“ und wendet ihren Blick zu Tim. Dieser hat weiter die Dose im Blick, als er mit „Mmmh!“ antwortet, während er nun die Erzieherin anschaut. Die Worte haben ihn erreicht und zur Kommunikation eingeladen, da sie in Resonanz zu seinem aktuellen unmittelbaren Erleben standen.

Ben fühlt sich durch die Aufmerksamkeit der pädagogischen Fachkraft sowie von Tim sehr motiviert und schüttelt energisch und engagiert seine Dose, was die Erzieherin dazu veranlasst, erneut zu sagen: „Oooh ganz laut!“ – während sie sich leicht hinunterbeugt und sich ihr Blick mit dem strahlenden, zustimmenden Blick von Tim trifft. Hier befinden sich Tim und die Erzieherin im gemeinsamen Resonanzerleben der Betrachter. Ben nimmt dieses wahr, halt wieder kurz inne und schaut in Richtung der beiden Beobachter.

In diesem Moment sagt die Erzieherin: „Oooh laut!“, bevor ihre Stimme ganz leise wird und sie sagt: „Jetzt ist es leise!“ Diese Veränderung kommt sofort bei Ben an, der nun viel länger innehält, seine Dose betrachtet und nun dem Wort „leise“ Ausdruck verleiht. Er beginnt mit den Worten zu spielen. Es ist für einen Moment leise, bevor Ben die Dose wieder mit viel Schwung hin- und herbewegt und es wieder laut wird. Alle Beteiligten sind nun mit großer Aufmerksamkeit und mit der Bedeutung „laut“ und „leise“ im Kontakt.

In dieser kleinen Szene wird uns die Bedeutung des Resonanzerlebens auf unterschiedliche Weise vor Augen geführt. Durch die beschreibenden Worte seiner Handlung erfährt Ben, ich werde gesehen, wie ich in der Welt wirke. Diese so wichtige Erfahrung der Selbstwirksamkeit motiviert ihn, das Schütteln der Dose engagiert und kreativ fortzusetzen. Die sich an den Handlungen, Beobachtungen und Empfindungen der Kinder orientierende Stimme der pädagogischen Fachkraft ist, so der Psychopathologe Peter Hobson, der Unterbau für die Sprachentwicklung sowie ein Katalysator für Aufmerksamkeit und Beziehungserleben.

Doch es wird nicht nur die Beziehung der Menschen untereinander angeregt, sondern auch die Aufmerksamkeit für bildungsrelevante Themen. In dieser kleinen Szene, von der hier nur ein Ausschnitt dargestellt werden konnte, fallen die beschreibenden Worte laut, leise, viele, klappern – die sich alle auf das Verhältnis von Knöpfen in einer Plastikdose in Verbindung mit Bewegung und Stillstand beziehen. Dieses Resonanzerleben berührt die tiefen frühen Erfahrungen des Kindes und gibt ihm sowie den bildungsrelevanten Themen eine besondere Bedeutung. Die Aufmerksamkeit für das Kind wird zur Aufmerksamkeit des Kindes für sich, für die Gemeinschaft sowie für das Lernen.
Aufmerksamkeit führt zu Aufmerksamkeit wie Respekt zu Respekt führt. Das Kind bringt durch die Art und Weise, wie es sich bewegt, handelt oder spielt seine persönliche Geschichte, sein inneres Bewegtsein zum Ausdruck. Wenn wir zu diesem Ausdruck, dieser Auseinandersetzung mit sich und der Welt in Resonanz gehen, unsere tonisch-emotionale Beteiligung zeigen, werden wir in der Familie, dem Kindergarten und der Schule zu wertvollen Entwicklungsbegleitern unserer Kinder (Bernard Aucouturier).

Spielzeugautos in einer Reihe

Der dreijährige Robin hat eine Diagnose aus dem Spektrum Autismus. Er geht nicht zu anderen Kindern in Kontakt, spricht überwiegend in Zitaten und liebt es, Puzzle zu legen oder kleine Spielzeugautos in eine Reihe zu stellen. Auf seine Umgebung macht er den Eindruck, als wolle er in seinem Spiel nicht gestört werden. Er fängt an zu schreien, wenn andere Kinder sein Puzzle oder seine Reihen aus Autos der Holzbausteine verändern wollen. Natürlich ist es wichtig, Robins Wunsch nach Autonomie zu respektieren und in sein Spiel und sein Handeln nicht einfach einzugreifen.

Gleichzeitig brauchen Kinder aus dem Spektrum Autismus ein gezieltes, intensives Resonanzerleben in Bezug auf ihr Handeln, um sich aus dieser Selbstbezogenheit zu lösen. Robin legt wieder einmal ein Puzzle, ohne dabei den Blick von anderen zu suchen. Sein Blick konzentriert sich auf das einzelne Puzzleteil und er fügt die Teile zusammen, auch ohne ein wirkliches Interesse an dem Motiv zu zeigen, das er zwangsläufig vor seinen Augen konstruiert. Es ist ein Bild von Pettersson und Findus, und als er gerade das Teil legt, das den Kopf von Pettersson zeigt, wird diese Handlung durch die Worte einer Erzieherin begleitet: „Ah, der Kopf von Pettersson.“ In diesem Moment würde das nicht autistische Kind den Blick heben und zur Erzieherin schauen oder für einen Moment innehalten, doch Robin legt, ohne eine Reaktion zu zeigen, in einer Art eigenem Rhythmus weiter. Es entsteht der Eindruck, als habe er die Worte nicht gehört. Aus dieser Beobachtung in Bezug auf diese Kinder resultiert die Beschreibung: „Das autistische Kind wirkt wie taub.“

Doch auch wenn Robin diese Worte nicht erreichen oder berühren, ist er nicht taub. Sein Bezugspunkt ist in diesen Momenten ein anderer. Er ist mit den Objekten, den Formen, den Reihen, Rhythmen in Resonanz. Diese Kinder haben ein nicht hinreichend strukturiertes einheitliches Körpergefühl, und aus diesem Grund lieben sie es, im Außen klare Strukturen (Puzzle, Reihen, Fahrpläne und Ähnliches) und Einheiten herzustellen.

Doch nun gibt es eine recht einfache Möglichkeit, sie mit unseren Worten zu erreichen. Wir müssen, so wie oben bereits beschrieben, mit unserem Körper sprechen, zu den Handlungen oder dem Empfinden in Resonanz gehen und unsere Worte mit Emotionen füllen. Ich führe ein kurzes Vieraugengespräch mit der Erzieherin, die gerade noch Robin mit ihren Worten begleitet hat. Ich bestätige die elementare Bedeutung ihres Handelns und bitte sie, noch eine kleine Veränderung in ihrer sprachlichen Begleitung vorzunehmen. Sie soll sich vorstellen, ihr Körper ist der Resonanzkörper für ihre Stimmbänder wie der Korpus eines Kontrabasses für die Saiten. Nach leichtem Zögern begibt sich die Fachkraft wieder an die Seite von Robin und beobachtet sehr aufmerksam sein Handeln. Diese aufmerksame Beobachtung ist oft eine wichtige Voraussetzung, um sich für die Initiativen des Kindes zu öffnen. Robin ist weiter konzentriert mit seinem Puzzle beschäftigt. Er legt das nächste Teil, auf dem sich der Großteil einer Blume abbildet. „Aaah, eine Bluuume!“, sagt in diesem Moment die Erzieherin. Sie wirkt verwundert, als Robin unmittelbar, fast im Einklang mit ihren Worten, seinen Oberkörper aufrichtet und das Puzzle betrachtet.

Der bekannte Neuropsychologe Colwyn Traevarthen spricht hier von der sekundären Intersubjektivität. Wir erleben eine Art Brückenschlag zu Robin, der nun wahrnimmt, dass sein Objekt, in diesem Fall ein Puzzle, auch von jemand anderem betrachtet oder gesehen wird. Doch diese Veränderung von Robin führt augenblicklich zu einer Veränderung bei der pädagogischen Fachkraft. Ihre Verwunderung, die sich schnell in Freude wandelt, ist eine emotionale Reaktion oder auch Resonanz auf das Erlebnis, beim anderen etwas bewirkt zu haben. Dieses wechselseitige Erleben ist jedoch nur möglich, wenn wir nicht nur in Resonanz gehen, sondern auch in Resonanz oder Kontakt zur gesamten Situation sind.

Robin legt das nächste Teil, das mit den emotionalen Worten der Erzieherin: „Oooh, noch ein Teil!“, begleitet wird. In diesem Moment richtet sich Robin wieder auf, greift sich ein neues Teil, nimmt nun Blickkontakt zur Erzieherin auf und sagt: „Noch ein Teil!“ Durch dieses tonisch-emotionale Resonanzerleben wird in dem autistischen Kind erst das Interesse oder die Lust an der Kommunikation mit dem anderen geweckt. Etwa drei Monate später, in denen sich diese Momente täglich mehrere Male wiederholt haben, fängt Robin an, diese Erfahrung auch auf die Kinder zu übertragen. Er zeigt ihnen Gegenstände oder spricht die Kinder an. Er zeigt diese Gegenstände nicht nur, er wartet auf die Reaktion seines Gegenübers.

In meiner jahrzehntelangen Arbeit mit autistischen Kindern ist mir die elementare Bedeutung dieser tiefgreifenden Interaktion immer bewusster geworden, und ich sehe hier den Kern oder die Grundlage für eine hilfreiche Beziehung. Der Londoner Professor für Psychopathologie Peter Hobson betont in seinem Buch „Wie wir denken lernen“, dass einer der stärksten Einflüsse auf die kindliche Entwicklung das ist, was zwischen den Menschen geschieht. Durch das Zwischenmenschliche, die tonisch-emotionale Resonanz in Bezug auf die Handlung oder das Sein des Kindes, macht das Kind die so wichtige Erfahrung der Bindung, auf die wir ein Leben lang angewiesen sind. Doch es ist nicht nur eine Erfahrung für die Seele, sondern stellt auch eine gemeinsame Verbindung zu den Objekten oder bildungsrelevanten Themen her, zu denen wir dann in Kommunikation treten können.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 6-2019, S. 20-23


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