Rauschenbach: "Ich sehe kein Katastrophenszenario"


Die jüngsten Entwicklungen und Prognosen zum Arbeitsmarkt der Frühpädagogik standen im Fokus des Vortrags von Prof. Dr. Thomas Rauschenbach, Direktor des Deutschen Jugendinstituts, im Rahmen der „Vorlesung im Schluss“ am 28. November 2012 an der Universität Osnabrück. Entgegen der Meinung vieler Medien, Experten und Politiker vermittelte er einen leicht positiven Ausblick auf das Arbeitsfeld als wichtigen Arbeitsmarkt, Wachstumsbranche und Job-Motor bei gestiegenem Qualifizierungsniveau. Den anzunehmenden Fachkräftemangel für August 2013 (Rechtsanspruch auf einen KiTa-Platz für Kinder ab einem Jahr) bezifferte er auf knapp 20.000 Personen. Um die Lücke zu schließen, hält er es für ratsam, frühpädagogische Fachkräfte (finanziell) zur Aufstockung auf vollzeitnahe Beschäftigung zu motivieren und ausgebildete Berufsaussteigerinnen zurück ins Berufsfeld zu holen.  „Statt zu dramatisieren, müssen wir das Problem lösen, ohne eine immer höhere Messlatte anzulegen“. So verwies Rauschenbach auf zeitlich differenzierte Strategien, um zuerst den flächendeckenden Ausbau (Quantität) und danach die Qualität zu fokussieren.



Rauschenbach stellte zu Beginn seines Vortrags fest, dass sich Deutschland mit dem Ausbau der öffentlichen Kindertagesbetreuung seit 2007 für die stärkere Institutionalisierung der Kindheit entschieden hätte. Die Ausbaudynamik der letzten Jahre bezog sich ausschließlich auf Westdeutschland, um mit der Normalität in den neuen Bundesländern gleichzuziehen (Betreuungsquoten 2012 der 2- bis 3-Jährigen: West 43 Prozent, Ost 82 Prozent). Folgende Entwicklungen verzeichnete das DJI im Forschungsverbund mit der TU Dortmund zwischen 2006 und 2012: Der Anteil der betreuten Kinder in KiTas und Tagespflege stieg kontinuierlich. Das Alter des KiTa-Einstiegs sank von einst vier Jahre auf zwei Jahre. Die Zahl der Ganztagsplätze bei über Dreijährigen (Ü3) erhöhte sich bundesweit um 60 Prozent, in Niedersachsen um die Hälfte.

Arbeitsmarkt Frühpädagogik: Strategisch und flexibel zugleich

Rauschenbach vertrat drei Thesen:

  1. Die gesamte Kinder- und Jugendhilfe hat mittlerweile einen nicht zu unterschätzenden, bedeutsamen Anteil am Gesamt-Arbeitsmarkt.
  2. Die Branche hat in den letzten sechs Jahren ein rasantes Personalwachstum verzeichnet.
  3. Die schnelle Entwicklung lässt Passungsprobleme nicht ausschließen.

Er forderte strategische Konzepte und Bekenntnisse bis 2020, die den Arbeitsmarkt zeitlich und personell flexibel und dynamisch an den Betreuungsbedarf anpassen – ohne das langfristige Ziel und Errungenschaften in Frage zu stellen.

Job-Motor KiTa: Nur Fachkräftemangel in Metropolen

Neben öffentlichen Investitionen und der Errichtung von KiTa-Plätzen sieht Rauschenbach den Erfolg der öffentlichen Kinderbetreuung erst an dritter Stelle in Abhängigkeit vom Personal: 2012 arbeiteten 544.000 MitarbeiterInnen in Kindertageseinrichtungen, 1990 waren es 361.656. In Westdeutschland hat sich der Personalbestand seither mehr als verdoppelt. Summiert mit den Beschäftigten in der Kinder- und Jugendhilfe, erreicht der Arbeitsmarkt eine ähnliche Größe wie die Automobilbranche (750.000 Beschäftigte). Ungleich zur Industrie gab Rauschenbach das ökonomische Ausmaß zu bedenken: Aus diesem Wachstumsmarkt der sozialen Berufe ergeben sich proportional wachsende Ausgaben, die nicht – wie in der Industrie – rationalisierbar sind.

Was die Qualifizierung der Fachkräfte angeht, stellte Rauschenbach ebenfalls eine positive Entwicklung vor. Seit 1974 ist der Anteil an ausgebildeten ErzieherInnen am KiTa-Personal von einem auf zwei Drittel gestiegen (65,5 Prozent 2012). Seit 2007/2008 steigerten die Bundesländer die Ausbildungskapazitäten und -abgänge bei ErzieherInnen und SozialassistentInnen kontinuierlich.

Trotz der Dynamik bleibt laut Rauschenbach unklar, ob damit der Bedarf an KiTa-Plätzen 2013 gedeckt werden kann. Er geht auf Basis der Prognosen von 19.767 fehlenden Beschäftigten aus (bei 18 Prozent Betreuung in KindertagespflegeKindertagespflege|||||Kindertagespflege oder Tagespflege umfasst eine zeitweilige Betreuung von Jungen und Mädchen bei Tagesmüttern oder Tagesvätern. Nach dem Tagesbetreuungsausbaugesetz von 2004 ist die Tagespflege neben der Tagesbetreuung in Kindertageseinrichtungen eine gleichwertige Form der Kindertagesbetreuung. ). Unsicher sind die Annahmen über die Anzahl der zu betreuenden Kinder, über das Renteneintrittsalter sowie die Zahl der tatsächlichen Personaleintritte in KiTas. Dennoch sieht Rauschenbach überregional kein Katastrophenszenario. „Schwierige Szenarien zeichnen sich aber in den westdeutschen Metropolen, da die Anzahl der Fachschulen und Auszubildenden bundesweit gleich breit gestreut und nicht regional angepasst ist“. Der DJI-Direktor geht zum Start des Rechtsanspruchs von einem stärkeren Verteilkampf um Fachkräfte aus, das Friktionen bringen könnte. Für die einzelne Fachkraft ergibt sich daraus jedoch eine gute Verhandlungsposition.

Weiblich, Teilzeit, ohne Studium: Personalstruktur in der Frühpädagogik

Trotz leicht steigendem Männeranteil bleibt die Frühpädagogik mit 95,8 Prozent weiblichen Beschäftigten (2012) ein Frauen-Arbeitsmarkt. Auch wenn die Teilzeit-Quote zu schrumpfen beginnen scheint, ist das Arbeitsfeld stark davon geprägt:

  • 40 Prozent des Personals arbeitet 38,5 Wochenstunden
  • 18 Prozent ist 32 bis 38,5 Stunden in der KiTa
  • 27 Prozent ist 21 bis 32 Wochenstunden tätig
  • Niedersachsen drastischer: Hälfte der KiTa-Beschäftigten arbeitet weniger als 32 Stunden

Die große Mehrheit der KiTa-Beschäftigten lebt laut Rauschenbach nicht in prekären Verhältnissen: Nur vier Prozent geht einem Zweit-Job nach. Jüngeres Personal befindet sich aufgrund der Befristung von Arbeitsverträgen stärker in riskantem Umfeld, das aber dem Gleichaltriger in anderen Branchen entspricht. Von der gesellschaftlichen Aufwertung des ErzieherIn-Berufs profitiert die Berufsgruppe.

Kritisch sah der DJI-Vorsitzende die weiterhin niedrige Akademikerquote (4 bis 5 Prozent). Er bezeichnete die KiTa als „letzte sozialpädagogische Bastion ohne Akademiker“, der auch die 50 neuen Bachelor- und Master-Studiengänge an Fachhochschulen (FH) bislang nichts anhaben konnten. Aktuell vernimmt Rauschenbach weder Tendenzen noch eine politische Bekenntnis, dieses unzureichende Niveau zu erhöhen. Sowohl die Fachschul- als auch die universitäre Ausbildung werden damit parallel benötigt, um den Bedarf zu decken:

52.008 neue Auszubildende an Fachschulen, erstes Jahr 2010/2011, davon:
  • 14.591 SozialassistentInnen
  • 9.229 KinderpflegerInnen
  • 28.188 ErzieherInnen

… versus 25.804 neue Studenten an Hochschulen, davon:

  • 9.727 Erziehungswissenschaft (Uni)
  • 14.828 Sozialwesen
  • 1.249 Erziehungswissenschaft (FH)

 Bislang ist es den Berufsinteressierten individuell überlassen, ob sie sich auf akademischem Niveau qualifizieren. Verändern könnte sich die niedrige Quote durch die „institutionalisierte Akademisierung“: Fachschulen müssten in Fachhochschulen umgebaut werden, wie es einst mit im Feld der Sozialarbeit und des Grundschul-Lehramtes erreicht wurde.

Autorin: Katja Edelmann