Nach dem rasanten quantitativen Ausbau der KiTas stand auf der Bildungsmesse didacta in zahlreichen Seminaren, Tagungen und Kongressen die Frage nach deren qualitativer Weiterentwicklung im Fokus. Von allen ExpertInnen wurde dabei unterstrichen, dass die Rahmenbedingungen derzeit nicht ausreichen, um die pädagogische Programmatik von Bildungsplänen und die hohen öffentlichen Erwartungen umzusetzen. Im Mittelpunkt der Diskussion stand auch der gerade im Krippenbereich unzureichende Personalschlüssel. Der Bildungsforscher Stefan Sell sah hier sogar in vielen KiTas den „Tatbestand der Kindeswohlgefährdung“ und einen „hohen Anteil illegaler Betreuungssituationen“. Hoffnung richtet sich jetzt auf ein „Bundesqualitätsgesetz“, das derzeit in „Dialog-Foren“ gemeinsam von der Bundesregierung, Wissenschaft, TrägervertreterInnen und Gewerkschaft diskutiert und vorbereitet wird.

Kritische Situation des Systems KiTa

Für eine „Wiederbelebung des Dreiklangs aus Bildung, Betreuung und Erziehung“ als konzeptionelle Grundlage der deutschen Frühpädagogik machte sich der Koblenzer Bildungsforscher Prof. Dr. Stefan Sell auf dem Bildungstag der didacta stark. Dieser anspruchsvolle Dreiklang sei durch die Verengung der Diskussion auf die Betreuung im Zuge des Krippenausbaus ins Wanken geraten und das, so Sell, „ist saugefährlich für das Feld und seine Qualitätsentwicklung“. Sehr kritisch nahm er die altersübergreifenden Kindergartengruppen für unter zweijährige in den Blick und nannte sie „begründungspflichtig“, da hier kaum eine konstante Bezugserzieherin zur Verfügung stehen könne. Er sah hier teilweise sogar den „Tatbestand der Kindeswohlgefährdung“ erfüllt und ging von einen „hohen Anteil illegaler Betreuungssituationen“ aus, da der vorgeschriebene und schon ungenügende Personalschlüssel durch Krankheit, Urlaub oder Fortbildung oftmals noch unterschritten werde. Als problematisch stufte Sell auch die stetige Alterung der Belegschaften und den hohen Anteil an Teilzeit-Beschäftigungsverhältnissen in den KiTas ein. Alarmierend sei desweiteren, dass viele ErzieherInnen das Berufsfeld verlassen und in andere Branchen wie den Lebensmittelhandel wechselten.

"Eklatante Unterfinanzierung"
Der Bildungsforscher beschrieb auch die stetig wachsenden Herausforderungen an die KiTas und die zunehmende Komplexität ihrer Aufgaben. So stünden KiTas unter einem hohen öffentlichen und bildungspolitischen Erwartungsdruck. Sie hätten sich nach unten für immer jüngere Kinder geöffnet, nach oben in Richtung Grundschule und nach außen in Richtung Sozialraumorientierung und Vernetzung. Zugleich seien die Öffnungszeiten vielerorts verlängert worden und die Betreuungsdauer pro Kind nehme stetig zu. In diesem Sinne sprach er von einer veränderten „Grundgesamtheit“, die auch veränderte Personalstandards erfordere –  sonst, so Sell, „laufen wir bei den KiTas in die gleiche Falle wie die Altenpflege“. Grundsätzlich konstatierte Sell eine „eklatante Unterfinanzierung des KiTa-Systems“. Gemessen an dem von der OECDOECD||||| OECD beinhaltet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und besteht aus 34 Mitgliedsstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Die Organisation wurde 1961 gegründet und hatte den Wiederaufbau Europas als Ziel.  geforderten 1% des Bruttoinlandsproduktes für die frühkindliche Bildung fehlen laut Sell in Deutschland rund 9 Milliarden Euro pro Jahr. Er schlug daher eine völlige Neuordnung der Finanzierung und eine Bundesbeteiligung an der Regel-Finanzierung vor.

Entwicklung und Qualitätsbaustellen des Systems KiTa

Im Auftaktvortrag des didacta-„Aktionstages“ ließ der DJI-Direktor Prof. Dr. Thomas Rauschenbach noch einmal die rasante Entwicklung des KiTa-Bereichs seit dem „PISA“-Schock Anfang der 90er Revue passieren. Die KiTa sei „vom Nischenthema zum bildungspolitischen Hoffnungsträger“ geworden und die Bedeutung der frühen Jahre sei allgemein akzeptiert.  Rauschenbach konstatierte eine immer häufigere und auch längere institutionelle Betreuung, so dass Kinder heute schon häufig mehr Zeit in der KiTa als in der Grundschule verbrächten. „KiTas sind heute der 1. Öffentliche Bildungsort“ sagte er und damit gehe eine grundlegende Änderung ihrer Aufgaben und des Profils der ErzieherInnen einher. Für die qualitative Entwicklung der KiTa sei die Fachkraftfrage und die Zusammensetzung des Personals entscheidend. Als aktuelle Qualitätsbaustellen markierte Rauschenbach folgende Bereiche mit kurzen Schlaglichtern:

  • Personalschlüssel: Tendenzielle Verbesserung in vielen westlichen, aber sehr problematisch in ostdeutschen Bundesländern. Niedersachen rangiert bei einem BetreuungsschlüsselBetreuungsschlüssel||||| Der Betreuungsschlüssel gibt an wieviele Personen, für die Betreuung anderer Personen zur Verfügung stehen. Es wird meist in dem Format angegen 1:n, um zu verdeutlichen, dass eine Persone für eine bestimmte Anzahl n Personen zuständig ist. Der Betreuungsschlüssel wird auch als Personalschlüssel angegeben, oder im Bereich der Schule, als Klassengröße. Bei Vorgaben zu Betreuungsschlüssel spielen auch die Qualifikationen der betreuuenden Personen  eine Rolle. von 1:7,8 in Gruppen von 2-6 Jahren auf dem 5. Rang 

     

  • Betreuungsbedarf: 25 Prozent der Eltern wünschen sich eine Betreuungszeit von 42 Stunden und mehr. Hier kollidiert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit dem pädagogischen Setting.

     

  • Altersmischung: Bei hoher Altersheterogenität droht eine Qualitätseinbuße, der Trend geht so auch zu mehr altershomogenen Gruppen. Die klassische Grenze bei 3 Jahren macht pädagogisch keinen Sinn.

  • Umgang mit Bildungsplänen: Bildungspläne sind noch nicht richtig in der Praxis angekommen. Die zeitlichen Ressourcen für ihre Umsetzung sind ungenügend.

  • Sprachstanderhebungen: Hier existiert eine kaum zu überblickende Vielfalt von Verfahren und zu hinterfragen sind die Konsequenzen aus den Ergebnissen

  • Bezahlung: Die Kluft zwischen Ausbildung und Bezahlung von ErzieherInnen und GrundschullehrerInnen ist zu hoch, zur Zeit verdient eine ErzieherIn brutto, was eine Grundschullehrerin netto hat. Zur adäquaten Entwicklung der KiTa als 1. Stufe des Bildungssystems gehört auch eine höhere Entlohnung.

Im Hinblick auf diese zentralen Qualitätsbaustellen resümierte Rauschenbach: „Qualität gibt es nicht zum Nulltarif, Qualität kostet Geld“.
 

Steuerung und Qualitätsentwicklung des Systems KiTa

Wie kann ein Bildungssystem so reguliert werden, dass es hohe Qualität gewährleistet?“ Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Vortrags vom didacta-Verbandsdirektor Prof. Dr. mult. Wassilios Fthenakis. Er plädierte für eine zugleich starke Regulierung auf Bundesebene und eine De-Regulierung sowie einen „Wettbewerb der Besten“ bei der Umsetzung vor Ort. Die jetzige Situation der Vielfalt bzw. Beliebigkeit produziere Bildungsungerechtigkeit und Bildungsverlierer. Im Hinblick auf das Kooperationsverbot sprach er von einer „völlig absurden Situation zwischen Bund und Ländern“.

Zwingend durch Bundesgesetzgebungen einheitlich reguliert werden müssten dabei aus seiner Sicht folgende Bereiche:

  • Bildungsplan
  • Finanzierung
  • Ausbildung
  • Evaluation

Grundsätzlich sprach sich Fthenakis für eine „erweitertes Konzept pädagogischer Qualität“ aus, das auch mehr den Kontext einer KiTa in den Blick nehme. So seien nach wie vor familiale Faktoren in der Bildungsbiographie eines Kindes ausschlaggebend und diese müssten stärker berücksichtigt werden.

Hieran anschließend stellte Prof. Dr. Rolf Haderlein von der Hochschule Koblenz auch ein systemisch angelegtes Qualitätskonzept für die KiTa vor. Grundsätzlich müsse Qualität vom Kind aus gedacht werden und hier biete sich die Persönlichkeitsentwicklung als zentrale Dimension an. Sie werde von Anlage und Umwelt (Eltern, KiTa, soziales Umfeld) bestimmt und durch „Beziehung, Motivation, Eigeninteresse“ gefördert. Auf das System KiTa bezogen markierte Haderlein folgende „Kernwirkunsgbereiche“ für eine so gedachte Qualität:

  • Ein auf den sozialen Kontext angepasstes Einrichtungskonzept
  • Räumliche und sachliche Ausstattung
  • Ausbildung und Haltung der Pädagogischen Fachkräfte
  • Fachkraft-Kind-Schlüssel
  • Leitungs- und Trägerkompetenz
  • Team mit Wertekern
  • Aufeinander abgestimmte Prozesse in der KiTa
  • Erziehungspartnerschaft / Sozialräumliche Vernetzung
 

Perspektive Bundesqualitätsgesetz

Als verbindliche Perspektive für die Qualitätsentwicklung verwiesen viele ExpertInnen im Rahmen der didacta-Veranstaltungen auf ein „Bundesqualitätsgesetz“, das derzeit in „Dialog-Foren“ gemeinsam von der Bundesregierung, Wissenschaft, TrägervertreterInnen und Gewerkschaft diskutiert und vorbereitet wird. Über eine Bundesgesetzgebung z.B. im Rahmen des SGB VIII könnten verbindliche Qualitätsstandards zum Personalschüssel und anderen Rahmenbedingungen definiert werden. Aufgrund der Konnexität wäre damit wohl auch eine Beteiligung an der Regelfinanzierung durch den Bund verbunden. Wie die ExpertInnen warnten, müsse bei einem Bundesqualitätsgesetz allerdings verhindert werden, dass sich dieses an einem Minimal-Niveau einiger Bundesländer orientiere und nicht am pädagogisch Notwendigen.