Sozialraum: Stadtteilmütter und -väter

Inhalt: Seit 2004 gibt es Stadtteilmütter – vor allem in Großstädten Deutschlands. Was der Grund-gedanke des Ursprungs-Projektes ist und welche Aufgaben Stadtteilmütter und mittlerweile auch Stadtteilväter übernehmen, wird im Folgenden skizziert. Dabei werden auch Einblicke in die Arbeit der Stadtteilmütter und -väter gewährt und Erfahrungen aus der Praxis aufgezeigt.

Entstehung und Grundidee

Das Diakonische Werk Neukölln-Oberspree e. V. initiierte das Projekt der Stadtteilmütter für einen Sozialraum mit größeren Herausforderungen und erhöhten Bedarfslagen. Als Vorbild für das Projekt diente das niederländische „Rugzak“-Programm. Der mittlerweile auch in Deutschland als „Rucksack“ bekannte Ansatz beschränkte sich aber auf Sprach-förderung. Stadtteilmütter und -väter haben vor allem die Stärkung elterlicher Kompetenzen in allen Fragen der Erziehung zum Ziel. Dafür werden die Familien mehrfach besucht. Für die Besuche gibt es Themenpakete zu unterschiedlichen Bereichen wie z. B. Erziehung, Bildung, Gesundheit, Sexualität, Recht, Sprache, die die Grundlage für die Gespräche in den Familien bilden. Bei jedem der Besuche können dann Erziehungsfragen oder bestimmte Themen diskutiert und auch lebensnahe Hilfestellungen gegeben werden.

Ursprünglich ging es vor allem darum, Zugang zu Familien mit Migrationshintergrund zu bekommen, die bisher einen geringen oder keinen Zugang zum deutschen Bildungssystem gefunden hatten. Dafür wurden Stadtteilmütter eingesetzt, die selber einen Migrationshintergrund hatten. Inzwischen gibt es aber auch Stadtteilväter und darüber hinaus Stadtteilmütter und -väter ohne Migrationshintergrund, da ebenso Familien ohne Migrationshintergrund besucht und beraten werden.

Arbeitsweise der Stadtteilmütter und -väter

Die Stadtteilmütter und -väter wollen einen Zugang zu den Familien finden, die eher schwer erreichbar sind, die keine Beratungsstellen aufsuchen und den Kontakt zu Familienhelferinnen und -helfern nicht zulassen, auch dann nicht, wenn diese im wörtlichen Sinne „vor der Tür stehen“.

Die Kontaktaufnahme gelingt den Stadtteilmüttern und -vätern meist relativ gut, da sie aus dem gleichen Umfeld wie die zu erreichenden Familien kommen. Der ehemalige Bezirksbürgermeister von Berlin-Neukölln Heinz Buschkowsky bezeichnete das Projekt als das erfolgreichste, das er in Berlin zum Thema Integration kennen würde. Ein externer Evaluationsbericht des Pilotprojekts in Neukölln bewertet das niedrigschwellige Präventionsangebot zusammenfassend ebenfalls als erfolgreich.

Da die Stadtteilmütter und -väter oft im gleichen Stadtteil leben, einen ähnlichen kulturellen Hintergrund und auch eigene Kinder haben, sind sie eher Beraterinnen und Berater auf Augenhöhe. Die Familien fassen so leichter Vertrauen zu ihnen. Den besuchten Familien wird auf diesem Weg die Möglichkeit eröffnet, vieles in den oben genannten Bereichen (Erziehung, Bildung etc.) dazuzulernen.

Um diese Familien zu finden, die bisher kaum Kontakt zu den öffentlichen Bildungsangeboten und Beratungsstellen haben, wird häufig das informelle Netz des eigenen Bekannten- und Freundeskreises und der Nachbarschaft genutzt. Aber auch öffentliche Plätze oder Veranstaltungen wie z. B. Trödel- und Wochenmärkte werden für die Kontaktaufnahme gezielt genutzt. Wenn dann Stadtteilmütter und -väter die Familien in Ihrem Zuhause aufsuchen kommen sie nicht als Vertreterinnen und Vertreter einer Institution – die besuchten Mütter und Väter empfinden sich eher als Gastgeberin oder Gastgeber.

Gemeinsam werden dann im häuslichen Umfeld relevante Themen besprochen, Fragen beantwortet, (mehrsprachige) Flyer und Informationsbroschüren überreicht und die Hilfe durch anderweitige Beratungsangebote in Erwägung gezogen. Die Reihenfolge der besprochenen Themen folgt dabei immer dem Interesse der aufgesuchten Familien.

In einigen Städten bzw. Stadtteilen gibt es mittlerweile auch vereinzelt Stadtteilväter. In anderen Projekten, die wie das Stadteilmütterprojekt die Grundidee eines Peer-to-Peer-Ansatzes aufgreifen, sind mehr Männer zu finden. Beispielsweise wer-den in den Vätergruppen des Vereins Aufbruch Neukölln e. V. speziell Männer in interkulturellen Gruppen für Themen der Bildung und Erziehung sensibilisiert und Vorurteile abgebaut. Auf diese Weise können sich verschiedene Angebote im Sozialraum ergänzen und eine möglichst nachhaltige Wirkung entfalten.

Perspektiven für Stadtteilmütter und -väter

Hinter der ursprünglichen Stadtteilmütter-Idee steckte von Beginn aber auch eine weitere Zielsetzung, nämlich die der Qualifizierung und Beschäftigung der Stadtteilmütter selbst. Im Projekt wird dabei vom „doppelten Ansatz“ gesprochen. Mittlerweile gibt es sehr unterschiedliche Umsetzungs-formate, auch rein ehrenamtliche.

Sehr unterschiedlich geregelt ist die Finanzierung der Stadtteilmütter und -väter. So gibt es Modelle von Beschäftigungsmaßnahmen über ein Job-Center ebenso wie Honorarzahlungen durch die jeweilige Stadt, Aufwandsentschädigungen oder ehrenamtliche Mitarbeit. Die Anbindung an eine Bildungseinrichtung kann für Stadtteilmütter und -väter wichtig sein, um als Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Institution wahrgenommen und anerkannt zu werden. Um den Stadtteilmüttern und -vätern auch Perspektiven über ihre Beschäftigung im Projekt hinaus zu eröffnen gibt es seit wenigen Jahren auch erste Modelle, wie sie über Fort- und Weiterbildungen einen Abschluss zur Sozialassistentin bzw. zum Sozialassistenten erlangen können. Mindestvoraussetzung dafür sind neben guten Deutschkenntnissen in Wort und Schrift ein Haupt-schulabschluss und ein bisher fehlender Berufsabschluss.

Hinweis:

Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.

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