Wo liegen die Ursprünge von Kommunikation und sozialer Interaktion? Und was hat das mit der frühkindlichen Bildung zu tun? Spannende Einblicke dazu gab in der nifbe-Zoom-Reihe „Partizipation und Demokratiebildung“ der Sprachwissenschaftler und Neurolinguist Samuel Cosper. Moderiert wurde der Vortrag von nifbe-Geschäftsführerin Dr. Bettina Lamm.

Screenshot03Die vorgetragenen Erkenntnisse stammen aus einem Projekt der Vergleichenden Kognitionspsychologie der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Simona Pika von der Universität Osnabrück. Samuel Cosper hat sich als Postdoktorand in diesem Rahmen insbesondere mit dem sogenannten „Turntaking“, dem Sprecher- bzw. Akteurswechsel in der Kommunikation beschäftigt - woraus sich weitreichende Konsequenzen für den kindlichen Spracherwerb und die soziale Interaktion insgesamt ergeben.
Wie Samuel Cosper ausführte, ist unsere Welt von sozialer Interaktion und dem Turntaking durchzogen – von der Sprache über Spiel, Sport und Kultur bis hin zum Verkehr. Die Art der Interaktion können dabei sowohl sprachlicher wie auch gestischer und handelnder Natur sein oder auch in einer geteilten Aufmerksamkeit liegen.

Das Turntaking und die soziale Interaktion findet sich dabei auch schon, wie Samuel Cosper mit einem beeindruckenden Video der Forschungsgruppe untermauerte, bei Primaten wie Gorillas, Schimpansen oder Bonobos – z.B. beim Teilen von Essen, bei der gegenseitigen Fellpflege, beim Spielen oder auch beim koordinierten Handeln wie der Jagd.

Differenziertes universelles Regelsystem

Das Turntaking kann grundsätzlich als differenziertes Regelsystem dazu verstanden werden, wie eine Konversation abläuft und sie scheint damit auch die Grundlage von sprachlichem Dialog zu sein. Die Kernelemente, so Samuel Cosper, sind dabei folgende:
  • Flexibilität (z.B. bei Länge und Reihenfolge)
  • Wer ist als nächstes dran?
  • Wann sollte eine Antwort kommen?
  • Was ist der nächste Turn?
Turntaking ist Samuel Cosper zufolge ein universelles Merkmal der Sprachen auf der Welt und erstaunlicherweise liegen nur durchschnittlich 250 Millisekunden zwischen den einzelnen Turns – wohingegen es schon 600 Millisekunden dauert, um ein Wort in den neurologischen Speichern abzurufen. In diesem Sinne scheint das Turntaking ein paralleler und eher unbewusster verankerter Prozess.

Was müssen Kinder lernen und wie können wir sie dabei unterstützen?

Wie Samuel Cosper aufzeigte, müssen Kinder beim Turntaking komplexe Abläufe lernen: Sie müssen so insbesondere Verständnis für die Erwartung des Wechsels entwickeln und sie müssen die (richtige) sprachliche, gestische oder handelnde Antwort geben. Dieses Lernen fange schon in den ersten Stunden und Tagen nach der Geburt an und die Regeln der Konversation festigen und verfeinern sich dann bis zum Alter von sechs Jahren.

Das Turntaking und die daraus resultierende Kommunikation der Kinder kann, so Samuel Cosper, insbesondere durch das „Scaffolding“ unterstützt werden. Kinder werden dabei sozusagen durch ein Gerüst der Erwachsenen in die nächste Stufe geleitet. Wichtig sei dabei ein kindergerichtete Sprache mit entsprechender Stimmlage, Tonhöhe, Rhythmus und Sprechtempo oder das (korrigierende) Wiederholen. Das (neu) zu lernende Schlüsselwort solle dabei am Ende stehen. Wie in der sprachlichen Kommunikation können die Kinder auch bei der handelnden Interaktion durch (wiederholendes) Vorzeigen unterstützt werden.
Nur Spekulationen ließen die Forschungsergebnisse aus dem Projekt darüber zu, inwieweit das Turntaking möglicherweise auch die Grundlage für Kooperation und Hilfsbereitschaft sein kann. Doch wenn man sich vergegenwärtig, dass mit dem Turntaking auch die Perspektivübernahme und das Einfühlen in das Gegenüber eingeübt werden, liegt die Vermutung nicht ganz fern. Hier offenbarte sich ein weiteres spannendes Forschungsfeld für die vergleichende Kognitionspsychologie.

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Karsten Herrmann