Professionalität im Beruf

Neben den prägenden Einflüssen der Eltern und dem weitgefächerten soziokulturellen Umfeld des Kindes hat auch die Kindertageseinrichtung mit ihrem individuell-spezifischen Konzept, ihrer Konzeption mit den entsprechend festgelegten Eckdaten, ihren Mitarbeitern und deren Haltung / Selbstverständnis / Arbeitsweise einen ganz erheblichen Einfluss auf die nachhaltige Entwicklung des Kindes. Dieser unverrückbaren Tatsache haben sich elementarpädagogische Fachkräfte zu stellen und damit immer wieder auseinanderzusetzen, um persönliche Verantwortung für das zu übernehmen, was um sie herum geschieht.

Der Begriff „Professionalität“ wird im Berufsfeld der elementarpädagogischen Fachkräfte / Kindheitspädagoginnen seit über 25 Jahren – sicherlich auch durch die Qualitätsoffensive in Gang gesetzt – verstärkt in den Mittelpunkt der Pädagogik gerückt. Er ist verbunden mit sehr unterschiedlichen, sich ergänzenden, aber auch sehr widersprüchlichen Frage- und Aufgabenstellungen, Ansatzmodellen, Hypothesen und Anforderungen an die Ausbildungsinstitutionen, Fort- und Weiterbildungsinstitute, die Träger sozialpädagogischer Einrichtungen und im Sinne einer Delegation von Erwartungen an die Fachkräfte selbst. Dabei ist es derzeit unmöglich, ein vollkommen einheitliches Bild zur „Professionalität im Beruf“ zu entwerfen, zumal die Betrachtungsweisen in der Theorie und Praxis von sehr unterschiedlichen Ausgangswerten und Sichtweisen ausgehen: mehr oder weniger fachlich, aus unterschiedlichen Haltungsrichtungen und aus sehr unterschiedlichen Absichten!

Dennoch soll an dieser Stelle versucht werden, „Professionalität im Beruf“ anhand von einzelnen, ausgewählten Grundüberlegungen fassbarer zu beschreiben, um den besonderen Wert des „Berufsbildes elementarpädagogischer Fachkräfte / Kindheitspädagoginnen“ und die enorme Bedeutung des elementarpädagogischen Handelns für die Kinder und eine humanistisch orientierte Gesellschaft – in Gegenwart und Zukunft – hervorzuheben.

Professionalität: unterschiedlich diskutiert und definiert

Der Begriff „Professionalität“ leitet sich aus dem lateinischen Wort „professio“ ab, was mit „Bekenntnis, Gewerbe, Beruf“ übersetzt werden kann. Professionelles Denken und Handeln ist zweifelsohne ein unverzichtbares Element in jedem verantwortungsvollen Beruf – damit auch in der Elementar-/ Kindheitspädagogik.

Professionalität ergibt sich aus der Summe
1. vorhandener Spezialqualifikationen,
2. eines wissenschaftlich fundierten Sonderwissens, das über allgemeine Grundkenntnisse deutlich hinausgeht,
3. einer tiefen, inneren Bindung der Person zum Beruf und den Menschen, mit denen die Fachkräfte in Kontakt
stehen,
4. einer entwicklungsförderlichen Kommunikations- und Interaktionspraxis,
5. einer lösungssuchenden Handlungsorientierung auf der Grundlage humanistischer Werte sowie
6. eines gezielten, fachgerechten und fundierten Vorgehens bei Handlungsvollzügen in der beruflichen Alltagsgestaltung – im Gegensatz zu einem willkürlichen, emotional geleiteten Handeln auf der Grundlage unreflektierter und subjektiv festgelegter Maßstäbe.

Der überaus vielfältige Aufgabenbereich der Fachkräfte und die Menge der beruflichen Herausforderungen ergeben sich aus der ständigen Veränderung einer sich permanent wandelnden Gesellschaft, die ihre Auswirkungen auch in die sozialpädagogischen Einrichtungen hineinträgt und mit denen sich die Fachkräfte sowohl im beruflichen Alltag als auch bezüglich ihrer eigenen Lebenskonzepte und Lebensgestaltung auseinandersetzen müssen!

So vielfältig die Ausgangsbedingungen und damit verbundenen Grundlagen für eine professionelle sozialpädagogische Arbeit sind, so notwendig ist es auch, diese zu kennen und bejahend zu akzeptieren, dass diese Basisdaten in der praktischen Arbeit berücksichtigt und auch praktisch umgesetzt werden wollen. Dies gelingt nur, wenn aus einem von außen gesetzten „Sollen / Müssen“ ein innerlich bejahendes „Wollen“ wird.

Fachlich-personale Kompetenzen, die eine Professionalität ermöglichen


Neben
  • einer hohen Fachkompetenz (auf der Grundlage eines breiten Wissensspektrums),
  • einer innovativen Perspektivübernahme (was ist jetzt und demnächst wirklich notwendig?),
  • einem visionären Weitblick (was darf nicht aus dem Auge verloren werden?),
  • einem Interesse an einer nachhaltigen Selbstbildung für sich ganz persönlich,
  • der Kunst einer Selbstmotivation (wie bekomme ich hier und jetzt „die Kuh vom Eis“?),
  • einer mutigen, offensiven und wahrnehmungsoffenen, berufsbegleitenden Selbstreflexion (über eigene, selbst
  • gesetzte Grenzen gehen und sich auf unbekanntes Terrain wagen),
  • einer angemessenen Identifizierung mit der Einrichtung und deren Zielsetzungen, einer Ziel-, Lösungs- und konstruktiven Aufgabenorientierung (thematisieren, ändern statt klagen),
  • einem gerechten und fairen Verhalten (Verabschiedung von eine Sieger-/Verlierermentalität),
  • einer differenzierten Betrachtung alter und neuer Aufgabenstellungen (was hat fachlich betrachtet und begründet Bestand, was nicht?),
  • einer ständigen Überprüfung eigener Handlungsauswirkungen (welche Folgen hat das eigene Verhalten – für sich selbst und auf andere?),
  • einem Interesse an berufspolitischen Fragestellungen (Mitwirkung bei Professionalitätsdebatten),
  • einer realistischen Einschätzung eigener (In)kompetenzen sowie
  • einem Veränderungswillen, Schwächen in Stärken zu wandeln,
zeigt sich Professionalität immer wieder im Prozess eines entdeckenden Alltagslernens, einem kritischen Hinterfragen von Routinen und Gewohnheiten, wo auch Misserfolge als hilfreiche Erfahrungen betrachten werden.

Kollegiale Konkurrenz ist dabei ebenso ein Fremdwort wie Problemverschiebung oder Verantwortungs-/ Schuldelegation, Harmoniebestreben, Starrheit oder Konfliktverstärkung, Veränderungsangst oder Toleranz. So geht es immer wieder darum, Wesentliches von Unwesentlichem, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, über den eigenen „Zaun“ zu schauen, Mitwirkungsrechte umfassend / mutig zu nutzen und selbstbewusst den täglichen Anforderungen entgegenzugehen.

Professionalität & deren Herausforderungen

So berechtigt diese Merkmale und Forderungen sind, so schwierig ist es oftmals, diese auch umzusetzen, weil unterschiedliche Hindernisse dabei entgegenwirken (können). Seien es Schwierigkeiten, die auf der individual-personalen Ebene liegen, wie z. B. persönlich geprägte Vorlieben / Abneigungen / Vorurteile gegenüber Unbekanntem, eine eingeschränkte Belastbarkeit, Ziellosigkeit durch Unwissen, Persönlichkeitsstörungen unterschiedlicher Art, fehlende / eingeschränkte Berufsmotivation, festgefahrene Routinemuster, Theoriefeindlichkeit oder durch einen überhöhten Erwartungsdruck bzw. unberechtigte, öffentliche Anspruchshaltungen an die Gestaltung der Alltagspädagogik, bei dem der Eindruck entsteht, alle wollten auf die Arbeit ihren Einfluss geltend machen.

Weitere Schwierigkeiten können hervorgerufen werden, durch
  • ungünstige Rahmenbedingungen, die eine partizipatorische, humanistisch orientierte und fachlich erforderliche
  • Pädagogik stark einschränken bzw. unmöglich machen (eingeschränkte Finanzen, ungünstige Personalbesetzung,
  • fehlende Unterstützung bei Fort- / Weiter- / Zusatzausbildungswünschen...),
  • immer wieder neue pädagogische Zielsetzungen, deren Berechtigung im Einzelfall genau und sachlich-undogmatischdogmatisch|||||Unter einem Dogma versteht man eine (Lehr-)Meinung, die als unumstößlich oder unveränderbar gilt, und dessen Wahrheitsanspruche als gegeben gesehen wird. Dieser Begriff wurde oftmals in der christlichen Theologie verwendet.

    geprüft werden muss (u. a. die unüberschaubare Fülle an teilisolierten Förderprogrammen im kognitiven, motorischen und sozialen Bereich, zu häufige Entwicklungsberichte);
  • Qualitätsmanagementverfahren, die sich durch die Fülle der Dokumentationen ad absurdum führen, bildungspolitische Strömungen, die wie Eintagsfliegen plötzlich den pädagogischen Horizont durchschweben,
  • bestimmte Dienstanweisungen, die in manchen Fällen auch fachlich unberechtigt und kontraproduktiv sind.

Schließlich können massive Störungen im Kollegium das gesamte Arbeitsklima vergiften und ein professionelles Handeln im Beruf sehr erschweren, zumal dann, wenn keine regelmäßigen Supervisionssitzungen oder Coachings zum festen Bestandteil einer Berufsausübung gehören.

Doch die zuvorderst bestehende Grundschwierigkeit in einer praxisrelevanten Professionalität besteht darin, dass pädagogische Forderungen, die elementarpädagogische Fachkräfte zu erfüllen haben, dadurch massiv erschwert werden, wenn Arbeitsvorgaben / -erwartungen mit selbst erlebten Einschränkungen unvereinbar sind, z. B.:
  • eine erwarte Loyalität zum/vom Arbeitgeber vs. Freiheit eigener Entscheidungen, Fremdbestimmungen vs.
  • Selbstbestimmung,
  • Schulorientierung der Elementarpädagogik vs. emotional-soziale Stabilisierung des Selbstwertgefühls der Kinder,
  • Schulung / Training von Fertigkeiten vs. Kindgerechtem Aufbau von Fähigkeiten, Bildung aus zweiter Hand vs. Bildung aus erster Hand,
  • unzureichende Bezahlung der Fachkräfte vs. Intrinsisch motivierte Arbeits- und Lernfreude.

Professionalität & Identität

Pädagogische Zielsetzungen für Kinder können nur dann erreicht werden, wenn die selben, emanzipatorisch-humanistischen Zielsetzungen für Kinder auch von den Fachkräften in den eigenen alltäglichen Arbeitserfahrungen praktisch erlebt werden können. Professionalität und Identität der Person (als Fachkraft) sind aufs Engste miteinander verknüpft und können nicht voneinander losgelöst betrachtet werden. Um sein Gegenüber und seine Lebenswelt zu verstehen, setzt Professionalität voraus, zunächst immer wieder (berufsbegleitend) sich selbst zu betrachten, die eigene Persönlichkeit und das aktuelle Handeln in biographischen Zusammenhängen zu verstehen und immer wieder neu gewonnene Erkenntnisse im Sinne der eigenen Entwicklung produktiv zu nutzen. Um Entwicklungs- und Bildungsprozesse anderer zu initiieren und zu begleiten, bedarf es einer eigenen Selbstaktivierung und Begleitung eigener Bildungsprozesse.

Professionalität entsteht in einer systematischen Dynamik von innen nach außen: vom Ich zum DU, so wie auch jede Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen nur und ausschließlich von der Personqualität zur pädagogischen Qualität bei einer entwicklungsförderlichen Strukturqualität geschieht.

Professionalität entwickelt sich stets durch den Auf-/Ausbau von
a) Selbstkompetenzen: z. B. durch ein stabiles Selbstwertgefühl, Offenheit gegenüber Neuem, Neugierde auf neues Wissen und neue Erkenntnisse aus den unterschiedlichen, wissenschaftlichen Fachdisziplinen, Selbstmotivation bei Arbeitserfordernissen, Freude an Selbsterfahrung, selbstaktive Erweiterung der eigenen Lernkompetenz, ein hohes Maß an Angstfreiheit, Selbststeuerungskräfte, Konzentration auf Wesentliches, Nutzung von erlebtem Stress als Kraftimpuls für Lösungsorientierungen ...)
b) Sachkompetenzen: z. B. Selbstständigkeit bei der Umsetzung von Arbeitsvorhaben, Lösungsorientierung statt Problemfixierung, Innovationsfreude, kritische Auseinandersetzung mit alltäglichen Anforderungen, Umsetzung des innerlich integrierten Wissens, sach-, methoden- und zielkompetente Umsetzung von notwendigen Erfordernissen, Lernumgebungen erkunden und förderlich-partizipatorisch mitgestalten, Zielsetzungen aufstellen und systematisch umsetzen, Konzepte einer humanistisch-pädagogisch ausgerichteten Qualitätsentwicklung aktiv unterstützen ...)
c) Sozialkompetenzen: z. B. Neugierde auf Menschen, Wahrnehmungsoffenheit im Umgang mit Kindern, Eltern und Kolleginnen, eine konstruktive Kommunikationskultur, Vorurteilsfreiheit und Akzeptanz einer gesellschaftlichen Vielfalt, Besitz einer fühlenden Empathie, Umsetzung soziokulturell bedeutsamer Werte – statt einer Normorientierung, Konflikt(lösungs)kompetenz, Gruppenprozesse systemisch erfassen und konstruktiv mitgestalten, Inklusion authentisch bejahen, Pflege einer stimmigen Teamarbeit ...)

Professionalität erfordert ein allseitiges Interesse an Entwicklung!

Wenn Professionalität – wie häufig in verschiedenen Veröffentlichungen und öffentlichen Diskussionen festzustellen ist – primär als „formales Modell“ mit einer „Akademisierung“ gleichgesetzt wird, so greift diese Betrachtung zu kurz! Vielmehr geht es um eine „Qualität von Beruflichkeit“, die sich durch hohe, anspruchsvolle Kompetenzen ausweist. Professionalität wird sich dort entwickeln (können), wo Fachkräfte eine qualitativ hochwertige Ausbildung absolvieren können und permanente Weiterbildung wahrnehmen. Fachkräfte stellen sich zugleich den beruflichen Anforderungen und erfüllen diese mit Menschlichkeit und gutem, aktuellem Fachwissen. Außerdem bestehen in professionell gestalteten Einrichtungen überwiegend Strukturbedingungen, in denen auch eine Professionalität der Fachkräfte (von Seiten des Trägers/den Fachberater/innen) wirklich gewünscht ist und darüber hinaus nicht nur ein Lippenbekenntnis von Wissenschaft / Politik / ministerieller oder trägerspezifischer Seite bleibt.

Last not least haben auch die unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen zu lernen, ihre Erkenntnisse und Forderungen mit der Praxis zu verbinden, Träger und alle tarifverantwortlichen Kräfte haben dafür zu sorgen, dass Fachkräfte mit ihrer professionellen Tätigkeit entsprechend ihrer bedeutsamen Arbeit angemessen entlohnt werden und Arbeitsbedingungen vorfinden, die ein professionelles Alltagshandeln erst ermöglichen bzw. erleichtern.

Professionalität ist kein isoliertes Vihiculum, das sich nur auf Kindheitspädagog/innen zubewegt. Das Anmahnen von entwicklungsförderlichen Bedingungen darf aber nicht zum Alibi auf Seiten der Fachkräfte vorgebracht werden, es könne wegen ungünstiger Bedingungen keine Professionalität aufgebaut/weiterentwickelt werden. Professionalität verlangt Eigeninitiative, Selbstständigkeit und immer wieder Selbstmotivation sowie die feste Gewissheit, dass eine Professionalitäts(weiter)entwicklung mit eigenen Schritten beginnt und nur durch diese auch ausgebaut / nachhaltig stabilisiert wird.



Literatur
  • Krenz, Armin: Grundlagen der Elementarpädagogik. Unverzichtbare Eckwerte für eine professionell gestaltete Frühpädagogik. Burckhardthaus-Laetare Verlag, 2014


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung von "klein und groß", 02-02-2017, S. 7 - 9


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