Schörl-/ Schmaus Pädagogik

Ausgewählte Aspekte

Inhaltsverzeichnis

  1. Raumteilverfahren
  2. Nachgehende Führung
  3. Spiel und Gestalten als Herzstück und Königsweg
  4. Gruppenstrukturierung und Gruppenstärke
  5. Tagesablauf
  6. Glaubenserziehung
  7. Kritik
  8. Fazit
  9. Literatur

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"Die wichtigste Frage, die die Erzieherin sich immer wieder stellen muß:
‚Kind, wie geht es dir in deiner jetzigen Situation?'"

Vieles, was in der heutigen institutionellen Kindertagesbetreuung selbstverständlich ist, findet sich schon in der sogenannten „Schörlpädagogik“. Dieser eigenständige frühpädagogische Erziehungsansatz wurde nach 1945 von Mater Margarete Schörl (1912-1991), Ordensschwester der „Englischen Fräulein“ (seit 2004 „Congregatio Jesu“), in enger Zusammenarbeit mit Margarete Schmaus (1903-1988) entwickelt. Genannte Frauen waren ausgebildete Kindergärtnerinnen sowie Montessoripädagoginnen. Sie leiteten u.a. viele Jahre einen Kindergarten (Kita)1): Mater Schörl in Krems und Margarete Schmaus in Wien. Demzufolge basiert die Schörlpädagogik überwiegend auf Erfahrungen aus der „gelebten Praxis“, in Verbindung mit den damaligen neuesten wissenschaftlichen Ergebnissen aus der Entwicklungs-, Lern- und Tiefenpsychologie, Gruppenpädagogik, Verhaltensforschung etc. Die Pädagoginnen waren davon überzeugt, dass eine professionelle Kleinkindererziehung nur auf der Grundlage von christlichen Grundwerten verantwortet werden kann. Die Achtung vor dem Menschen und seiner Einmaligkeit, das Verständnis von Freiheit und Würde als Fundament des Christentums, kennzeichnet die Schörlpädagogik. Schörl und Schmaus waren in religiöser Hinsicht undogmatischdogmatisch|||||Unter einem Dogma versteht man eine (Lehr-)Meinung, die als unumstößlich oder unveränderbar gilt, und dessen Wahrheitsanspruche als gegeben gesehen wird. Dieser Begriff wurde oftmals in der christlichen Theologie verwendet.

, aber sie haben sich immer wieder unmissverständlich und deutlich zu ihrem christlichen Glauben bekannt.

schörl schmaus
Links: Mater Margarete Schörl (1912-1991). Rechts: Margarete Schmaus (1903-1988) (Quelle: Familienarchiv Hörmann/Ida-Seele-Archiv)
Da von den beiden Frauen nur Mater Schörl unzählige Fortbildungskurse im deutschsprachigen Raum durchgeführt2) hat und auf diese Weise die von ihr und Margarete Schmaus erarbeitete Kindergartenpädagogik verbreitete, kristallisierte sich im Laufe der Zeit immer mehr die Wortschöpfung Schörlpädagogik heraus. Die Ordensfrau selbst war entschieden dagegen, ihre pädagogischen Erkenntnisse in irgendein „pädagogisches System oder Konzept“ zu pressen, da ein solches „und sei es noch so gut“ in eine Erstarrungsform gerät und „damit in Widerspruch zu sich selbst und seinem Schöpfer... Die Pädagogik soll Dienst am Leben sein. Das Leben aber fließt, unentwegt verändert es sich, und damit ändern sich auch die pädagogischen Bedürfnisse und Notwendigkeiten, aber auch die pädagogischen Möglichkeiten“ (Schörl 1956, S. 214).

Mitmenschlichkeit und Vorbild

Oberstes Ziel der Schörlpädagogik ist die „Führung der Kinder zu Mitmenschlichkeit“ (Schmaus/Schörl 1978, S. 9). Demzufolge hat der Kindergarten (bzw. die Kita) das Bedürfnis des Kindes nach Führung und Freiheit, nach Geborgenheit und Schutz zu erfüllen – die Fundamente der Mitmenschlichkeit schlechthin:

„Das Kind braucht Geborgenheit und Schutz, also Freisein von Angst und Gewalt, um selber Vertrauen und Liebe... entwickeln zu können.
Es braucht Führung, die es ohne Gewalt weist und lehrt.
Es braucht Freiheit, um lernen und in die offene Welt ausgreifen zu können“ (ebd., S. 10).

Des Weiteren kann Erziehung zur Mitmenschlichkeit nur gelingen, wenn das Bedürfnis des Kindergartenkindes nach Beziehung und Bindung erfüllt wird. Positive Beziehungs- und Bindungserfahrungen sind für die soziale, geistige, emotionale sowie kreative Entwicklung, als auch für das körperliche und seelische Wohlbefinden (lebens-)notwendig. Weitere, eigentlich selbstverständliche Entwicklungs- und Erziehungsaufgaben kommen hinzu, nämlich das Kind entsprechend seinen Begabungen und Kompetenzen sowie seinem seelischen, geistigen und körperlichen Wachstum optimal zu fördern, zu begleiten und zu unterstützen, ferner seine Wahrnehmungsebenen zu erschließen, zu entwickeln und zu stärken. Dabei geht die Schörlpädagogik davon aus, dass Kinder eigenständiger und in ihrem Verhalten planvoller, strukturierter, normorientierter und selbstaktiver sind, als manche Erwachsene annehmen. Das heißt letztlich für den Erziehungsprozess: Möglichst viel Anregung für die Kinder bieten, möglichst große Eigenaktivität der Kinder zulassen und nur wo nötig seitens der ErzieherInnen eingreifen.

Am Anfang jeder Erziehungsarbeit steht das Annehmen des Kindergartenkindes, so wie es ist, mit seinen Stärken, mit seinen Fehlern und Schwächen. Da jedes Kind ein Individuum ist und keines dem anderen gleicht, bedeutet dies für den Kindergarten, dass er jedem Kind einen ihm entsprechenden Entfaltungsraum bieten muss. In diesem Zusammenhang ist die bisherige Entwicklung des Kindes sowie seine besondere Lernfähigkeit und Bildsamkeit zu berücksichtigen. Ferner ist darauf zu achten, welche Spiel- /Aktivitätsangebote im Kindergarten zur Verfügung stehen und wie die Räume ausgestaltet sind.

Da Kindergartenkinder nicht Grundsätzen nachleben können, sondern nur Menschen und weil sie nichts so stark formt wie das Sein und Tun der Erwachsenen, weist die Schörlpädagogik verstärkt auf die Bedeutung der Vorbildfunktion der in den vorschulischen Einrichtungen tätigen Erwachsenen hin. Ihrem Vorbild kommt größte Bedeutung für das imitatorisch-identifikatorische Lernen des Kleinkindes zu. Dazu äußern sich Schörl/Schmaus wie folgt:

„Auch das Drei-, Vier-, Fünf- und Sechsjährige lernt mehr und eindringlicher, ohne in bewußtem Abstand von seinem Vorbild zu stehen. Gerade dies ist von größter Wichtigkeit, denn dies zeigt, daß ein Kleinkind sich seinem Vorbild nicht entziehen kann... [Das Kind; M. B.] erwirbt ja sein Welt- und sein Menschenbild noch ohne Reflexion, eben nur aufgrund des identifikatorischen Lernens. Noch wirkt der Erzieher beispielhaft, sei dieses Beispiel gut oder schlecht... Was er den Kindern vor-lebt, werden sie ihm nachzuleben versuchen; im Kindergartenalter besteht noch viel Empfänglichkeit dafür. Die Unterweisungen im Umgang mit Menschen und Dingen beruhen als Lehrform ganz auf der Wirkung des vor-bildhaften Tuns des Erziehers; ebenso sein ganzes weiteres Verhalten, besonders aber sein Verhalten als Mitmensch. Das Kleinkind ist in seiner Beziehung zu Mitmenschen, aber auch Tieren und Pflanzen und nicht zuletzt zu den Dingen, mit denen es umgeht, ungemein stark vom Vorbild seiner Erzieher abhängig“ (ebd., S. 69 ff.).
 
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Zu Besuch auf einem Bauernhof bei Krems (Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Darum werden als Ergänzung zur Bildungsarbeit im Kindergarten sog. "Beobachtungsgänge" mit den Kindern "ins Freie, in die Natur oder in die Gemeinde/Stadt" (Berger 2019, S. 43) unternommen, bspw. auf einen Bauernhof. Dort erleben die Kinder vor Ort das vor-bildhafte Wirken und Verhalten des Landwirts gegenüber seinen Tieren, welche Nahrung sie erhalten, wie sie zu versorgen sind, unter welchen Krankheiten sie leiden und dementsprechend gepflegt und gehegt werden müssen u.v.a. m. Nachfolgend sollte man den Kinden genügend Zeit zur Verarbeitung der Eindrücke einräumen. Wenn sie nicht sofort über das Erlebte sprechen wollen, "so wäre es falsch, ein Gespräch darüber zu forcieren... Es ist besser, die Äußerungen der Kinder abzuwarten, und sollte dies auch einige Zeit brauchen" (Schmaus 1964, S. 15). Es bedarf auch nicht unbedingt einer zeichnerischen oder anderen Darstellung der Eindrücke, "und wenn doch, dann jedenfalls nicht sofort... [Das; M. B.] Abfordern einer Wiedergabe sofort nach Empfang von Eindrücken [ist; M. B.] falsch, weil es keine Zeit zur Verarbeitung läßt und somit den geistigen Prozeß stört" (ebd.).