Gertrud Dann (1908-1998)

dannGertrud Dann (Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen)Die Kindergarten- und Fröbelbewegung wurde stark von Jüdinnen beeinflusst, die oftmals allerdings mehr im Stillen wirkten, indem sie tagtäglich an der Basis ihre "pädagogische Pflichten" erfüllten. Eine solche "stille Frau" war auch Gertrud Dann, eine am "Seminar für Frauenbildung" in Hellerau bei Dresden ausgebildete Kindergärtnerin.

Sie entstammte einer alten jüdischen Familie, deren Stammbaum weit zurückreicht. Der erste bekannte Vorfahre ist Samuel Alexander Levi, "mutmaßlich ein Nachkomme des Leviten Rabbi Josef von Mantua gewesen und um 1530 nach Frankfurt gekommen. Die Häuser in der dortigen Judengasse waren beschildert: Rothschild, Schwarzschild usw. Am Dannschen Stammhaus war ein Schild mit einer Tanne angebracht" (Römer 1990, S. 200). Aus der Tanne ging im Laufe der Zeit der Name Dann hervor.

 

 

Leben und Wirken

Gertrud Dann wurde am 27. Mai 1908 in Augsburg geboren. Sie war das dritte von fünf Kindern des Großkaufmanns, Synagogenkommissars, Kommerzienrats und „Wohltäters" der Stadt Augsburg Albert Dann und dessen Frau Fanny, geb. Kitzinger. Die fünf Mädchen erlebten im Kreise der angesehenen Augsburger Familie, die in einem vornehmen Haus (damals) außerhalb der Stadt wohnte, eine glückliche Kindheit. Der große Garten bot Platz für allerlei Spiele, auch zusammen mit den Kindern aus der Nachbarschaft. Im elterlichen Hause verkehrten viele bekannte Persönlichkeiten, so beispielsweise die "Puppenmutter" Käthe Kruse, der Direktor der Bauschule zu Weimar Paul Klopfer und der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Die Mädchen wurden nicht streng erzogen, aber sie wussten genau, was erlaubt und was verboten war. „Es war äußerst unangenehm", konstatierte rückblickend Gertrud Dann, "wenn wir Mutter lange um etwas Verbotenes angebettelt hatten, und sie sagte: 'Tu was du willst!' Zum Beispiel im Mai, wenn die anderen schon kurze Socken trugen und wir noch immer lange Strümpfe anziehen mußten. Da war keine Wahl mehr, man mußte weiter in den verhaßten Strümpfen gehen!" (1998, S. 108). Nach der Volksschulklasse wechselte sie an das weit über die Stadt hinaus angesehene "Anna Barbara von Stetten'sche Institut", das eine private Mädchenschule war. Weil das „Stetten" aber damals nur eine Mittelschule anbot, wechselte sie 1926, so wie zuvor schon ihre ältere Schwester Elisabeth, an den Gymnasialzweig der Maria-Theresia-Schule und legte dort 1926 das Abitur ab. Gerne wollte die junge Frau Tänzerin oder Gymnastiklehrerin werden. Doch der Arzt der Familie meinte, für genannte Berufe wäre sie zu zart. Und so ergriff die junge Frau den Beruf der Kindergärtnerin. An ihre Ausbildung in Hellerau hatte sie keine guten Erinnerungen:

"Das Seminar wurde nach anthroposophischen Grundsätzen geführt, die mir sehr fremd und absolut unverständlich waren. Ich war ziemlich unglücklich dort, abgesehen von den Gymnastikstunden und vom Volkstanzen. Nach eineinhalb Jahren machte ich das Examen mit mittelmäßigem Resultat" (ebd., S. 109).

Nach Augsburg in das Elternhaus zurückgekehrt, lernte Gertrud Dann noch Säuglingspflege und arbeitete dann folgend als Erzieherin in verschiedenen jüdischen katholischen und paritätischen Kinderheimen (u. a. in und bei München sowie Hamburg), "teils bei den Babies, teils bei den Kindergartenkindern oder den Schulkindern" (ebd.). 1932 gründete die 24jährige einen kleinen Privatkindergarten im elterlichen Haus.

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers 1933 wurden die Juden Bürger zweiter Klasse und erfuhren von Anfang an Schikanen und Stigmatisierungen. Gertrud Dann stellte 1937 den Betrieb des Kindergartens ein und arbeite in einem Kinderheim der "Israelitischen Jugendfürsorge" in München. 1939 emigrierte sie nach England. Dort durfte sie zunächst nur als Hausangestellte arbeiten, bis Anfang 1941 war sie als Zimmermädchen oder Köchin tätig. Über ihre Schwester Sophie kam sie in Kontakt mit Anna Freud, der Tochter des weltberühmten Psychoanalytikers Sigmund Freud und Begründerin des Kriegskinderheim "Hampstead Nurseries". Dort übernahm Gertrud Dann die Abteilung "Kinderparadies". Dabei handelte es sich um Kinder, "die zu groß für die Säuglingsabteilung und zu klein für den Kindergarten waren. Wir hatten junge Mädchen auszubilden... Jede Woche nahmen wir an Anna Freuds hochinteressanten Vorträgen für die Angestellten des Heimes, die Analytiker und noch einzelne andere Leute teil" (Dann 1998, S. 120 f).


Nach Kriegsende begann für Gertrud Dann, wie sie schrieb, "die lohnendste Arbeit, die ich in meinem ganzen Leben geleistet habe" (ebd., S. 122). 3000 Kinder wurden nach Kriegsende im Konzentrationslager Theresienstadt gezählt. 3000 Kinder, die keine Eltern und Verwandten mehr hatten. 3000 Kinder, die nie etwas Richtiges zum Essen erhielten. 3000 Kinder, die nur über ein paar Brocken Deutsch und/oder Tschechisch verfügten. Großbritannien erklärte sich bereit, 1000 Waisenkinder aufzunehmen. Anna Freud nahm sechs Drei- und Vierjährige auf, die von Gertrud und Sophie Dann betreut wurden. Es gestaltete sich äußerst schwierig die Kinder an ein "normales" Leben" heranzuführen, denn sie hatten keine Vorstellung von einer normalen Umwelt:

"Familie, Haushalt, Garten, Läden, Schaufenster, Verkehrsmittel, all dies war ihnen fremd. Nur große Lastwagen schienen ihnen bekannt zu sein, offenbar eine Erinnerung an die Transportwagen im Konzentrationslager. Außer Hunden kannten sie keine Tiere. Vor diesen hatten sie anfangs entsetzliche Angst, wahrscheinlich wegen im Lager gemachter Erfahrungen. In den ersten Lebensjahren hatten sie nur solches Spielzeug zur Verfügung, das die Erwachsenen aus leeren Fadenrollen, Büchsen und Lappen für sie angefertigt hatten" (zit. n. Römer 1990, S. 209).

Nach einem Jahr erfolgreicher Arbeit mit den schwer traumatisierten Kindern übernahm Gertrud Dann, die 1946 die britische Staatsbürgerschaft erhielt, eine Anstellung in einem Heim für Flüchtlingskinder und 1958 eine Stelle als Bibliothekarin in der "Hamstead Child Therapy Coure and Clinic", die sie nach 20 Jahren niederlegte.

Ihre letzten Lebensjahre verbrachte Gertrud Dann zusammen mit ihrer Schwester Sophie in einem englischen Altenheim. Sie starb am 2. April 1998 in der Grafschaft Sussex.

 

Der Kindergarten

dann2Spiel der Kinder im Hof des Kindergartens, untergebracht im Hause der Familie Dann (Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen)

Der von Gertrud Dann geleitete Kindergarten wurde von ca. zehn bis zwölf Kindern besucht. Untergebracht war er im früheren Kinderzimmer des Elternhauses. Die Einrichtung war nur vormittags, von 9 bis 12 Uhr geöffnet. Aufgenommen wurden Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren,

in Ausnahmefällen auch jüngere. Der Kindergarten erhielt keine finanziellen Unterstützungen, weder von der Stadt noch von der Jüdischen Gemeinde, so dass er sich alleine über die Elternbeiträge und Spenden finanzieren musste. Überwiegend Kinder aus "gutem Hause" besuchten den Privatkindergarten. Die Väter waren Geschäftsinhaber, Ärzte, Juristen, Fabrikbesitzer und Gelehrte. Auch die beiden Söhne des Bezirksrabbiner Ernst Jacob besuchten den Privatkindergarten. Bewusst nahm die Kindergartenleiterin aber auch weniger bemittelte Kinder auf, ferner nicht nur jüdische, sondern ebenso evangelische wie katholische Kinder. Sie war nämlich davon überzeugt, dass kulturelle, soziale und religiöse Unstimmigkeiten nur durch gemeinsame Erziehung von Kindern unterschiedlicher Kulturen, Religionen und sozialer Schichten überwunden werden können. Die pädagogische Konzeption orientierte sich an der Pädagogik Fröbels. Dementsprechend stand das Spiel im Zentrum des Kindergartenalltags. Dazu vermerkte Gertrud Dann in ihrem Kindergartentagebuch:

"Fröbel hat den hohen Ernst und den ungeheuren Entwicklungssinn des kindlichen Spiels wie kein anderer durchschaut und der von seinen Gedanken getragene Kindergarten hat seine zentrale Aufgabe von jeher darin gesehen, dem freien Spiel des Kindes breiten Raum und vielfältige Möglichkeit zu geben" (zit. n. Berger 1994, o. S.).

dann3Kindergartenordnung (Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen)

 

Vielfältige ausgewählte Spiele standen den Kindern zur Verfügung. Neben den Fröbel'schen Baukästen gab es im Kindergarten u.a. Puppen, "ein Schaukelpferd und didaktisches Spielzeug (Puzzles). Die Kinderspielsachen waren von der Leiterin selbst hergestellt worden (Turner an der Stange, der sich überschlagen konnte)" (Lütkemeier 1992, S. 122). Besonderen Wert legte Gertrud Dann auf wertvoll ästhetische Bilderbücher, wie "Hänschen im Blaubeerwald" von Elsa Beskow, "Die Wiesenzwerge" von Erst Kreidolf oder "Hans Wundersam" von Adolf Holst. Für jedes Kind wurde ein Schulheft mit seinen Bastel-, Mal- und Klebearbeiten angelegt, "das den Eltern, wenn die Kinder den Kindergarten verließen, ausgehändigt wurde... Es wurden viele Spaziergänge unternommen. Täglich wurde mit den Kindern zehn Minuten Gymnastik gemacht oder geturnt" (ebd., S. 122 f). Des Weiteren sollte der Kindergarten die sozialen Kontakte der Kinder erweitern, "ihren Gemeinschaftssinn wecken sowie durch angemessene Betätigung zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten beitragen... Die jüdischen Feste und Bräuche spielten bei der Arbeit im Kindergarten keine Rolle. 'Ich kann mich nicht erinnern'", so die Kindergartenleiterin, "'daß wir jemals darüber gesprochen haben... Im Kindergarten wurden keine körperlichen Strafen angewendet. Bei schlechtem Benehmen wurden die Kinder streng ermahnt'" (ebd.).

dann4Im Hof der Synagoge (Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen)

Ab 1934 durfte der Kindergarten keine "arischen Kinder" mehr aufnehmen, da die Leiterin als Jüdin unfähig sei die deutschen kulturellen Werte und Normen zu vermitteln, ihr "schlechter jüdischer Einfluß nach Meinung der Nazis" die Kinder "verdorben hätte" (Dann 1998 S. 109). Schließlich musste der Kindergarten in Nebenräume der Augsburger Synagoge, mitten in der Stadt gelegen, übersiedeln. In unmittelbarer Nähe befand sich die "NSV.-Gauamtsleitung Schwaben". Welche Ironie des Schicksals. Da immer mehr jüdische Familien emigrierten, gab es keine Kinder mehr und Gertrud Dann stellte 1937 den Betrieb des jüdischen Kindergartens ein.

 

 

Literatur

  • Berger, M.: Jüdischer Kindergarten mußte schließen, in; Donauzeitung vom 13, April 1994, o. S.
  • Dann, G.: Ich war die rote Prinzessin, in: Römer, G. (Hrsg.): Vier Schwestern. Lebenserinnerungen von Elisabeth, Lotte, Sophie und Gertrud Dann aus
  • Augsburg, Augsburg 1998, S. 105-134
  • Fasshauer, M.: Das Phänomen Hellerau. die Geschichte der Gartenstadt, Dresden 1997Lütkemaier, H.: Hilfen für Kinder in Not. Zur Jugendwohlfahrt der Juden in der Weimarer Republik, Freiburg/Brsg. 1992
  • Lütkemeier, H.: Hilfen für Kinder in Not. Zur Jugendwohlfahrt der Juden in der Weimarer Republik. Freiburg/Brsg. 1992
  • Römer, G.: Schwäbische Juden. Leben und Leistungen aus zwei Jahrhunderten, Augsburg 1990, S. 200-209

 

 



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