Pädagogische Rückschritte im Blick behalten und das System deutlich stärken


Zum Auftakt der kostenlosen digitalen nifbe-Vortragsreihe „KiTa in Corona-Zeiten“ beleuchtete Prof. Dr. Marjan Alemzadeh die Frage, wie sich die Pädagogik unter Corona-Bedingungen verändert hat und wie sie sich aktuell gestaltet oder auch gestalten sollte.

Screenshot 2020 09 02 https nifbe sharepoint comZur Begrüßung unterstrich nifbe-Geschäftsführerin Dr. Bettina Lamm noch einmal die „großen Herausforderungen unter denen die KiTas mit der Corona-Pandemie stehen“. Es gelte eine Balance zu finden zwischen den individuellen Bedürfnissen der Kinder und hohen pädagogischen Ansprüchen einerseits sowie dem Schutz der Mitarbeiter*innen mitsamt deren Ängsten und Unsicherheiten andererseits. „Mit unserer Vortragsreihe“, so Bettina Lamm, „möchten wir die KiTas in ihrem Alltag unter Corona-Bedingungen unterstützen und ihnen sowohl konkrete Praxishinweise für eine Vielzahl von Themen wie Eingewöhnung, Kinderschutz oder Selbstfürsorge geben als auch aus dem Vergangenen zu lernen und Perspektiven für die Zukunft des Systems KiTa aufzeigen.“

Vom Notbetrieb zurück zum Regelbetrieb

Screenshot 2020 09 02 https nifbe sharepoint com1In ihrem Vortrag ließ Prof. Dr. Marjan Alemzadeh noch einmal die verschiedenen Phasen der Corona-Pandemie in Deutschland Revue passieren, mit denen jeweils „ganz plötzliche“ und gravierende gesamtgesellschaftliche wie auch spezifische Veränderungen für den KiTa-Bereich verbunden waren. In der ersten Phase des Lockdowns und der eingeschränkten Notbetreuung galt es für die Fachkräfte insbesondere auch den Kontakt zu den Kindern und Familien zu Hause herzustellen und zu halten. Hier hätten einige KiTas vorbildliche innovative und kreative Wege gefunden – z.B. über Briefe, Materialpakete, Newsletter, Tonaufnahmen oder Filme. Wie aktuelle Studienergebnisse des DJI zeigen, ging aber auch in vielen KiTas der Kontakt verloren: Mehr als ein Viertel der Kinder im Kindergartenalter, die zuvor in institutioneller Betreuung waren, haben in der Zeit des Lockdowns gar nichts von ihren Bezugspersonen in der Kita gehört. Häufig bis sehr häufigen Kontakt mit ihren Erzieherinnen und Erziehern hatte nur ein Zehntel der Kinder und in zumeist fanden die Kontakte nur selten oder manchmal statt. Negativ bemerkbar gemacht hätten sich hier, so Marjan Alemzadeh, auch „die häufig mangelnde digitale Ausstattung in KiTas“.

Als sehr problematisch stellte die Diplom-Pädagogin den erst im erweiterten Notbetrieb möglichen Zugang für Kinder von Alleinerziehenden sowie aus prekären familialen Verhältnissen stammenden Kinder dar. Hier sei der Kinderschutz aus dem Blick geraten und die Systeme hätten in dieser Krisensituation etwas spät geschaltet.

Paradoxien und Dilemma-Situationen

Grundsätzlich hätten sich im Spannungsverhältnis von Kinderschutz und pädagogischen Ansprüchen sowie dem Infektionsschutz und Abstandsregeln „eine Reihe von Paradoxien und Dilemma-Situationen“ ergeben, die nur schwer aufzulösen waren und die auch jetzt im Regelbetrieb weiter wirksam sind. „Viele Routinen und konzeptionell verankerte Strukturen haben sich während Corona zum Teil stark verändert – wie zum Beispiel die Rückkehr von offenen Konzepten zur Gruppen- und Angebotspädagogik, veränderte und nicht immer kindgerechte Eingewöhnungsabläufe und die kontaktarme Umstrukturierung der Bring- und Abholsituationen.“ In der Folge seien die Partizipationsmöglichkeiten für Kinder oder auch die Transparenz des KiTa-Alltags für und die Kommunikation mit Eltern stark eingeschränkt. Ein erhöhtes Konfliktpotenzial werde sich in den kommenden Wochen zunehmend an der Frage aufbauen, ob ein Kind mit Schniefnase oder Husten in die KiTa darf oder nicht.

Mangelhafte Rahmenbedingungen

Im Blick auf die Rahmenbedingungen der KiTas konstatierte Marjan Alemzadeh, dass das System KiTa schon vor Corona „stark unter Druck stand“ – durch immer höhere Anforderungen an Fachkräfte und einen zunehmenden Personalmangel. „Wie unter einem Brennglas hat Corona diese strukturellen Mangelbedingungen noch einmal verstärkt und deutlich gemacht“. Wie die aktuellen Zahlen des Ländermonitors frühkindliche Bildung und die Ergebnisse einer ergänzenden qualitativen Studie gezeigt hätten, gebe es schon unter Normalbedingungen zu wenig Personal, zu große Gruppen und eine stetige Überlastung. Kompensiert werden konnte dies häufig nur durch ein „über die persönlichen Grenzen hinausgehendes Engagement vieler Fachkräfte“.

Das pädagogische Rad nicht zurückgedreht lassen

In der Pädagogik unter Corona-Bedingungen habe sich so, wie Marjan Alemzadeh zusammenfasste, „vieles, was mühsam erarbeitet wurde, rückläufig entwickelt“. Im Sinne von Verlässlichkeit und Konstanz für die Kinder und in Anbetracht einer „großen Erschöpfung der Fachkräfte, die immer wieder flexibel auf neue Corona-Herausforderungen und -verordnungen reagieren mussten, ist es verständlich, dass viele KiTas jetzt erst einmal im neuen Status Quo verharren. KiTas müssten jetzt erst einmal selbst wieder Sicherheit erlangen, um diese auf Kinder und Eltern ausstrahlen zu können.“ Es dürfe dabei aber nicht in Vergessenheit geraten, dass dies nur eine vorübergehende Pädagogik unter Corona-Bedingungen sein könne. Unabdingbar sei es, stetig das pädagogische Selbstverständnis zu reflektieren und auch schon unter Corona-Bedingungen Schritt für Schritt zu einer „kindzentrierten und partizipatorischen Didaktik“ zurückzukehren.

Perspektivisch müsse das System KiTa aber auch personell und finanziell deutlich gestärkt werden. Momentanen De-Professionalisierungstendenzen – z.B. durch Aufhebung von Standards und der Zulassung von Hilfskräften in den KiTas – sei sehr kritisch zu betrachten und würde der Professionalisierungsdebatte stark entgegen stehen. „Erheben Sie dafür Ihre Stimme. Alle zusammen können wir etwas bewirken!“ machte Marjan Alemzadeh den Teilnehmer*innen abschließend Mut.

In der von den nifbe-Transfermanagerinnen Gerlinde Schmidt-Hood und Gisela Röhling moderierten anschließenden Diskussion stand unter anderem der konkrete Umgang mit Hygieneschutzmaßnahmen und Abstandsregeln im KiTa-Alltag im Fokus. Viele Fachberater*innen und Fachkräfte fühlen sich hier offenbar auf sich allein gestellt und müssen in einem rechtlichen Graubereich agieren. Hier sei, so Marjan Alemzadeh, die „Rückendeckung durch den Träger sowie eine offene und transparente Kommunikation mit den Eltern“ wichtig. Im Hinblick auf die Kinder gelte es „noch feinfühliger auf sie einzugehen und zu schauen, was diese brauchen und welche Themen sie gerade beschäftigen."


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Karsten Herrmann