Spielraum für Partizipation

Co-Autorin: Ursula Winklhofer

In Kindergärten und Krippen können Kinder bereits früh demokratische Prozesse kennenlernen. Das trägt auch dazu bei, Mechanismen von Ausgrenzung und Diskriminierung gar nicht erst entstehen zu lassen.

Demokratie muss immer wieder neu ausgehandelt und praktiziert werden. Krippen und Kindergärten als erste Bildungsinstitutionen außerhalb der Familie bieten Kindern die Gelegenheit, erste Erfahrungen mit demokratischen Aushandlungsprozessen zu machen. Kindertageseinrichtungen haben dadurch das Potenzial, Demokratie auch für zukünftige Generationen zu stärken. Kinder können hier elementare Erfahrungen machen, wie das soziale Miteinander organisiert ist, welche Werte und Normen bedeutsam sind und welche Handlungsspielräume und Mitbestimmungsmöglichkeiten sie haben.

Fremdenfeindlichkeit und Extremismus vorbeugen

Seit dem vorübergehenden starken Anstieg der Zuwanderung von Geflüchteten hierzulande zwischen Mitte 2015 und 2016 wird der Umgang mit Vielfalt und Heterogenität in der Gesellschaft verstärkt diskutiert. Ein Expertengremium der Friedrich-Ebert-Stiftung schreibt in seinen Handlungsempfehlungen an Politik und Verwaltung: »Das Verständnis für kulturelle Dynamiken in der Einwanderungsgesellschaft muss gestärkt werden, damit nicht aus Unkenntnis und Fremdheitserfahrung die Konstruktion des fundamental Anderen wird« (Molthagen 2017, S. 14) und damit Extremismus und Fremdenfeindlichkeit genährt werden.

In der Frühen Bildung können Bildungskontexte und Gelegenheiten geschaffen werden, um Ausgrenzung entgegenzuwirken. Kindertageseinrichtungen erreichen mittlerweile nahezu alle Kinder zwischen drei und sechs Jahren sowie mehr als ein Drittel der Kinder in den ersten drei Lebensjahren (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016). Insbesondere für Kinder und Familien, die beispielsweise mit Armutsgefährdung oder Sprachbarrieren konfrontiert sind, kann die Einrichtung einen Erfahrungsraum öffnen, der stärkt und unterstützt und dadurch Teilhabechancen verbessert.

Die Generalversammlung der Vereinten Nationen hält in ihrem Aktionsplan zur Verhütung des gewalttätigen Extremismus die Frühkindliche Bildung explizit als wichtigen Ansatzpunkt für die Prävention fest und beschreibt deren Ziele: »Bildung soll auch heißen, die Achtung der Menschenrechte und der Vielfalt zu vermitteln, kritisches Denken zu fördern, die Medien- und digitale Kompetenz zu fördern und die Verhaltens- und sozioemotionalen Fähigkeiten auszubilden, die zu einem friedlichen Zusammenleben und zur Toleranz beitragen können« (UN-Generalversammlung 2015). Auch wenn Demokratiebildung in der Kita bereits vor der verstärkten Zuwanderung von Schutz- und Asylsuchenden nach Deutschland Thema war, fordert diese von Neuem Fachpraxis und Fachpolitik dazu heraus, Normen und Werte zu definieren, an denen Frühe Bildung ausgerichtet werden soll. Auch die Wissenschaft muss durch mehr themenbezogene Forschungsergebnisse einen Beitrag zu Diskussion und Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit mit Kindern und ihren Familien leisten.

Kinder haben ein Recht auf Beteiligung

Damit demokratische Kompetenzen wachsen können, sind fördernde Bedingungen im alltäglichen Umfeld notwendig. »Kinder lernen Demokratie, wenn sie erleben, als einzigartige Individuen in der Gemeinschaft wahrgenommen und anerkannt zu werden (...). Sie eignen sich Kompetenzen für ein demokratisches Zusammenleben an, wenn sie ihre Bedürfnisse, Interessen und Vorstellungen mit anderen aushandeln können « (Höhme-Serke/Beyershoff 2011, S. 13). Damit rücken ein respektvoller Umgang und die Möglichkeiten zur Partizipation ins Zentrum einer alltagsbezogenen Demokratiebildung.

Rechtliche Rahmenbedingungen für Partizipation in Kindertageseinrichtungen definiert neben der UN-Kinderrechtskonvention und dem Kinder- und Jugendhilfegesetz auch das im Jahr 2012 in Kraft getretene Kinderschutzgesetz. Beteiligung und Beschwerdeverfahren werden darin als Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis verbindlich festgeschrieben (§ 45 SGB VIII). Dies spiegelt sich in Leitlinien und Praxisempfehlungen der (Landes-)Jugendämter und Träger. Zur konkreten Umsetzung in der Praxis liegen bislang allerdings noch kaum Erkenntnisse vor.

Frühkindliche Bildungseinrichtungen stehen vor der Herausforderung, »das abstrakte Recht auf Partizipation in der alltäglichen pädagogischen Praxis umzusetzen« (Hekel/Neumann 2016, S. 22). Demokratie bedeutet damit, jungen Menschen Entscheidungsspielräume zu eröffnen (Winklhofer 2017). Dies setzt voraus, ihre Bedürfnisse und Interessen zu identifizieren und ernst zu nehmen.

Wie Partizipation besonders gut gelingt

Konzepte für Beteiligung von Kindern in Krippen und Kindergärten wurden in verschiedenen Projekten und Initiativen erprobt und diskutiert. Der Erziehungswissenschaftler Benedikt Sturzenhecker und seine Kolleginnen (Richter/Lehmann/Sturzenhecker 2017) haben über drei Jahre hinweg untersucht, wie sechs Kindertageseinrichtungen demokratische Partizipation umsetzen und unter welchen Bedingungen sie besonders gut gelingt. Bei der Beschreibung ihrer Ergebnisse unterscheiden sie zwischen Entscheidungs- und Interaktionsformen. Um gemeinsam mit Kindern Entscheidungen über Projektthemen, Gruppenregeln oder die Raumgestaltung zu treffen, werden beispielsweise Kinderkonferenzen oder Abstimmungsverfahren etwa mit Murmeln oder Bildkarten umgesetzt. Im Vorfeld müssen sich die Erwachsenen darüber klar werden, welche Themen und Inhalte sie für die Mitbestimmung der Kinder öffnen wollen. Bei Beschwerdeverfahren ist zu beachten, dass Kinder über ihre Möglichkeiten informiert sind, dass alle Beschwerden geprüft und bearbeitet werden und nicht zuletzt die Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern respektvoll gestaltet wird (Hansen/Knauer 2016).

Neben formal geregelten Verfahren ist wesentlich, dass Kinder in den alltäglichen Interaktionen mit pädagogischen Fachkräften und anderen Kindern Entscheidungsspielräume erhalten und ausgestalten können. Dies betrifft den Umgang mit Grundbedürfnissen wie Essen oder Schlafen und die Möglichkeit, sich eigenständig mit (Bildungs-)Themen zu befassen. In solchen Situationen müssen sie ihre Interessen mit denen anderer Kinder und mit denen der Erwachsenen aushandeln und Konflikte lösen. Kinder erfahren dabei, dass ihre Stimme gehört wird und erleben, dass andere Kinder andere Bedürfnisse und Positionen haben können. Zudem lernen sie unterschiedliche Lebensweisen und Kulturen kennen. Pädagogische Fachkräfte haben die Aufgabe, den Umgang mit Vielfalt zu thematisieren und auch bewusst gegen Zuschreibungen und Vorurteile vorzugehen (Sulzer/Wagner 2011). Das setzt voraus, dass sie für die Bedürfnisse der Kinder sensibel sind und Strukturen für ihre Beteiligungsmöglichkeiten schaffen.

Kinder aus bildungsfernen Familien zur Mitsprache ermutigen

Kindertageseinrichtungen erreichen Kinder und Familien in verschiedenen Lebenslagen. Deshalb müssen sich pädagogische Konzeptionen der Partizipation »mit der Heterogenität ihrer Adressaten, die von unterschiedlichsten Lernausgangslagen, Entwicklungsständen, Fähigkeiten, ethnisch-kulturellen Herkünften und sozio-ökonomischen Milieus bestimmt ist, auseinandersetzen « (Prengel 2016, S. 61) und entsprechende Formen nutzen, um alle zu erreichen. Ergebnisse der »4. World Vision Kinderstudie«, bei der etwa 2.500 Kinder von sechs bis elf Jahren befragt wurden, zeigen eine deutliche Tendenz, dass Kinder aus höher gebildeten und ökonomisch besser gestellten Familien mehr Möglichkeiten haben, bei Familienangelegenheiten mitzureden, über eigene Angelegenheiten zu entscheiden und mit ihrer Meinung respektiert zu werden (Pupeter/Schneekloth 2018). Kinder, die zu Hause kaum Erfahrungen mit Partizipation machen, brauchen in der Kindertageseinrichtung deshalb eine intensivere Hinführung und Ermutigung, sich mit ihrer Meinung zu äußern und sich zu beteiligen.

Familien einzubeziehen ist nicht nur aus pädagogischer Sicht bedeutsam

Pädagogische Fachkräfte stehen nicht nur mit den Kindern, sondern auch mit den Familien in Kontakt. Gemeinsam mit den Eltern tragen sie die Verantwortung für das Wohlergehen und die Entwicklung der Kinder. Die Eltern zu beteiligen ist nicht nur aus pädagogischer Sicht bedeutsam, sondern auch eine durch das Kinderförderungsgesetz (§ 14) rechtlich hinterlegte Pflicht.

Auf eine grundlegende Bereitschaft von Eltern und Fachkräften zur Zusammenarbeit deuten eine Studie des Projekts »Profile der Kindertagesbetreuung« (ProKi) und die »Methodenstudie: Qualität in der Kita« (MS-Kita) am Deutschen Jugendinstitut (DJI) hin: Beide Seiten halten es demnach für wichtig, dass Eltern das pädagogische Konzept der Einrichtung kennen, an wesentlichen Entscheidungen beteiligt werden, sich in den Kita-Alltag einbringen und Mitbestimmungsgremien nutzen können.

In Krippen und Kindergärten machen Kinder elementare Erfahrungen im sozialen Miteinander, die ihre Vorstellungen über das Zusammenleben in der Gesellschaft prägen. Die Kita ist dabei nicht nur Teil der Lebenswelt von Kindern, sondern auch der ihrer Familien. Pädagogische Fachkräfte haben Vorbildfunktion und gestalten einen wichtigen Erfahrungsraum für Kinder und ihre Familien. Sie stehen vor der Herausforderung, Kindern im Alltag Erfahrungen mit demokratischen Grundwerten zu ermöglichen. Das beinhaltet beispielsweise auch, aktiv gegen Ausgrenzung von Kindern einzutreten und setzt voraus, dass pädagogische Fachkräfte ihr eigenes Handeln reflektieren. Damit sie dieser hohen Anforderung gerecht werden können, brauchen sie die Unterstützung und den wachsamen Dialog aller Beteiligten. Demokratie muss in der gesamten Institution Kita und vonseiten der Träger gelebt und durch politische Maßnahmen und Initiativen gestärkt werden. Denn Demokratie zu leben bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der alle in der Verantwortung stehen.


Link-Tipp:

Einblicke in die Praxis
Vier Kita-Fachkräfte aus Deutschland erzählen auf der DJI-Website, wie sie Kindern in ihrer Einrichtung Partizipation ermöglichen.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus der
Ausgabe 1/2018 der DJI Impulse


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