Inklusive Pädagogik in Corona-Zeiten

Wie kann man auch in Corona-Zeiten einen sowohl für das Kind wie für die Fachkraft sicheren Rahmen für eine inklusive Pädagogik schaffen? Diese Frage stand im Zentrum eines Vortrags von Klaus Kokemoor im Rahmen der nifbe-Reihe "KiTas in Corona-Zeiten", der in Hannover als Inklusionsfachberater tätig ist und dabei insbesondere mit der Marte Meo-Interaktionsanalyse arbeitet. Moderiert wurde der Vortrag von den nifbe-Transfermanager*innen Jörg Hartwig und Gisela Röhling.

PanoramaZeichnung: Charlotte KokemoorZum Auftakt präsentierte Klaus Kokemoor das Beispiel des vierjährigen Pauls (s. Text-Download unten dazu), der im Morgenkreis ständig störte und sich aus dem Kreis bewegte – und damit aus einem von der Fachkraft vorgegebenen Rahmen trat. Klaus Kokemoor eruierte mögliche Motive für das Verhalten und diskutierte seine Videosequenz in der betroffene KiTa mit den Erzieher*innen, die plötzlich einen ganz anderen Blick auf das Geschehen werfen konnten – und zu der Erkenntnis kamen, dass Paul buchstäblich „aus dem Rahmen fallen“, musste um sich am Rahmenprogramm beteiligen zu können. Hieran machte Kokemoor in seinem Vortrag dann eine Grundbedingung für das inklusive Arbeiten fest: „Inklusion erfordert die Bereitschaft, unsere Perspektiven zu wechseln“. Dadurch würden nicht nur die eigenen Vorstellungen, sondern auch der Handlungsspielraum erweitert und vorgegebene Settings flexibler. Dies sei in Zeiten von Corona noch wichtiger als zuvor, da jetzt die (inklusive) Pädagogik auch in stetiger Balance mit vorgegebenen Hygiene- und Abstandsregeln gebracht werden müsse.

Was macht die Maske mit der Pädagogik?

Ein intensiv mit den Teilnehmer*innen diskutiertes Thema war dabei das Maske tragen in der KiTa – auf den Verkehrsflächen, beim Kontakt mit den Eltern oder bei einigen Trägern sogar auch im Gruppendienst. Welche Auswirkungen hat das insbesondere auf Kinder mit Beeinträchtigungen, zum Beispiel im Hinblick auf die Sprachentwicklung, die nicht-sprachliche Kommunikation oder auch die emotionale Sicherheit? Klaus Kokemoor zeigte sich überzeugt, dass emotionales Resonanzverhalten auch mit Maske möglich ist, so z.B. über Augenkontakt und Bewegung. Besonders hob er aber die Bedeutung der handlungsbegleitenden Sprache heraus, die gleich drei zentrale pädagogische Ziele abdecke: Die Sprachbildung, die Erfahrung der Selbstwirksamkeit des Kindes und auch die Bindung durch ein „mit Worten einhüllen“. (s.a. hier: Resonanz in Corona-Zeiten)

In der Diskussion zeigte sich, dass die Maske und eine nun überall empfohlene soziale Distanz unter verschiedenen Perspektiven betrachtet werden können: Während einige Kinder die Maske unheimlich finden, finden sie andere spannend und autistische Kinder beispielsweise fühlen sich durch die soziale Distanz eher entlastet. „Grundsätzlich“, so Klaus Kokemoor, „geht es um das Erkennen der Bedeutung von kindlichen Handlungsimpulsen und Motiven, die häufig in einem Spannungsverhältnis zu den Vorstellungen der Fachkräfte stehen können“. Mit Montessori gelte es, das Kind dort abzuholen, wo es steht und in Resonanz zu gehen.

"Sonnenscheintage"

Wie schnell sich negative Einstellungen und Wahrnehmungen gegenüber einem Kind, das aus dem Rahmen fällt, auch verändern können, zeigte Klaus Kokemoor anhand der sogenannten „Sonnenscheintage“ auf. Erstaunlich oft und ohne aktives Zutun würde das Problemverhalten eines Kindes nicht auftreten, wenn er als Inklusionsberater in die KiTa käme, um zu unterstützen. Wie auch das intensive feedback der Vortragsteilnehmer*innen zeigte, liegt dies daran, dass die Fachkräfte hier dann mit erhöhter Aufmerksamkeit und Reflexion agieren, es werden eingefahrene Muster durchbrochen und allein die Aussicht auf Unterstützung entspannt die Lage und ermögliche einen anderen Blick auf das Kind. Schon diese einmalige Erfahrung, so Kokemoor, könne Ansatzpunkte für eine positive Veränderung der Wahrnehmung und Einstellung bieten. Wichtig sei es „genau zu schauen, was das Gefühl der Überforderung in der Situation ausmacht“ – denn Überforderung verzerrt und verstärkt die negative Wahrnehmung, so dass ein Kind dann „immer“ stört - statt wie es meist tatsächlich eher ist nur „manchmal“.
Der Vortrag von und die Diskussion mit Klaus Kokemoor zeigte, dass eine inklusive Pädagogik einerseits die Kunst der Perspektivübernahme voraussetzt, aber andererseits auch einfach viel Zeit, Ruhe und Empathie in der Interaktion mit dem Kind benötigt. Doch wie unter einem Brennglas zeigt Corona noch einmal ganz deutlich auf, dass die Rahmenbedingungen hierfür häufig nicht stimmen und dass Fachkräfte mit den sich häufig mit pädagogischen Ansprüchen beißenden Hygienerichtlinien jetzt noch einmal mehr unter Druck stehen und verunsichert sind.

Organisation und Pädagogik trennen

An diesem Punkt berichtete Klaus Kokemoor, dass er auch schon vor Corona die Erfahrung gemacht habe, dass das Organisatorische in Teambesprechungen häufig pädagogische Fragen überlagere. Er sprach hier gerade auch für die aktuelle Situation die Empfehlung aus, einen „klaren Schnitt zu machen zwischen organisatorischen Aufgaben und Hygienemaßnahmen sowie der pädagogischen Arbeit“ - und so das Bedürfnis der Kinder nach Interaktion, Beziehung und Regeneration nicht aus dem Blick zu verlieren.

Karsten Herrmann

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