Peers in der Krippe

Eine Analyse sozialer Interaktionen von Kleinkindern

Seit dem Ausbau der Betreuungsplätze für Unterdreijährige steht die Qualität der Betreuung stark im Fokus. Vor allem den Interaktionen zwischen Kleinkindern und ihren BezugserzieherInnen wird eine große Bedeutung beigemessen. Die Wichtigkeit der Kinder füreinander wird dabei häufig vernachlässigt. Welche Kompetenzen Kleinkinder in Peer-Interaktionen zeigen und entwickeln und welche Rolle die Sprache in der Gestaltung von Interaktionen spielt, ist Teil einer Untersuchung, die Catharina Becker hier vorstellt.

In der frühkindlichen Bildung ist das Bild vom kompetenten Kind, das von Beginn des Lebens an aktiver Mitgestalter der eigenen Entwicklung ist, ein weit verbreitetes. Ein anderes Bild steht demgegenüber: Unterdreijährige seien wegen ihrer mangelnden sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten sozial wenig kompetent. Sie spielten nicht miteinander und wenn sie mit Gleichaltrigen in Interaktion träten, seien diese häufig wenig kooperativ und durch Streitigkeiten (meist um Spielsachen) und körperliche Aggressionen geprägt. Auch pädagogische Fachkräfte sind häufig skeptisch, ob Kleinkinder überhaupt davon profitieren können, gemeinsam mit Gleichaltrigen betreut zu werden (1) oder ob sie nicht vielmehr auf den engen Kontakt zu ihren BezugserzieherInnen angewiesen sind. Wenn tatsächlich von wenig kooperativem oder gar aggressivem Verhalten ausgegangen würde, läge die Frage nahe, ob Kleinkinder überhaupt in Gruppen betreut werden sollten.

Doch wie sieht es wirklich um die Kompetenzen der Kleinkinder aus, wenn es um die Gestaltung von Interaktionen mit Gleichaltrigen geht? Inwieweit können Kleinkinder überhaupt ihr Gegenüber mit seinen Handlungsabsichten verstehen? Können sie bezogen darauf handeln? Und welche Rolle spielen sprachliche Ausdrucksmöglichkeiten bei der Gestaltung von Interaktionen?

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Leon und Tilda (beide 16 Monate alt) stehen auf dem Spielplatz an der Wasserpumpe. Leon bewegt den Hebel der Pumpe und probiert, Wasser herauszubekommen. Tilda beobachtet das Wasserrohr und schaut, ob schon Wasser herauskommt. Eine Mutter hat die beiden beobachtet und sagt ihnen, dass sie ihnen helfen wird. Sie beginnt Wasser zu pumpen und Leon stellt sich zu Tilda an das Rohr. Die beiden beobachten, wie das Wasser erst langsam herauszutröpfeln und dann zu fließen beginnt und halten ihre Hände darunter. Sie holen verschiedene Behälter und halten sie unter den Wasserstrahl. Nachdem das Wasser eine Weile gelaufen ist, nimmt Leon sich eine Schaufel und schaufelt das Wasser auf, das über den Boden fließt. Tilda streckt ihm einen Becher entgegen. Er steht auf und gießt das Wasser in den Becher, den Tilda ihm noch immer hinhält.



Die Kinder in der Szene aus dem Bild oben gehen einem gemeinsamen Interesse nach: dem Spiel mit Wasser. Sie erkunden die Pumpe und das herausfließende Wasser und erfahren etwas über deren Eigenschaften. Nachdem zunächst mehr ein paralleles Spiel als eine Interaktion erkennbar ist, entsteht kurz darauf eine Kooperation: Leon schaufelt mit seiner Schaufel Wasser in Tildas Becher. Allein durch Gesten ist in dieser Szene eine freundliche Interaktion entstanden. Kommunikation ist also mehr als Sprache.

Kommunikation von Anfang an

Für den Säugling haben die Kommunikation mit anderen Menschen und der Aufbau von Beziehungen eine Überlebensfunktion. Er ist auf Menschen angewiesen, die ihn versorgen. Von Geburt an bringt er Fähigkeiten mit, diese Beziehungen aktiv mitzugestalten. Und auch schon vor der Geburt verfügt er über Wahrnehmungsfähigkeiten, die es ihm ermöglichen, wichtige Menschen zu erkennen: Durch die Bauchdecke nimmt er ihre Berührungen wahr und erkennt ihre Stimmen (2). Auch der neugeborene Säugling nimmt seine Umgebung differenziert wahr. Er achtet auf Geräusche und gibt der menschlichen Stimme, besonders der der Mutter, besondere Aufmerksamkeit. Auch kann er Laute, die in der Muttersprache nicht gebraucht werden, aussortieren. Die größte Aufmerksamkeit aber schenkt er dem menschlichen Gesicht, der Mimik. Dabei ist er von Beginn an in der Lage, den emotionalen Ausdruck im Gesicht seines Gegenübers zu interpretieren. Auch seine eigene Mimik ist einsatzbereit, er lächelt, lautiert und vokalisiert. Durch feinfühlige und differenzierte Antworten der Bezugspersonen auf seine Signale entstehen Interaktionen. Beide Partner nehmen ihre Signale wechselseitig wahr und reagieren entsprechend. Durch den differenzierten emotionalen Ausdruck im Gesicht seines Gegenübers gewinnt der Säugling neue Möglichkeiten des Ausdrucks für sich selbst (3). Es entsteht ein »Austausch mimischer Gefühlsbotschaften«, der in den ersten Lebensmonaten ein wesentliches Mittel der Kommunikation zwischen Eltern und ihren Kindern ist (4).

Kleinkinder – prosoziale Wesen

Das Kommunikationsverhalten von Säuglingen zeigt, dass sie von Anfang in der Lage sind, an Interaktionen teilzuhaben und Beziehungen zu knüpfen. Auch das prosoziale Verhalten, das bereits Kleinkinder zeigen, bestätigt dieses »Beziehungsbedürfnis «. Als prosoziales Verhalten werden einerseits freundliche Arten der Kontaktaufnahme verstanden und andererseits Verhaltensweisen, die auf den Nutzen für eine andere Person abzielen: das Teilen, Mitteilen, Mitfühlen und Helfen. Dies geschieht freiwillig und ohne Eigennutz. Der wahre Nutzen dieser altruistischen Verhaltensweisen liegt darin, dass Beziehungen gestärkt werden (5).

Bei all diesen Formen des prosozialen Verhaltens spielen immer mehrere Prozesse eine Rolle: Die Kinder müssen zum einen die Gefühlslage ihres jeweiligen Gegenübers richtig deuten oder erkennen, was dessen Bedürfnisse, Handlungsabsichten oder -ziele sind. Zum anderen muss eine Motivation zum prosozialen Handeln vorhanden sein, denn meist ist damit auch ein Aufwand verbunden oder es entstehen, wie z.B. beim Teilen, »Kosten« für das Kind selbst. Das Wissen, dass andere Menschen andere Gefühle, aber auch Wünsche, Bedürfnisse und Einstellungen haben, liegt in der Theory of Mind begründet. Sie bezeichnet die Fähigkeit, eigene mentale Zustände wahrzunehmen und die der anderen Menschen auf Grund von Verhaltensbeobachtungen oder verbalen Äußerungen zu erschließen. Diese Fähigkeit entwickelt sich bei Kindern im Laufe der ersten Lebensjahre und differenziert sich innerhalb sozialer Interaktionen zunehmend aus. Mit etwa 18 Monaten sind Kinder schon in der Lage, die Gefühle anderer als getrennt von den eigenen zu betrachten und Handlungsabsichten und -ziele zu verstehen (6).

Ein gutes Beispiel für prosoziales Verhalten ist die Zeigegeste, die Kinder gegen Ende des ersten Lebensjahres ausführen können. In der Zeigegeste wird die Motivation des Kindes sichtbar, zu kommunizieren und zu kooperieren. Durch das Zeigen auf einen Gegenstand oder eine Situation kann das Kind einen gemeinsamen Aufmerksamkeitsfokus herstellen. Dabei schafft es einen Rahmen, in dem Erlebnisse und Gefühle geteilt werden (Teilen und Mitteilen). Auch dies bildet und stärkt Beziehungen. Außerdem gibt es seinem Gegenüber Informationen oder Hilfestellung, die z.B. zur Lösung eines Problems beitragen (Helfen). Und es nutzt das Zeigen zum Erfragen von Informationen. Die Zeigegeste, die im Übergang vom Säuglings- zum Kleinkindalter auftritt, macht also deutlich: Kooperative Kommunikation ist auch ohne Sprache möglich und geht der verbalen Kommunikation voraus (7).

Eine weitere Form des prosozialen Verhaltens, das vor allem von Kleinkindern gezeigt wird, ist das Socializing, das man als »Geselligsein« übersetzen kann. Es beinhaltet eine freundliche Kontaktaufnahme, das Interesse am anderen, das Ausdrücken von Zuneigung und positiven Affekten und das Zeigen oder Austauschen von Objekten. Auch Interaktionen des Socializing spiegeln das kooperative Verhalten von Kleinkindern wider und ihr Bedürfnis, Verbundenheit und Beziehungen zu schaffen (8).

Interaktionen mit Peers

Die frühen Interaktionen von Säuglingen mit ihren Bezugspersonen scheinen für ihre Entwicklung eine große Bedeutung zu haben. Durch diese eignen sie sich Wissen über sich selbst und ihre Umwelt an. Aber auch Interaktionen mit Peers lassen sich schon früh beobachten. Peers, das sind Kinder, die etwa gleich alt sind, einen ähnlichen Entwicklungsstand haben oder gerade ähnliche Entwicklungsaufgaben bewältigen. Peers sind einander also ebenbürtig, ihre Beziehung ist durch Gemeinsamkeiten gekennzeichnet. Die Gemeinsamkeiten führen dazu, dass die Kinder wie ein Spiegel füreinander sind. Diese Wirkung wird häufig noch dadurch verstärkt, dass kleine Kinder die gegenseitige Nachahmung als eine Form des Austauschs nutzen. In ihrem Gegenüber erkennen sie sich wieder und erhalten Informationen über sich selbst. Besonders den emotionalen Signalen der anderen Kinder schenken sie ihre Aufmerksamkeit und reagieren entsprechend. So entstehen schon früh kooperative Interaktionen (9).

Neben der gegenseitigen Nachahmung stellt auch das Parallelspiel eine Möglichkeit der Kontaktaufnahme und der Gestaltung von Interaktionen dar. Häufig wird das Parallelspiel unter dem Gesichtspunkt mangelnder sozialer Fähigkeiten gesehen. »Die Kinder können noch nicht miteinander spielen«, ist ein Satz, den man nicht selten von Eltern oder pädagogischen Fachkräften hört. Schaut man aber genauer hin, zeigen sich im Parallelspiel viele Möglichkeiten sozialen Lernens: Die Kinder können sich aneinander orientieren, sich Informationen über das Spiel anderer, aber auch über Gegenstände und deren Funktionen aneignen, und sie können an Erlebnissen und Gefühlen anderer Anteil nehmen.

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Ida (16 Monate) und Lotta (14 Monate) hocken nebeneinander am Wasserspielplatz im Sand. Ida greift mit beiden Händen in den nassen Sand vor sich und zieht eine Spur. Lotta hält in ihrer Tätigkeit inne und beobachtet Idas Tun. Während sie noch auf Idas Hände schaut, ahmt sie die Handlung nach und greift ebenfalls mit einer Hand in den Sand, um eine Spur zu ziehen. Nebeneinander hockend vertiefen sie sich in das Spiel mit dem Sand. Dabei schaut Lotta immer wieder auf Ida und ihre Hände.




Parallelspiel

In der Szene aus dem Bild-Beispiel oben ist keine Interaktion sichtbar, sondern das für das Kleinkindalter typische Parallelspiel. Doch statt zu bemängeln, dass die Kinder nur »nebeneinander her« spielen, kann man auch anerkennen, welche sozialen Kompetenzen dem Verhalten in der Szene zugrunde liegen und welche Bildungschancen sie bieten: Lotta beobachtet Idas Tun. Sie unterbricht ihre eigene Tätigkeit, um zu sehen, was Ida mit dem Sand macht. Sie erfährt dabei eine neue Möglichkeit des Spiels mit Sand. Sie ahmt dieses Spiel nach und erfährt mit eigenen Sinnen, wie sich der nasse Sand anfühlt, wie er durch die Finger gleitet und wie man darin Spuren hinterlassen kann – sie eignet sich Wissen an. Auch wenn in dieser Szene keine Interaktion entstanden ist, liegt in ihr doch die Chance, voneinander zu lernen.

Wer mit Kleinkindern arbeitet, weiß, wie schnell aus einem Parallelspiel eine Interaktion werden kann: durch Blickkontakt und Lautieren oder durch gegenseitiges Nachmachen, inklusive dem dazugehörenden Lachen, wenn man sich z.B. gegenseitig animiert, den Sand mit einem »Bumm« auf den Boden zu klatschen.

Beobachtet wurden die beiden Beispielszenen auf einem Spielplatz. Dort treffen sich die 14 bis 16 Monate alten Kinder seit ihrem ersten Lebensjahr regelmäßig in einer Krabbelgruppe. Ähnliche Beobachtungen von Peer-Interaktionen entstanden im Rahmen einer Untersuchung in einer Krippe. Dort beobachtete ich neun Kinder im Alter von 18 bis 27 Monaten per Video. Anschließend analysierte ich ihre Interaktionen und untersuchte sie daraufhin, ob sie prosozial oder konflikthaft verliefen. Außerdem fasste ich die Verhaltensweisen zusammen, die die Kinder zur Gestaltung der Interaktionen einsetzten.

Socializing: Learning by Doing

Die beobachteten Interaktionen verliefen am häufigsten prosozial und kooperativ. Die meisten Interaktionen konnten als Form des Socializing interpretiert werden, bei dem die Kinder eine freundliche Kontaktaufnahme und positive Affekte zeigten. Die Kinder haben demnach ein großes Interesse daran, Beziehungen zu ihren Peers anzubahnen bzw. zu festigen und zeigen dabei positive Emotionen. Spiele konnte ich in den Interaktionen dieser Altersgruppe seltener als das Socializing beobachten. Auffällig war jedoch eines: Alle beobachteten Spiel-Interaktionen beinhalteten Spiele, die im Zusammenhang mit dem Körper und der Bewegung der Kinder standen. Im zweiten Lebensjahr ereignen sich in der motorischen Entwicklung der Kinder viele Entwicklungsschritte. In dieser Zeit lernen Kinder in der Regel das Laufen und anschließend differenziertere Fortbewegungsmöglichkeiten, wie das Treppensteigen, Hüpfen oder Klettern. In den Interaktionen mit Peers scheinen sie spielerisch diese gemeinsamen Entwicklungsaufgaben zu bewältigen und ihre motorischen Fähigkeiten einzuüben, zu erproben und weiterzuentwickeln. Missverständnisse zwischen den Interaktionspartnern traten selten auf. In einer Vielzahl der beobachteten Szenen verlief die Interaktion für beide Partner gleichermaßen positiv. Manchmal kam es jedoch vor, dass eines der Kinder eine freundliche Beziehungsanbahnung zeigte und sich mit positiven Emotionsausdrücken an seinen Interaktionspartner wendete, während dieser deutlich negativ darauf reagierte.

In Peer-Interaktionen – die auf Gleichrangigkeit der Kinder basieren – steht kein kompetenterer Partner zur Verfügung, der Missverständnisse leicht ausgleichen kann. Beide Interaktionspartner stehen gleichermaßen vor der Aufgabe, ihr Verhalten in Abstimmung auf das Gegenüber zu gestalten. Dies erfordert hohe kognitive Leistungen, die im Zusammenhang mit der Theory of Mind stehen. Die Kinder müssen ihre eigenen Absichten verständlich machen, die Reaktionen ihres Interaktionspartners richtig deuten und wiederum angemessen reagieren. Für Kleinkinder, deren Theory of Mind sich noch entwickelt, kann dies schwierig sein.

Um so erstaunlicher ist, dass die Mehrzahl der beobachteten Interaktionssequenzen jeweils für alle beteiligten Kinder prosozial verlief. Dies macht deutlich, dass auch kleine Kinder durchaus in der Lage sind, ihre Verhaltensweisen und ihre kommunikativen Angebote auf ihr jeweiliges Gegenüber abzustimmen. Gleichzeitig könnte die Vielzahl an prosozialen Interaktionen auch darauf hindeuten, dass Kleinkinder in der Lage sind, mögliche Missverständnisse in Interaktionen mit Peers auszugleichen oder aber darüber hinwegzusehen, weil das Interesse an der Auseinandersetzung mit dem Peer größer ist als individuelle Bedürfnisse.

Konflikthafte Interaktionen waren seltener zu beobachten als prosoziale. Wenn Konflikte auftraten, so waren es entweder Konflikte um Spielobjekte oder sie wurden durch Berührung des Interaktionspartners ausgelöst. Aggressives Verhalten während eines Konfliktes konnte ich nur an einer Stelle – d.h. in einer von 20 Interaktionen – beobachten. Wenn die Kontaktaufnahme eines Peers nicht mit distanzierten Mitteln, sondern durch Berührung gestaltet wurde, entstanden leichter Konflikte. Diese können aber als Lernchance gesehen werden. In Konflikten lernen Kinder etwas über sich selbst: Sie erkennen ihre eigenen Grenzen und machen diese gegenüber anderen deutlich. Und sie lernen die Grenzen anderer kennen. Dabei sammeln sie Erfahrungen für die Gestaltung zukünftiger Interaktionen. Es liegt nahe, dass Konflikte, ebenso wie Missverständnisse, einen Beitrag zur sich entwickelnden Theory of Mind leisten. Schließlich geht es bei der Theory of Mind darum zu wissen, dass andere Menschen andere Wünsche, Bedürfnisse oder Gefühle haben als man selbst.

Als typischer Auslöser von Konflikten konnte auch der Austausch von Spielobjekten erkannt werden. Diesen konnte ich in prosozialen Interaktionen jedoch genauso häufig beobachten wie in konflikthaften. Was für Erwachsene häufig wie das Wegnehmen eines Spielzeugs aussieht, wird von den Kindern nicht immer genauso bewertet. Fachkräfte sollten abwarten, ob die Kinder den Austausch des Spielzeugs nicht selbst aushandeln können und ob daraus überhaupt ein Konflikt entsteht. Viel zu häufig greifen sie ein mit Sätzen wie »Nein, Maja, gib Ben das Auto zurück.« So nehmen sie den Kindern die Chance, die Situation selbst zu bewerten, zu gestalten und aus der Interaktion zu lernen.

Ausdrucksweisen von Kleinkindern

Kleinkinder haben ein Repertoire an Verhaltens- und Ausdrucksweisen, das sie zur Kontaktaufnahme und Kommunikation mit Peers nutzen. Das Repertoire umfasst sowohl Gestaltungsmittel aus der Distanz (z.B. Blickkontakt, Lautieren) als auch solche, die in Verbindung mit Nähe stehen (z.B. Berührung). Die in der Untersuchung am häufigsten beobachteten Ausdrucksweisen der Kinder waren mimische Ausdrücke, Blickkontakt, Lächeln, die Berührung des Interaktionspartners und das Lautieren. Insgesamt konnte ich folgende Vielfalt an Ausdrucksweisen beobachten:

• die Berührung oder der Austausch eines Spielobjektes,
• die Nachahmung (gestisch, mimisch oder lautlich),
• der Einsatz von Sprache,
• lachen und weinen,
• die Animation des Interaktionspartners durch Grimassen
(freundlich oder auch abschreckend),
• fragende Blicke,
• sich einander zu- oder voneinander abwenden,
• auf etwas zeigen,
• gestikulieren und dabei den eigenen Körper oder den des anderen einbeziehen,
• einander nachlaufen,
• quietschen, schreien, jammern,
• Kraftanstrengung ausdrücken,
• sich zunicken oder den Kopf schütteln,
• einander mit dem Blick folgen.

Neben diesen mehrfach sichtbaren Ausdrucksweisen waren noch viele weitere zu beobachten. Kleinkinder sind in ihrer Kommunikation demnach einfallsreich und probieren viele Möglichkeiten aus, sich mitzuteilen. Der im Vergleich zu anderen Verhaltensweisen eher selten beobachtete Gebrauch von Sprache zeigt, wie vielfältig die Möglichkeiten der Kleinkinder sind, in Interaktion zu treten, sich miteinander abzustimmen und zu einem kooperativen Verlauf beizutragen. Mangelnde Sprachkenntnisse sind also keineswegs ein Grund dafür, dass Interaktionen nicht positiv verlaufen könnten.

Lern- und Entwicklungschancen

Kleinkinder suchen nicht nur Kontakt zu erwachsenen Bezugspersonen, sondern gehen ebenso Interaktionen mit Peers ein. Diese gestalten sie durch vielfältige Ausdrucksweisen aktiv und stimmen dabei ihre Verhaltensweisen auf ihre Interaktionspartner ab. Die Interaktionen mit Peers stellen Lernkontexte für soziale Kompetenzen, die Entwicklung der Theory of Mind, aber auch für gemeinsame Erschließungsprozesse dar. Pädagogische Fachkräfte sollten sich der Bedeutung von Peer-Interaktionen bewusst sein und diese in der Gestaltung des pädagogischen Alltags berücksichtigen.

Es ist wichtig, den Kindern ausreichend Zeit und Raum zur Verfügung zu stellen, damit diese selbstständig auf andere Kinder zugehen und Erfahrungen in und mit Interaktionen sammeln können.


1 Vgl. Viernickel S. (2011): Spiele und Kontakte unter Kleinstkindern. In: Neuß N. (Hrsg.): Grundwissen Krippenpädagogik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Berlin, S. 151-161
2 Vgl. Elsner B., Pauen S. (2012): Vorgeburtliche Entwicklung und früheste Kindheit (0-2 Jahre). In: Schneider W., Lindenberger U. (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Weinheim, S. 159-185
3 Vgl. Ahnert L. (2010): Wieviel Mutter braucht ein Kind? Bindung – Bildung – Betreuung: öffentlich und privat. Heidelberg
4 Vgl. Von Salisch M. (2010): Kleine Menschen mit großen Gefühlen – Entwicklung der emotionalen Kommunikation in der frühen Kindheit. In: Hamnes-Di Bernardo E., Speck-Hamdan A. (Hrsg.): Kinder brauchen Kinder. Gleichaltrige – Gruppe – Gemeinschaft. verlag das netz, S. 36-44
5 Vgl. Warneken F. (2013): Die Grundlagen prosozialen Verhaltens in der Frühen Kindheit. In: Leu H. R., von Behr A. (Hrsg.): Forschung und Praxis der Frühpädagogik. Profiwissen für die Arbeit mit Kindern von 0-3 Jahren. München, S. 74-92
6 Vgl. Elsner B., Pauen S. (2012) 7 Vgl. Tomasello M., Carpenter M., Liszkowski U. (2007): A New Look at Infant Pointing. Child Development 78(3), S. 705-722
8 Vgl. Viernickel S. (2004): Kleinkinder konstruieren soziale Bedeutungen. In: Fried L., Büttner G. (Hrsg.): Weltwissen von Kindern. Zum Forschungsstand über die Aneignung sozialen Wissens bei Krippen- und Kindergartenkindern. Weinheim, S. 35-54
9 Vgl. Viernickel S. (2011)


Übernahme mit freundlicher Genehmigung aus "Betrifft Kinder" 3-2017, S. 6-11




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