Interview mit Prof. Dr. Maria Eleonora Karsten zu den aktuellen Herausforderungen in der Elementarpädagogik

  • Kindertageseinrichtungen stehen heute vor der großen Herausforderung, die Entwicklungs- und Lernprozesse der Kinder auf bestmögliche Weise zu begleiten und zu unterstützen. Dies hat auch zu einer teilweise hitzig geführten Debatte um die weitere ProfessionalisierungProfessionalisierung|||||Eine Professionalisierung findet im weiteren Sinne statt wenn die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem  Beruf wird. Im Rahmen der Professionalisierung werden häufig Qualitätsverbesserungen und Standardisierungen erreicht. Professionalisierung bedeutet auch die Entwicklung eines Berufs zu einer Profession, darunter wird meist ein akademischer Beruf mit hohem Prestige und Anerkennung verstanden.   und auch Akademisierung der pädagogischen Fachkräfte in den KiTas geführt. Droht die Fachschulausbildung für ErzieherInnen dabei zum Auslauf-Modell zu werden?

Schon rein quantitativ sind die Fachschulen und andere vollzeitschulische sozialpädagogische Bildungsgänge zum Beispiel zur Sozialassistenz keineswegs ein Auslaufmodell. Insgesamt haben die Fachschulen rund 16.000 Absolventinnen pro Jahr im Bundesgebiet und knapp 1.650 in Niedersachsen. Damit stellen sie den größten Anteil aller Fachkräfte in der Elementarpädagogik und sind auch für die Zukunft unverzichtbar – umso mehr, als alleine für Niedersachsen ein zusätzlicher Bedarf von rund 5.500 Fachfrauen und -männern für den Ausbau der Krippenplätze in Niedersachsen nachgewiesen ist.

Qualitativ geht es darum, die Bildung, Erziehung und Betreuung für das ganze Land Niedersachsen zukunftsfähig zu machen. In diesem Sinne fordert auch das Land Niedersachsen, dass die Ausbildung von ErzieherInnen „entsprechend den neuen Anforderungen an die Frühkindliche Bildung und Betreuung ständig weiterentwickelt werden“ muss. Das betrifft die Aktualisierung der Ausbildungsinhalte ebenso wie die Anhebung des Ausbildungsniveaus der Zweitkräfte und die Möglichkeit die Fachhochschulreife an der Fachschule zu erwerben oder die ErzieherInnenausbildung für Aufbaustudiengänge anzurechnen (weitere Infos).


Die Lehrkräfte für diese sozialpädagogischen Bildungsgänge werden an der Leuphana - Universität Lüneburg in einem Bachelor „Berufliche Bildung in der Sozialpädagogik“ und einem Master- Studiengang „Lehramt Berufsbildende Schulen, Fachrichtung Sozialpädagogik“ ausgebildet. Dieser Studiengang existiert erst seit 1996, so dass zur Zeit in den Kollegien der sozialpädagogischen Bildungsgänge sehr unterschiedlich qualifizierte LehrerInnen tätig sind. Auch hier gibt es somit durchaus weiteren Qualifizierungsbedarf.


Die Fachschulen haben aber sehr gute Chancen, ihre Qualitäten bestmöglich weiterzuentwickeln. Sie müssen sich allerdings selbst als Teil des gesamten Professionaliserungs-Projektes: " Elementarpädagogik für die Zukunft der Bildung aller" verstehen. Grundsätzlich sollte die Debatte um Fachschul- und Hochschulausbildung von ErzieherInnen keineswegs auf ein „Entweder – oder“ verkürzt werden. Es geht vielmehr darum, hier intelligente Kooperationsformen einzugehen und insgesamt die Durchlässigkeit des Ausbildungssystems zu verbessern.

  • Wie schätzen Sie das Qualifikationsniveau und die „Praxistauglichkeit“ der AbsolventInnen der zurzeit rund 50 elementarpädagogischen Studiengänge in Deutschland ein und wo sehen Sie ihr primäres Berufsfeld?


Der Auf- und Ausbau der ersten Generation der Bachelor - Studiengänge "Elementarpädagogik - Pädagogik der frühen Kindheit" begann 2004 und die 260 ersten Absolventinnen gab es 2008. Es gibt erst sehr wenige, nämlich vier realisierte Master-Studiengänge, einige sind geplant und die Absolventinnenzahl liegt bei rund 20. Dies bedeutet, dass vorerst nur sehr wenige Erfahrungen zu den Berufseinmündungen und weiteren Berufswegen vorliegen. Einen Schwerpunkt bildet bisher die interaktive pädagogische Arbeit in Kindereinrichtungen, einige gehen den Weg in administrativ - leitende Tätigkeiten. In einigen Bundesländern, wie NRW und Brandenburg, ist der Bachelorabschluss mit der staatlichen Anerkennung verbunden, in einigen Bundesländern wird dies noch gesondert geregelt. Hier müssen wir möglichst bald zu einer bundeseinheitlichen Lösung kommen.


Das Qualifikationsniveau in den akkreditierten Studiengängen ist eher spezialistisch ausgerichtet, so dass es noch deutlich weiterer professionsbezogener und wissenschaftsbezogener, vor allem sozialdidaktischer Weiterentwicklungen bedarf. Die Praxisbezüge orientieren sich ( noch ) weitgehend an interaktiv-pädagogischen Prozessen und beziehen das Gesamtfeld der Bildungsarbeit mit Mädchen und Jungen, ihren Müttern und Vätern bis in die Landesministerien, die Wohlfahrtsorganisationen und in die Wissenschaft als Beruf eher selten mit ein.


Wichtig ist, dass die Dauerbeobachtung der Entwicklung des Personals für das Gesamtfeld intensiviert wird, damit zukünftig qualifiziertere Daten zur Verfügung stehen. Die Frage der gesellschaftlichen Anerkennung und damit auch der tariflichen Entgeltentwicklung steht im direkten Zusammenhang mit dem quantitativen und qualitativen Ausbau und fordert differenzierte Strategien zur Aufwertung.

  • Eine zentrale Herausforderung für die qualitative Entwicklung im frühkindlichen Bereich wird die Weiterbildung der jetzt schon tätigen pädagogischen Fachkräfte sein. Sind wir da mit einem breiten Angebot der KiTa-Träger und Erwachsenenbildungseinrichtungen schon gut aufgestellt oder brauchen wir eine systematisch angelegte Qualifizierungsoffensive?

Zuallererst ist eine Lanze für die Leistungen der ErzieherInnen in den KiTas zu brechen. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen und den auf sie einflutenden neuen Anforderungen tun sie ihr Bestes und entfalten ein auch für andere Berufsgruppen vorbildhaftes Engagement – z.B. bei der Weiterbildung, die oftmals in der Freizeit stattfindet.
 

Gleichwohl ist heute eine systematische Qualifizierungs-Offensive dringend angesagt, damit für alle Fachfrauen und - männer alle Bildungswege und auch neue Berufsabschlüsse prinzipiell zugänglich sind. Es geht also sowohl um Anerkennung vorhandener Kompetenzen und um Kompetenzerweiterung als auch um Neulernen, z.B. einer forschenden Haltung in der alltäglichen KiTa-Praxis. Wenn nämlich die Mädchen und Jungen in ihren sehr eigensinnigen Selbstbildungsprozessen begleitet und unterstützt werden sollen und diese sich entdeckend und forschend die Welt aneignen, dann muss dies gleichermaßen für die ErzieherInnen in ihrer Haltung und in ihrem Wissen, Können und Handeln gelten.

  • Das Aus- und Weiterbildungsfeld der Elementarpädagogik ist von einer großen Heterogenität und auch Unübersichtlichkeit gekennzeichnet. Wie kann hier mehr Transparenz, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit hergestellt werden?

Wichtig ist, dass sowohl wissenschaftliche als auch aus- und weiterbildungs-praktische Foren geschaffen werden, in denen kriteriengeleitet und verständigungsorientiert die aktuelle Vielfalt geordnet und konstruktiv weitergedacht wird. Dazu gehört, dass das gesamte Bildungssystem für die Elementarpädagogik und alle Berufsbildungswege und - Abschlüsse zusammen berücksichtigt werden, so dass jeder einzelne Weg in diese Gesamtschau eingeordnet werden kann.
 

Weiterhin geht es darum, Bereichs- und Versäulungs-Egoismen und -interessen zugunsten einer verantwortungsvollen Qualitäts- und Professionalisierungs-Weiterentwicklung bewusst zurückzustellen und zu so etwas, wie einer konzertierten Strategie zu kommen.

  • Welche Rolle spielt hier das vom Bundesfamilienministerium geförderte nifbe-Projekt zur Professionalisierung, dass modellhaft ein Gesamtkonzept für die Abstimmung von beruflicher Ausbildung, akademischer Qualifikation, Praxiseinsatz in Kindertageseinrichtungen sowie von Forschung und Wissenschaft entwickeln soll?

Für Niedersachsen stellt dieses Projekt genau so ein Forum da, wie ich es für notwendig halte: Im Rahmen des Projektes werden beispielsweise von niedersächsischen Universitäten und Hochschulen abwechselnd Fachtagungen ausgerichtet, auf denen der Stand der Forschung zu professionsbedeutsamen Themen präsentiert und diskutiert wird. Dies dient der Verständigung und dadurch der Fort- und Weiterbildung aller Beteiligten. Durch die Bündelung von ExpertenInnen- und Fachkompetenzen sowie die Veröffentlichung von Stellungnahmen tragen regelmäßig stattfindende AG‘s zu den Themenkomplexen „Hochschule“, „Fachschule“, „Weiterbildung“ sowie „Praxis“ zur Implementierung des so strukturierten, wissenschaftlich fundierten Wissens in die Fläche bei. Im Rahmen des Projektes werden auch Zukunftsstrategien und Visionen – beispielsweise zur „KiTa 2020“ - für das Land Niedersachsen herausgearbeitet. Das Projekt ist zusammen mit den nifbe-Netzwerken eine Art Think Tank des nifbe und fordert dazu heraus, sich zu aktivieren und mitgestaltend tätig zu werden.

  • Welche Vision haben Sie für das Aus- und Weiterbildungsfeld der Elementarpädagogik? Wo stehen wir in zehn Jahren?

Die Vision ist ein von großer Entwicklungsfreude und Dynamik bestimmtes Feld der Elementarpädagogik in Niedersachsen. Die Universitäten, Hochschulen, Fachschulen sowie Weiterbildungsträger arbeiten hier ganz selbstverständlich zusammen und es finden regelmäßige Foren zum Austausch und zur konstruktiven Weiterentwicklung des Feldes statt, an denen auch die Politik und die Ministerien teilnehmen. Die Forschung ist führend, praxisnah und kompetenzorientiert und erarbeitet fortlaufend Erkenntnisse, die direkt genutzt werden können. Ausgehend von der frühkindlichen Bildung wird Niedersachsen so zum Synonym für das lebenslange, sozial nachhaltige Lernen und für eine hohe Lebens- und Bildungsqualität in allen Lebensaltern – und damit zum Synonym für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft.


 

Kurz-Bio

Maria Eleonora Karsten ist seit 1990 Professorin für Erziehungswissenschaften und Sozialmanagement an der Leuphana-Universität Lüneburg. Seit 1996 ist sie verantwortlich für den Studiengang „Lehrerbildung an Berufsbildenden Schulen / Fachrichtung Sozialpädagogik“. Sie ist zudem als Projekt-Gutachterin und in Akkreditierungsverfahren für neue sozialwissenschaftliche, sozial- und elementarpädagogische Studiengänge tätig.
 

Interview: Karsten Herrmann