Mit der Forderung nach einem „Konjunkturprogramm für Bewegung“ endete der 6. Osnabrücker Kongress „Bewegte Kindheit“, der von der Universität Osnabrück in Kooperation mit dem Niedersächsischen Institut für frühkindliche Bildung und Entwicklung veranstaltet wurde. In der Abschlusserklärung unterstrichen Prof. Dr. Renate Zimmer und die KongressteilnehmerInnen, dass die Bewegung „von Geburt an Motor für eine gesunde Entwicklung des Kindes ist“ und dass sie „grundlegend für die Sprachentwicklung, die psychosoziale Entwicklung und das Lernen sei.“ Diese Tatsache werde in der Bildung von Kindern jedoch bisher „zu sehr vernachlässigt“.

Über drei Tage hatten sich auf dem Kongress die über 2.500 TeilnehmerInnen in rund 180 Vorträgen, Seminaren und Workshops rund um das Thema Bewegung und Bildung informiert. Neben theoretischen Inputs lag bei dabei ein Schwerpunkt auf der praxisbezogenen Umsetzung, z.B. bei der bewegungsorientieren Sprach- und Gesundheitsförderung oder der Stärkung des Selbstvertrauens der Kinder. Kritisch wurden auf dem Kongress aber auch die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen der frühkindlichen Bildung beleuchtet.

„Neuerfindung des Systems der frühkindlichen Bildung“
 

Provokativ forderte Dr. Ilse Wehrmann so eine „ komplette Neuerfindung des Systems der frühkindlichen Bildung in Deutschland“. Sie bemängelte einen fehlenden roten Faden in der deutschen Bildungspolitik und beklagte hier ein „Zuständigkeitswirrwarr“ bei der Bundes-, Länder- und Kommunalbürokratie sowie ein undurchsichtiges und undurchlässiges Ausbildungssystem für ErzieherInnen.
Die langjährige Vorsitzende der evangelischen Kitas in Deutschland und heutige Beauftragte des Daimler-Konzerns für den Betriebs-Kita-Aufbau stellte in ihrem Vortrag einen „Marshall-Plan“ für die Reform des frühkindlichen Systems vor. Wie von der OECDOECD||||| OECD beinhaltet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und besteht aus 34 Mitgliedsstaaten, die sich der Demokratie und Marktwirtschaft verpflichtet fühlen. Die Organisation wurde 1961 gegründet und hatte den Wiederaufbau Europas als Ziel.  gefordert müsse Deutschland dafür ihre Investitionen für die frühkindliche Bildung von derzeit 0,4% auf 1% des Bruttoinlandproduktes erhöhen und die Kinderrechte im Grundgesetz verankern. Angesichts von 16 verschiedenen Bildungsplänen der Länder sei es unabdingbar sich „auf ein gemeinsames Bild vom Kind und dessen pädagogische Umsetzung zu einigen.“ Für ebenso unabdingbar erklärte sie „verbindliche Qualitätsstandards für die Kitas und ihre Kontrolle.“ Als konkrete Ansätze für die Qualitätsverbesserung in den Kitas nannte Ilse Wehrmann eine Offensive für die Fort- und Weiterbildung der ErzieherInnen, eine bessere Bezahlung der ErzieherInnen und einen deutlich verbesserten BetreuungsschlüsselBetreuungsschlüssel||||| Der Betreuungsschlüssel gibt an wieviele Personen, für die Betreuung anderer Personen zur Verfügung stehen. Es wird meist in dem Format angegen 1:n, um zu verdeutlichen, dass eine Persone für eine bestimmte Anzahl n Personen zuständig ist. Der Betreuungsschlüssel wird auch als Personalschlüssel angegeben, oder im Bereich der Schule, als Klassengröße. Bei Vorgaben zu Betreuungsschlüssel spielen auch die Qualifikationen der betreuuenden Personen  eine Rolle. in den Kitas.

Bewegung und Sport als „soziale Chance“
 

„Bewegung, Spiel und Sport als soziale Chance“ nahm Prof. Dr. Werner Schmidt als Herausgeber des 2. Deutschen Kinder- und Jugendsportberichts in den Blick. Er beschrieb eine Umwelt, die insbesondere in den Ballungsgebieten immer weniger Möglichkeiten für das freie Spielen und Erkunden der Kinder in Nachbarschaft und Natur biete. So hätten in Essen schon 33% der Kinder Koordinationsstörungen. Angesichts dieser Entwicklung bemängelte er „defizitäre institutionelle Bedingungen für Bewegung, Spiel und Sport“. Doch gerade für Kinder aus sozial benachteiligten Familien biete Bewegung und Sport die Chance der sozialen Integration und für die Entwicklung eines gesunden Selbstkonzepts. Er könne darüber hinaus aber auch die Sprachentwicklung fördern oder die Konzentration in der Schule erheblich verbessern. So sei in aktuellen Untersuchungen im auch körperlich bewegten Schulunterricht in der 5. Stunde ein dreimal höherer Konzentrationswert festgestellt worden als im klassischen Schulunterricht.

Abschluss-Resolution


In Anbetracht dieser und vieler weiterer vorgestellten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die positiven Bildungs- und Gesundheitseffekte der Bewegung, forderten die Kongressteilnehmer gemeinsam mit den kooperierenden Unfall- und Krankenkassen sowie den Sport-Spitzenverbänden ein „Konjunkturprogramm für Bewegung“. Im Einzelnen wird gefordert,

  • dass Bewegung bereits in der Elternarbeit zum Thema gemacht wird,
  • dass das Fach „Bewegungserziehung in der Ausbildung künftiger ErzieherInnen fest verankert ist,
  • dass Sport in der Schule als eigenständiges Unterrichtsfach bestehen bleibt und Bewegung stärker den Schulalltag prägt
  • dass Kinder in Ihrem Umfeld – insbesondere in Kindertagesstätten und Schulen – entwicklungsfördernde Bewegungsräume vorfinden.

Die Politik wurde in der Resolution aufgefordert, hierfür die notwendigen personellen und finanziellen Ressourcen zur Verfügung zu stellen.