Kita-Leitungskräfte: Was wir über sie wissen und was wir wissen wollen


Im Zuge der Aufwertung frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung haben die Anforderungen an frühpädagogische Fachkräfte größere Aufmerksamkeit erfahren und werden zunehmend zum Gegenstand von Forschungsvorhaben. Über Leitungskräfte in Kindertageseinrichtungen wissen wir allerdings noch sehr wenig. Dies liegt nicht zuletzt an der Vielfalt der Regelungen zum Leitungspersonal in den 16 Ländern und einer entsprechend unübersichtlichen Datenlage. Bundeseinheitliche Regelungen gibt es nicht, und auch innerhalb der Länder und zwischen den Trägern differieren die Aufgaben und die Arbeitsbedingungen der Leitungskräfte noch einmal erheblich.

Im Interview mit Karin Beher und Jens Lange, zwei WissenschaftlerInnen von der Technischen Universität Dortmund,  spricht Hilde von Balluseck von www.Erzieherin.de  über aktuelle Untersuchungsergebnisse rund um Kita-Leitungskräfte und ihre Arbeitsstrukturen.


 

  • Sie haben die Anzahl und Arbeitsbedingungen von Leitungskräften in Kitas untersucht. Wie viele Kita-Leitungskräfte in Deutschland gibt es und woher nehmen Sie diese Daten?


Jens Lange: Im März 2013 gab es insgesamt 45.101 Personen, die in Kitas offiziell mit Leitungsaufgaben betraut sind. Diese gut 45.000 Leitungstätigen die wir identifizieren konnten, sind all diejenigen Personen, für die angegeben wurde, dass ihnen offiziell Zeitressourcen für Leitungsaufgaben zur Verfügung stehen – sie also über eine, wenn auch zum großen Teil teilweise – Leitungsfreistellung verfügen. Über Personal, welches zwar Leitungsaufgaben ausübt, aber dafür keine Freistellung bekommt, können wir leider nichts sagen. Diese Daten entnehmen wir der jährlich erhobenen amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik.

  • Hat jede Kita eine Leitung?


Jens Lange: Ja und Nein. Zunächst: In jeder Kita gibt es Leitungsaufgaben, die in irgendeiner Form auch personell zugeordnet sind; insofern: Ja, jede Kita hat eine Leitung.

Aber: Ein Befund, der uns seit Jahren erstaunt, ist, dass es einen großen Anteil an Kitas gibt, in denen keine der Tätigen für Leitungsaufgaben frei gestellt ist. So wird für 2013 für jede fünfte Kita angegeben, dass es dort keine Person gibt, der offiziell Zeitressourcen für Leitungsaufgaben zur Verfügung stehen. Dieser Anteil der Kitas ohne offizielle Zeitressourcen für Leitungsaufgaben schwankt deutlich zwischen den Ländern. So stehen in Thüringen in annähernd allen Kitas solche Zeitressourcen zur Verfügung, während es in 38 % der bayerischen Kitas keine offizielle Leitungsfreistellung gibt.

Diese Unterschiede erklären sich jedoch nicht nur durch die Zugehörigkeit zu einem Bundesland. Vielmehr hat insbesondere die Größe der Einrichtung, aber auch die Trägerzugehörigkeit einen Einfluss auf die Frage, ob es in einer Einrichtung planmäßig Arbeitszeiten für Leitungsaufgaben gibt oder nicht. Wir vermuten, dass insbesondere in kleineren Einrichtungen Leitungsaufgaben zwar personell zugeordnet werden, diese Aufgaben wohl aber „nebenbei“ und ohne offizielle Zuordnung von Zeitressourcen erledigt werden müssen. Blickt man auf den Träger, so fällt auf, dass in Kitas in freier Trägerschaft etwas häufiger keine zeitlichen Leitungsressourcen vorhanden sind, als bei den Kitas in öffentlicher, z. B. kommunaler Trägerschaft. Unter den Kitas in freier Trägerschaft treten noch einmal die privat-gewerblichen hervor: Jede dritte privat-gewerbliche Kita verfügt nicht über Zeitressourcen für Leitungsaufgaben.

Da wir davon ausgehen, dass in jeder Kita Leitungsaufgaben anfallen und deshalb eine personelle Zuordnung dieser Aufgabe mit entsprechenden Zeitressourcen für dringend geboten halten, müssen die Ursachen für den Befund der zahlreichen Kitas ohne explizite Zeitressourcen für Leitungsaufgaben untersucht werden. Wir wissen bislang, dass sich einiges durch Landesrecht erklärt: Bayern und Bremen beispielsweise verzichten in ihrer Gesetzgebung darauf, die Leitungsfreistellung zu regeln. Im Ergebnis gibt es in beiden Ländern zahlreiche Kitas ohne Leitungsfreistellung. Anders in Thüringen: Hier wird ein bestimmter Leitungsanteil rechtlich zugemessen und auch finanziert. So erstaunt es nicht, dass es dort lediglich drei Kitas gibt, in denen es nicht zu einer Leitungsfreistellung kommt. Aber wir finden auch die umgekehrten Fälle: So wird in Mecklenburg-Vorpommern eine Leitungsfreistellung rechtlich nicht geregelt, gleichwohl gibt es dort vergleichsweise wenige Kitas ohne Leitungsressourcen. Wir müssen also noch weiter Ursachenforschung betreiben.

  •  Wie viele Leitungskräfte sind Frauen, wie viele Männer?


Karin Beher: Zunächst einmal ist das Berufsfeld der Kindertageseinrichtungen grundsätzlich eine nahezu männerfreie Domäne. Dies spiegelt sich auch in der Geschlechterverteilung des Leitungspersonals: Unter den 45.101 Leitungskräften sind im Jahr 2013 gerade einmal 1.961 Männer zu finden. Der Anteil männlicher Leitungskräfte (mit 4,3%) entspricht dabei weitgehend dem Männeranteil am Personal ohne Leitungsaufgaben (mit 4,6%). Das Arbeitsfeld Kita scheint somit – einer gängigen These folgend – aufgrund seines geringen Renommees und der niedrigen Entlohnung nicht allein im Hinblick auf die unmittelbare pädagogische Arbeit, sondern auch bezüglich der Leitungstätigkeit wenig ansprechend für Männer zu sein. Interessant sind die Ergebnisse der amtlichen Statistik aber, wenn die Daten nach Art der Freistellung und Alter der Leitungskräfte betrachtet werden: Eine Leitungstätigkeit scheint für Männer dann attraktiver, wenn sie hierfür vollständig statt nur anteilig freigestellt sind. Bezogen auf die Berufsbiographie münden Männer früher als Frauen in die Leitungsposition ein. Darüber hinaus steigt der Anteil der vollständig freigestellten männlichen Leitungskräfte in der familienrelevanten Phase zwischen der Alterskohorte der 25- bis unter 30-Jährigen und der Alterskohorte der 45- bis unter 50-Jährigen im Vergleich zur weiblichen Vergleichsgruppe überdurchschnittlich stark an. Und schließlich scheint die Verweildauer männlicher Leitungskräfte im Berufsfeld insbesondere dann, wenn sie vollständig freigestellt sind, höher als bei den Frauen zu sein. Zusammengenommen lässt sich festhalten, dass die hervorgehobene Stellung und der Statusgewinn als (freigestellte) Leitungskraft Männer mit langjähriger Berufserfahrung über den gesamten Berufsverlauf an das Arbeitsfeld Kita zu binden vermag.

  • Welche Kompetenzen brauchen Leitungskräfte, um ihrer Aufgabe gerecht werden zu können?


Karin Beher: Das erforderliche Kompetenzprofil der Leitungskräfte hängt von den formulierten Anforderungen und den hieraus abgeleiteten konkreten Aufgaben ab, die sie erfüllen sollen. Hierzu haben bereits 2003 Tietze, Viernickel u.a. in ihrem Kriterienkatalog zur pädagogischen Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder „Leitung“ als einen von 21 wechselseitig aufeinander bezogenen Qualitätsbereichen beschrieben und zugleich fachliche und persönlichkeitsbezogene Voraussetzungen aufgeführt. Weiterhin werden als wesentliche Aufgaben der Leitungskräfte von den Autoren folgende Aspekte benannt: die Gestaltung der Arbeitsstrukturen und der Arbeitsorganisation, Personalführung und -entwicklung, konzeptionelle Weiterentwicklung der Arbeit, Öffentlichkeitsarbeit und Einbeziehung externer Institutionen, fachpolitisches Engagement, Qualitätssicherung und -entwicklung sowie Finanzen und Betriebswirtschaft. Auch seitens der großen Trägerverbände wurden Leitlinien, Strategien und Verfahren zur Erfassung, Sicherung, Entwicklung und Zertifizierung von Qualität in Kindertageseinrichtungen entwickelt, in denen wie beim KTK-Gütesiegel des Deutschen Caritasverbandes oder im Bundes-Rahmenhandbuch evangelischer Kindertageseinrichtungen auch Leitung beschrieben wird.

Einen anderen Aspekt der Kompetenzfrage beleuchtet eine Studie der Weiterbildungsinitiative frühpädagogische Fachkräfte (WiFF). Dort wurden im Jahr 2010 gut 1.400 Leitungen dazu befragt, wie sicher sie sich bei der Bewältigung einzelner Aufgaben fühlen. Auf der Grundlage einer Bewertungsskala von 1=„sehr sicher“ bis 5=„sehr unsicher“ stellen sich die Befragten bei einem Mittelwert von 2,1 selbst ein gutes „Zeugnis“ aus. Am sichersten erleben sie sich bei der „pädagogischen Leitung“ sowie bei kooperativen Arbeitsbezügen mit Eltern, Trägern, Fachberatung und Team, d.h. Tätigkeiten mit direktem Organisationsbezug, die das Kerngeschäft der Kita betreffen. Weniger kompetent beschreiben sie sich bei Aufgaben wie „Qualitätssicherung und -entwicklung“, „betriebswirtschaftliche Leitung“, „Konfliktmanagement“, „Durchführung/Organisation von Familienbildungsangeboten“ sowie „Einwerbung von Projektmitteln/Sponsoring“ (vgl. Beher/Walter 2012). Diesen Selbsteinschätzungen der Leitungen steht eine schlechtere Fremdeinschätzung durch externe Fachberatungen gegenüber, wie eine zweite WiFF-Erhebung (N=659) zeigt. Die Fachberatungen bewerten die Leitungen im Mittel „nur“ mit einem Wert von 2,8 (vgl. Leygraf 2013). Ergänzend zur schriftlichen Leitungsbefragung wurde darüber hinaus eine qualitative Studie durchgeführt (bestehend aus 11 Interviews mit Leitungskräften und zwei Gruppendiskussionen mit Vertretern unterschiedlicher Akteursgruppen aus dem Arbeitsfeld). Dort wurde vor allem die große Bedeutung sozialer und personaler Kompetenzen für die Leitungstätigkeit unterstrichen.

  • Wer legt fest, über welche Kompetenzen Leitungskräfte verfügen müssten? Welchen Einfluss haben hierauf die Länder, welchen die Träger?


Karin Beher: Die Länder setzten in ihren Ausführungsgesetzen und Personalverordnungen den rechtlichen Rahmen. Neben den zeitlichen Ressourcen definieren sie das Leitungsprofil hauptsächlich über die Qualifikationsvoraussetzungen für die Übernahme einer Leitungsposition. Bei der konzeptionell-inhaltlichen Ausgestaltung des Aufgabenprofils von Leitungskräften bestehen in der Mehrheit der Länder große Regelungsdefizite. So werden die Aufgaben der Leitungskräfte lediglich in den Regelungen von fünf Ländern grob beschrieben. Hierdurch eröffnen sich in der Praxis große Spielräume für die Ausgestaltung des Aufgaben- und Tätigkeitsprofils durch die Anstellungsträger. Diese stellen in sich bereits ein außerordentlich heterogenes Spektrum dar, das von der Kirchengemeinde bis hin zu den großen Eigenbetrieben der Städte und den neueren Trägerzusammenschlüssen reicht. Dementsprechend vielfältig sind auch das Anforderungsprofil und die Leitungsstrukturen. Nicht zu vergessen ist darüber hinaus die einzelne Kita-Leiterin, die spezifische Voraussetzungen und Vorstellungen über die erforderlichen Kompetenzen sowie eigene Zielvorstellungen und Handlungsspielräume zur Ausgestaltung der Leitungsrolle hat. Mit diesen bewegt sie sich allerdings nicht im „luftleeren Raum“, sondern im Spannungsfeld zwischen den divergierenden Erwartungen der Kinder und ihrer Eltern, der Mitarbeiterinnen und des Teams, den Interessen der Träger und – sofern vorhanden – den Ansprüchen der Fachberatung.

  • Wie können sich ErzieherInnen, die eine Leitungsaufgabe übertragen bekommen, darauf vorbereiten?


Karin Beher: Neben den an Fachschulen und Hochschulen erworbenen Berufsabschlüssen und dem Erwerb beruflicher Erfahrungen spielen die sogenannten „Leitungsqualifizierungen“ bei der Vorbereitung auf die Führungsposition eine große Rolle. Dies verdeutlichen die Ergebnisse der WiFF-Leitungskräftebefragungen. So haben im Spiegel der quantitativen Erhebung rund 69 % der befragten Leitungskräfte (n=1.417) eine derartige Weiterbildung durchlaufen. Von den Leitungskräften, die an der Leitungsqualifizierung teilgenommen haben, bewerten mehr als die Hälfte (57 %), diese im Rückblick als „sehr hilfreich“ und weitere 29 % als „hilfreich“ für ihre Tätigkeit als Einrichtungsleitung. Kritischer äußert sich lediglich eine kleine Gruppe der Einrichtungsleitungen (rund 13 %), die die Berufsrelevanz der Weiterbildung mit „teils hilfreich, teils weniger hilfreich“ beschreiben sowie 1,5 % der Befragten, die den Nutzen der Leitungsfortbildung als „weniger“ und „überhaupt nicht hilfreich“ einstufen. Als unterstützend für den Einstieg und die Tätigkeit als Leitung beschreiben die Leitungskräfte in den Interviews die vermittelten Inhalte und das erworbene methodisch-praktische Repertoire ebenso wie Möglichkeiten der Selbst- und Praxisreflexion, des Erfahrungsaustauschs mit anderen Leitungskräften sowie die Schaffung von Netzwerken, die sich teilweise auch nach Beendigung der Qualifizierung noch als tragfähig erwiesen haben.

  • Gibt es Anhaltspunkte, dass akademisch ausgebildete Fachkräfte von vorne herein eher für eine Leitungsaufgabe geeignet sind?


Jens Lange: Dies lässt sich letztlich als Frage danach verstehen, ob eine akademisch ausgebildete Leitung die Qualität der Kindertageseinrichtung positiv beeinflusst. Zunächst bleibt festzuhalten, dass bei der Diskussion um die Akademisierung des Arbeitsfeldes Kita insbesondere die Leitungskräfte im Fokus sind. Anlass ist nicht zuletzt das sich wandelnde Aufgabenprofil der Leitungskräfte, welches sich durch die Weiterentwicklung von Kindertageseinrichtungen in den letzten Jahren ergibt. Bislang ist die Studienlage jedoch nicht sehr befriedigend. So musste noch 2012 der Aktionsrat Bildung in seinem Gutachten zur Professionalisierung der Frühpädagogik auf Studien aus dem angloamerikanischen Raum zurückgreifen, um aus diesen Hinweise auf den positiven Einfluss eines akademischen Hochschulabschlusses der Leitungen auf die Förderqualität in Kitas zu gewinnen. Jüngst beschäftigen sich aber einige Studien in Deutschland – beispielsweise aus der AWiff-Förderlinie – mit der Frage des positiven Einflusses eines hohen Qualifikationsniveaus auf die Qualität, hier darf man auf die abschließenden Befunde gespannt sein.

Mit Blick auf die uns zur Verfügung stehenden Daten können wir immerhin einen Eindruck darüber gewinnen, wer als Leitungskraft tätig ist. Unter dem Strich gilt, dass Kita-Leitungen über ein höheres Qualifikationsniveau verfügen als die Tätigen in anderer Kita-Arbeitsbereichen; vergleicht man jedoch das Qualifikationsniveau der Kita-Leitungen mit Leitungskräften in vergleichbaren Einrichtungen wie Grundschulen oder anderen Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, so verfügen die Kita-Leitungen wiederum über ein durchschnittlich eher schlechteres Qualifikationsniveau.

Man darf jedoch nicht die Entwicklung im Feld aus dem Auge verlieren. Mit der Einführung der frühpädagogischen Studiengänge wird ja oft die Hoffnung verbunden, dass die Absolventinnen sich gut im Arbeitsfeld platzieren. Die Daten geben Hinweise, dass diese Hoffnung nicht unberechtigt ist: Wir können noch nicht viel zum Verbleib der Absolventinnen der neuen Studiengänge sagen, jedoch sehen wir, dass Akademikerinnen bessere Chancen auf eine Leitungsposition in der Kita haben als beispielsweise Fachschulabsolventinnen: Rund 29 % aller in Kitas tätigen Akademikerinnen sind entweder ganz oder zu einem Teil ihrer Arbeitszeit für Leitungsaufgaben freigestellt, bei den Tätigen mit einem niedrigeren Qualifikationsabschluss liegt dieser Anteil bei lediglich 9 %.

Schaut man noch einmal umgekehrt und fragt, über welchen Qualifikationsabschluss die Leitungskräfte verfügen, schärft sich dieses Bild gerade mit Blick auf das jüngere Personal: Von den unter 35-jährigen Leitungskräften hat ein Anteil von 23 % einen Hochschulabschluss, in Ostdeutschland sind sogar über die Hälfte der jungen Führungskräfte Akademikerinnen. Insgesamt – also mit Blick auf alle Leitungstätigen – verfügen indes nur 15 % der Leitungskräfte über ein Hochschulstudium.

Spitzt man jedoch die Frage darauf zu, wen ein Träger bevorzugen würde: Eine junge gut ausgebildete Akademikerin oder eine Fachschulabsolventin mit vielen Jahren Berufserfahrung, dann ist derzeit vermutlich in der Summe noch die Berufserfahrung entscheidender. Dies zeigt sich mit Blick auf das Alter der Leitungskräfte: Diese sind durchschnittlich deutlich älter (gut 48 Jahre) als das übrige pädagogische Personal (39,5 Jahre) in Kitas und verfügen somit voraussichtlich über deutlich mehr Berufserfahrung.

  • Wie viele Fachkräfte erhalten eine partielle Freistellung für die Leitungsaufga-ben, wie viele Leitungskräfte sind ganz von anderen Aufgaben freigestellt?


Jens Lange: Die Mehrzahl der Leitungstätigen ist nur zu einem Teil ihrer Arbeitszeit für Leitungsaufgaben frei gestellt: Insgesamt 57 % der gut 45.000 Leitungskräfte haben neben den Leitungsaufgaben noch andere Aufgaben zu erfüllen. Mithin sind es nur 43 % der Leitungskräfte die sich voll auf ihre Leitungsaufgaben konzentrieren können. Der Anteil der Leitungskräfte, die nur teilweise freigestellt sind, schwankt zwischen den 16 Ländern ganz erheblich: In Bayern müssen im Jahr 2013 immerhin fast 85 % der Leitungskräfte noch andere Aufgaben erledigen, in Hamburg liegt dieser Anteil mit fast 18 % deutlich niedriger.

Karin Beher: Welche Tätigkeiten jene Leitungskräfte mit anderen Aufgaben ausüben, vermittelt ebenfalls die Kinder- und Jugendhilfestatistik. Am häufigsten handelt es sich (mit 34 %) um die Kombination zwischen „Einrichtungsleitung und Gruppenleitung“. Mit rund 16 % und gut 6% folgen die Aufgabenprofile „Leitung und gruppenübergreifende Tätigkeit“ sowie „Leitung und Zweit-/Ergänzungskraft“. Einen relativ kleinen Anteil hat Leitung in Kombination mit „Förderung der Kinder nach SGB VIII/XII“. Im Osten ist die Kombination mit gruppenübergreifender Tätigkeit und im Westen die mit Gruppenleitung häufig.

  • Wovon hängt es ab, in welchem Maße sich Leitungskräfte den Leitungsaufgaben zuwenden können?


Jens Lange: Bei dieser Frage ist es wichtig, sich insbesondere die Situation der nur teilweise freigestellten Leitungskräfte zu vergegenwärtigen, um sich vor Augen zu führen, welche Probleme sich daraus für die Erfüllung von Leitungsaufgaben ergeben können. Wir wissen aus einzelnen Studien, dass gerade eine nur teilweise Freistellung zu deutlichen Belastungen führt. Dies ergibt sich mindestens aus der Doppelrolle, welche ein hohes Maß an Organisations- und Zeitmanagement erfordert und dem Stellenwert, den jede einzelne Leitungskraft den Leitungsaufgaben zumisst. Die Problematik der Doppelrolle liegt auf der Hand: Im Gruppendienst arbeiten die Leitungskräfte unter den gleichen Bedingungen wie alle anderen Fachkräfte, als Leitungskraft stehen sie sodann vor der Aufgabe, eben die Defizite ausgleichen zu müssen, denen sie zuvor noch selbst ausgesetzt waren. Die Frage des Stellenwertes, der den Leitungsaufgaben zugeordnet wird, wird insbesondere dann virulent, wenn die Fachkräfte laut Arbeitsvertrag weniger Zeitressourcen für Leitungsaufgaben haben als in ihren anderen Arbeitsbereichen. Laut Statistik stehen im Jahr 2013 gut Dreiviertel aller teilweise freigestellten Leitungskräfte maximal die Hälfte ihrer Arbeitszeit für die Erledigung von Leitungsaufgaben zur Verfügung. Für die teilweise freigestellten Leitungskräfte ist es also der Normalfall, dass sie – zumindest zeitlich gesehen – ihre Leitungsaufgaben nachrangig erfüllen müssen.

Zudem gibt es noch einen weiteren Aspekte, welcher die volle Konzentration auf die Leitungsaufgaben zumindest nicht erleichtert: Wir wissen aus einer Studie von Tietze u. a., welche auf die Situation in Sachsen eingeht, dass 22 % der für Leitungsaufgaben zur Verfügung stehenden Zeitressourcen wiederum für Springerdienste verwendet werden müssen. Dies bedeutet, dass auch wenn man für Leitungsaufgaben frei gestellt ist, ein größerer Teil dieser freigestellten Arbeitszeit wiederum für gruppenpädagogische Arbeiten verwendet werden muss.

  • Unter welchen Bedingungen sollte eine Leitung vom Gruppendienst völlig freigestellt sein?


Karin Beher: Die Grenze, ab der eine Leitung vollständig vom Gruppendienst freigestellt werden sollte, lässt sich nur schwer bestimmen. Die Einrichtungsgröße bildet dabei nur einen Faktor, da die Organisations-, Verwaltungs- und Personalaufgaben nicht proportional mit der Kinder- und Mitarbeiterzahl steigen. Weitere zu berücksichtigende Faktoren sind etwa das Einrichtungskonzept, der Sozialraum, der Aufgaben- und Zuständigkeitszuschnitt zwischen Träger und Einrichtungsleitung oder auch das Profil der Fachberatung.

  • Angesichts der Unterschiedlichkeit der „Freistellung“ von Kita-Leitungskräften ist die Frage, ob der Begriff überhaupt sinnvoll ist?


Karin Beher: Der Begriff „Freistellung“ ist mittlerweile überholt. Er geht von der Figur der kleinen Kindertageseinrichtung aus, zum Beispiel in Gestalt des ein- oder zweigruppigen Kindergartens. Dort wird das Tätigkeitsprofil in hohem Maße durch die gruppenpädagogische Arbeit geprägt, während der Organisations- und Verwaltungsaufwand relativ gering ist. Aus dieser Perspektive erscheint „Leitung“ als Tätigkeit, die neben der eigentlichen, direkten sozialpädagogischen Arbeit mit Kindern und Eltern eher nebenbei und mit geringem Ressourceneinsatz ausgeübt wird. In den letzten beiden Jahrzehnten lässt sich die institutionelle Bildung, Betreuung und Erziehung jedoch als ein sich ausdifferenzierendes System im Wandel beschreiben. Auf der Ebene der Einrichtungen hat dies eine wachsende Binnendifferenzierung und komplexere Organisations- und Steuerungsanforderungen zur Folge. Deshalb kristallisieren sich zunehmend auch „Leitung und Management“ als eigenständiger Arbeits- und Verantwortungsbereich mit spezifischen Kompetenzzuschnitt heraus. Dieser Entwicklung wird der Freistellungsbegriff nicht mehr gerecht.

  • Gibt es außer der Freistellung weitere Unterschiede zwischen den Bundesländern in der Bedeutung, die sie den Leitungsaufgaben zumessen?


Jens Lange: Hier hat uns besonders ein weiterer Aspekt erstaunt: Zwischen den Ländern schwankt nicht nur der Anteil der Kitas, in denen es überhaupt nicht zu Leitungsfreistellungen kommt, sondern auch der Umfang, in dem Leitungskräfte für Leitungsaufgaben freigestellt werden. Länderunterschiede zeigen sich also nicht nur bei der Frage, ob es überhaupt zu einer Leitungsfreistellung kommt, sondern auch daran, in welchem zeitlichen Umfang das Leitungspersonal für Leitungsaufgaben freigestellt wird.

Um den Freistellungsumfang vergleichend analysieren zu können, haben wir für jede Kita in denen es eine Leitungsfreistellung gibt, die Gesamtzahl der frei gestellten Leitungsstunden gleichmäßig auf alle Fachkräfte in der Kita verteilt. Im Ergebnis sehen wir, dass in jeder Kita jede Pädagogin wöchentlich 2,2 Leitungsstunden „zur Verfügung stehen“. Diese Leitungsstunden pro Pädagogin schwanken jedoch stark zwischen den Ländern: Während in Bayern und Sachsen-Anhalt gerade einmal 1,3 Stunden pro Fachkraft für Leitungsaufgaben verfügbar sind, sind es in Hamburg mit 3,3 Stunden mehr als das 2,5-fache an Leitungsressourcen. Was uns bislang fehlt, ist eine Einordnung solcher Daten. Wir wissen jedoch aus Berichten aus der Praxis, dass selbst die in Hamburg durchschnittlich zur Verfügung stehenden 3,3 Stunden oftmals nicht ausreichen für die Erledigung der Leitungsaufgaben.

  • Welche Bedingungen müssen neben der ausreichenden Freistellung gegeben sein, damit eine Leitungskraft ihrer Aufgabe gerecht werden kann?


Jens Lange: Die letzte Frage hat im Hinblick auf die Weiterentwicklung von Leitung ein wesentliches Dilemma deutlich gemacht, das über die erforderlichen Ressourcen hinausgeht: Es fehlt bislang ein Wissen darüber, welche Aufgaben Leitungskräfte zu erfüllen haben. Die Länder stehen mithin vor der Herausforderung, dass ihnen Orientierungsmaßstäbe fehlen, wenn sie ihre Steuerungsverantwortung wahrnehmen und Regelungen erlassen, in welchem Umfang Leitungsressourcen frei zu stellen sind. Es gibt kein gesichertes Wissen über die tatsächlich anfallenden Leitungsaufgaben, mithin fehlt das rechte Maß dafür, wie viel Zeitressourcen für diese Aufgaben zur Verfügung stehen sollten. Geradezu verständlich ist es deshalb, wie Karin Beher bereits erwähnte, dass mit insgesamt 11 Ländern die Mehrzahl darauf verzichtet, Leitungsaufgaben landeseinheitlich zu definieren.

Karin Beher: Auch auf Ebene der Organisation sollte Leitung nicht dem Zufall überlassen bleiben. Hier gilt es die jeweiligen Anforderungen und zu erfüllenden Leitungsaufgaben zu definieren, innerhalb der Organisationshierarchie personell zuzuordnen, kompetent auszufüllen und mit den entsprechenden Ressourcen auszustatten, wie es der Kollege Merchel 2010 herausgearbeitet hat. Und schließlich sollte auch die einzelne Leitungskraft über fundierte Leitungskompetenzen verfügen, deren Grundlagen in Ausbildung, Studium und Weiterbildung angelegt und im Rahmen betrieblicher Weiterbildung kontinuierlich aktualisiert und erweitert werden müssen. Der Qualifizierungsprozess erfordert nicht allein genügend Zeit und Geld, die seitens der Träger für Weiterbildung zur Verfügung gestellt werden müssen. Notwendig ist auch Forschung, in der aufgezeigt wird, wodurch sich professionelles Leitungshandeln auszeichnet und welche Bedingungen dieses konkret ermöglichen.

  • Falls sich beim Leser noch weiterer Informationsbedarf ergibt, haben Sie Hinweise, wo man sich weitergehend informieren kann?


Jens Lange: Die verwendete Literatur haben wir unten zusammengestellt. Viele der Befunde, auf die ich verwiesen habe, sind online abrufbar auf der Homepage des Ländermonitors Frühkindliche Bildungssysteme (www.laendermonitor.de). Auf dieser Seite präsentiert die Bertelsmann Stiftung aktuelle ländervergleichende Daten aus der amtlichen Kinder- und Jugendhilfestatistik zur frühkindlichen Bildung, die wir gemeinsam mit der Stiftung zu Indikatoren verdichtet haben. Ergänzend führt die Stiftung jährlich eine Befragung der Länderministerien durch, deren Ergebnisse ebenfalls auf der Seite präsentiert werden, die Befragung im Jahre 2012 hatte dabei Regelungen zum Leitungspersonal im Zentrum. Die Befunde können detailliert auch im „Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2013“ nachgelesen werden.

Karin Beher: Neben den angeführten Studien, die in der WiFFWiFF|||||WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts e.V. Die drei Partner setzen sich dafür ein, im frühpädagogischen Weiterbildungssystem in Deutschland mehr Transparenz herzustellen, die Qualität der Angebote zu sichern und anschlussfähige Bildungswege zu fördern. mit dem Fokus Leitungskräfte durchgeführt wurden, setzt sich WiFF zur Zeit auch mit dem Thema „Leitung & Management“ intensiv auseinander. Zusammen mit Expertinnen und Experten aus Praxis, Wissenschaft und Politik entwickelt WiFF einen Wegweiser Weiterbildung, in dem danach gefragt wird, welche typischen Anforderungen Kita-Leitungen zu bewältigen haben und wie Weiterbildungen für diese Gruppe kompetenzorientiert gestaltet und umgesetzt werden können. Der Wegweiser kann ab Herbst 2014 kostenfrei als PDF herunterladen oder online bestellt werden (http://www.weiterbildungsinitiative.de/publikationen/). Die WiFF ist ein Projekt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Robert Bosch Stiftung und des Deutschen Jugendinstituts.

Die Fragen stellte Hilde von Balluseck. Das Interview wurde mit freundlicher Genehmigung von www.erzieherin.de übernommen



Verwendete Literatur:

  • Beher, K./Walter, M.: Qualifikationen und Weiterbildung frühpädagogischer Fachkräfte. München 2012
  • Bock-Famulla, K./Lange, J.: Länderreport Frühkindliche Bildungssysteme 2013. Transparenz schaffen – Governance stärken. Gütersloh 2013
  • Leygraf, J.: Fachberatung in Deutschland. München 2013
  • Merchel, J.: Leiten in Einrichtungen der Sozialen Arbeit. München u.a. 2010
  • Fthenakis, W. E. u.a. (Hrsg.): Träger zeigen Profil. Qualitätshandbuch für Träger von Kindertageseinrichtungen. Weinheim u.a. 2003
  • Sächsisches Staatsministerium für Soziales (Hrsg.): Evaluierung der Personalausstattung in Kindertageseinrichtungen sowie Struktur und Angebote der Fachberatung für Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege in Sachsen, Dresden, 2008 (Autoren/-innen: Tietze, Wolfgang/Grenner, Katja/Gralla-Hoffmann, Katrin/Dabrowski, Maciej)
  • Tietze, W./Viernickel, S. (Hrsg.): Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog. Weinheim u.a. 2003




Unsere Interviewpartner/-in:


Karin Beher, Diplom-Sozialwissenschaftlerin im Forschungsverbund DJI/TU Dortmund der Fakultät Erziehungswissenschaft und Soziologie der TU Dortmund. Ausgewählte Forschungsschwerpunkte: Ausbildung und Personal in der Kinder- und Jugendhilfe, Tageseinrichtungen für Kinder, gemeinwohlorientiertes Engagement. Aktuelles Projekt: Weiterbil-dungsinitiative frühpädagogische Fachkräfte.


Jens Lange, Diplom-Pädagoge. Forscht seit 2006 ebenfalls am Forschungsverbund DJI/TU Dortmund. Mitarbeit an zahlreichen Projekten zur Kindertagesbetreuung wie dem „DJI-Zahlenspiegel Kindertagesbetreuung“, der „Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik“, dem nationalen Bildungsbericht. Aktuell in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung tätig im Projekt „Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme“. Themenschwerpunkte: Steuerung frühkindlicher Bildungssysteme, Sozialberichterstattung, Indikatorenforschung, Kinder- und Jugendhilfestatistik.




Zum Weiterlesen:

KiTa-Leitung: Was muss ich können?

  



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