Tagung zur Begabung und Kompetenzentwicklung

In welcher Verbindung stehen „Kompetenzentwicklung und Begabung“  und wie können Begabungen sich tatsächlich entfalten? Diese Fragen standen im Fokus einer hochkarätig besetzten und frühzeitig ausgebuchten Tagung  von „Bildung und Begabung“, dem deutschen Zentrum für Begabungsförderung, in Bonn.

FT Elke Völmicke 150Dr. Elke VölmickeGeschäftsführerin Dr. Elke Völmicke führte in ihrer Begrüßung in das „ebenso bewegende wie viel und heiß diskutierte Thema der Kompetenzentwicklung“ ein. Sie könne der entscheidende  „Schlüssel zur Begabungsentfaltung“ sein und jedem die Chance bieten, etwas aus seinen Begabungen und Talenten zu machen. Sie unterstrich, dass die häufig mit Hochbegabung gleichgesetzte kognitive Intelligenz „nur eine Komponente in einem ganzen Spektrum von Begabungen und Talenten ist“.
 

Bildung als „Selbstorganisation“

FT Hüther 150Prof. Dr. Gerald HütherIn seinem Auftaktvortrag stellte Gerald Hüther auf inspirierende Weise die Grundlagen einer gelingenden Bildung und Begabungsentfaltung vor. Bahnbrechende Forschungsergebnisse hätten unter Beweis gestellt, dass die Entwicklung des kindlichen Hirns und seiner neuronalen Strukturen nicht von genetischen Programmen abhänge, sondern von den vor- und nachgeburtlichen Erfahrungen: „Der Körper strukturiert in den ersten embryonalen Monaten sein Gehirn“ und dann würden im Sinne der „Selbstorganisation“ die von außen kommenden Wahrnehmungen und Erfahrungen stetig in neuronale Strukturen übersetzt. Am Beispiel von Mozart erläuterte der Hirnforscher so auch eine „vorgeburtliche Verkoppelung“ von Wohlgefühl und konkreten sinnlichen Erfahrungen wie der Musik, die es später erlaube „eins zu werden mit seinem Tun“.

„Gelingen und Entfaltung“

 „Jedes Kind“, so Gerald Hüther, „ist hochbegabt insofern es eine Vielzahl von fast unerschöpflichen Potentialen hat“. Zur tatsächlichen Entfaltung müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die „Entdeckerfreude und Gestaltungslust“ fördern und Selbstlernprozesse initiierten. Eine deutliche Absage erteilte Hüther damit auch jeglichem „Machbarkeitswahn“ in der Bildung. Bildung werde nicht gemacht oder vermittelt, sondern können nur „gelingen“. Und ebenso könnten Begabungen sich nur aus dem Kind selber heraus entfalten.

Mit kritischem Blick auf frühe Förderprogramme und input-orientierten Unterricht wies Hüther darauf hin, dass Talente und Begabungen in den ersten Jahren auf entscheidende Weise im freien Spiel erkundet und erprobt werden. Hier finde gleichsam ein Feuerwerk der bedeutsamen Erfahrungen statt und  „Kinder lernen nur das, was für sie bedeutsam ist.“ Alle Lernprozesse seien dabei soziale Lernprozesse und insofern immer von Beziehung und Wertschätzung abhängig. In diesem Sinne forderte Hüther auch gerade im Hinblick auf Schule eine „Transformation der gegenwärtigen Beziehungskultur“.

Die Mühen der Ebene

In die Mühen der Ebene führte in der Tagungsfolge ein Dialog zwischen der nifbe-Begabungsforscherin Prof. Dr. Claudia Solzbacher und dem Bildungsforscher Prof. Dr. Eckhard Klieme. Hier stellte sich die zentrale Frage, wie Kompetenzentwicklung und Begabungsentfaltung für alle Kinder in der Schule tatsächlich realisiert werden können. Beide sahen LehrerInnen dabei in einer „grundsätzlichen Zwickmühle“: In einem System der „fachlichen Zielorientierung“ und  „Selektion“ müssten Kinder einerseits an einer sozialen Norm gemessen werden, sollten sich aber andererseits selbst entfalten können.

solzbacher1Prof. Dr. Claudia SolzbacherWie Claudia Solzbacher ausführte, gehe angesichts der unzureichenden Rahmenbedingungen und knappen Zeitressourcen der Trend bei LehrerInnen dahin, den Noten-Schwächsten gerecht zu werden und diese zu fördern. Damit gehe eine starke Defizitorientierung einher und viele Ressourcen blieben auf der Strecke: „Hochbegabung wird in der Schule outgesourct in entsprechende außerschulische Angebote von Stiftungen, Verbänden und Vereinen“. Nötig sei hier ein Paradigmenwechsel hin zu einer ressourcenorientierten individuellen Förderung. Zu wenig berücksichtigt würden zur Zeit auch noch die Entwicklung von Selbstkompetenzen wie zum Beispiel Selbststeuerung oder Selbstmotivation zur Übersetzung von Begabungen und Talenten in Leistung.


Balance zwischen Leistungsnormen und Selbstentfaltung fördern

Eckhard Klieme forderte, den Unterricht verstärkt so zu organisieren, dass die Balance zwischen Leistungsnormen und persönlicher Selbstentfaltung besser gewahrt werden könne. Dazu müssten eine Vielfalt von Lernmöglichkeiten und Medienangeboten bereit stehen und auch verstärkt neue, kooperative Lernformen in den Unterricht eingebaut werden. Mit kritischem Blick auf Gerald Hüthers Ausführungen warnte er aber auch: „Das Bereitstellen von Rahmenbedingungen alleine reicht nicht aus und das Wesentliche in der Schule ist und bleibt die gute Strukturierung des Unterrichts durch die LehrerInnen“.

In Übereinstimmung mit Hüther unterstrich Claudia Solzbacher allerdings auch, dass eine gute Beziehung die Grundlage von Bildung, Begabung und Kompetenzentwicklung sei. Für eine „Beziehung auf Augenhöhe“ könnten LehrerInnen an Regelschulen beispielsweise noch viel von Heil- und SonderpädagogInnen lernen. In diesem Sinne mahnten Solzbacher und Klieme für die Aus- und Fortbildung von LehrerInnen schließlich  auch eine verstärkte Reflektion über die eigenen Selbstkompetenzen und die Selbstmotivation an.


"Begabung braucht Zeit und Raum"

Vertieft wurden Aspekte aus diesem Fachdialog in drei Workshops zur Kompetenzentwicklung in Schule und im außerschulischen Bereich sowie mit besonderem Blick auf Kinder mit Migrationshintergrund. Neben Impulsreferaten von Dr. Heinz Klippert und den Forschung-Praxis-Tandems Prof. Dr. Jens Möller / Klaus-Peter Haupt sowie Prof. Dr. Birgit Leyendecker / Walter Bald konnten die TeilnehmerInnen hier intensiv diskutieren und reflektieren.

Abgeschlossen wurde die Tagung durch eine Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der innovativen Hessenwaldschule in Weiterstadt, der Wirtschaft (Siemens) sowie der Westfälischen Hochschule in Gelsenkirchen und der Universität Leipzig. Deutlich wurde auch hier einmal mehr, dass gerade Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund oder aus sogenannten bildungsfernen Schichten eine intensive individuelle Begleitung und Förderung benötigen, um in Schule und Ausbildung ihre Kompetenzen und Begabungen entwickeln zu können. Ute Simon-Nadler von der Hessenwaldschule unterstrich: „Begabung braucht Zeit und Raum“ und in diesem Sinne plädierte sie auch für die Ganztagsschule und gegen den noch immer verbreiteten 45-Minuten-Takt. Sie erinnerte auch daran, dass Schule nicht nur auf den Beruf, sondern auch auf das Leben vorbereiten solle - und hierzu gehöre aus ihrer Sicht „auch insbesondere die Erziehung zur Demokratie und Partizipation“.


Fotos mit freundlicher Genehmigung von "Bildung & Begabung"