Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt.

Eine begriffliche Einführung in die Verschiedenheit sexueller Orientierungen und Identitäten

„Der gesellschaftspolitische Begriff sexuelle Vielfalt steht für die Vielfalt von Lebensformen, sexuellen Orientierungen, Geschlechtsidentitäten und Geschlechterinszinierungen, er bezieht sich also nicht auf verschiedene Spielarten von Sexualität oder sexuelle Praktiken, sondern vielmehr auf unterschiedliche Identitäts- und Lebensformen [im Kontext von menschlicher Vielfalt, Anmerk, durch K.R.]“ (Nordt/ Kugler 2012, S.7).

Auf der einen Seite werden unter dem Konzept der sexuellen Vielfalt sexuelle Orientierungen wie Homo-, Bi- und Heterosexualität und auf der anderen Seite unterschiedliche Formen sexueller bzw. geschlechtlicher Identitätsentwürfe wie Transsexualität, Transgender und Intersexualität subsumiert. (vgl. Schmauch 2015, S.103) Der positiv konnotierte Begriff der Vielfalt soll hervorheben, dass Liebe und Sexualität sowie Identitäten auf unterschiedliche Art und Weise gelebt werden und vor allem, dass diese verschiedenen Liebes- und Lebensformen als gleichberechtig anzuerkennen sind. (vgl. ebd.)

Das Konstrukt der sexuellen Vielfalt grenzt sich als Gegenschablone vom heteronormativnormativ|||||Normativ  bedeutet normgebend, somit wird etwas vorgeschrieben, dass Normen, Regeln oder ein „Sollen“ beinhaltet.en Weltbild ab, das eine strikte heterosexuelle binäre Geschlechterordnung zwischen Mann und Frau als einzig richtige, natürliche und gottgewollte Liebesordnung versteht. Heteronormatives Denken tangiert auch heute noch viele gesellschaftliche Strukturen und beeinflusst dabei Erziehungs,- Bildungs- und vor allem mediale Prozesse im Sinne einer von Vorurteilen geprägten Haltung und Abwertung gegenüber homosexuellen Menschen und gleichgeschlechtlicher Identitätsentwürfe (Homonegativität).

Das Konzept der sexuellen Vielfalt wird in der scientific community (vor allem in den Queer Studies) auf unterschiedliche Art und Weise dargestellt und abgekürzt. Eine häufig verwendete Bezeichnungsabkürzung, um der unendlichen Vielfalt sexueller und identitätsbeschreibender Selbstbestimmungen gerecht zu werden, ist: Lesbisch-Schwul-Bisexuell-Transsexuell-Transgender-Intersexuell und Queer (LSBTTIQ*). Das Gender-Sternchen steht als Platzhalter bzw. Bedeutungsträger für alle möglichen weiteren Selbstdefinitionen.

Im Folgenden werden die zentralen Bestandteile der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt kurz begrifflich skizziert und zusammengefasst und in Zusammenhang mit der Arbeit in Kindertageseinrichtungen gebracht: Die sexuelle Orientierung bezieht sich auf das Geschlecht einer Person bei der Wahl ihres Sexual- oder Liebespartner. Während in der Heterosexualität das Gegengeschlecht begehrt wird, präferieren homosexuelle Menschen gleichgeschlechtliche Personen. Bisexuelle begehren beide Geschlechter.

„Hetero-, Homo- und Bisexualität können wir als Kristallisationspunkte auf einem Kontinuum der sexuellen Orientierung betrachten, das sich zwischen den Extrempositionen ‚ausschließlich heterosexuell’ und ‚ausschließlich homosexuell’ spannt“ (Rauchfleisch 2002, S.280 zit. n. Schmauch 2015, S.104). Die sexuelle Orientierung bildet zusammen mit dem körperlichen Geschlecht, der psychischen Geschlechtsidentität und der sozialen Geschlechtsrolle Komponenten der sexuellen Identität: „In der Zusammensetzung dieser Elemente entsteht das bewusste und unbewusste Bild, das eine Person von sich als geschlechtliches und sexuelles Wesen hat. Die Geschlechtsidentität meint das subjektive Gefühl eines Menschen, eine Frau, ein Mann oder jemand dazwischen zu sein“ (Schmauch 2015, S.106).

In Bezug auf die geschlechtliche Identität lassen sich verschiedene Formen unterscheiden. Als transsexuelle oder transgeschlechtliche oder auch transidente Menschen bezeichnen sich Personen, die sich nicht mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren und durch geschlechtsangleichende Operationen und Hormone oder andere medizinische Behandlungen ihren Körper verändern, um im Gegengeschlecht zu leben. (vgl. Schmauch 2015, S.103). Mit Transgender-Personen sind Menschen gemeint, die sich entweder nicht oder nur teilweise mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren oder auch sowohl als Mann und Frau empfinden oder die sich nicht zuordnen wollen bzw. können. Kurzum: Transgender umfasst alle Zwischenstufen auf dem Geschlechtskontinuum. „Teilweise, aber nicht zwangsläufig und in unterschiedlichem Maß nehmen sie medizinische Mittel für geschlechtsverändernde Maßnahmen in Anspruch“ (ebd.).

Entspricht die geschlechtliche Identität dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht wird in der Genderforschung von cisgeschlechtlichen Menschen als Oberbegriff gesprochen. Wenn die Geschlechtsmerkmale (Chromosomen, Gene, Hormone, Keimdrüsen, äußere Geschlechtsorgane) bei einer Person nicht alle demselben Geschlecht entsprechen, ist die Rede von intergeschlechtlichen oder intersexuellen Menschen. Diese als geschlechtlich „uneindeutig“ bezeichneten Geschlechtsmerkmale werden auch heute noch häufig auf medizinischen Wege bei Säuglingen oder Kleinkindern durch „vereindeutigende“ Operationen angepasst, wobei eine „solche Eindeutigkeit [...] weder in jedem Fall herstellbar noch von allen intersexuellen Menschen gewollt“ ist (Schmauch 2015, S.103). Letztendlich ermöglichen die Begriffe von geschlechtlicher Identität und den dazugehörigen sozialen Komponenten (gender) die Abgrenzung von körperlichen Aspekten (sex) der Geschlechtszugehörigkeit. (vgl. Krell/ Oldemeier 2015, S.7)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sexuelle Vielfalt als Schlagwort in der Öffentlichkeit und in den Medien auch heute noch Aufsehen, Verunsicherung, teils Befremden bei vielen Menschen hervorruft. Dabei ist der Begriff nur ein Versuch die „Unordnung der Geschlechter“ und das gesamte bunte Spektrum der menschlichen Vielfalt darzustellen.

Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt in elementarpädagogischen Kontexten

Die Frage nach den Anerkennungsmöglichkeiten vielfältiger sozialer Existenzweisen und Lebensformen sind bereits von klein auf in der frühkindlichen Sozialisation elementar und essentiell wichtig für die positive Entwicklung eines Kindes: „Wenn ich ein bestimmtes Gender habe, werde ich dann noch als Teil des Menschlichen betrachtet werden? (...) Werde ich leben können, wenn ich in bestimmten Formen begehre? Wird mein Leben einen Platz haben und wird es für die anderen, auf die ich in meiner sozialen Existenz angewiesen bin, anerkennbar sein?“ (Butler 2009, S.11).

Trotz der zunehmenden Präsenz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in der Öffentlichkeit sind Abwertungen sowie tägliche Angriffe aufgrund sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Mehrfachzugehörigkeiten immer noch allgegenwärtig. Hinzu kommen weniger offensichtliche und subversive Diskriminierungsformen wie Unsichtbarkeiten und Vernachlässigung der Thematik in verschiedenen Kontexten. Diese Form der Nicht-Thematisierung sexueller und geschlechtlicher Vielfalt ist verbunden mit Unsicherheit und fehlendem Fachwissen pädagogischer Fachkräfte im Umgang mit nicht-heteronormativen Lebenswirklichkeiten. Dies gilt auch für pädagogische Fachkräfte in elementarpädagogischen Einrichtungen. Häufig existieren Unsicherheiten im Umgang mit geschlechtsvarianten Kindern wie intergeschlechtlichen oder transgeschlechtlichen bzw. transidenten Kindern, sodass „(...) Kinder, die sich nicht rollenkonform kleiden oder verhalten, (...) so sehr früh und zum Teil massiv in ihrem Ausdruck oder Verhalten in Grenzen verwiesen (werden). Solche Einschränkungen wirken sich negativ auf die Persönlichkeitsentwicklung aus“ (Kugler/ Nordt 2015, S.16). Auch Transidentität löst nicht nur bei Kindern viele Fragen aus, sondern auch bei Eltern und Erzieher*innen. Deshalb ist wichtig, dass auch pädagogische Fachkräfte in elementarpädagogischen Einrichtungen über das notwendige Fach- und Sachwissen verfügen, um „(...) transidente Kinder in ihrer Geschlechtsidentität ernst zu nehmen, ihre Aussagen zu respektieren und sie in der Auseinandersetzung mit ihren Identitätsfragen zu unterstützen“ (ebd.).

Entscheidend für die positive Entwicklung von nicht –heterosexuellen und nicht-cisgeschlechtlichen Kindern ist, dass auf verschiedenen Ebenen Lebens- und Begehrensweisen jenseits von Heterosexualität und rigider Zweigeschlechtlichkeit selbstverständlich angesprochen und thematisiert werden, ohne neue Eindeutigkeiten und Festschreibungen zu erzeugen. Solche Lebens- und Begehrensweisen stellen in informellen und institutionellen frühkindlichen Interaktionen aber bisher meist marginalisierte Positionen und Themen dar. „Für Kinder mit gleichgeschlechtlichen Empfindungen ist es wichtig, in der Kita Erfahrungen mit einer positiven Bewertung gleichgeschlechtlicher Liebe und Partnerschaft sammeln zu können, damit der allgegenwärtigen Abwertung, die sich vor allem im Schimpfworten äußert, etwas entgegengesetzt wird“ (ebd.).

In diesem Sinne ist es wichtig, dass die Erzieher*innen und pädagogisch Handelnden im Rahmen ihrer Aus- und Fortbildung für eine vielfaltssensible und inklusionsorientierte Erziehung und sexualpädagogisches Handeln auf mehreren Ebenen befähigt werden, um mit der Thematik der sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt professionell und vorurteilsbewusst umzugehen. Hierbei müssen verschiedene Kompetenzbereiche im Umgang mit sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität (geschlechtersensibler Bildung) erweitert werden:


Sachkompetenz: Wissen über heteronormative Strukturen der Mehrheitsgesellschaft und die damit verbundenen Geschlechterverhältnisse und geschlechtsbezogenen Sozialisationsbedingungen der Mädchen und Jungen und anderer Geschlechter

Sozialkompetenz: Reflexion der Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit im Bereich sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität

Methodenkompetenz: Instrumente und Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt in Krippe, Kita und Hort, Kenntnisse zu Regenbogenfamilien und diversitätssensibler Elternarbeit, Kenntnisse zu pädagogisch aufbereiten Materialien wie Kinderbüchern zum Thema geschlechtliche und sexuelle Vielfalt

Selbstkompetenz: Reflexion eigener Gefühle, Haltungen, Werte und Vorurteile in Bezug auf sexuelle Orientierungen und geschlechtliche Vielfalt



Fazit

Vielfalt fördern von klein auf bedeutet, eine wertschätzende und auf Gleichwertigkeit fußende Thematisierung von vielfältigen Lebens- und Familienformen sowie unterschiedlichen Geschlechterrollen und Identitäten. Hierfür müssen elementarpädagogische Einrichtungen ein Ort einer inklusiven Praxis sein, die „(...) Ausgrenzungen wahrnimmt und ihnen entgegentritt und die gleichzeitig Vielfalt wertschätzt und fördert“ (ebd., S.17). Denn nur so gelingt eine frühe positive Vermittlung von Vielfalt im Sinne unterschiedlicher Lebenswelten und bestärkt die Kinder in ihrer Identität und ihrem Selbstbild und gibt ihnen die Chance, „(...) einen sicheren Umgang mit sozialer Vielfalt zu erlernen und damit gut auf das Leben in einer sich immer weiter ausdifferenzierten Welt vorbereitet zu sein“. (ebd.)

Quellen:

  • Kiel, A. (2016): Bisexualität & Pansexualität. Über sexuelle Orientierungen jenseits der Pole. In.: BBZ „lebensart“ e.V. (Hrsg.): homo sum. Quartalsblatt für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt. II Quartal 2016
  • Krell, C./ Oldemeier, K. (2015): Coming-out – und dann..? Ein DJI-Forschungsprojekt zur Lebenssituation von lesbischen, schwulen, bisexuellen und trans* Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Druckfrei -Aigner, München.
  • Nordt, S./ Kugler, T. (2012): Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Kontext von Inklusionspädagogik. [http://beak-libg.de/wp-content/uploads/2014/10/Vortrag-Vielfalt-QueerFormat.pdf]
  • Nordt, S./ Kugler, T. (2015): Vielfalt fördern von klein auf. Sexuelle und geschlechtliche Vielfalt als Themen frühkindlicher Inklusionspädagogik. Dokumentation des Fachtags vom 14. Oktober 2013, 2. Auflage.
  • Schmauch, U. (2015): Sexuelle Abweichungen oder sexuelle Vielfalt? Zur Verschiedenheit im Bereich sexueller Orientierungen und Identitäten. In.: Bretländer, Bettina; Köttig, Michaela; Kunz, Thomas (Hrsg): Vielfalt und Differenz in der Sozialen Arbeit. Perspektiven auf Inklusion. Kohlhammer, Stuttgart.








Verwandte Themen und Schlagworte