Wie kann das neue niedersächsische KiTa-Gesetz noch gut werden und was brauchen die Kinder und Fachkräfte wirklich? Diese Frage stand im Fokus einer Veranstaltung der GRÜNEN mit Expert*innen der frühkindlichen Bildung aus ganz verschiedenen Ebenen.
Kita Webinar 002
Zum Auftakt betonte GRÜNEN-Fraktionsvorsitzende und Moderatorin Julia Willie Hamburg, dass „selten ein Gesetzentwurf so in die Kritik geraten ist“. Es sei „schlichtweg enttäuschend“ und erfülle die Bedarfe der KiTas und die gestiegenen Herausforderungen und Erwartungen an sie nicht.

"Schlichtweg enttäuschendes NKiTaG"

Volker Bajus, Sprecher für frühkindliche Bildung bei den GRÜNEN, erinnerte daran, dass Kultusminister Grant-Hendrik Tonne zugleich mit der Beitragsfreiheit auch eine konsequente Qualitätsentwicklung versprochen habe – passiert sei allerdings seitdem nichts. Ein „starkes Stück“ sei es, dass der Gesetzesentwurf 13 Jahre nach der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention Kindern nach wie vor einen Inklusionsplatz im Kindergarten verweigere. „Es gibt einen Anspruch auf Inklusion und der muss rechtlich umgesetzt werden“ unterstrich er.

Gerade in Corona-Zeiten, so Volker Bajus, sei auch noch einmal die Bedeutung der KiTas und der frühkindlichen Bildung deutlich geworden. Im Hinblick auf die (heutige) Anhörung im Kultusausschuss und das weitere Verfahren konstatierte er „eine grundsätzliche Gesprächsbereitschaft der Regierungsfraktionen“, die von dem Proteststurm gegen die Entwurfsfassung offenbar überrascht gewesen seien. Volker Bajus verwies auch auf einen eigenen KiTaG-Gesetzentwurf von den GRÜNEN und der FDP mit einem Stufenplan für eine verpflichtende 3. Kraft ab 2030, der heute ebenfalls im Ausschuss debattiert wird.

"Gute Bildung ist nicht umsonst zu haben"

Aus wissenschaftlicher Sicht und als Vertreter des Landesstudiengangstag Pädagogik der Kindheit sprach auch Prof. Dr. Tim Rohrmann von einer „herben Enttäuschung über das NKiTaG“ und unterstrich: „Gute Bildung ist nicht umsonst zu haben!“. Prägnant führte er aus, warum wir gute Qualität in den KiTas benötigen:
  • Gute Qualität legt die Grundlage für gelungene Entwicklungs- und Bildungsverläufe von Kindern
  • Gute KiTas sind die „Kinderstube der Demokratie“
  • Gute Rahmenbedingungen machen das Arbeitsfeld für Fachkräfte und junge Menschen vor der Ausbildung attraktiv
Die Risiken unzureichender Qualität reichten dagegen von den „nicht ausreichend wahrgenommenen Bedürfnissen der Kinder“ über die „Verletzung ihrer Rechte“ bis zum Ignorieren des „Unterstützungs- und Beratungsbedarfs von Eltern und Familien“. Unzureichende Qualität und mangelnde Rahmenbedingungen würden zudem den Teufelskreis des Fachkräftemangels verschärfen.

Im Hinblick auf den KiTaG-Entwurf mahnte Tim Rohrmann insbesondere folgende Verbesserungen an:
  • Bildungsauftrag und fachliche Anforderungen klar formulieren
  • Rahmenbedingungen verbessern (Zeiten und Personal)
  • Qualifizierung sichern und Karriereoptionen schaffen
  • Unterstützungsstrukturen (wie Fachberatung) nachhaltig absichern
Das neue KiTaG sah er als Nagelprobe für die Frage „Wie wichtig sind uns Kinder und wie wollen wir in Zukunft leben?“ und gab in diesem Sinne auch seiner Hoffnung auf essentielle Verbesserungen Ausdruck.

Martina Ernst vom Bündnis für Kinder und Familien richtete zunächst den Blick ein wenig zurück und erinnerte daran, dass nach der erfolgreichen Volksinitiative 2013 und einem Stufenplan für die Dritte Krippenkraft „gar nichts mehr für die KiTas gekommen ist außer der Beitragsfreiheit“. Sie betonte, dass ein „kostenneutraler Gesetzesentwurf nicht funktionieren kann" und dass schon die dritte Kraft in Kindergartengruppen „nur ein Kompromiss und eine Mindestanforderung ist – denn eigentlich brauchen wir kleinere Gruppen“. Martina Ernst verwies auf eine Vielzahl von Protestaktionen des Bündnisses, u.a. eine ständige Mahnwache vor dem Kultusministerium.

Eindringlicher Blick in die Praxis

Eindrücklich schilderte Christine Hiller, Leiterin der KiTa St. Marien in Lüneburg, die in den letzten Jahren rasant gestiegenen Anforderungen an Fachkräfte, die heute „Meister des Multitaskings“ sein müssten. Die Verfügungszeit von 7,5 Stunden reiche für die vielfältigsten Aufgaben in der von einer immer größeren individuellen, sozialen und kulturellen Vielfalt geprägten KiTa bei weitem nicht aus. Als Stichworte führte sie Kindeswohl, Kinderrechte, Partizipation, Beschwerdemanagement, Dokumentation, Sprachstandserhebung, Videografie, Vernetzung und insbesondere eine immer mehr Zeit erfordernde Zusammenarbeit mit Eltern aus, die in ganz verschiedenen Familienkonstellationen lebten und zunehmend mehr Unterstützungsbedarf hätten. Immer mehr Förderbedarf sah sie auch im Hinblick auf die Kinder: Rund ein Drittel hätte Schwierigkeiten mit der (deutschen) Sprache oder auch im motorischen bzw. sozio-emotionalen Bereich.

Im Hinblick auf die Arbeit in kleinen Notgruppen während des Corona-Lockdowns mit viel mehr Zeit für einzelne Kinder konnte sie von „Entwicklungssprüngen der ruhigen und zurückhaltenden Kinder berichten“. Hier sei eine ganz andere und qualitativ hochwertigere pädagogische Arbeit möglich gewesen als im Regelbetrieb.

Mehr Gesellschaftliche Anerkennung statt Abwertung

Von einem „katastrophalen Gesetzesentwurf“ und einer „Abwertung eines ganzen Berufsfeldes" sprach Katja Wingelewski von ver.di. Sie plädierte für einen besseren Fachkraft-Kind-Schlüssel, mehr Zeit für das Kind, für Vor- und Nachbereitung, für Leitung sowie insgesamt „gesunde Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte“. Grundsätzlich brauche das Feld „mehr politische und gesellschaftliche Anerkennung“.

Als letzter Redner schloss sich Dominik Baier vom Paritätischen Wohlfahrtsverband den Forderungen und Kritikpunkten seiner Vorredner*innen an. Er hob aber besonders noch einmal den „Rechtsanspruch auf einen integrativen KiTa-Platz“ hervor, „der noch nicht einmal viel kosten müsste“. Er verwies auch auf die Koalitionsvereinbarung von 2018 für Qualitätsentwicklung in KiTas und einem Stufenmodell für die Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels. Auch Dominik Baier stellte die 3. Kraft neben dem pädagogischen Nutzen auch als zentrales Instrument für die zukünftige Absicherung des Fachkräfte-Bedarfs dar. Hier sei des Weiteren eine Weiterentwicklung der Ausbildung bei Beibehaltung des jetzigen Niveaus notwendig – zum Beispiel im Hinblick auf die berufsbegleitende Qualifizierung.

Was können wir noch tun?

In der anschließenden Diskussion mit den rund 100 Teilnehmer*innen der Veranstaltung drückte sich, so Julia Hamburg, eine „Riesenenttäuschung“ aus und die zentrale Frage lautete, was jetzt noch getan werden könne.

Martina Ernst vom Bündnis für Kinder riet in Corona-Zeiten zu „vielen kleinen Nadelstichen mit Protestkarten und lokalen Aktionen“, die dann wiederum in die sozialen Medien eingespeist werden könnten. Darüber hinaus seien Leserbriefe in den Tageszeitungen und die Ansprache von lokalen Landtagsabgeordneten und Kommunalpolitiker*innen sinnvoll. Das Bündnis würde seine Mahnwache weiterführen und denke tatsächlich auch über eine neue Volksinitiative nach.

Abschließend versprach auch Volker Bajus von den GRÜNEN: „Wir bleiben dran!“ und betonte: „Alles, was wir jetzt nicht für die Kleinsten tun, kostet uns später zwei- bis dreifach.“

Eine Aufzeichnung der Veranstaltung ist hier abzurufen

Eine Übersicht zum aktuellen Diskussionsstand rund um das NKiTaG finden Sie hier auf dem nifbe-Portal:

In der Diskussion: Das neue KiTaG

Karsten Herrmann