Eine Zehnjahresbeobachtung des Instituts für Hochschulforschung


Im deutschen Bildungssystem treffen Kinder bzw. Heranwachsende auf umso höher qualifiziertes pädagogisches Personal, je älter sie werden. Das heißt umgekehrt: Sie treffen, je jünger sie sind, auf desto geringer qualifiziertes Personal. Auf diese Situation reagierten seit 2004 zahlreiche Initiativen zur Etablierung frühpädagogischer Hochschulstudiengänge. Die Expansion ist mittlerweile zum Stillstand gekommen – Gelegenheit für eine Bilanzierung des Institut für Hochschulforschung (HoF) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Am Beginn der Bildungsbiografien, in der Phase bis zum sechsten Lebensjahr, werden Kinder in Deutschland – soweit sie Kindertagesstätten besuchen – traditionell von Personal betreut, das eine Berufs- oder Fachschulausbildung absolviert hat. Alternativ gibt es heute aber auch bundesweit rund 120 frühpädagogische Studiengänge an 90 Hochschulen. Nach zehn Jahren ist die Expansionsphase zum Abschluss gekommen. Mit den Akademisierungsinitiativen waren sehr konkrete Erwartungen verbunden:
  • Qualitätssteigerung der pädagogischen Arbeit
  • Höherwertigkeit des Berufs (höheres Sozialprestige und bessere Vergütung)
  • Aufstiegschancen
  • steigende Verbleibsquote im Beruf
  • mehr Männer in Kitas
  • intensivierte Forschung zur frühen Kindheit.

Diese Erwartungen werden im vorliegenden Buch mit den bisherigen Effekten abgeglichen - mit folgenden Ergebnissen:

  1. Eher indirekte Wirkungen auf die Qualität in der Frühen Bildung gehen von Studienangeboten für Kita-Management und den wissenschaftsorientierten der Master-Stufe aus: über verbesserte Anleitung, Führung und Organisation sowie über intensivierte Forschung. Direkte Qualitätswirkungen hingegen können dann eintreten, wenn akademisiertes Personal in der Gruppenarbeit mit den Kindern tätig wird. Tatsächlich kommt ein großer Teil der StudienabsolventInnen dort an: 70 Prozent von ihnen sind zumindest auf ihrer ersten Stelle nach dem Studium unmittelbar in der Gruppenarbeit tätig.
  2. Das Sozialprestige des Berufs der Erzieherin (bzw. Frühpädagogin) hat sich in den letzten Jahren zwar verbessert, allerdings unabhängig von der Teilakademisierung. Vielmehr war diese Entwicklung eine Folge der intensivierten gesellschaftlichen Debatten um den Stellenwert der frühkindlichen Bildung. Die Einordnung des Fachschulabschlusses „Staatlich anerkannte/r Erzieher/in“ auf Niveau 6 des Deutschen Qualifikationsrahmens stellt eine symbolische Aufwertung dar – allerdings ausdrücklich jenseits der Akademisierung, denn auf Niveau 6 ist auch der Bachelor platziert.
  3. Die Einkommensentwicklung der Erzieher/innen war in den letzten Jahren zwar positiv: Sie stieg seit 2009 um etwa 20 Prozent. Doch war dies nicht von der Teilakademisierung getrieben. Ursächlich wirkten vielmehr die hohe Nachfrage nach Fachkräften und der Tarifdruck der Gewerkschaften. Bislang erreichen lediglich 16 Prozent der Bachelor-AbsolventInnen auf ihrer ersten Stelle eine Einstufung, die angewandte wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzt. Die HochschulabsolventInnen verdienen nur dann mehr als andere Fachkräfte, wenn sie höhere Berufspositionen bekleiden – was aber auch für FachschulabsolventInnen zutrifft.
  4. Die Fachschulausbildung zur Staatlich anerkannten Erzieher/in galt als (weitestgehende) Karrieresackgasse. Hier haben die neuen Hochschulstudiengänge Aufstiegschancen eröffnet, die auch wahrgenommen werden. Drei Viertel der Bachelor-Studierenden haben bereits einen Abschluss in einem Erziehungsberuf, und von diesen erhoffen sich 94 Prozent berufliche Aufstiegschancen durch das Studium. 48 Prozent der bisherigen Bachelor-AbsolventInnen haben auch bereits leitende Tätigkeiten erreicht.
  5. Seit Jahrzehnten gibt es eine vergleichsweise hohe Fluktuation aus dem Berufsfeld Frühe Bildung hinaus. Hier ist die Erwartung, dass die akademisierten Fachkräfte eine steigende Verbleibsquote im Beruf realisieren werden. Belastbare Aussagen dazu werden sich erst in etwa zehn Jahren gewinnen lassen. Sobald die akademisierten FrühpädagogInnen aber den gleichen Berufsverbleib realisieren wie sonstige PädagogInnen mit Hochschulabschluss, korrigieren sich auch deutlich die Kosten der verschiedenen Ausbildungs- bzw. Studienvarianten: Die Kosten für eine dem Berufsfeld tatsächlich zur Verfügung stehende FH-Fachkraft fallen dann um 29,5 Prozent günstiger aus als die für eine Fachschulfachkraft.
  6. Mit der Einführung frühpädagogischer Studiengänge war die Hoffnung verbunden, mehr Männer für Kitas gewinnen zu können. Hierzu ist vorerst ein ernüchternder Befund zu notieren: Der Männeranteil in den Studiengängen ist konstant niedrig und beträgt acht Prozent. An den Fachschulen für Sozialpädagogik hingegen liegt er mittlerweile bei 18 Prozent. Damit hat sich dieser Ausbildungsweg einstweilen als leistungsfähiger hinsichtlich der zusätzlichen Gewinnung von Männern erwiesen.
  7. Die Erwartung, dass die Hochschulstudiengänge auch mehr wissenschaftliche Ressourcen bedeuten und damit zu einer intensivierten Forschung zur frühen Kindheit führen, ist in Teilen eingetreten. Eingeschränkt wird dies dadurch, dass sich die Teilakademisierung der Frühpädagogik auf die Fachhochschulen konzentriert hat. Die mit mehr Forschungsressourcen ausgestatteten Universitäten sind, was die Einrichtung frühpädagogischer Angebote betrifft, vorerst sehr zurückhaltend geblieben. Gleichwohl ist es von 2003 auf 2014 zu einer Versechsfachung der Forschungsressourcen für das Themenfeld Frühe Bildung/Frühe Kindheit gekommen – was angemessen nur zu bewerten ist, wenn man sich das niedrige Ausgangsniveau vor Augen hält.
  8. Bei aller ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   aber lassen sich nötige, jedoch vermiedene Ausgaben für die frühkindliche Bildung nicht durch Qualitätssteigerung substituieren. Die Ausgaben und damit die Ausstattungen der Kindertageseinrichtungen müssen vielmehr den Umfang erreichen, der dauerhafte Qualität erst ermöglicht.


  • Peer Pasternack: Die Teilakademisierung der Frühpädagogik. Eine Zehnjahresbeobachtung, unter Mitwirkung von Jens Gillessen, Daniel Hechler, Johannes Keil, Karsten König, Arne Schildberg, Christoph Schubert, Viola Strittmatter und Nurdin Thielemann, Akademische Verlagsanstalt, Leipzig 2015, 393 S. ISBN 978-3-931982-96-6

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Quelle: Presseinfo Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg