Anna Wiener-Pappenheim (1868-1946)

Pappenheimer1
Anna Wiener-Pappenheim (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Anna Wiener-Pappenheim wurde am 2. Januar 1868 als zweites von vier Kindern ihrer Eltern in Berlin geboren und drei Wochen später in der Charlottenburger Luisenkirche auf die Namen Anna Agnes Dorothea getauft. Ihr Vater war der seinerzeit hochgeschätzte Gymnasialprofessor und Fröbelpädagoge Dr. Eugen Pappenheim. Auch ihr älterer Bruder Karl und ihre jüngere Schwester Gertrud engagierten sich in der Fröbelbewegung. Im Dezember 1871 starb die Mutter.

Der Vater heiratete am 5. Oktober 1876 seine ehemalige Schülerin Anna Juliane Schneider, die den angeheirateten Kindern eine gute „2. Mutter“ (von ihnen so genannt) war. Aus der Ehe ging Sohn Paul hervor, ein späterer Professor für Zoologie. Die Pappenheims waren wohlhabend, gleichwohl aber auf Sparsamkeit bedacht. Ruth Pappenheim, Nichte von Anna Wiener-Pappenheim, schrieb rückblickend über die Familie Pappenheim an den Autor dieses Beitrags:

„Die Familie wohnte in einer Zwölfzimmerwohnung in der Kleinbeerenstraße, die wunderschön eingerichtet war, mit großen Vitrinen, Porzellan, Tafelsilber, Gemälden, Teppichen usw. ... Trotz allem Reichtum war Eugen Pappenheim sehr sparsam. Zu gerne hätte er längere Reisen z.B. nach Griechenland unternommen, verzichtete aber aus finanziellen Gründen darauf. Er investierte das Geld lieber in die Ausbildung seiner Kinder“ (zit. n. Berger 1995, S. 152).


Pappenheimer2
Anna (Mitte) mit ihren Geschwistern Gertrud, Karl und Otto (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Nach dem Besuch der höheren Mädchenschule absolvierte Anna Pappenheim die Kindergärtnerinnenausbildung am Seminar des "Berliner Fröbel-Vereins". Dort wurde sie von ihrem Vater in die Pädagogik Friedrich Fröbels eingeführt. Anschließend leitete sie einen Kindergarten des „Berliner Fröbel-Vereins“. Nelly Wolffheim (1879-1965), die in Berlin den ersten psychoanalytisch orientierten Kindergarten Deutschlands ins Leben rief, erinnerte sich 1961 rückblickend an die junge Anna Pappenheim:

„Ich war Seminaristin im Pestalozzi-Fröbelhaus und benutzte meine freien Vormittage ... dazu, mir andere Kindergärten anzusehen. Es muß dazu gesagt werden, daß mir die meisten damaligen Kindergärten sehr mißfielen, Langeweile, Steifheit und Lehrhaftigkeit herrschten überall. Da kam ich rein zufällig in einen Kindergarten und sah etwas, das mich entzückte: Die Leiterin war Anna Pappenheim - jung, hübsch und lebendig. Sie machte in einem Garten Bewegungsspiele mit den Kindern. Noch heute habe ich diesen Vorgang in meiner Erinnerung, so wie man ein schönes Bild nie vergessen kann. Die heitere Natürlichkeit und die Fröhlichkeit der Kinder, kurz, die ganze Atmosphäre, beeindruckten mich. Ich lernte dabei, wie schön man ein Bewegungsspiel für die Kinder machen kann. Wie die Kinder, hatte Anna Pappenheim auch mich gefangen, und mit jugendlicher Begeisterung sah ich von da an immer etwas anschwärmend zu ihr auf“ (Wolffheim 1961, S. 71).

1904 heiratete Anna Pappenheim den 25 Jahre älteren Bankdirektor Alfred Wiener. Die Ehe blieb kinderlos.

Nach dem Tode des Vaters im Jahre 1901 übernahm die Tochter viele seiner Tätigkeiten innerhalb der Fröbelbewegung, u.a. die Verantwortung für den „Berliner Fröbel-Verein (Corp)“, gegründet 1859 als „Berliner Frauen-Verein zur Beförderung der Fröbel’schen Kindergärten“. Dieser arbeitete „von Anfang an darauf hin, Fröbels Idee durch Errichtung möglichst vieler Kindergärten in die Welt zu tragen“ (Pappenheim 1899, S. 91). Er war u.a. Träger eines Kindergärtnerinnen- und Kinderpflegerinnenseminars sowie einiger Krippen, Kindergärten und Tagesheime für Schulkinder. 1913 wurde das von Anna Wiener-Pappenheim seit neun Jahren geleite Kindergärtnerinnenseminar aufgelöst. Daraufhin übernahm sie für einige Jahre die Leitung der vereinseigenen Kinderpflegerinnenschule in Berlin-Niederschönhausen. In dieser Funktion kämpfte sie um die staatliche Anerkennung der Kinderpflegerinnenausbildung, zumal sie die Tätigkeit der Kinderpflegerin nicht nur auf Familie und Haushalt beschränkt sehen wollte. Sie plädierte für eine Erweiterung des Berufseinsatzes der Kinderpflegerin auf Kinderkrippe, Kindergarten, Hort und Heim.


pappenheimer3
Handgeschriebenes Arbeitszeugnis von Anna Wiener-Pappenheim (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Neben ihrer Tätigkeit als Schulleiterin und Publizistin gehörte Anna Wiener-Pappenheim noch mehreren Verbänden und Vereinen an. Beispielsweise war sie viele Jahre Vorsitzende der „Berufsorganisation der Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen e.V.“ ebenso der „Arbeitsgemeinschaft Fröbelscher Kinderpflegerinnen“.
Als die Nazis an die Macht kamen, musste sich die „Halbjüdin“ zurückziehen, von guten Freunden beschützt. Im März 1945 musste sie noch aus Berlin flüchten, da ihr „Versteck“ verraten wurde und eine Ermordung durch die letzten Nazi-Schergen drohte.

Anna Wiener-Pappenheim starb am 14. Juni 1946 in Pyrmont an den Folgen einer Darmoperation.

Fröbelpädagogik und Kindergarten

Die Fröbelianerin bemängelte, dass der Kindergarten, obwohl er „zum internationalen, zum Kulturbesitz... wurde“ (Wiener-Pappenheim1912, S. 267), noch immer der ihm gebührenden Aufmerksamkeit harrt, vor allem seitens der Schule. Darum forderte sie mehr Fühlung „als bisher, zwischen Lehrerschaft und Kindergärtnerinnen! Je mehr der Kindergarten in seiner Bedeutung für die heranwachsende Jugend als ein Arbeitsfeld pädagogischer und sozialer Betätigung gewürdigt wird, um so mehr gestalte er sich zu der Stätte, wo ‚Kinderleben und Frauensinn, Kindheitspflege und weibliches Gemüt, ihrem Wesen nach eins‘, sich harmonisch an einander bilden Können“ (ebd., S. 269 f). Als das geeignete Mittel für den kindlichen Beschäftigungstrieb betrachte Anna Wiener-Pappenheim die Fröbelschen Beschäftigungsmittel, insbesondere das Modellieren mit Ton, als letztes körperliches Material innerhalb des Fröbelschen „System der entwickelnd-erziehenden Spielgaben und Beschäftigungs-/Bildungsmittel“:

„Es giebt in der ganzen Reihe der Fröbelschen Beschäftigungen kaum ein Material, das von vorherein durch die ihm gegebenen Eigenschaften einen so großen Reiz auf das Kind ausübt, wie der Thon. Während andere Bildungsmittel – ich denke auch an Faltblatt und Stäbchen - erst durch die geübte Hand der Kindergärtnerin, durch eine phantasieanregende Betrachtung das Interesse des Kindes auf sich lenken, ist das Interesse für die Beschäftigung mit Thon von vornherein vorhanden Ja... wenn wir nur dem Beschäftigung suchenden, frei spielenden Kinde zusehen, finden wir, daß es mit Vorliebe nach Stoffen greift, die dem Thon verwandte Eigenschaften haben, ich meine das Spiel mit Wasser und Sand. Wasser, Sand und Thon sind drei Elemente, wenn auch nicht im eigentlichen Sinne, denen keine festgegebene Form anhaftet. Die Hand des Kindes ist allmächtig über sie; sie kann Wasser von kleinen in große Gefäße übertragen, von länglichen in runde, und das Kind sieht mit Staunen, wie sich die Form im selben Augenblick verändert. Die Hand vermag es, den gestaltlosen Sand zu Bergen aufzutürmen, baut die beliebten Tunnel, bäckt den Sand zu Kuchen zusammen u. s. w., der Stoff fügt sich dem Wunsche des Kindes, wenn auch nach kurzer Zeit alles wieder zusammenstürzt. Und nun der Thon. Er besitzt dieselbe leichte Veränderlichkeit der Form; jeder leise Druck des Fingers bringt eine neue Gestalt hervor, und, was er von den beiden ebengenannten Beschäftigungen voraus hat: er behält dauernd die ihm gegebene Gestalt. Das Kind steht also diesem Beschäftigungsmaterial mehr als jedem andern als Schöpfer gegenüber; es ist von dem Bewußtsein erfüllt, aus der formlosen Masse alles, was es will, hervorbringen zu können“ (Pappenheim 1888, S. 5 f).
Anna Wiener-Pappenheim betrachtete den Kindergarten als wichtige Erweiterung des engen Familienkreises, da das Kind im Kreis Gleichaltriger „die Notwendigkeit, sich bestimmten, dem Wohl der Gesamtheit dienenden Gesetzen unterzuordnen [lernt; M. B.]... das Wesen des Kindergartens ist: Freudiges, gemeinsames Schaffen. Dieser Geist macht es dem Kinde leicht, gegebene Gesetze zu erfüllen; es fängt allmählich auch an zu erkennen, daß Gesetze zum Wohle des Einzelnen wie der Gesamtheit nötig sind: widerspruchslos und als etwas selbstverständliches macht es die Gesetze zu seinem Eigentum“ (Wiener-Pappenheim 1908, S. 130 f).

Die erfahrene Kindergärtnerin favorisierte die damals „moderne Methode“ der „Concentration des Bildungsstoffes“, die über einen längeren Zeitraum (bis zu drei Monaten) einen bestimmten Bildungsstoff in den Mittelpunkt des Kindergartenalltags stellte. Die Einbeziehung von hauswirtschaftlichen, gärtnerischen oder tierpflegerischen Beschäftigungen führt zur Konkretisierung der „Methode“. Ergänzend dazu wurden die schöpferischen Kräfte der Kinder in selbsttätiger Arbeit mit verschiedenen Fröbelmaterialien wie Bausteinen, Papier, Stäbchen, Ton u.ä., entfaltet. Was seinerzeit konkret unter "Concentration des Bildungsstoffes" verstand, erklärte Anna Wiener-Pappenheim am Beispiel Wasser:

"Wir haben hier einen Concentrationspunkt vor uns, der es uns möglich macht, zwar nicht den ganzen Kreis der Erscheinungen der Aussenwelt, jedoch einen grossen und wesentlichen Teil derselben in seinen Ursachen und Wirkungen dem Kinde vorüberzuführen. Dieser Plan, der mehr als ein Vierteljahr Zeit im Kindergarten in Anspruch nahm, brachte den Kindern die ihnen längst bekannte Erscheinung von Wolke und Regen zum Bewusstsein; er liess das Kind den Nutzen des Wassers für Mensch, Tier und Pflanze, getragen von dem Gedanken der göttlichen Fürsorge, wahrnehmen, und in seinen Einzelheiten selbst erfahren durch Begiessen des eigenen Blumenbeetes, durch Tränken der Tiere etc., er machte das Kind mit Wasserpflanzen und -Tieren bekannt, er erweckte das Interesse für Eigenschaften des Wassers, wie Tragfähigkeit und treibende Kraft; dieser Plan führte dem Kind die Kunstwerke des menschlichen Geistes vor Augen, durch welche der Mensch sich diese Kräfte nutzbar zu machen wusste - wie Schiff und Wassermühle, er führte endlich zu der himmlischen Erscheinung des Regenbogens hinauf.

Selbstverständlich gingen hierbei Wort und That Hand in Hand, und es wird schwer sein, wie auch bei anderen Themen, zu sagen, was von beiden in den einzelnen Teilen, die zur Besprechung kamen, den Ausgangspunkt bildete. Leicht gelang es, die schon früher in der Familie und nun wiederholt gemachten Erfahrungen durch diesen Concentrationspunkt lebensvoll mit einander zu verknüpfen. Viele, mit den einzelnen Erscheinungen in enger Beziehung stehenden Gegenstände wurden durch die verschiedenen Fröbelschen Beschäftigungen, je nachdem diese dazu geeignet waren, dargestellt; z.B. nach dem Blumengiessen: Giesskanne und Wassereimer durch Stäbchen, Zeichnen, Ausnähen oder Thonarbeiten; in einer anderen Woche einzelne beobachtete Wassertiere, wie Schnecke, Fisch oder Frosch in ähnlicher Weise; wieder in einer späteren Woche wurde ein Wasserlauf durch den Garten gegraben, Brücken aus Brettern darüber gebaut, die dann durch die vier verschiedenen Baugaben je nach dem Alter der Kinder noch in mannigfachen Formen wiedergegeben wurden. Ebenso wurde die Farbenpracht des Regenbogens durch verschiedene Gaben und Beschäftigungen wie: Bälle, Legetäfelchen, Ausnähen, Flechten, Malen festgehalten, die treibende Kraft des Wassers an einem vom Wasser getriebenen Rade erkannt; die Tragfähigkeit an schwimmenden Schiffen beobachtet; Schiffe wurden mit Hülfe fast aller Fröbelschen Beschäftigungen dargestellt: durch Bauen, Falten, Ausnähen, Stäbchen, Zeichnen; und wie bei den früher genannten Themen, bewegte sich auch hier der ganze sprachliche Stoff, wie Erzählung, Lied oder Gedicht während ungefähr einer Woche um diesen Mittelpunkt. In gleicher Absicht stellte das Bewegungsspiel Bächlein und Schiff dar; und das freie, ungebundene Spiel der Kinder beschäftigte sich von selbst mit demselben Gedankenkreise, indem es Stühle, Besen und Handtuch zur Herstellung eines Segelschiffes verband. Kurzum, es gelang, den Ideenkreis der Kinder von Woche zu Woche auf einen dieser, einem grossen, umfassenden Thema angehörigen Begriffe zu ‚concentrieren‘ und die täglichen Beschäftigungen in den Dienst dieser Erfahrungen zu stellen... In ähnlicher Weise... wurden die Themata: Unser Garten, Das Haus, Der Wind ausgearbeitet, in deren Wahl uns die übereinstimmenden Bilder der ‚Mutter- und Koselieder‘, nämlich: die kleine Gärtnerin, der Zimmermann, das Turmhähnchen bestärkten“ (Pappenheim 1899, S. 93 f).

Literatur

  • Berger, M.: Frauen in der Geschichte des Kindergartens. Ein Handbuch, Frankfurt 1995, S. 189-193
  • Pappenheim, A.: Das Modellieren in Kindergarten und Schule, in: Kindergarten 1898, S. 3-8, 19-21
  • Dies.: Die Conzentration des Bildungsstoffes in den Kindergärten des Berliner Fröbelvereins, in: Kindergarten 1899, S. 91-95
  • Dies.: ein Wort zur Pflanzenpflege, in: Kindergarten 1899, S. 133-35
  • Wiener-Pappenheim, A.: eine Neubearbeitung der Mutter- und Koselieder, in: Kindergarten 1905, S. 86-90, 229-230
  • Dies.: Der Mütterkurs im Berliner-Fröbel-Verein, in: Kindergarten 1907, S. 169-172
  • Dies.: Die Bedeutung des Kindergartens für die sittliche Erziehung. In: Kindergarten 1908, S. 230-231
  • Peters, D.: „... und keiner kriegt mich einfach krumm gebogen...“. Frauen in Friedrichshain und Kreuzberg, Berlin 2014, S. 92-94
  • Wiener-Pappenheim, A.: Der Deutsche Kindergarten, in: Kindergarten 1912, in: Kindergarten 1912, S. 265-270
  • Dies.: Fröbels Idee der Mütterbildung in ihrer geschichtlichen Entwicklung, in: Kindergarten 1927, S. 241-246
  • Dies.: Helene Klostermann zum 70. Geburtstag, in: Kindergarten 1928, S. 141-145
  • Wolffheim, N.: Erinnerungen an die Schwestern Pappenheim, in: Blätter des PestalozziPestalozzi||||| Johann Heinrich Pestalozzi`s (1746 - 1827) pädagogisches Ziel war es eine ganzheitliche Volksbildung zu erreichen, und die Menschen in ihrem selbstständigen und kooperativen Wirken in einem demokratischen Gemeinwesen zu stärken. Er legte Wert auf eine harmonische und ganzheitliche Förderung von Kindern in Bezug auf intellektulle, sittlich-religiöse und handwerkliche Fähigkeiten. Grundidee ist dabei, ähnlich wie in der Montessori-Pädagogik, dass die Menschen die Fähigkeit entwickeln, sich selbst zu helfen.   -Fröbel-Verbandes 1961, S. 71-73

Weblinks
  • http://www.kulturring.org/frauenpersoenlichkeiten/index.php?bezirk=friedrichshain-kreuzberg&frauen=in-der-gesellschaft&info=105
  • http://www.kindergartenpaedagogik.de/344.html


Verwandte Themen und Schlagworte