In Kooperation mit der Integrationsbeauftragten des Landes Niedersachsen, Honey Deihimi, fand jetzt die mit knapp 200 TeilnehmerInnen ausgebuchte Tagung „Stärkung interkultureller Kompetenz im frühkindlichen Bereich“ des nifbe Regionalnetzwerk Mitte in Hannover statt. Mit der Tagung sollte an bisherige Aktivitäten und Erkenntnisse angeknüpft und wichtige Impulse für die weitere praxisbezogene Arbeit in diesem Themenfeld gegeben werden.

Staatssekretär Dr. Bernd Althusmann aus dem Kultusministerium unterstrich angesichts der bald 30% Kinder mit Migrations-Hintergrund in den KiTas die grundsätzliche Bedeutung des Themas und forderte: „Kitas müssen zu Stätten interkultureller Bildung weiter entwickelt werden, denn nur so kann ein früher Beitrag zum Bildungserfolg auch der Kinder mit Migrationshintergrund geleistet werden.“ Ein wichtiges Kriterium sei dabei „das Erlernen der deutschen Sprache“. Den hier geforderten ErzieherInnen sagte er zu, dass das Land „sie mit vielen Maßnahmen unterstützen und fördern“ werde.

Die Kultur- und Schuldezernentin Marlis Drewermann gab den Tagungs-TeilnehmerInnen unter anderem einen kurzen Einblick in den fachbereichsübergreifenden "Lokalen Integrationsplan" der Landeshauptstadt Hannover. Zentraler Bestandteil sei hier "eine flächendeckende Sprachförderung mit den Bausteinen Elternbildung, systematische Sprachförderung und der sozialräumlichen Vernetzung im Stadtbezirk". Als entscheidendes Kriterium für eine erfolgreiche Integration im bereits im frühen Alter stellte sie "das kindgerechte Zusammenwirken der bildungsverantwortlichen Institutionen und Ebenen" heraus.

Prof. Dr. Werner Andres, Präsident der Fachhochschule, Staatssekretär Dr. Bernd Althusmann und die Kultur- und Schuldezernentin Marlis Drewermann (v.r.n.l.)

Prof. Dr. Werner Andres, Präsident der Fachhochschule, Staatssekretär Dr. Bernd Althusmann und die Kultur- und Schuldezernentin Marlis Drewermann (v.r.n.l.)

„Kultur ist die Brille, durch die wir die Welt sehen“
 

Verschiedene kulturelle Modelle standen im Mittelpunkt des Vortrags der nifbe-Forscherin Prof. Dr. Heidi Keller: „Kultur ist die Brille, durch die wir die Welt sehen“ pointierte sie und beschrieb zunächst die Erziehungsziele einer typischen westlichen Mittelschichts-Familie. Hier stehe das Kind im Zentrum der Aufmerksamkeit und primäres Ziel sei ein „selbstbestimmtes, selbstständiges, selbstbewusstes und selbstverantwortliches Kind“. Das Kind sei hier als „ein intentionales und mentales Wesen“ definiert, das mit einer großen Anzahl von Objekten kognitiv stimuliert werde. Vorausgesetzt seien sensitive Eltern, die die individuellen Bedürfnisse ihrer Kinder immer prompt und angemessen zu erfüllen versuchten.


„Doch viele Kinder mit Migrations-Hintergrund“, so Heidi Keller, „bringen ein völlig anderes kulturelles Modell mit, nämlich das Modell der Relationalität.“ Bei diesem gehe es viel mehr um die „Entwicklung in einem Netzwerk sozialer Verpflichtung“, als um Autonomie und die individuelle Entfaltung des einzelnen Kindes. Das Wissen um diese „verschiedenen kulturellen Anpassungsstrategien mit je eigener Berechtigung“ sah Heidi Keller als die Voraussetzung, um auch Kinder mit Migrations-Hintergrund optimal fördern und begleiten sowie ihre Eltern dabei mitnehmen zu können.
 

Entwicklungs-Risiken und -Chancen

Die Strukturellen Entwicklungsrisiken von Kindern mit Migrationshintergrund nahm Dr. Haci-Halil Uslucan von der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg in den Blick. Zum einen nannte er hier das Armutsrisiko, da beispielsweise 54% der türkischstämmigen Familien in Deutschland nur ein Haushaltseinkommen aufweisen, das zu den untersten 10% gehört. Auch die hohe Geburtenrate mit zu geringen zeitlichem Abstand zwischen den Geschwistern sei gerade für die Älteren ein Entwicklungsrisiko: „Sie bekommen zu wenig Aufmerksamkeit und kommen zu früh in eine verantwortliche Rolle.“ Schließlich besuchten auch noch immer 14% der türkischstämmigen Kinder keine KiTa, was deutliche negative Auswirkungen auf ihre deutsche Sprachkompetenz und die spätere Bildungsbiographie habe.


Grundsätzlich, so Haci-Halil Uslucan, investiere Deutschland zu wenig in die frühkindliche Bildung und im Vergleich zu anderen Ländern sei hier die „Kultur des Förderns“ wesentlich schwächer ausgeprägt. Als Ansätze für eine bessere Förderung markierte er eine „individuelle Bezugsnorm“, ein positives (Schul-) Klima mit integrationsfördernden Projekten und insbesondere auch eine verbesserte „Information“. Stärker als bisher müssten auch die Ressourcen von Kindern mit Migrations-Hintergrund in den Blick genommen werden, so z.B. die Bilingualität, die interkulturelle Kompetenz oder auch „die religiöse Überzeugung als Schutzfaktor.“


Im Anschluss an die Vorträge konnten sich die TeilnehmerInnen in zwei Workshop-Runden mit praxisnahen Ansätzen und Settings für die Stärkung interkultureller Kompetenzen vertraut machen – von der gelebten Mehrsprachigkeit über Familienzentren und „Rucksackmütter“ bis zur Entwicklung der Identität des Kindes und der Frage „Wie heißt dein Gott?“ Aus diesen Workshops nahmen die TeilnehmerInnen nicht nur viele Ideen mit, wie Vielfalt mit Kopf, Hand und Herz gestaltet werden kann, sondern auch die Erkenntnis, das diese Vielfalt sowohl Herausforderung wie Chance bedeutet.
 

Die „Stärkung interkultureller Kompetenzen“, so die Integrationsbeauftragte Honey Deihimi zusammen fassend, „ist schon im frühkindlichen Bereich unabdingbar, um auch Kindern mit Migrationshintergrund einen guten Start in ihre Bildungslaufbahn zu ermöglichen“. Für diese Stärkung kündigte sie auch eine in Kooperation mit dem nifbe entwickelte und nach den Sommerferien startende kostenlose Fortbildungs-Staffel zur Interkulturellen Kompetenz für ErzieherInnen an.

Info-Blatt zur Fortbildung

Vortrag Haci-Halil Uslucan