Das Schlagwort der „ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.  “ geistert wie ein allgegenwärtiges Phantom durch die aktuelle elementarpädagogische Debatte. Doch was steckt wirklich dahinter und wie ist die damit verbundene Komplexität zu bewältigen? Diese Fragen standen im Zentrum der vierten Professionalisierungs-Tagung des nifbe, die in Kooperation mit der HAWK und der Stiftung Universität in Hildesheim stattfand und gemeinsam von WissenschaftlerInnen und PraktikerInnen geplant wurde.


Zur Begrüßung nahmen sowohl HAWK-Präsidentin Prof. Dr. Christiane Dienel wie auch Universitäts-Präsident Prof. Dr. Wolfgang-Uwe Friedrich die aktuelle bildungspolitische Debatte rund um Krippenoffensive und Betreuungsgeld kritisch in den Blick: „Was wir viel zu wenig in der aktuellen Debatte hören, ist das Thema Qualität“ beklagte Dienel. Kern-Aufgabe sei es, die frühe Kindheit als eine Zeit der ungeheuren Potentiale und Chancen in den Blick zu nehmen und entsprechend jedem Kind qualitativ hochwertige Entwicklungsbedingungen in einem breiten Spektrum zu bieten.


Diesen Faden nahm auch Jutta Lanfermann vom Bundesfamilienministerium auf und unterstrich, dass eine bessere Qualifizierung und zugleich bessere Rahmenbedingungen notwendig seien, um in jedem Bundesland und in jeder Gemeinde gleich gute Startchancen für die Kleinen und Kleinsten bieten zu können. Als ein Schritt in diese Richtung führte sie die Bundesoffensive „Frühe Chancen“ und die gemeinsamen Eckpunkte des Bundes und des Landes für eine „hochwertige Sprachbildung und –förderung“ an. Vom BMFSJF geförderte Projekte wie das nifbe-Projekt „Professionalisierung, Transfer und Transparenz im frühpädagogischen Praxis- und Ausbildungsfeld“ trügen zu einer „Neuvermessung des Feldes“ und zu der notwendigen „Bündelung, Verzahnung und Vernetzung“ der unterschiedlichen Bildungssäulen und –Ebenen bei.

 

Kita-Orga entsteht in einem ständigen Änderungs- und Aushandlungs-Prozess


Prof. Dr. Peter Cloos (li.) und Prof. Dr. Stephan Brée (re.)In ihrem gemeinsamen Auftaktvortrag näherten sich Prof. Dr. Stephan Brée und Prof. Dr. Peter Cloos der KiTa als einer professionellen Organisation, die aus einer Vielzahl von einzelnen Aspekten wie Organisationsentwicklung, Management oder pädagogischer Interaktion bestehe. Doch das Ganze sei immer mehr als die Summe seiner Teile und als mögliches verbindendes und sinnstiftendes Element identifizierten sie das „Bildungs- und Lernverständnis“.
Die Organisationskultur einer KiTa entwickle sich in einem ständigen „Aushandlungs- Prozess“ und „das System ist abgestellt auf andauernde Veränderungen“, so Brée und Cloos. In diesem Sinne müsse sich das Team idealerweise auch als eine „dialogorientierte und reflexive Lerngemeinschaft“ mit flachen Hierarchien verstehen.
Professionalität in der KiTa sei eine „widersprüchliche Einheit von standardisiertem Wissen und nicht standardisierbaren fallspezifischen Interventionen“. Gerade im Hinblick auf die multidimensionalen und in komplexer Gleichzeitigkeit ablaufenden Bildungsprozesse von Kindern müssten ständig Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden, „ohne dass für die konkrete Situation erprobtes Handlungswissen“ vorliege.


Gabi WiegelDie ungeheure Komplexität, die ErzieherInnen und LeiterInnen tagtäglich bewältigen müssen, verdeutlichte die KiTa-Leiterin Gabi Wiegel in einem ergänzenden Praxisvortrag anhand einer verästelten Mindmap. Als Grundlage einer professionellen KiTa-Organisation hob sie die Haltung der pädagogischen Fachkräfte heraus. Diese beschrieb sie für ihr Team als eine „forschende und neugierige“, „lösungs- und ressourcenorientierte“ und „selbstreflexive“. Unabdingbar seien aber auch „Achtsamkeit und Empathie“. Aus dieser Haltung entwickelte Wiegel gemeinsam mit dem Team das systemische und auf den 5 Säulen von Kneipp basierende Konzept der KiTa, welche nun das „Fundament der täglichen Arbeit“ bilde – von der dialogisch orientierten Zusammenarbeit mit Familien über die „proaktive“ Kooperation und Vernetzung bis hin zur KiTa-Organisation und Qualifikation.


Im Anschluss konnten die rund 200 Tagungs-TeilnehmerInnen in acht verschiedenen Fachforen zentrale Aspekte der Professionalisierung vertiefen. Im Tandem gaben dazu jeweils VertreterInnen der Wissenschaft und der Praxis Inputs, um dann in die Diskussion mit den Forums-TeilnehmerInnen einzusteigen. Das Themenspektrum reichte dabei von der Organisations- und Konzeptentwicklung über Zeitmanagement und Praxisanleitung bis zur Fach- und Hochschulausbildung. Schon hier wurde an vielen Stellen deutlich, dass es zu kurz greife, nur von der Professionalisierung der einzelnen pädagogischen Fachkraft und der KiTa-Organisation zu sprechen. Vielmehr müsse es um die Professionalisierung des Gesamtsystems gehen - und damit auch um verbesserte Rahmenbedingungen für die rasant angestiegenen Anforderungen an die KiTas als Bildungseinrichtungen.

 

Podium
 

Fokus Rahmenbedingungen

Diese Rahmenbedingungen standen auch im Fokus einer abschließenden Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der verschiedenen Ebenen des frühpädagogischen Feldes. Zum Einstieg verwies Moderatorin Beate Hamilton-Kohn auf eine „atemberaubende Entwicklung in diesem Feld, die vielen KollegInnen im wahrsten Sinne des Wortes tatsächlich den Atem raubt.“ Als Leiterin des Jugendamtes der Stadt Hildesheim wertete Renate Pischky-Winkler es als „unvorstellbar“, dass sich trotz der gestiegenen Anforderungen an die KiTas der Personalschlüssel nicht verbessert habe und Unterstützungssysteme wie die Fachberatung nicht mitgewachsen seien. Im gleichen Tenor mahnte Matthias Böning, Geschäftsführer des Diakonischen Werks in Hildesheim an, dass die Rahmenbedingungen deutlich verbessert und die Diskussion um Qualitätsstandards geführt werden müsse.


Als Schlüssel zu qualitätsvoller Bildung hob Norbert Hocke von der GEW die „ErzieherInnen-Kind-Relation“ heraus, aus der hervorgehe, wie viel Zeit eine Erzieherin tatsächlich mit dem Kind verbringen kann. Ohne die Möglichkeit eines intensiven Bindungs- und Beziehungs-Aufbau der ErzieherInnen zum einzelnen Kind seien alle Bildungsangebote zum Scheitern verurteilt. Deshalb sei die Niedersächsische Volksinitiative für einen besseren Personalschlüssel auch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. „Noch immer“, so kritisierte Hocke, „gibt die Bundesrepublik nur 0,5 % des Bruttosozialprodukts für die frühkindliche Bildung aus, obwohl die Politik uns schon längst 1% versprochen hat.“ Die fehlenden Ressourcen seien auf Dauer auch nicht durch die weit verbreitete „Selbstausbeutung der ErzieherInnen“ zu kompensieren.


Prof. Dr. Julia Schneewind von der Hochschule Osnabrück pointierte: „Wir wissen, was fehlt, aber die, die es hören sollten, sind woanders. Geld ist da, aber leider woanders.“ ErzieherInnen und Eltern müssten entsprechend gemeinsam Druck für bessere Rahmenbedingungen aufbauen. In der jetzigen Situation einer allgegenwärtigen Überforderung der ErzieherInnen riet sie: „Haltet inne, kommt zur Ruhe und schaut, was ihr wirklich braucht. Seid bei den Kindern!“


Die Tagung endete mit einer kämpferischen Aufbruchstimmung und der Erkenntnis, dass zur Professionalisierung auch die berufsständische Organisation gehört. „Nur gemeinsam“, so die Tagungs-Moderatorin und nifbe-Koordinatorin Maria Thünemann-Albers zum Abschluss, „können wir dafür sorgen, dass das Wünschenswerte Wirklichkeit wird!“


Blick in das Publikum

 

Zur Volksinitiative für einen besseren Personalschlüssel

 

Hintergrund-Infos zum Personalschlüssel