Inwieweit können Krippe und Kindergarten schon Kinderstuben der Demokratiebildung sein? Und welche Rolle spielt die Beziehung bei der Partizipation aller Kinder? Diese Fragen standen im Zentrum eines Vortrags von Prof. Dr. Dorothee Gutknecht im Rahmen der kostenlosen nifbe-Reihe „Partizipation und Demokratiebildung in der KiTa“. Moderiert wurde der Vortrag, zu dem sich fast 500 Teilnehmer*innen aus dem gesamten Bundesgebiet und aus Österreich angemeldet hatten, von den nifbe-Transfermanager*innen Jörg Hartwig und Gisela Röhling.

Als Ausgangspunkt ihrer Ausführungen nahm Dorothee Gutknecht den Artikel 12 der Kinderrechtskonvention. Dieser sichert jedem Kind, „das fähig ist, sich seine eigene Meinung zu bilden, das Recht zu, diese Meinung in allen das Kind berührenden Angelegenheiten frei zu äußern“ und „die Meinung des Kindes angemessen und entsprechend seinem Alter und seiner Reife zu berücksichtigen.“ Sie machte klar, dass Kinder, je jünger sie sind, desto mehr darauf angewiesen sind, dass ihnen dieses Recht auch eingeräumt wird. Daher sei in der KiTa „eine Kultur des Zuhörens, des Respekts und der Achtsamkeit“ notwendig.

Professionelle Responsivität

Insbesondere im Hinblick auf Schlüsselsituationen wie Essen, Schlafen oder An- und Ausziehen stellte die Kindheitspädagogin von der PH Freiburg ihr demokratiebasiertes Konzept der Professionellen Responsivität vor. Gemeint ist hiermit das Antwortverhalten der Fachkräfte auf einer körperlichen und kommunikativen (verbalen und nonverbalen) Ebene im Hinblick auf das einzelne Kind und die Gruppe. Durch ein responsives Antwortverhalten könne Raum für Erwiderung und ein Sich-Einbringen für alle Kinder geschaffen werden. Statt Macht und Zwang auszuüben gehe es darum, zu beobachten und die Signale der Kinder zu deuten sowie um Fachwissen, Reflexivität und die Orientierung an demokratischen Werten. Sie unterstrich, dass Beziehungen und Emotionen die Basis von Partizipation bilden und dass Kinder für ihre Beteiligung eine entspannte und zugewandte Atmosphäre benötigen.

Ein besonderes Augenmerk widmete Dorothee Gutknecht auch den Gruppen-Konstellationen und -Dynamiken in der KiTa, die für Kinder auch immer mit Risiken wie Ausschluss oder Unterdrückung verbunden seien und „erstaunliche Ungleichheiten“ produzieren können. Gerade schüchterne und gehemmte Kinder litten oft unter der Gruppensituation und benötigten die gezielte Hilfe und Unterstützung der Fachkräfte bei ihrer Beteiligung.

"Spur des Verstehens" in der KiTa legen

Unter dem Aspekt der Inklusion ging die Kindheitspädagogin auch auf die Bedeutung des Verstehens für die Teilhabe aller Kinder ein. „Nicht-Verstehen vermindert Partizipation“ sagte sie und besonders betroffen davon seien Kinder, die entwicklungsbedingt noch nicht alles verstehen können oder aber solche mit Entwicklungs-Verzögerungen, -Störungen, Behinderungen sowie auch Kinder mit Migrationshintergrund. Hier gelte es – z.B. durch Visualisierungen – eine „Spur des Verstehens“ in der KiTa zu legen und Mikro-Transitionen wie z.B. vom Freispiel zum Aufräumen gut vorzubereiten und deutlich anzukündigen.In einer interaktiven Einheit posteten an dieser Stelle auch die Teilnehmer*innen zahlreiche Vorschläge für eine solche Spur des Verstehens - von Piktogrammen über Metacom-Karten, Erzählboards und die Gebärdenunterstützte Kommunikation bis zum Wiederholen der Aussagen und zum Nachfragen.

An der Schlüsselsituation Essen führte Dorothee Gutknecht, die auch das „Frühpädagogik Netzwerk QuiKK“ wissenschaftlich leitet, aus, wie Partizipation durch Bewegungskontrolle eingeschränkt wird – z.B. durch Stuhl- oder Lätzchen-Fixierung oder durch die dominante Führung der Esshand. Stattdessen sollten die Möglichkeiten zur Beteiligung durch eine responsive Unterstützung und Assistenz gestärkt werden – z.B. durch eine feinfühlige Führung der Esshand von unten. Ziel müsse es sein, die „Compliance“ der Kinder, also ihre aktive Mitarbeit, zu gewinnen.

Hohe Stressbelastung als Gefahr

Deutlich stellte die Referentin an dieser Stelle aber auch heraus, dass die Professionelle Responsivität unter einer hohen Stressbelastung der Fachkräfte leide. Verantwortlich dafür seien ungünstige Rahmenbedingungen wie ein schlechter Personalschlüssel, aber auch eine gesundheitsbelastende Raumgestaltung oder aktuell die zusätzlichen Belastungen durch die Corona-Pandemie. Hier lauere die „Gefahr einer allgemeinen Kultur der sozialen Kälte und der Grenzverletzung“. An die Stelle einer Professionellen Responsivität trete dann eine „Funktionspflege“ ohne Empathie der Fachkräfte und ohne Teilhabe der Kinder.

An der Schlüsselsituation Aufräumen zeigte Dorothee Gutknecht aber auch auf, dass es in KiTas häufig hausgemachten Stress durch die eigenen Regeln gebe. Beim Übergang vom Freispiel und Bauen zum Aufräumen könne z.B. Stress durch eine „Verinselungsstrategie“ reduziert werden – aufgeräumt werden nur Teilbereiche, so dass auch noch nicht oder gerade abgeschlossene Bauwerke stehen bleiben können. In diesem Sinne empfahl sie eine kritische Überprüfung des jeweiligen KiTa-Regelwerks.

Kultur der Wertschätzung und der Empathie

Insgesamt öffnete die Referentin vielen Teilnehmer*innen in diesem Vortrag neue Facetten der Partizipation und Demokratiebildung und führte in die Feinstruktur der entsprechenden Beziehungsgestaltung und Responsivität ein. Mit hohem Praxisbezug verdeutlichte sie, wie wichtig eine Kultur der Wertschätzung und der Empathie sowie eine entspannte und zugewandte Atmosphäre für die Beteiligung aller Kinder ist.

Karsten Herrmann