Naturpädagogische Kindertagesstätten

Besonderheiten, Konzeption und Nutzen naturpädagogischer Kitas

Was ist eigentlich ein naturpädagogischer Kindergarten? Verbringen die Kinder dort den ganzen Tag im Wald? Schaffen Kinder einer Wiesen-KiTa den Übergang zur Grundschule? Nicht nur in der Öffentlichkeit herrschen unklare Vorstellungen davon, was eine naturpädagogsche KiTa beinhaltet und leistet. Auch Fachkräfte wissen teils wenig darüber oder zweifeln daran. Der folgende Beitrag gibt Einblick in die Besonderheit, Geschichte, Konzeption von Naturkindertagesstätten und den (wissenschaftlich untersuchten) Nutzen für die kindliche Entwicklung.

Begriff

Naturpädagogische Kindergärten umfassen frühkindliche Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungseinrichtungen, die eine naturpädagogische Konzeption vertreten und umweltpolitisch auf die kindliche Entwicklung wirken sollen. Den Kindern soll Zeit und Raum für Naturerlebnisse und Naturbegegnungen zur Verfügung stehen, um auf respektvoller Basis eine Beziehung zur Natur zu entwickeln. 

Hierzu haben sich verschiedene Formen von Einrichtungen herausgebildet, zum Beispiel solche, die sich aus der Ökologiebewegung heraus mit naturpädagogischen Themen beschäftigen und dort ihren Schwerpunkt legen. Häufig holen die pädagogischen Fachkräfte gemeinsam mit den Kindern "die Natur in die Einrichtung", beispielsweise legen sie Spielflächen unter ökologischen Gesichtspunkten an, rekultivieren Wiesen, errichten Wasserstellen und Biotope, halten Kleintiere oder betreiben einen Gemüsegarten  (vgl. Schede 2000, S. 15 ff).

Eine naturpädagogische Ausrichtung lässt sich auch in den Naturkindergärten wieder finden, die  dadurch gekennzeichnet sind, dass die Jungen und Mädchen die Zeit vollständig draußen verbringen. Naturkindergärten lassen sich in der heutigen Zeit in Wald- und Strandkindergärten gliedern, mit Unterformen wie Berg- oder Wiesenkindergärten.

Aufgrund der Komplexität von naturpädagogischen Kindergärten im Allgemeinen beschäftigt sich dieser Beitrag speziell mit dem Beispiel des Naturkindergartens, bei dem die Kinder die Vormittage in der freien Natur, Wald, Wiese, Strand et cetera verbringen.

Geschichtliche Entwicklung

Die Idee dazu stammt aus Dänemark, 1950 wurde sie dort von Ella Flautau 1950  eingeführt. Regelmäßig ging sie mit ihren eigenen Kindern in den Wald, um dort zu spielen. Eines Tages nahm sie Nachbarskinder mit, da die Kindergartenplätze knapp waren und die Jungen und Mädchen zu Hause waren. Die Idee stieß auf Zuspruch bei den Eltern und wurde regelmäßig wiederholt. Aus dieser Elterninitiative entstand somit in Dänemark der erste Waldkindergarten (skovbornehaven).

Auch in Deutschland gab es erste Anfänge eines Waldkindergartens in den 70er Jahren. 1968 erhielt dieser sogar eine amtliche Genehmigung. Da die Gründerin allerdings keine Ausbildung als Erzieherin hatte, erhielt die Einrichtung keine finanzielle Unterstützung - das Modell entwickelte sich nicht weiter (vgl. Miklitz 2000, S.7). In Flensburg wurde 1993 der erste staatlich anerkannte Waldkindergarten eröffnet, nachdem die Erzieherinnen Kerstin Jebsen und Petra Jäger in Dänemark hospitiert und einen Verein für das Vorhaben gegründet hatten. Zur  Anzahl der Naturkindergärten in Deutschland liegen keine genauen Zahlen vor. Momentan entwickeln sie sich rasant: Der Bundesverband der Natur- und Waldkindergärten in Deutschland e.V. schätzt 700 Einrichtungen (Stand Mai 2007). Mittlerweile (2012) dürfte die Anzahl jedoch wesentlich höher sein.

Varianten von Naturkindergärten

Der klassische Waldkindergarten ist die am stärksten verbreitete Form von Naturkindergärten. Besondere Formen, wie Strandkindergärten, sind sehr an die Örtlichkeit gebunden und bestehen daher nur im Norden Deutschlands. Es gibt jedoch auch Insel-Kindergärten und den Naturkindergarten im Englischen Garten in München. Nach Miklitz (2000, S. 9) verbringen die Jungen und Mädchen  meist den ganzen Vormittag im Wald, zirka drei bis viereinhalb Stunden entsprechend angepasst an die jahreszeitlichen Bedingungen.  Der klassische Waldkindergarten verfügt nicht über ein festes Gebäude. Jedoch bieten Bauwagen, Hütten oder eine alte Scheune im Wald Schutzmöglichkeiten, wo sich die Gruppe bei schlechtem Wetter oder Stürmen aufhalten kann. Außerdem wird dieser Unterschlupf auch zur Aufbewahrung von Spiel-, Bastelmaterialien oder Ersatzkleidung genutzt.

Der integrierte Naturkindergarten ist in Deutschland noch nicht allzu verbreitet. Diese Form soll aber trotzdem aufgezählt werden, da sie vermehrt einen Aufschwung erfährt. Bei diesem Modell, das in Dänemark weitaus häufiger ist, handelt es sich um einen Ganztagskindergarten mit eigenen Räumen (vgl.  Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Der Vormittag wird häufig in der Natur verbracht, die Nachmittage in den Räumen. Ähnliche Varianten finden sich auch in Deutschland wieder. So können sich beispielsweise fünf bestehende Kindergarten-Gruppen als Waldgruppe abwechseln und regelmäßig eine Walderfahrung machen. Einrichtungen mit konstanten Waldgruppen wechseln die Gruppe der Kinder wöchentlich oder monatlich. Integrierte Naturkindergarten können auch als Kooperation von Natur- und Regeleinrichtung bestehen. Dabei werden die Hauskinder und die Jungen und Mädchen des Naturkindergartens bewusst "durchmischt".

Um einen besseren Eindruck vom Facettenreichtum und von der Individualität der Naturkindergärten zu bekommen, kann man sich die Tagesstruktur eines Strandkindergartens so vorstellen:

  • Von 7 bis 8 Uhr bieten die MitarbeiterInnen abwechselnd einen Frühdienst an.
  • Ein „eigener“ Bus holt die zwei Strandkindergruppen an fünf verschiedenen Haltestellen ab.
  • Um 9.00 Uhr erreichen die Kinder den Platz. Im Freispiel können sie sich bei gezielten Angeboten am Strand, im Wald oder an den Häusern „austoben“, Handwerksarbeiten erledigen, im eigenen Garten arbeiten, durch den angrenzenden Wald strolchen, auf Bäume klettern, Höhlen bauen, am Strand spielen, Burgen bauen, baden...
  • Je nach individuellem Hungergefühl haben die Kinder vormittags die Möglichkeit zu frühstücken.
  • Einmal wöchentlich findet ein so genannter „Aussuchtag“ statt, an dem der Kindergarten gruppenübergreifende Aktivitäten anbietet.
  • Um 11.45 Uhr gibt es Mittagessen. Nach dem Essen putzen die Kinder die Zähne geputzt und ihnen bleibt noch etwas Zeit zum Spielen.
  • Um 13 Uhr holt der Bus die Kinder wieder ab und fährt dieselbe Route zurück. An den Haltestellen holen Eltern ihre Kinder ab.

Rahmenbedingungen und Konzeption

Naturkindergärten sind wie andere Tageseinrichtungen für Jungen und Mädchen sozialpädagogische Einrichtungen und haben neben der Betreuungsaufgabe einen eigenständigen Erziehungs- und Bildungsauftrag als Elementarbereich des Bildungssystems. Die gesetzlichen Grundlagen sind das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHGKJHG||||| Das Kinder- und Jugendhilfegesetz umfasst die bundesgesetzlichen Regelungen, die die Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland betreffen. Das SGBVIII (Achte Buch Sozialgesetzbuch) ist der Artikel 1 des KJHG. Es umfasst ein Angebote- und Leistungsgesetz für Kinder, Jugendliche und ihre Eltern, welches der früheren Kontroll- und Eingriffsorientierung entgegensteht. Daher steht das Inkrafttreten  (Januar 1991) auch für einen Paradigmenwechsel in der Kinder-und Jugendhilfe. ), das besagt, dass die „Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden soll“ (Kinder- und Jugendhilfegesetz Art. 1 § 22(1)).

Als Rechtsform befinden sich Naturkindergärten meist in freier Trägerschaft und sind eingetragen als Verein (e.V.). Häufig handelt es sich um Elterninitiativen, die anschließend einen Naturkindergarten gründen und betreiben. Um unterstützend an öffentliche Mittel zu gelangen, muss die freie Jugendhilfe den Verein als Träger anerkennen. Die Kriterien dafür sind länderspezifisch und unterschiedlich. Meist fordert die Jugendhilfe jedoch die Vorlage einer Konzeption und den Lageplan des Wald- oder Naturstücks. Ein Schutzraum ist verpflichtend für eine Betriebserlaubnis und bei Temperaturen von -6 bis -10 Grad Celsius sowie bei gefährlichen Witterungsbedingungen wie Hochwasser, Eishagel ist das Angebot eines Alternativprogramms in geschlossenen Räumlichkeiten notwendig.

Die Konzeption eines Naturkindergartens wird  meist erarbeitet für ein größeres Vorhaben oder umfangreiche Planungen: Sie beinhaltet eine Zusammenfassung von Informationen und Begründungszusammenhängen. Die Vorüberlegungen und die theoretische Auseinandersetzung mit dem Thema werden darin schriftlich festgehalten. Wie bei allen frühkindlichen Erziehungs-, - Bildungs- und Betreuungseinrichtungen dient auch die Konzeption für Naturkindergarten im Allgemeinen der qualitativen Aufwertung. Denn der Konzeption werden in diesem Bereich folgende Funktionen zugeschrieben (vgl. Kottke 2003, S. 24ff):

  • Mehr Kontinuität für Jungen und Mädchen und überprüfbare Qualitätssicherheit
  • Bessere Transparenz für Eltern über Mitwirkungs- und Bestimmungsmöglichkeiten
  • Leitfaden und Reflexionshilfe für MitarbeiterInnen
  • Bessere Erkennung von Kooperationspartnern
  • Transparenz des Trägers und Imagezuwachs

Untersuchung zur weiteren Entwicklung von WaldkiTa-Kindern

Ein vermeintlicher Kritikpunkt der Öffentlichkeit beinhaltet, dass Jungen und Mädchen, die einen  Naturkindergarten besucht haben, nicht die gleichen Entwicklungschancen haben wie Kinder, die in einem Regelkindergarten betreut wurden. Diese Angst scheint darin begründet zu sein, dass in der heutigen Leistungsgesellschaft vor allem ein gelingender Übergang zur Grundschule gewünscht wird und hierbei Nachteile für „Waldkinder“ befürchtet werden. Eine Untersuchung zeigt jedoch, dass diese Befürchtung entkräftet werden kann.

Die Untersuchung wurde 2002 in Grundschulen in Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, Niedersachen, Schleswig Holstein, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Hessen durchgeführt.  Die Befragung richtete sich an GrundschullehrerInnen von Jungen und/oder Mädchen, die vorher mindestens zwei Jahre einen reinen Waldkindergarten besucht hatten. Mit insgesamt 230 Fragebögen wurden insgesamt 103 Lehrende befragt.  Die Fragen wurden in verschiedenen Bereiche beziehungsweise Faktoren untergliedert, um individuelle Aussagen treffen zu können. Die Bewertung wurde mit den Noten 1 (sehr gut) bis 6 (schlecht) durchgeführt (vgl. Häfner 2002, S.108):

  • Faktor 1: "Motivation-Ausdauer-Konzentration"
  • Faktor 2: "Sozialverhalten"
  • Faktor 3: „Mitarbeit im Unterricht"
  • Faktor 4: „Musischer Bereich
  • Faktor 5: „Kognitiver Bereich"
  • Faktor 6: „Körperlicher Bereich"

In der Ergebnisauswertung wurde außerdem der Geschlechterunterschied bedacht und differenziert ausgewertet. Es wurde deutlich, dass Jungen und Mädchen, die einen Waldkindergarten besucht hatten, in allen Bereichen besser abschnitten als Kinder, die in einen Regelkindergarten besuchten. Die deutlichsten Unterschiede zeigten sich in den ersten drei Faktoren, während die Bewertungsunterschiede in den Bereichen „Kognitiver Bereich“ und „Körperlicher Bereich“ minimal waren.

Es ließ sich aus der Untersuchung erkennen, dass Jungen und Mädchen aus Waldkindergärten im ersten Schuljahr nicht nur scheinbar ein besseres Sozialverhalten aufwiesen, sondern auch in Bezug auf Ausdauer und Durchhaltevermögen, in Bezug auf ihre Motivation für die Schule sowie hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Konzentration eine bessere Beurteilung bekamen.

Zwar können durch die punktuelle Untersuchung und dadurch, dass die biografischen oder soziokulturellen Kontexte  der Kinder nicht mit untersucht wurden, keine generalisierten Aussagen festgemacht werden. Jedoch lässt sich eine Tendenz durchaus formulieren. Das Ergebnis der Untersuchung wird zusammenfassend in folgendem Zitat deutlich  (Häfner 2002, S. 162): 

„Die Waldkindergartenkinder scheinen in allen untersuchten Bereichen (…), wenngleich individuell natürlich in unterschiedlicher Weise, von ihrem Kindergartenaufenthalt deutlich mehr zu profitieren als ihre Vergleichsgruppe aus dem Regelkindergarten. Das ist zunächst einmal eine Feststellung, die an dieser Stelle getroffen werden kann und nach den Ergebnissen auch so getroffen werden muss.“

Peter Häfner kommt nach seiner Untersuchung zu einer klaren Aussage: Jungen und Mädchen, die einen Waldkindergarten besucht haben, profitieren individuell mehr von dem Kindergartenaufenthalt als eine Vergleichsgruppe von Jungen und Mädchen aus dem Regelkindergarten. Diese Entwicklung von naturpädagogischen Konzepten lässt sich auch durch eine veränderte Kindheit und deren Rahmenbedingungen begründen.

Lesen Sie dazu auch folgenden Artikel: Von der Kindheit zur „veränderten Kindheit“