Perspektiven der Sprachförderung

Prof. Dr. Katja Koch im Interview



Die Sprachförderung steht in der bildungspolitischen Debatte wie auch in der elementarpädagogischen Praxis ganz weit oben. Zu Recht?



Ja, denn wir wissen mittlerweile ganz gut, dass die Beherrschung der Bildungssprache Deutsch eine wichtige Voraussetzung für den Schulerfolg darstellt. Insofern ist es bildungspolitisch notwendig, die sprachlichen Kompetenzen von Kindern, und insbesondere auch von Kindern mit einer anderen Herkunftssprache bereits im Kindergarten systematisch zu fördern. Noch nicht ganz geklärt ist die Frage, welcher Weg der Förderung dabei der erfolgreichste ist.



Grundsätzlich können ja zwei Bereiche bzw. Ansätze der Sprachförderung unterschieden werden: Auf der einen Seite steht die fast undurchschaubare Vielzahl dezidierter Sprachförderprogramme, die in der Regel durch externe Fachkräfte durchgeführt werden. Deren Effektivität wird in jüngster Zeit durch die wenigen vorhandenen Evaluationen allerdings in Frage gestellt. Ist hier jahrelang ohne System viel Aufwand für wenig Ertrag getrieben worden?

Mhm, die Frage ist nicht ganz leicht zu beantworten. Die bisherigen Forschungen zur Sprachförderung im Elementar- und Primarbereich deuten schon daraufhin, dass rein additive, das heißt von externen Fachkräften durchgeführte Sprachförderprogramme nicht die erhoffte Wirkung bei den geförderten Kindern erzielen. Das kann nun an den Förderprogrammen an sich liegen, die nur einige wenige sprachliche Teilleistungen fördern, es spricht aber vieles dafür, dass es eher die Art der Durchführung ist, die nicht stimmt. Die oftmals gewählte Form der externen Sprachförderkraft, die von außen in den Kindergarten kommt, meist  nur für wenige Stunden in der Woche und die sich dann einige Kinder „herauspickt“, um diese dann kurzfristig zu fördern, ist m.E. nach ineffektiv. Dies bedeutet aber nicht, dass eine systematische Förderung der Kinder z.B. mit einem Sprachförderprogramm an sich nichts bringt. Unsere Forschungen deuten daraufhin, dass vor allem Kinder mit einer anderen Herkunftssprache schon von diesen systematischen Sprachfördereinheiten profitieren, aber nur dann, wenn ihnen ein entsprechend gutes Angebot gemacht wird. Also wenn Erzieherinnen da sind, die ihr Sprachverhalten auf die sprachliche Kompetenz der Kinder abstimmen. Wir erleben häufig, dass in den Förderstunden einfach ein Programm abgearbeitete wird, unabhängig davon, was die Kinder sprachlich schon können. 


Auf der anderen Seite steht eine alltagsorientierte Sprachförderung, wie sie auch in den niedersächsischen Handlungsempfehlungen und Förderrichtlinien zur Sprachbildung- und förderung favorisiert wird. Was ist darunter genauer zu verstehen und wo sehen Sie vielversprechende Ansätze?

Den Begriff „alltagsorientiert“ finde ich zu schwammig. Wenn damit gemeint ist, dass die Sprachanlässe am Alltag der Kinder orientiert sein sollen, dann ist das banal, weil das eh der Anspruch elementarpädagogischen Denkens ist. Früher kam dann aus den Einrichtungen immer der Satz „Bei uns ist ja alles Sprachförderung“, was so natürlich nicht stimmt, weil wir uns ja sonst keine Gedanken machen müssten, wie wir die sprachlichen Kompetenzen von Kindern am besten fördern. Ich bevorzuge eher den Begriff „alltagsintegriert“, das bedeutet, dass sprachliche Förderung in die alltäglichen Interaktionen eingebettet wird. Das würde dann bedeuten, dass man die im Kindergartenalltag vorfindlichen Situationen gezielt nutzt, um die sprachlichen Kompetenzen der Kinder weiter auszubilden. D.h. man muss solche sprachlichen Interaktionen schaffen, die den Kindern die Möglichkeit bieten ihre bereits vorhandenen sprachlichen Kompetenzen auszubauen. Dazu braucht es einen kompetenten Erwachsenen, der die Kinder zum Sprechen anregt, ihre Äußerungen aufnimmt und ihnen mit seinen Antworten hilft, neue sprachliche Strukturen zu erlernen.


Welche neuen Anforderungen werden in der alltagsorientierten Sprachförderung an die ErzieherInnen gestellt, die ja hier die Rolle des Sprachvorbildes einnehmen und ganz bewusst Sprechanlässe schaffen und nutzen sollen?

Die Erzieherinnen müssen zunächst einmal Sprachvorbild sein, dass heißt sie sollten schon weitgehend korrekt sprechen. Dann wäre es gut, wenn sie fachliches Wissen über Sprache und Sprachentwicklung, gerade auch im Hinblick auf mehrsprachige Kinder hätte. Wichtig ist auch so etwas wie eine diagnostische Kompetenz zu haben, also zu wissen was die einzelnen Kinder schon können, welche sprachlichen Meilensteine sie schon erreicht haben. Und schließlich sollten sie über bestimmte Strategien verfügen, die dann in der sprachlichen Interaktion mit den Kinder angewendet werden. Eine Strategie wäre z.B. die Äußerungen des Kindes aufzunehmen und eine Erweiterung anzubieten oder offene Fragen zu stellen, statt nur Fragen zu benutzen auf die man mit  ja und nein antworten kann.

 
Wie können ErzieherInnen dabei unterstützt werden?

Hier möchte ich zunächst mal strukturell argumentieren und anführen, dass die Erzieherinnen- Kind-Relationen in Deutschland nicht so günstig sind wie in anderen Ländern. Das bedeutet, dass Erzieherinnen hierzulande für mehr Kinder verantwortlich sind und sie mit diesen Kindern nicht immer in einen Dialog treten können. Es gibt ja die Orte der Sprachförderung im Alltag des Kindergartens, aber es sind da immer mehrere Kinder an die sich das sprachliche Angebot richtet. Zeit für Gespräche mit einzelnen Kindern bleibt da kaum. Da wird sich auch in absehbarere Zeit wenig ändern. Von daher ist es sinnvoller, die Zeit, die für sprachliche Interaktion zur Verfügung steht konsequent zu nutzen, z.B. die erwähnten Strategien anzuwenden oder die sprachlichen Fortschritte der Kinder systematisch festzuhalten. Fortbildungen, die sich z.B. auf das Erlernen dieser Strategien konzentrieren, können hier einiges erreichen und sind sicher effektiver, wenn das ganze Team daran teilnimmt.


Geht es bei diesen beiden Ansätzen „Programm“ oder „Alltag“ um ein „Entweder – oder“ oder muss man eher an ein „sowohl als auch“ denken?

Sicher muss man in sowohl als auch denken, das geben die niedersächsischen Handlungsempfehlungen ja auch als Sprachförderphilosophie vor. Gut wäre es, wenn es gelänge eine Struktur zu etablieren, die sowohl die systematische Sprachförderung für einzelne Kinder vorsieht als auch eine alltagsintegrierte Sprachbildung bietet, in der qualitätsvolle Sprachangebote unterbreitet werden. Deutliches Potential steckt da z.B. im Freispiel, das bisher kaum dazu genutzt wird, sprachliche Interaktionen zwischen Kindern und Erzieherinnen anzuregen.


Was sind für Sie kurz zusammen gefasst ganz zentrale Aspekte einer gelingenden Sprachbildung bzw. –förderung?

Eine frühzeitige Sprachförderung ergänzt um qualitätsvolle sprachliche Interaktionen, die eingebettet sind in den Alltag des Kindergartens, eine systematische Beobachtung der sprachlichen Fortschritte und eine Ausweitung der bisherigen sprachunterstützenden Maßnahmen über die Kindergarten- und die Grundschulzeit hinaus.


Interview: Karsten Herrmann


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