Margarete Schmaus (1903-1988)

schmausMargarete Schmaus (Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen a. d. Donau)Margarete Schmaus hat nach 1945 über Jahrzehnte die Kindergärtenpädagogik beeinflusst. Zusammen mit ihrer Freundin Margarete Schörl (1912 – 1991) veröffentlichte sie drei Fachbücher, die seinerzeit entscheidend und innovativ auf die Theorie und Praxis der frühkindlichen Bildung und Erziehung im deutschsprachigem Raum wirkten: "Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin" (1964), "Erneuerung der Glaubenserziehung im Kindergarten" (1968) und "Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten" (1978). Ihr 1958 publizierter Band "Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin" erschien sechs Jahre später in zweiter, verbesserter Auflage und gehörte lange Zeit zu den wenigen Standardwerken der Kindergartenpädagogik. Interessant ist, dass Schmaus schon damals den Bildungsauftrag des Kindergartens betonte, da "Bildung eine der Grundfunktionen der Erziehung (ist; M. B.), wie Pflege und Führung es auch sind" (Schmaus 1964, S. 10). Die Publikation wurde wie folgt rezensiert:

"Das reichhaltige Buch gibt einen Überblick über die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin im Kindergarten und sagt vor allem Wesentliches über Kinderbräuche als Volksgut. Margarete Schmaus übermittelt der Kindergärtnerin gut ausgewählte Geschichten, Lieder und Spiele, die auch Eltern interessieren werden. Wertvoll ist der beigegebene Jahresplan, der die Kindergärtnerin anregt, zielbewußt die Jahreszeiten und das gesamte Leben für die Bildung der kindlichen Persönlichkeit auszuwerten" (zit. n. Berger 1997, S. 128).

 

Leben und Wirken

Margarethe (laut Geburtsurkunde mit h geschrieben) erblickte am 3. Mai 1903 als zweites Kind des Arbeiters Karl Eduard Schmaus und dessen Ehefrau Katharina, geb. Trauer, in Wien-Döbling das Licht der Welt. Bedingt durch die schwache finanzielle Situation der Familie, konnte Schmaus keine höhere Bildung absolvieren - trotz vorhandener Begabung und dem Wunsch, Psychologie studieren zu wollen. Und so musste sie sich mit der Ausbildung zur Kindergärtnerin an der "Städtischen Kindergärtnerinnen-Bildungsanstalt Wien" begnügen. Nachfolgend leitete sie mehrere Kindergärten der Stadt Wien und kam in Kontakt mit Lili Esther Roubiczek, die 1922 in Wien-Favoriten das erste Montessori-Kinderhaus in Österreich eröffnete und drei Jahre später mit der Durchführung von Montessori-Ausbildungskursen begann. Letztgenannte gilt als Begründerin der Montessori-Bewegung in Österreich. Über Roubiczek kam Schmaus, die das Montessori-Diplom absolvierte und in den Kindergärten, in denen sie tätig war, Montessori-Gruppen einrichtete, auch in Kontakt mit Anna Freud, der Pionierin der "Psychoanalytischen Pädagogik". Unter Anna Freuds Einfluss begann sie sich für die Psychoanalyse zu interessieren und absolvierte bei der berühmten Kinderanalytikerin Kurse zur "Einführung in die Psychoanalytische Pädagogik".

Anfang 1934 übernahm Schmaus als "Kindergartendirektorin" die Leitung des Kindergartens in Wien 21. Als 1938 die Nazis Österreich annektierten, durfte die überzeugte und bekennende Katholikin wegen ihrer "politischen Unzuverlässigkeit" weder weiter mit Kindern arbeiten noch publizieren.

Im Juni 1945 kehrte Schmaus an ihrem alten Wirkungskreis zurück und entwickelte zusammen mit Schörl das sog. „Raumteilverfahren", das die Kindergartenpädagogik der 1950er Jahre enorm beeinflusste. Aus gesundheitlichen Gründen ging die Kindergärtendirektorin 1959 in den Ruhestand. Sie starb nach langer schwerer Krankheit, umsorgt und gepflegt von Mater Margarete Schörl, am 24. März 1988 im Wilhelminenspital in Wien-Ottakring.

 

Psychoanalytische Pädagogik und Montessori-Pädagogik

Schmaus versuchte eine Synthese zwischen der Montessori-Pädagogik und der Psychoanalytischen Pädagogik herzustellen. Sie förderte das in der Montessori-Pädagogik mehr oder weniger vernachlässigte kindliche Spiel und sah zudem unter dem Einfluss der Psychoanalytischen Pädagogik darin ein Mittel, die Schwierigkeiten der Kinder und ihrer Eltern zu verstehen sowie im Rahmen eines therapeutischen Milieus Lösungen zu finden. Die Montessori-Materialien, in dessen Besitz jeder Kindergarten sein sollte, betrachtete Schmaus als "Ausgangspunkt der intellektuellen Entwicklung" (Schmaus 1931, S. 360). Sie interpretierte diese Materialien als "geistige Gymnastik", bedingt durch ihre "Ansprüche auf Urteilskraft, Vergleichs- und Unterscheidungsvermögen". Das Montessori-Material "ermöglicht dem Kinde die geistige Orientierung in dem Chaos seiner Eindrücke. Es schafft intensive Konzentration der gesamten Kräfte des Kindes und somit den Ansatz zu einer Konzentration seines ganzen Ichs, zu einer Ordnung seiner Persönlichkeit"

In mehreren Beispielen aus der Praxis zeigte die Kindergärtnerin und Montessori-Pädagogin auf, wie die Psychoanalytische Pädagogik und die Montessori-Pädagogik sich gegenseitig positiv ergänzen können. Sie analysierte beispielsweise das schwierige Verhalten Rudis, der mit viereinhalb Jahren in die Montessori-Abteilung eines städtischen Kindergartens von Wien kam, unter "überstarken Hemmungen" litt, sich u. a. übertrieben für Klosetts interessierte, und dessen familiäre Situation:

"Was das Milieu des Kindergartens betrifft, war es sicher von Vorteil, daß Rudi sich in einer Montessori-Abteilung aufhalten konnte. Von großer Bedeutung war die Möglichkeit der freien Beschäftigungswahl, sowie die Ausschaltung von persönlicher Kritik und Korrektur; überhaupt das Zurücktreten der direkten Beeinflußung durch den Erwachsenen zugunsten der Erziehung durch Dinge: durch das didaktische Material ebenso wie durch die übrige Umwelt, Montessoris Grundsätzen möglichst angeglichen" (Schmaus 1933, S. 132).

Rudi zeigte, wie seine Mutter Schmaus berichtete, eine heftige Abneigung gegen Spinat, Linsen und Eier. Obwohl er diese Lebensmittel stets erbrach, bestanden die Eltern immer wieder darauf, "daß er das esse - er müsse sich doch schließlich diesen Unsinn abgewöhnen" (ebd., S. 133). Die psychoanalytische Erklärung von Schmaus ging dahin, "daß diese unveränderliche Abneigung davon herrührt, daß der Anblick gewisser Speisen einen unbewußten Zusammenhang mit solchen Dingen herstellt, die das Kind bei der Erziehung zur Reinlichkeit verabscheuen lernen mußte. Wird es nun immer wieder doch zum Essen gezwungen, so kann man sich die Widersprüche in dem seelischen Ablauf wohl vorstellen. Die Mutter, die zuerst nichts davon wissen wollte, daß ihr Bub jemals onaniert habe, erzählte mir in einer späteren Unterredung, daß er im dritten Lebensjahre sogar sehr gern 'gespielt' habe. Man habe es ihm aber energisch und gründlich abgewöhnt" (ebd.). Rudis Kindergärtnerin vermutete, dass die Eltern ihren Jungen mit "dem Abschneiden" gedroht haben, eine Drohung, die damals weit verbreitet war. Diese Vermutung leitete Schmaus von der Faszination des Jungen für Klosetts ab. Es könnte aber auch sein, "daß er im Klosett onanierte oder es auch tun wollte und - des Verbotes eingedenk - sich dann schuldig fühlte und Angst bekam, es könnte es jemand gesehen haben, vielleicht der liebe Gott, der ja 'von oben' auf ihn schaut" (ebd.).

Margarte Schmaus war, neben Maria Josepha Retter (1900-1981) und Agnes Niegl (1913-2008), maßgebend daran beteiligt, dass Maria Montessori (1870-1952) 1951 in Innsbruck einen dreimonatigen „Kursus für Montessori-PädagogikMontessori-Pädagogik|||||Montessoripädagogik wurde von Maria Montessori ab 1907 als pädagogisches Bildungskonzept vom Kleinkind bis zum jungen Heranwachsenden entwickelt. Leitspruch der Pädagogik ist "Hilf mir es selbst zu tun" und arbeitet mit offenem Unterricht und freien Verfügungsphasen, in dem der Lehrende dazu angehalten ist die Lernprozesse angemessen anzuregen. “ genehmigte, der von Giuliana Sorge (1903-1987) konzipiert und geleitet wurde. Margarete Schmaus selbst führte die Kursteilnemer_innen in die praktische Handhabung der „Montessori-Materialien“ ein. An dem Kurs nahmen u. a. die Kindergärtnerin Mater Margarete Schörl (1912-1991) und der Lehrer Paul Scheid (1908-1991), erster Präsident der „Deutschen-Montessori-Gesellschaft“ (1952-1987) nach dem zweiten Weltkrieg, teil. Zwischenablage01Empfang von Maria Montossori (1) und Mario Montessori (2) (1898-1982) in Innsbruck, anlässlich des 1951 unter Mitwirkung und Unterstützung des „Bundesministeriums für Unterricht“ sowie der „Österreichischen Montessori-Gesellschaft“ geplanten dreimonatigen „Kursus für Montessori-Pädagogik“. Abgebildete Personen: Ministerialbeamtin Agnes Niegl (3), Kindergartendirektorin Margarete Schmaus (4), Universitätsrektor Richard Strohal (5) (1888-1976), Montessoripädagogin Giuliana Sorge (6), Montessoripädagogin Maria Josepha Retter (7) sowie Unterrichtsminister Ernst Kolb (8) (1912-1978). (Quelle: Teilnachlass von Agnes Niegl; archiviert im Ida-Seele-Archiv)


 

Das Raumteilverfahren

Kinder "erleben" den Raum, in dem sie sich aufhalten, spielen, toben, essen etc. Der Raum hinterlässt Spuren in ihnen, er ist ein (heimlicher) Miterzieher. Ausgehend von dieser Erkenntnis entwickelte Schmaus zusammen mit Schörl Ende der 1940er/Anfang der 1950er Jahre das Raumteilverfahren, da Kinder Räume im Raum brauchen. Das Raumteilverfahren teilt den Gesamtspielraum der Kindergartengruppe in mehrere kleinere Spiel-/Aktivitätsräume (z. B. Puppenstube, Bauplatz, Küche, Maltisch), äußerlich gesehen in Raumteile, und arbeitet nach zwei Prinzipien: dem der Freiheit und dem der Führung:

  • Freiheit liegt im Tun der Kinder, zu dem die Vorarbeit der Erziehenden hinführt: wenn möglich in der selbständigen Spielweise/-wahl durch die Kinder, in ihren spontanen Gesellungen zu kleineren Spielgesellungen, deren Mitgliederzahl nicht von vornherein starr festgelegt wurde, sowie in der gelegentliche Distanzierung zur Gesamtgruppe.
  • Führung liegt in den gegebenen Voraussetzungen des Raumteilverfahrens, in Arbeiten, welche die Erziehenden leisten müssen, ehe das Raumteilverfahren einsetzen kann. Dazu gehören die Unterweisung (bzw. Lektionen) der Kinder, die Bereitstellung, Vorbereitung und Pflege der Dinge und Gegenstände, mit denen die Kinder umgehen sollen.

Über die (sozial-)pädagogische Bedeutung des Raumteilverfahrens ist nachzulesen:

"Wesentlich am Raumteilverfahren ist vor allem, daß es vorwiegend das soziale Leben der Kinder beeinflußt: Es bedient sich sozialpädagogischer Lehrprozesse und fördert vorwiegend soziales Lernen der Kinder - und das innerhalb des Spielens, insbesonders fördert es die altersgemäße Gesellung der Kinder zu kleinen spontan sich bildenden Spielgruppen.

In solchen spontan zustandekommenden kleinen Spielgesellungen - zu zweit oder zu dritt, wie es dem Kindergartenalter entspricht -, lernen die Kinder, miteinander zu sprechen und zu spielen, miteinander friedlich auszukommen, sich einander unterzuordnen, aufeinander einzugehen - kurz: sie lernen Koordination und Kooperation, grundlegende soziokulturelle Leistungen" (Schmaus/Schörl 1978, S. 17). Letztlich ist das Raumteilverfahren ein "Weg zur Führung kleiner Kinder zu Mitmenschlichkeit - in den Grenzen kleinkindlicher Formen und Ausmaße und in der Spontaneität der Gesellung und des Spielens" (ebd.).

 

Das Spiel des Kindes

schmaus-kinderDas Spiel des Kindes (Quelle: Ida-Seele-Archiv, 89407 Dillingen a. d. Donau)Als psychoanalytisch orientierte Kindergärtnerin zollte Schmaus dem kindlichen Spiel große Aufmerksamkeit. Sie betrachtete diese Aktivität als des Kindes ureigene Mitarbeit an seinem Hineinwachsen in die Welt. Es "wächst und gedeiht durch das Spiel" (ebd., S. 146). Das Kindergartenkind drückt sich vordergründig und in erster Linie durch das Spiel aus, zumal ihm die Sprache nur begrenzt zur Verfügung steht. Demzufolge antwortet das Kind nicht in Worten, sondern mit und durch das Spiel. Die Sprache des kindlichen Spiels, die "vom Kleinkinde unbewußt und auch unbeabsichtigt gesprochen wird" (Schmaus/Schörl 1964, S. 112) muss der Erziehende verstehen und entschlüsseln können. So spielen Kinder z. B. ihre innere Bedrängnis in Form von aggressiven Spielen heraus, da sie ihren Kummer nicht in Worte fassen können. Aggressive Spiele müssen, trotz aller Schwierigkeiten, mit denen die Praxis in solchen Fällen zu kämpfen hat, als Spiele gesehen und akzeptiert werden:

"Als solche sagen sie etwas aus, lassen sie erkennen, warum ein Kind sich so verhält und vielleicht geben sie auch einen Fingerzeig, wie dem Kinde zu helfen sei. Gewiß ist diese Erkenntnis in keinem Falle einfach und schnell zu gewinnen, aber das ändert nichts an der unumgehbaren Verpflichtung, zu überlegen und Einsichten und Verständnis zu suchen, ehe man eingreift. Man muß zuerst wissen, was hinter einem aggressiven Spiel steckt, ehe man dem Kinde helfen kann. Eines ist immer zu beherzigen: Kein Kleinkind ist Böse nur um des Bösseins willen, das Böse ist immer etwas, das ihm aufgelastet wurde. Sein Schlimmsein ist nur ein Versuch, sich davon zu befreien. Wenn es also aggressive Spiele spielt, so sucht es, so anders es auch aussieht, Frieden - allerdings vergeblich, denn Friede kann nicht durch Unfriede gefunden werden" (ebd., S. 113).



Literatur

  • Berger, M.: Maragrete (Grete) Schmaus. Porträt aus der Serie "Pionierinnen der Kleinkinderpädagogik", in: Unsere Kinder 1997, S. 127-128
  • Schmaus, M.: Kind und Umwelt, in: Die Quelle 1931, S. 359-360
  • Dies.: Bravheit und neurotische Hemmung, in: Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik 1933, S. 129-139
  • Dies.: Maria Montessori, in: Erziehung und Unterricht 1952, S. 527-530
  • Dies.: Die Bildungsarbeit der Kindergärtnerin, München 1964
  • Schmaus, M./Schörl, M. M.: Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin, München 1964
  • Dies.: Sozialpädagogische Arbeit im Kindergarten, München 1978
  • Dies.: Erneuerung der Glaubenerziehung im Kindergarten, München 1978