Das Thema Armut hat durch die steigenden Energiekosten noch einmal an Brisanz gewonnen und KiTas sollten das sensibel im Blick haben. Im Interview mit Meine Kita zeigt Irina Volv vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main, worauf es insbesondere ankommt.


  • Vor welchen Herausforderungen stehen Kitas, vor allem in sozial hoch belasteten Stadtteilen?
In diesen Stadtteilen wohnen oft Familien mit einem niedrigen Bildungsniveau, Migrationshintergrund und eingeschränkten Sprachkenntnissen. Kinder, die in Familien mit drei Geschwistern oder mehr oder mit Mig¬rationshintergrund aufwachsen, sind häufiger von Armut betroffen. Und wir wissen aus der Forschung: Kinder, die in armutsbetroffenen oder -gefährdeten Familien aufwachsen, wer¬den über einen kürzeren Zeitraum institutionell betreut: Sie kommen später in die Kita und besuchen sie auch weniger Stunden in der Woche.

  • Mit welchen Auswirkungen?
Diese Kinder profitieren weniger von der Sprach¬förderung, vom Miteinander mit anderen Kinder und von den Bewegungsangeboten der Kitas. Das hat negative Auswirkungen auf die Ent¬wicklung dieser Kinder.

  • Sind Kita-Fachkräfte ausrei¬chend geschult in armuts¬sensiblem Handeln?
Leider nicht, deswegen wünschen sie sich Im¬pulse und Tipps dazu. Vor dem Hintergrund der Energiekrise und der Inflation sind die Kita-Mitarbeitenden zunehmend damit konfrontiert, mit solchen armutsgefährdeten und -betroffenen Familien umzugehen.

  • Welche armutssensiblen Maßnahmen sind besonders wirksam?
Den Kindern beispielsweise für eine Woche Spiele auszuleihen, etwa Karten-und Brettspiele. Spiele sind zentral für die Entwicklung von Kindern. Wenn das Kind ein Spiel aus der Kita mitbringt und den Eltern zeigt, es Spiel geht, verbringt es dadurch viel Zeit mit ihnen oder den Geschwistern. Das hat großes Potenzial für die Förderung der Kinder.

  • Welche weiteren Angebote empfehlen Sie?
Ein anderes Angebot ist beispielweise das Wald¬projekt. Vielen Kindern in armutsbetroffenen Fami¬lien fehlt es an Möglichkeiten, sich zu bewegen, in sozial belasteten Stadtteilen toben die Kinder meist nur auf den Spielplätzen, die sich häufig in desolatem Zustand befinden. Im Wald können sich die Kinder in der Natur ausprobieren oder die Namen von Bäumen und Pflanzen lernen. Auch das ist Sprachförderung.

  • Warum ist das so wichtig?
Weil viele Kinder von der Corona-Notbetreuung nicht profitiert haben und im Bereich Sprache von ihren Familien zuhause nicht bedarfsgerecht unterstützt werden konnten. Die individuelle Sprachförderung sollte in den Kitas einen hohen Stellenwert einnehmen, insbesondere in sozial belasteten Stadtteilen, wo viele der Kita-Kinder einen Migrationshintergrund haben und zu Hause kein Deutsch gesprochen wird. Das ist wichtig, um am sozialen und kulturellen Leben teilzuneh¬men. Wenn Kinder in den ersten Lebensjahren eingeschränkte soziale und kulturelle Teilhabe erfahren, dann fällt es ihnen später schwer, sich aus eigener Motivation für anspruchsvolle und neue Erlebnisse zu entscheiden.

  • Können Sie ein konkretes Beispiel nennen?
Wenn die Kinder in einer Kita die Möglichkeit haben zu entscheiden, was sie am Nachmittag machen – etwa freies Spiel, basteln, malen, Musik machen, Theater oder Schach spielen – dann entscheiden sich die Kinder aus armutsbetrof¬fenen Familien eher für Tätigkeiten, mit denen sie vertraut sind: draußen spielen, basteln oder malen. Und die Kinder, die regelmäßig mit ihren Familien Kino, Theater oder Konzerte besuchen, die zeigen sich motivierter für solche Aktivitäten und erreichen dementsprechend auch bessere Entwicklungsniveaus.

  • Wie können Kitas hier helfen?
Man darf hier nicht einfach sagen: „Ok, das Kind hat kein Interesse an anderen Aktivitäten.“ Aus armutssensibler Perspektive muss man fragen: „Warum entscheidet sich dieses Kind immer nur für das Spielen draußen? Gibt es Berührungsängste?“ Vielleicht hat das Kind nicht das Vokabular, um sich an solchen Angeboten auf Augenhöhe mit anderen Kindern zu beteiligen. Das ist Teil des Bildungsauftrages der Kitas, kulturelle und soziale Teilhabe zu gewährleisten.

Irina Volf ist Psychologin, sie leitet am Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik in Frankfurt am Main den Bereich Armut.
Mit ihrem Team am ISS begleitet und evaluiert sie das Projekt ZUSI.


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
Meine Kita, 4-2022, S. 6-7