Partizipation muss gelernt werden

Warum Partizipation in der KiTa anfangen muss

Auch wenn es auf viele Fachkräfte so wirken mag, als würde noch ein weiteres Aufgaben-Paket auf sie abgeladen: Neben den Schlagwörtern wie Gender, Neue Medien oder Inklusion ist eine echte Partizipation Kern und Grundlage einer demokratie-orientierten pädagogischen Arbeit. Partizipation heißt in diesem Sinne, die Beteiligung der Kinder an ihren eigenen Angelegenheiten zu ermöglichen.

Nun mag man sich fragen, warum Kinder schon so früh Dinge mitbestimmen sollen. Können Erwachsene das nicht viel besser einschätzen, wissen Kinder überhaupt, was gut für sie ist? Und reicht es nicht, wenn sie in der Schule, oder besser erst, wenn sie wahlberechtigt sind, wirklich über Dinge entscheiden? Hier muss man argumentieren, dass demokratische Kompetenz erlernt und geübt werden muss. Rechte einzufordern, eine eigene Meinung und Ideen zu äußern sowie Verantwortung für eigene Entscheidungen zu übernehmen, müssen Kinder genauso üben und lernen wie das Radfahren.

Das lässt sich besonders gut sehen, wenn zum Beispiel SchülerInnen, die es bis dato nicht gewohnt waren, selbst über ihre Lernprozesse zu entscheiden in einer fremden Kultur mit SchülerInnen zusammentreffen, die das von früh auf an gelernt haben. So erlebte es ein deutscher Austausch-Schüler in einer schwedischen Schule: Er schaute seine neuen SchulkameradInnen völlig irritiert an und fragte nach, wozu denn die Hausaufgaben da seien, wenn sie weder jemand kontrolliere noch benote. Er fragte weiter, warum er denn die verhassten Englisch-Vokabeln lernen müsse, wenn es keinen Vokabeltest gäbe. Die Antwort seines schwedischen Kumpels war schockierend einfach: „Na, damit du danach die Wörter weißt!“

Selbstbeteiligtes Lernen muss den Nürnberger Trichter ablösen

Zeitgleich forden wir eine „neue Lernkultur“: Wir wollen individualisierte Kompetenz-Erfassung, selbst-organisiertes Lernen, wollen weg von Noten und weg vom alten, tradierten „Vermittlungs-Prinzip“ à la Nürnberger Trichter (nach dem Motto "Kopf auf, Trichter ansetzen und Wissen reinschütten").

Eine Lernkultur, geprägt vom Auswendig-Lernen, Nachsprechen, klaren Lernstrukturen und begrenzten Lernzeiten wurde in der damaligen Zeit als sinnvoll erachtet, auch weil die Gesellschaft weniger plural, medialisiert, offen war undweniger Unsicherheiten bot als heute. Mit diesem Wandel ergeben sich neue Herausfoderungen: flexibel sein, selber gestalten, anpassungsfähig sein, Konflikte lösen können, Ideen haben, zusammen arbeiten: „Nur“ fachliche, gelernte Inhalte zu wissen reicht längst nicht mehr.

Diese neue Lern- und Selbstbeteiligungs-Verantwortung jedoch bei SchülerInnen beispielsweise der Fachschule für Sozialpädagogik einzuführen, könnte einige Missverständnisse herbeiführen: Und zwar deshalb, weil bis dahin jeglicher institutionalisierter Lernprozess immer von außen - also extrinsisch -  motivert wurde, das heißt mit Noten, Bewertungen, Messungen.

Seit der Grundschule vermittelt: Lernen für die Noten

Schon in der Grundschule lernt man in Deutschland für gute Noten. Seit niedersächsische SchülerInnen das Abitur noch schneller bewältigen müssen und mehr Leistungsdruck ausgesetzt sind, wiegen extrinsischen Bewertungen von Lehrenden noch schwerer: Schließlich helfen sie dem System zu selektieren. Wenn ein 9-jähriges Mädchen ihr Entwicklungspotenzial nach der Grundschulzeit noch nicht voll ausgeschöpft hat (dies verhält sich bei jedem individuell und zeitlich unterschiedlich) und es nicht die vorgegebenen Benotungen erhalten hat (konform festgelegt), wird es mit einem Etikett versehen und unter ihren Möglichkeiten "einsortiert" - Diese gespürte Wichtigkeit der Benotungen von außen zieht sich durch die Lernbiografien der meisten Kinder und Jugendlichen in Deutschland.

Später als 16-Jährige scheint es für SchülerInnen (bis dahin in diesem Feld ungelernt) zunächst irritierend, Lernverantwortung zu tragen. Sie sind es nur gewohnt, dass Andere ihnen klare Aufträge und Regeln erteilen sowie diese am Ende bewerten. Auch dazu ein Beispiel: In einem Modellprojekt in Deutschland wurde genau das erprobt - selbstorganisiert lernen, Freiräume geben, Lern-Tagebücher schreiben, sich selber Lernaufgaben stellen und lernen, wann und wie die SchülerInnen es wollten. Eine Schülerin verriet grinsend ein Geheimnis: “Da kann man jede Woche das gleiche reinschreiben, das merkt gar keiner. Und noch etwas: Die Antworten stehen einfach hinten im Material-Ordner, die kann man einfach abschreiben, das stört den Lehrer gar nicht.“

 

Startpunkt in der Kindertagesstätte

Die neue Lernkultur und ihre Instrumentarien sind nun aber gar nicht Schuld daran; vielmehr die Tatsache, dass diese so wichtigen lebenspraktischen Kompetenzen erst spät - im Alter von 16 Jahren - an SchülerInnen herangetragen werden mit der Erwartung, dass sie dazu in der Lage sind. Weist man nochmal darauf hin, dass Kinder und Jugendliche diese Fähigkeit vorher lernen und üben müssen, gibt es keinen besseren Zeitpunkt als in der KiTa damit anzufangen: Kinder beteiligen und ihnen die Möglichkeit geben, Selbstbestimmung zu üben und zu entwickeln sowie mit ihrer Verantwortung umzugehen, sie dabei begleiten und ernst nehmen.

Nur so kann ein langfristiger Wandel und Perspektiv-Wechsel stattfinden. Jetzt bestehende Modellprojekte und Versuche, dies zu realisieren, sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wenn eine langsame Heranführung an die Selbstständigkeit und viel Begleitung gegeben ist, ergeben sich durchaus gelingende Momente. Langfristig müssen wir bei den Jungen und Mädchen anfangen, um nachhaltig diese lebenspraktische Kompetenz und ein zukunftsfähiges Aufwachsen zu ermöglichen.