Krippenfachkräfte auf dem Weg zur Profession

Mit dem Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren sind die Ansprüche an Bildung, Erziehung und Betreuung von Kleinkindern deutlich gestiegen. Vehement wird von frühpädagogischen Fachkräften professionelles Handeln erwartet und eingefordert. Vielfach erleben es die Fachkräfte als Zumutung, mit der Aufgabe des »Krisenmanagements« alleine gelassen zu werden. Verändern die hohen und oftmals schwer umzusetzenden Anforderungen das professionelle Selbstverständnis von Krippenfachkräften? Erhalten die Fachkräfte die Anerkennung, die ihnen zusteht? Regina Remsperger-Kehm geht diesen Fragen nach.

Mit dem im Jahr 2013 in Kraft getretenen Rechtsanspruch für Kinder unter drei Jahren auf einen Betreuungsplatz in der Kita oder in der Tagespflege gingen einschneidende Umstrukturierungen im Feld der Frühpädagogik einher. Die Motive für den Ausbau der Krippenbetreuung sind sehr unterschiedlich: es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Qualität der Begleitung kindlicher Bildungsprozesse, den Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen und um einen gesellschaftlichen Nutzen der frühen Kindertagesbetreuung (Viernickel 2012). Gleichzeitig existieren mitunter tradierte Vorstellungen in der Gesellschaft, die »Krippen gegenüber der Familienerziehung als minderwertige Settings charakterisieren und der Bedeutung des Verhaltens und der Emotionalität der Mutter (...) höchste Priorität einräumen« (Viernickel 2016: 96). Oftmals wird auch seitens der Politik Krippenfachkräften nicht der Status von Professionellen zugesprochen (Röhrig 2015; Betz 2015) – vielleicht auch, weil der hohe Anspruch der Aufgaben im Krippenalltag zwar gefordert, aber auf Ebene der Umsetzung nicht erkannt wird.

Hohe Ansprüche – geringe Anerkennung

Befragungen von Krippenfachkräften bestätigen diesen Eindruck: Die Fachkräfte fühlen sich weder angemessen bezahlt, noch gesellschaftlich in ihrem ExpertInnentum wertgeschätzt oder in ihrer professionellen Handlungsautonomautonom|||||Autonomes Handeln beinhaltet den Zustand der Selbstständigkeit, Unabhängigkeit Selbstbestimmung, Selbstverwaltung oder Entscheidungsfreiheit.ie und Eigenverantwortung unterstützt. Außerdem fehle die Zeit für die pädagogische Arbeit, die Vor- und Nachbereitung und die Zusammenarbeit mit Eltern (Nentwig-Gesemann 2014).

Deutlich wird, dass die systematische Entwicklung institutioneller Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Deutschland bislang ausgeblieben ist und die Betreuung in Krippen mitunter als Trend angesehen wird. Die Kämpfe um Anerkennung werden dadurch noch verstärkt (Berlips 2015).

„Dreifaches Dilemma“

In den politischen Bestrebungen zum quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung wurde von jeher betont, dass nicht »irgendwelche«, sondern »gute Plätze« geschaffen werden sollen, die sich am Wohlbefinden und an der individuellen Förderung der Kinder sowie in der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Eltern orientieren (Berlips 2015). Der Ruf nach Qualifizierung und ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   des pädagogischen Personals war und ist noch immer deutlich zu hören. Auf der anderen Seite hält jedoch nur ein Viertel der deutschen Bildungspläne wissenschaftlich fundierte und konkrete Anregungen für die Bildungsarbeit mit Kindern unter drei Jahren vor (Röhrig 2015).

Während in den Lehrplänen von Fachschulen die Altersgruppe der Kinder unter drei Jahren meist nicht ausdrücklich berücksichtigt wird, fehlt auch in den meisten Hochschulstudiengängen die systematische Verankerung von Theorien und Konzepten für die pädagogische Arbeit mit Null- bis Dreijährigen (Berlips 2015). Ebenso lagen lange Zeit nur wenige wissenschaftliche Studien vor, die das Handlungsfeld der Krippenerziehung systematisch aufarbeiten (Jooß-Weinbach 2012).

Das Theoriedefizit im Bereich der Krippenpädagogik führt auf Seiten der Fachkräfte zu einem »dreifachen Dilemma« (Jooß-Weinbach 2012: 119): es fehlt an praktischen Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern unter drei Jahren, an wissenschaftlichem Wissen sowie an grundlegenden Konzeptionen zur Ausrichtung des eigenen pädagogischen Handelns. Aus diesem Grund übertragen einige Fachkräfte im Alltag Erfahrungswissen aus ihrer vorherigen Arbeit mit älteren Kindern oder auch aus privaten Lebenszusammenhängen unreflektiert – und damit nicht professionell – auf ihr neues Handlungsfeld (Berlips 2015). Der Professionalisierungsbedarf ist somit hoch und wird derzeit in Deutschland mit einem umfangreichen, aber unsystematischen und wenig transparenten Fort- und Weiterbildungsangebot beantwortet. Länder- und trägerübergreifende einheitliche Qualitätsstandards zum inhaltlichen, didaktischen und strukturellen Aufbau von Weiterbildungen im Feld der Arbeit mit Kindern unter drei Jahren fehlen (Jooß-Weinbach 2014).

Ruf nach Qualifizierung – fehlende Antworten

Betrachtet man fachwissenschaftliche Ausführungen zu den notwendigen Kompetenzen frühpädagogischer Fachkräfte, spiegeln diese die hohen Anforderungen an deren professionelles Handeln. Zu den Kernkompetenzen der Fachkräfte gehören

  1. biografische Kompetenz, Selbstreflexivität und eine forschende Haltung,
  2. Empathie, Feinfühligkeit und sensitive Responsivität,
  3. Ressourcenorientierung und
  4. die Offenheit für und Wertschätzung von DiversitätDiversität|||||siehe Diversity (Nentwig-Gesemann et al. 2011).

Die Gestaltung feinfühliger Interaktionen mit sehr jungen Kindern, das Aufgreifen ihrer Signale und Bedürfnisse auf der Grundlage von kontinuierlichen Beobachtungen, die sprachliche Begleitung ihres Tuns, die Ermöglichung von Exploration sowie die Unterstützung der Kinder, untereinander in Interaktion zu treten, gehören zu den zentralen »didaktischen Schlüsseln« in der Krippenpädagogik (Viernickel 2016: 93). Dabei wird die Bedeutung von Authentizität, Geduld und Zeit als wesentliche Qualitätsmerkmale frühpädagogischen Handelns besonders betont (von Behr 2011).

Zentrales Merkmal pädagogischer Professionalität ist, theoretisch fundiertes Wissen und reflektiertes Erfahrungswissen zu verbinden (Nentwig-Gesemann et al. 2011). Um hoch komplexe und nicht vorhersehbare Praxissituationen bewältigen und nachträglich reflektieren können, braucht es Reflexionswissen anstelle von »Rezeptwissen« sowie eine besondere ethisch-moralische Grundhaltung, die das professionelle Handeln verlässlich steuert (Nentwig-Gesemann et al. 2011).

Das professionelle Handeln einer Krippenfachkraft impliziert somit, das eigene Bild vom Kind, das Rollen- und Selbstverständnis, handlungsleitende Orientierungen sowie Einstellungen und Deutungsmuster zu reflektieren, da diese das alltägliche Handeln unmittelbar beeinflussen. Der Umgang mit den »emotionalen Herausforderungen von Nähe und Distanz im pädagogisch-pflegerischen Umgang mit denKindern und in der Erziehungspartnerschaft mit den Eltern« sowie die Reflexion von Gefühlen wie Mitleid, Ärger, Trost, Zärtlichkeit, Wut und Freude sind konstitutiv für die Entwicklung pädagogischer Professionalität (Ebert 2008: 192 zit. In von Behr 2011: 12). Insbesondere konflikthafte emotionale Reaktionen auf Kinder und Eltern sollten hinterfragt werden. Dies beinhaltet die Reflexion des Verhältnisses zwischen Fachkraft und Kind, des eigenen pädagogischen Handelns, des eigenen Bindungshintergrunds, der eigenen Positionierung zur außerfamilialen Betreuung, der Gestaltung des Verhältnisses zu den Eltern sowie des Umgangs mit sich selbst, um Überlastungen erkennen und entgegenwirken zu können (ebd.).

Die 2013 erschienene empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.e Studie »Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen« knüpft an eine von Susanne Viernickel und Stefanie Schwarz im Jahr 2009 veröffentlichte Expertise an, in der die Autorinnen in Frage stellten, »ob die in den Bildungsprogrammen ehrgeizig formulierten Ansprüche an die frühkindliche Bildung in Kindertageseinrichtungen überhaupt eingelöst werden können« (Viernickel & Schwarz 2009, S. 2). In der anschließenden empirischen Studie untersuchte deshalb das Forschungsteam um Susanne Viernickel und Iris Nentwig-Gesemann die konkreten, strukturell organisatorischen Rahmenbedingungen, unter denen Fach- und Leitungskräfte arbeiten, den Grad der Umsetzung der zuvor als konsensfähig identifizierten Anforderungen aller Bildungsprogramme sowie die Frage nach den zur Verfügung stehenden und den notwendigen Zeitkontingenten für die Erfüllung dieser Aufgaben. Darüber hinaus war es Ziel der Untersuchung, die zentralen Erfahrungen der Fachkräfte, ihre Perspektiven und handlungsleitenden Orientierungen zu ergründen. Dabei wurden die Schlüsselthemen bzw. die Aufgabenfelder »Beobachtung und Dokumentation«, »Sprachförderung«, »Zusammenarbeit mit Familien«, »Gestaltung des Übergangs von der Kita in die Grundschule« und »Qualitätssicherung und -entwicklung« in den Mittelpunkt gerückt.

Sowohl die Expertise zur Studie (2009) als auch der Forschungsbericht zur Studie (2013) können u.a. auf www.fachportal-paedagogik.de kostenfrei heruntergeladen werden.

Schlechte Rahmenbedingungen – Hürden im Professionalisierungsprozess

Ergebnisse der Studie »Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung« zeigen, dass derzeit ein eklatantes Missverhältnis herrscht zwischen dem, was pädagogische Fachkräfte leisten sollen und können (Nentwig-Gesemann 2014). Die befragten Fachkräfte handeln oftmals im Modus des »Krisenmanagements« und überschreiten dabei die Grenzen der eigenen zeitlichen, psychischen und körperlichen Belastbarkeit. Aus einem hohen Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Kindern und deren Wohlbefinden heraus neigen die Fachkräfte dazu, sich zu verausgaben. Gleichzeitig leiden sie unter dem Dilemma, die geforderten Ansprüche nicht umsetzen zu können. Mit Blick auf die hohe Personalfluktuation, die fehlende Kontinuität der pädagogischen Arbeit und die ausbleibenden fachlichen Auseinandersetzungen im Team halten die befragten Fachkräfte die Umsetzung der an sie gestellten Anforderungen für unrealistisch und unzumutbar. Einige Fachkräfte tendieren aufgrund der Überforderung sogar dazu, sich – als Schutz gegenüber den Zumutungen von außen –in besonderem Maß mit dem Team zu solidarisieren. Auf dieser Grundlage kann sich jedoch kein professioneller, kritisch-reflexiver und diskursiver und fachlich begründeter Arbeitsmodus im Team entwickeln (ebd.).

Erschwerend kommt in Bezug auf die Professionalisierung von Krippenfachkräften hinzu, dass sich ihre Profession historisch bedingt »nicht parallel zur gesamten Profession der ErzieherIn (...) mitentwickelt hat« (Berlips 2015: 82). Während in der ehemaligen DDR die Versorgung mit Krippenplätzen der Regelfall war, stand die traditionelle Familienpolitik in Westdeutschland der erforderlichen Professionalisierung des Handlungsfeldes entgegen (Röhrig 2015). Das Fehlen einer langjährigen gemeinsamen Tradition sowie einer tradierten Ausbildung und Forschung, der Mangel an kodifiziertem Wissen und Anerkennung, der hohe Legitimationsdruck und die damit verbundenen Kämpfe im und um das Feld sowie die noch immer stattfindenden Ausbau- und Veränderungsprozesse zeugen davon, dass sich die Profession der KrippenerzieherIn im Werden und in einem Zwischenzustand befindet, der von Diffusität und Suchbewegungen gekennzeichnet ist. Ziel der Professionalisierungsprozesse im Feld der Krippenerziehung ist es jedoch, die vielfältigen Spannungsverhältnisse und Unsicherheitsbedingungen auszuhalten und auszuhandeln (Berlips 2015).

Krippenfachkräfte als ExpertInnen für professionelle Beziehungsgestaltung Ist die beschriebene Diffusität bezogen auf die Entwicklung der Profession der Krippenfachkräfte ein Zeichen für einen stattfindenden Entwicklungsprozess, so stellen die Suchbewegungen der Fachkräfte in der Interaktionsgestaltung mit Kindern ein wesentliches Merkmal pädagogischer Professionalität dar. Um den Bedürfnissen der Kinder gerecht werden und sie in ihren Entwicklungsprozessen begleiten zu können, müssen pädagogische Fachkräfte die vielfältigen und oftmals höchst subtil geäußerten Signale der Kinder aufmerksam wahrnehmen und sie mit einer hohen sensitiven Responsivität aufgreifen und beantworten (Remsperger 2011). Da es zuweilen schwierig ist, die auf ganz unterschiedliche Weisen zum Ausdruck gebrachten Signale der Kinder richtig zu interpretieren, bewegen sich die Fachkräfte suchend »im Bereich der größtmöglichen Näherung an den gemeinten Sinn des Kindes« (Jooß-Weinbach 2014: 282).

Krippenfachkräfte berichten von der Herausforderung, sich mit einem hohen Maß an Geduld auf das Tempo und die Zeichen der Kinder einzulassen, aber auch mit alltäglichen Fehldeutungen umgehen zu können. »Um nicht in eine reine pädagogische Anleitungsrolle zu verfallen«, beantworten Fachkräfte manche Bedürfnisse der Kinder auch auf diffuse Weise (ebd.: 279). Die Anforderung besteht für die Fachkräfte nun darin, die Balance zwischen diffusen und professionellen rollenspezifischen Elementen in der Interaktion mit Kindern zu halten. Während also bspw. das eigene Muttersein der Fachkräfte einen Orientierungsrahmen für den Umgang mit jungen Kindern bilden kann, bedeutet dies, dass sich die Fachkräfte über die diffusen Anteile in der Beziehungs- und Interaktionsgestaltung bewusst sein und ihre »gefühlte Unsicherheit« wahrnehmen und reflektieren müssen, um sich den Signalen der Kinder professionell nähern zu können (ebd.: 282).

Dass es höchst anspruchsvoll ist, die Signale von sehr jungen Kindern wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und zu beantworten, wird dann deutlich, wenn man bedenkt, dass es nicht ein Kind ist, das den Sicherheit gebenden Blickkontakt mit der ErzieherIn sucht, das sich reckt, um in den Arm genommen zu werden, das sich vom Geschehen weg bewegt, weil es ein neues Interesse gefunden hat, das seine Augen langsam schließt, weil es müde geworden ist oder das seinen Kopf zur Seite dreht, weil es nicht mehr essen möchte. Die Kunst der professionellen Beziehungsgestaltung besteht darin, zu wissen, wie grundlegend die Beantwortung und Befriedigung elementarster Bedürfnisse von Kindern sind und welche Auswirkungen die (Nicht-) Beantwortung kindlicher Signale auf die Entwicklung von Kindern haben kann. Dieses Wissen in ein pädagogisches Handeln umzusetzen, bei dem die Fachkraft nicht nur die subtil geäußerten Signale eines, sondern gleich mehrerer Kinder im Auge hat und diese Signale dann auch prompt beantwortet, ist konstitutiv für die Entwicklung krippenpädagogischer Professionalität.

Fachliche Positionierung als Kennzeichen von Professionalisierung

Während der hohe Stellenwert der professionellen Beziehungsgestaltung in Lehrbüchern der Krippenpädagogik hierzulande stark betont wird und er seine Entsprechung in Konzepten zur Eingewöhnung oder Interaktionsgestaltung findet, vernachlässigt der vielerorts noch vorherrschende politische Blick auf die Arbeit frühpädagogischer Fachkräfte die Notwendigkeit von Beziehungsorientierung in der Frühpädagogik. Für eine professionelle, auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Beziehungsgestaltung zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern braucht es die Anerkennung der Wichtigkeit dieses Qualitätsaspekts sowie die Gewährleistung von Zeit, Ruhe und einem angemessenen Fachkraft-Kind-Schlüssel. Zudem ist ein gesellschaftlicher DiskursDiskurs|||||Der Begriff Diskurs kann verschiedene Bedeutungen haben, wurde ursprünglich jedoch als  „hin und her gehendes Gespräch“ verwendet. Weitere Bedeutungen sind: theoretische Erörterung, systematische, methodische Abhandlung, gesellschaftliche Auseinandersetzung, Erörterung. Sinnverwandt sind auch Debatte, Diskussion, Disput.  notwendig, der in den Blick nimmt, unter welcher Prämisse – Dienstleistungsorientierung, Verhinderung von Bildungsbenachteiligung oder feinfühlige Entwicklungsbegleitung – wir die Betreuung von kleinen Kindern vorrangig verstanden sehen wollen. Schließlich bedarf es eines intensiven Austauschs mit Eltern, die sich ihrerseits in einem Spannungsfeld aus der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, schlechtem Gewissen, Konkurrenzgefühlen, der Unsicherheit hinsichtlich der Betreuungsqualität und dem Vermissen des eigenen Kindes bewegen.

Zusammengefasst und bezogen auf das professionelle Selbstverständnis pädagogischer Fachkräfte in der Kleinstkindbetreuung heißt dies dreierlei:
  • Erstens braucht es ein stärkeres Bewusstsein auf Seiten der Fachkräfte darüber, dass sie es mit der Gestaltung feinfühliger Interaktionen ermöglichen, Beziehungen mit kleinen Kindern einzugehen, die deren weitere Entwicklung maßgeblich prägen. Neben den Eltern der Kinder sind Krippenfachkräfte eben auch ExpertInnen für die Entwicklung der Kinder – und dies auf einer wissensbasierten, reflektierenden und damit professionellen Ebene.
  • Zweitens muss das Expertentum der Krippenfachkräfte nach außen getragen werden. Eltern, Träger, andere Professionen, Politik und Gesellschaft müssen erkennen, dass eine beziehungsvolle Pflege der Kinder, eine bindungsorientierte Begleitung ihrer Entwicklung sowie die Gestaltung sensitiv-responsiver Interaktionen mit kleinen Kindern einen hohen Eigenwert haben, der nicht sofort nach außen sichtbar ist, der sich aber darin äußert, dass Eltern merken, dass es dem eigenen Kind gut geht. Beobachtung und Dokumentation sind hier geeignete Wege, das Wohlbefinden der Kinder nach außen transparent zu machen.
  • Drittens ist es notwendig, dass Krippenfachkräfte ihren ExpertInnenstatus nutzen, um sich zu pädagogischen Fragestellungen zu positionieren. Zum einen sind authentische, fachlich begründete und das Wohl des Kindes fokussierende Rückmeldungen an Eltern notwendig, die ihnen signalisieren, welche Form und welches Ausmaß der Betreuung unter welchen Umständen aus pädagogischer Sicht zu vertreten sind. Zum anderen gilt es aber auch, sich in Gesellschaft und Politik zu positionieren und sehr deutlich zu artikulieren, dass strukturelle Rahmenbedingungen verhindern, die eigene professionelle Arbeit in der angestrebten Qualität umzusetzen. Unzureichende Rahmenbedingungen und eine unzureichende Qualität in frühpädagogischen Einrichtungen sind aus wissenschaftlicher und professioneller Perspektive nicht zu vertreten – weder für die dort tätigen Fachkräfte und schon gar nicht für kleine Kinder, deren Entwicklung es mit höchstem Einsatz zu begleiten gilt.

Literatur

  • Berlips N. (2015): Professionelles Wissen und Handeln von Krippenerzieherinnen. Eine qualitative Studie in niedersächsischen Kindertageseinrichtungen für 0- bis 3-Jährige. Hamburg
  • Betz T. (2015): Pädagogische Fachkräfte im Spannungsfeld zwischen Selbstverständnis und externen Erwartungen. In: Stenger U., Edelmann D., König A. (Hrsg): Erziehungswissenschaftliche Perspektiven in frühpädagogischer Theoriebildung und Forschung. Weinheim, Basel, S. 221-243
  • Jooß-Weinbach M. (2012): Ein Arbeitsbündnis mit den Jüngsten? Die Herausforderungen professioneller Interaktion mit Krippenkindern. In Viernickel S. et al. (Hrsg). Krippenforschung – Methoden, Konzepte, Beispiele. München, S. 119-128
  • Jooß-Weinbach M. (2014): Stellvertretende Deutung als Kernelement professionellen Handelns in der Krippe. In Betz T., Cloos P. (Hrsg): Kindheit und Profession. Konturen und Befunde eines Forschungsfeldes. Weinheim, Basel. S. 276-287
  • Nentwig-Gesemann I., Fröhlich-Gildhoff K., Harms H., Richter S. (2011): Professionelle Haltung – Identität der Fachkraft für die Arbeit mit Kindern in den ersten drei Lebensjahren. WIFF Expertisen Band 24. München
  • Nentwig-Gesemann I. (2014): Das professionelle Selbstverständnis frühpädagogischer Fachkräfte. Verfügbar unter: www.erzieherin.de/das-professionelle-selbstverstaendnifruehpaedagogischer-fachkraefte.html (abgerufen am 10.5.2017)(Hinw. d. Red.: Das fehlende »s« am Ende von »selbstverständnis« ist korrekt und zielführend)
  • Remsperger R. (2011): Sensitive Responsivität. Zur Qualität pädagogischen Handelns im Kindergarten. Wiesbaden
  • Remsperger-Kehm R. (2016): Das Bild pädagogischer Fachkräfte. In Betrifft KINDER 04/16, S. 6-10
  • Röhrig A. (2015): Professionelles Handeln im Rahmen der Krippenbetreuung – Beziehungsgestaltung in der Arbeit mit Kleinkindern. In Ruppin I. (Hrsg): Professionalisierung in Kindertagesstätten. Weinheim, Basel, S. 84-112
  • Viernickel S. (2012): Krippen im Spiegel der Wissenschaft: Diskurslinien und Forschungsfragen. In Viernickel S. et al. (Hrsg): Krippenforschung – Methoden, Konzepte, Beispiele. München, S. 15-23
  • Viernickel S., Nentwig-Gesemann, I., Nicolai, K., Schwarz, S., Zenker, L. (2013): Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung. Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen. Berlin
  • Viernickel S. (2016): Krippe. In: Helm J., Schwertfeger A. (Hrsg): Arbeitsfelder der Kindheitspädagogik. Eine Einführung. Weinheim, Basel, S. 84-100
  • von Behr A. (2011): Kinder in den ersten drei Jahren – Qualifikationsanforderungen an Frühpädagogische Fachkräfte. WIFF Expertisen Band 4. München


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus Betrifft Kinder 08-09/2017, S. 28 -32


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