BAG-BEK-Tagung beleuchtet KiTa-System

Schon vor der Corona-Pandemie standen viele KiTas an ihrer Belastungsgrenze und in den vergangenen Monaten sind wie unter einem Brennglas die Problemlagen und auch Sollbruchstellen im System deutlich geworden. In diesem Sinne stand auf der digitalen BAG-BEK-Herbsttagung eine Analyse der vergangenen Monate und die Frage im Mittelpunkt, wie KiTas künftig krisenfest aufgestellt werden können.

Wie die BAG-BEK-Vorsitzende Prof. Dr. Tina Friederich zur Begrüßung ausführte, sollten dabei insbesondere „die strukturellen Rahmenbedingungen, die Situation der Fachkräfte und die Finanzierung“ in den Blick genommen werden. Sie freute sich über die vielen Tagungs-Teilnehmer*innen aus allen Ebenen der frühkindlichen Bildung und unterstrich die Rolle der BAG-BEK als bundesweite Vernetzungsplattform und Diskussionsforum für die Qualitätsentwicklung in der frühkindlichen Bildung.

"Achillesferse" Ressourcen

Zum Auftakt ließ Dr. Nicole Klinkhammer vom DJI noch einmal die Qualitätsdebatte der vergangenen Jahre kurz Revue passieren. Ab 2005 machte sie einen „Paradigmenwechsel“ mit hoher Ausbaudynamik und voranschreitender ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   der Fachkräfte aus. „Achillesferse“ sei aber immer die Ressourcenknappheit und die strukturelle Qualitätsentwicklung geblieben. Auch beim Gute KiTa-Gesetz sei kein Konsens für verbindliche Qualitätsstandards erreicht worden. Als zentrale strukturelle Qualitätsziele unter den zehn vereinbarten Handlungsfeldern hob sie folgende heraus:
  • Fachkraft-Kind-Schlüssel
  • Fachkräfte-Gewinnung
  • Stärkung der Leitung
  • Verbesserung der räumlichen (inklusiven) Gestaltung
Aus dem Monitoring des Gute KiTa-Gesetzes (ERiK) und dem Fachkräftebarometer stellte die Wissenschaftlerin aktuelle Zahlen und Fakten vor und konnte beim Personalschlüssel trotz der hohen Ausbaudynamik eine „tendenzielle Verbesserung“ konstatieren. Bei großen Differenzen zwischen den Bundesländern und insbesondere zwischen Ost und West liege der Personalschlüssel aktuell bei 1:3,9 im U3-Bereich und bei 1:8,2 im Ü3-Bereich. Sie räumte aber eine „Differenz zwischen rechnerischem Kennwert und dem realen Alltag“ ein. Grundsätzlich würden aber auch mit diesen errechneten Personalschlüsseln die fachlichen Standards nicht erfüllt und es bleibe „kaum Zeit für mittelbare pädagogische Arbeit“. Problematisch seien auch die sehr unterschiedlichen Leitungsressourcen in den Bundesländern und in vielen kleineren Einrichtungen gäbe es sie schlichtweg nicht.

Belastet, so Nicole Klinkhammer, seien die KiTa-Leitungen aktuell durch zu viel Verwaltungsarbeit und gerade während der Corona-Pandemie durch sich ständig verändernde Vorschriften und Auseinandersetzungen mit Eltern z.B. um einen Platz in der Notbetreuung. Eine große Belastung stelle auch der Personalmangel und die entsprechend schwierige Personalplanung da. Im Hinblick auf die digitale Ausstattung in den KiTas zeigten sich 42 Prozent der Fach- und Leitungskräfte „eher“ bzw. „nicht“ zufrieden.

Vielfältige Belastungen durch Pandemie

Im Anschluss stellte Prof. Dr. Florian Spensberger (vormals DJI, jetzt KU Eichstätt) Ergebnisse aus der gemeinsam mit dem RKI durchgeführten Corona-Kita-Studie mit rund 10.500 registrierten KiTas vor. In der ersten Corona-Welle sind KiTas demnach wenig (ca. 3 Prozent) von Infektionen bei Kindern und Fachkräften betroffen gewesen, in der zweiten und dritten Welle sei jedoch gerade bei Kindern ein deutlicher Anstieg auf bis zu rund 7 Prozent zu verzeichnen. Auch in den Lockdown-Phasen hätte die Betreuungsquote noch bei 40 – 50 Prozent gelegen.

Als Schwierigkeiten bei der Bewältigung der Corona-Pandemie wurden von den befragten KiTas insbesondere „der Betreuungsnachfrage gerecht werden“ und die „Beschaffung digitaler Geräte für den Austausch mit Kindern und Eltern“ angegeben. Die Umsetzung der geforderten Hygienemaßnahmen wurde dagegen von der Mehrheit als gut eingeschätzt und nur 10 Prozent sahen Schwierigkeiten bei der „Gruppentrennung“.

Kooperation mit Eltern deutlich verschlechtert

Letztlich, so Florian Spensberger, „gab es in den Lockdown-Phasen nur wenig Kontakt mit Eltern und Kindern über die digitale Medien“, was unter anderem an der mangelnden Ausstattung gelegen habe. Entsprechend sei die Einschätzung der Fachkräfte im Hinblick auf ihre Kooperation mit Eltern während der Pandemie auch „stark gesunken“. Im pädagogischen Bereich seien insbesondere der Übergang KiTa-Grundschule, die Interkulturelle Arbeit und die Inklusion beeinträchtigt gewesen. Grundsätzlich machten die Fachkräfte auch einen „gestiegenen Förderbedarf“ bei den Kindern aus.

Drohende Abwanderung

Im Anschluss stellte Dr. Elke Alsago von ver.di die Ergebnisse einer Befragung zur Sozialen Arbeit sowie des „Kita-Personalchecks“ vor, an dem sich fast 20.000 Fachkräfte beteiligt haben. Während der Corona-Pandemie habe es den Auswertungen zufolge „eine deutliche Steigerung der Arbeitsbelastung und veränderte Arbeitsinhalte“ für die Fachkräfte gegeben. Fast drei Viertel der Befragten gaben so an, dass sie zusätzliche Aufgaben für erkrankte oder besonders gefährdete Kolleg*innen hätten übernehmen müssen. Beklagt wurde auch „eine fehlende Steuerung und mangelnde Umsetzung gesetzlicher Vorgaben“ wie z.B. die Einhaltung von Schutzmaßnahmen.

Im zweiten Lockdown, so Elke Alsago, fühlten sich 81,5 Prozent der KiTa-Fachkräfte „belastet“ oder sogar „extrem belastet“. Ein Drittel dachte in dieser Zeit über einen Stellenwechsel und ein Viertel sogar über einen kompletten Berufswechsel nach.

Im frisch ausgewerteten „Kita-Personalcheck“ gaben knapp 60 Prozent der Fachkräfte an, sie hätten laut Dienstplan abgesicherte Verfügungszeiten, aber 30 Prozent sagen auch, dass sie im Alltag effektiv keine Verfügungszeit haben. 80,8 % der Befragten verbringen demnach drei und mehr Stunden in direkter Interaktion mit Adressat*innen und auch Leitungskräfte sind noch häufig in direkter Interaktion mit Kindern.

Teufelskreis aus Unzufriedenheit, Abwanderung und Überlastung

Im Hinblick auf den realen Fachkraft-Kind-Schlüssel gaben zwischen 27 und 37 Prozent an in der Spitze allein für 9-12 Kinder im U3-Bereich und für 17-20 Kinder im Ü3-Bereich verantwortlich zu sein. Fast die Hälfe der Befragten gab an, aufgrund der fehlenden Zeit „nicht auf Probleme und Wünsche der Kinder“ eingehen zu können. In diesem Sinne musste Elke Alsago resümieren: „Die Kolleg*innen sind immer in der Not etwas – sich, Kinder oder die Qualität – vernachlässigen zu müssen.“ Sie sah einen „Teufelskreis aus Unzufriedenheit, Abwanderung und weiterer Überlastung“ und das Feld grundsätzlich „am Limit und müde“. In den anstehenden Tarifverhandlungen müsse der Erzieher*innen-Beruf im Hinblick auf Bezahlung und die strukturellen Rahmenbedingungen „deutlich aufgewertet“ werden.

Im Fokus: Soziale Ungleichheiten

Von „Brenngläsern und Schönwetterphasen“ sowie „Bildungsungleichheiten im Kontext (post-)pandemischer Kita-Finanzierung“ berichtete Prof. Dr. Nina Hogrebe von der HAW Hamburg. Sie konstatierte eine „Verschärfung sozialer Ungleichheiten“ während der Corona-Krise sowie Verstöße gegen die Rechte des Kindes und das Diskriminierungsverbot. Kinder, Alleinerziehende und sozioökonomisch schwache Familien seien in der Krise besonders betroffen gewesen und bestehende Barrieren z.B. im Hinblick auf Bildungszugänge hätten sich verschärft. Grundsätzlich seien die Maßnahmen vor und während Corona nicht systematisch auf diese Zielgruppe ausgerichtet (gewesen). Dahinter stehe auch immer die Frage der Macht und der Lobby.

Nina Hogrebe plädierte anstelle eines „Gießkannenprinzips“ für einen „zielgerichteten und bedarfsorientierten Einsatz der Mittel“ im Hinblick auf fünf zentrale Kategorien:
  • Ökonomische Benachteiligung
  • Familienzusammensetzung
  • Migration und Sprache
  • Kinder in besonderen Notlagen
  • Kinder mit Beeinträchtigungen/ Förderbedarf

Als „Mechanismen der Ressourcenverteilung“ stellte sie vier verschiedene Modelle mit ihren jeweiligen Vor- und Nachteilen vor:
  • Direkte Zuweisungen an Eltern
  • Kindbezogene Zuweisung an Einrichtungen
  • Zuweisungen auf Basis der KiTa-Zusammensetzung
  • Zuweisungen auf Basis des Sozialraums

Verbindlicher politischer Wille notwendig

Zum Abschluss Ihres Vortrags forderte Nina Hogrebe: „Wir brauchen einen verbindlichen politischen Willen, soziale Ungleichheiten gezielt abzubauen“. Für den konkreten Prozess sei die „Mitbestimmung der Betroffenen“ sowie eine „wissenschaftliche Begleitung und Evaluation“ unabdingbar.

Nach diesem vielperspektivischen Blick auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die KiTas sowie auf die Strategien für ihre nachhaltige strukturelle Verbesserung und soziale Chancengerechtigkeit, standen die aktuellen Entwicklungen in den Bundesländern auf der Agenda der BAG-BEK-Tagung. Deutlich wurden in den Berichten hier noch einmal die ungeheuren Herausforderungen der Pandemie für die KiTas und die hohe Belastung der Fachkräfte, die in einem ständigen Spagat zwischen Corona-Verordnungen, pädagogischen Ansprüchen und der Angst um die eigene Gesundheit gestanden haben. Zum Abschluss der Tagung kamen die Teilnehmer*innen in den sieben Fach-Arbeitsgruppen der BAG-BEK zusammen und arbeiteten an ihren Themen weiter – von der Berufspolitik über die Fachberatung bis zur Gesundheit.

Präsentation Klinkhammer / Spensberger

Präsentation Elke Alsago

Präsentation Nina Hogrebe



Karsten Herrmann