Egal ob mathematische Formeln, Grammatikregeln oder Französischvokabeln – gerade für Kinder und Jugendliche gilt das Lernen in der Schule manchmal als saure Pflicht. „Nur wenn man es falsch macht und Lernen mit Pauken verwechselt“, sagt Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Ulmer Universitätsklinikum und Leiter des ZNL TransferZentrum für Neurowissenschaften und Lernen in Ulm. Der renommierte Hirnforscher entschlüsselt, was beim Lernen im Gehirn passiert und entwickelt zusammen mit Psychologen und Pädagogen Strategien, die den Lernprozess optimieren. Ziel ist es, die Erkenntnisse der Hirnforschung langfristig mit pädagogischen Fragestellungen zu verknüpfen und somit für den Schulunterricht besser nutzbar zu machen. Was geschieht bei der Informationsverarbeitung im Gehirn? Wie können Emotionen und Bewegungen den Lernprozess beeinflussen? Und warum sollen Kinder direkt nach dem Vokabeltraining lieber auf das Fernsehen verzichten?

Das menschliche Gehirn ist als Organ des Lernens ein Meister des Registrierens, Erinnerns und Neusortierens von Informationen. Mit einem durchschnittlichen Gewicht von 1,4 Kilogramm – das entspricht etwa zwei Prozent der gesamten Körpermasse eines Menschen – ist das Gehirn eher ein Leichtgewicht. Aber es verbraucht 20 Prozent des täglichen Energiebedarfs, den der Mensch mit der Nahrung aufnimmt. Lernen passiert nicht nur bewusst in der Schule oder Universität, sondern auch beiläufig, während eigentlich ganz andere Ziele verfolgt werden, beispielsweise wenn Kinder spielen. Hierbei werden komplexe Bewegungsabläufe, soziale Fähigkeiten und Interaktionsmuster gelernt. „Das Gehirn lernt immer, und es tut nichts lieber als das“, sagt Prof. Dr. Dr. Manfred Spitzer.

Eine kleine Struktur im Gehirn, der Hippocampus, ist für das Lernen und Erinnern verantwortlich. Er ist ständig damit beschäftigt, Informationen aufzunehmen, kurzzeitig abzuspeichern und in die Großhirnrinde, den „Hauptspeicher“, weiterzuleiten. Das Lernen ist ein hochkomplexer Prozess, bei dem unzählige neuronale Mechanismen ablaufen. „Informationen und Eindrücke aus der Umwelt werden als elektrische oder biochemische Impulse über sensible Nervenverbindungen im Gehirn, so genannte Neuronen, geleitet. Die Kontaktstellen an den Neuronen (Synapsen) verändern sich beim Lernen, bestehende Verbindungen werden verbessert oder neue Verknüpfungen im Gehirn geschaffen. Es entsteht eine Gedächtnisspur. Wir erinnern uns besser an die abgespeicherte Information, je öfter wir diese Spur aktiv gebrauchen – sinnbildlich vorstellbar wie ein kleiner Trampelpfad, der sich bei häufiger Nutzung zu einem stabilen Weg festigt“, beschreibt der Hirnforscher.

Selbst Erfahrungen zu machen ist eine grundlegende Voraussetzung für effektives Lernen

Richtiges Lernen sollte aktiv und selbstbestimmt ablaufen, um erfolgreich zu sein. „Beim Wissenserwerb wird das Glückshormon Dopamin ausgeschüttert. Wir empfinden Freude, wenn wir Neues kennenlernen. Deshalb fällt uns das Lernen auch leichter, wenn wir für Themen eine Leidenschaft entwickeln oder Spaß am Hinterfragen von Zusammenhängen haben“, erläutert Professor Spitzer. Die Ulmer Wissenschaftler erarbeiten aus diesem Grundsatz Strategien, die das Lernen im Schulunterricht unterstützen und optimieren. „Die aktive Auseinandersetzung mit der Welt ist wichtig. Selbst Erfahrungen zu machen ist eine grundlegende Voraussetzung für effektives Lernen“, sagt Dr. Katrin Hille, Geschäftsführende Leiterin des ZNL. „Nur zuhören ist wenig effektiv. Wenn aber beim Sprachenlernen Wörter mit bestimmten Bewegungen oder Emotionen verbunden werden, spricht das im Gehirn auch visuelle, akustische und sensomotorische Zentren an. Die Schüler können sich an die Wörter leichter erinnern“, erklärt Dr. Hille.

Auch bei der Frage nach der richtigen Einteilung der Lernzeit gibt es aus Sicht der Hirnforscher eine klare Richtung. „Wer eine Fremdsprache lernt, übt besser zehn Minuten am Tag als einmal in der Woche zwei Stunden. Wer aber naturwissenschaftlichen Phänomenen nachgehen will und dafür einen größeren Versuchsaufbau benötigt, braucht wahrscheinlich mehr Zeit, als die klassische Schulstunde ermöglicht“, so Spitzer. Nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen sollte eine Schulstunde stärker an den individuellen Lernrhythmus der Schüler angepasst werden.  Außerdem brauchen Kinder und Jugendliche eine Balance zwischen Lern- und Entspannungsphasen, um neues Wissen zu verarbeiten und zu festigen. „Der Fernseher ist, entgegen aller Vermutungen, kein optimales Medium zur Entspannung, da das Gehirn hierbei mit weiteren neuen Reizen überflutet wird. Besser ist es, sich beispielsweise künstlerisch zu betätigen, um die kognitiven Batterien wieder aufzuladen“, sagt Dr. Hille.

Ziel der Forscher des ZNL ist es, Bildungseinrichtungen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu unterstützen, damit sie das Lernen dort noch besser organisieren können und sich so für die Zukunft rüsten. Unter dem Titel „Das Gehirn lernt immer. Hirnforschung und Schule“ hat das ZNL auch einen Film herausgebracht, den Sie hier bestellen können.


Quelle: Presseinfo ZNL