Prof. Dr. Mathilde Kersting

Gesunde Ernährung von Anfang an

Co-Autorin: Dr. oec. troph. Annet Hilbig

 

Ernährungskonzepte und ihre Umsetzung in der Praxis

 

Die große Bedeutung der gesunden Ernährung von früher Kindheit an für die Entwicklung, Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Kinder ist lange bekannt. In keinem anderen Lebensabschnitt ändern sich Nahrungsbedarf und Ernährungsgewohnheiten so stark wie in den ersten Lebensjahren. Der Bedarf an Energie und Nährstoffen ist – bezogen auf Kilogramm Körpergewicht – höher als bei älteren Kindern und Erwachsenen, das Nahrungsspektrum erweitert sich von der Milchernährung über die Beikost zur Familienernährung. Das heutige vielfältige und allgemein verfügbare Lebensmittelangebot ermöglicht grundsätzlich eine ernährungsphysiologisch adäquate und schmackhafte Ernährung von Kindern aller Altersgruppen.

Intensive Forschungsarbeiten in den letzten Jahren zeigen darüber hinaus, dass die Ernährung in bestimmten „sensiblen" Zeitfenstern der frühkindlichen Entwicklung, wie der prä- und postnatalen Phase, unter Umständen auch langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit und die Entstehung von Krankheiten bis in das Erwachsenenalter ausüben kann. Dabei geht es aktuell unter anderem um die Auswirkungen von Stillen und unterschiedlich zusammengesetzter Flaschennahrung auf die Gewichtsentwicklung der Kinder oder um Effekte des Einführungszeitpunktes der Beikost auf die Entstehung von Allergien.

In diesem Sinne ist eine gesunde Ernährung von Anfang an ein wesentlicher Bestandteil der sogenannten primären Prävention mit dem Ziel der Gesundheitsförderung und Vorbeugung weit verbreiteter Zivilisationskrankheiten, wie Fettleibigkeit (Adipositas), Zuckerkrankheit (Diabetes Mellitus) und Herzkreislauf-Krankheiten. Aus Sicht der Ernährungserziehung spielen auch aktuell diskutierte Fragen wie die Geschmacksprägung in der frühen Kindheit oder die Handhabung der Mahlzeiten in der Familie eine Rolle.

Eine formale wissenschaftliche Absicherung (Evidenz) für langfristige präventive Effekte einer gesunden frühkindlichen Ernährung ist allerdings nur schwer zu erbringen. Denn Ernährung ist komplex. Das zeigt sich bereits bei der Muttermilch mit ihren weit über den Ernährungswert hinausgehenden zahlreichen bioaktiven Substanzen und ihren vielfältigen Auswirkungen auf die Gesundheit und Entwicklung des Kindes, und setzt sich fort im systemischen Zusammenspiel von Nährstoffen und Lebensmittelmustern mit genetisch bedingten individuellen Voraussetzungen für die Krankheitsentstehung.

Umso wichtiger ist es, dass (1) bestehende Ernährungsempfehlungen auf dem aktuellen Stand des Wissens stetig fortentwickelt werden, um das Potential der gesunden Ernährung von Anfang an so weit möglich auszuschöpfen, und dass (2) Fachleute aus pädagogischen, medizinischen und psychosozialen Berufsgruppen, die Eltern zur Ernährung ihrer Kinder beraten oder selbst für die Ernährung von Kindern – z. B. in Betreuungseinrichtungen – (mit)verantwortlich sind, über die Grundzüge der Kinderernährung stets aktuell informiert werden.

 


 

Anwendungsforschung am Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE)


Das Forschungsinstitut für Kinderernährung Dortmund (FKE) arbeitet seit 50 Jahren in der anwendungsorientierten Forschung. Das Institut greift aktuelle Fragen zur Ernährung von Säuglingen, Kindern und Jugendlichen auf und bietet praktisch umsetzbare Lösungsvorschläge in der heutigen Lebenswirklichkeit.

Oberstes Ziel ist die Förderung der Gesundheit von Kindern und die Prävention von Zivilisationskrankheiten wie Adipositas und Diabetes durch eine gesunde Ernährung von Anfang an. Dazu entwickelt das FKE realitätsnahe präventive Konzepte für die Kinderernährung und erforscht deren Machbarkeit und Wirksamkeit unter Praxisbedingungen in Familien und Betreuungseinrichtungen.

Die Ernährungskonzepte des FKE, der „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr" und die „Optimierte Mischkost" für Kinder und Jugendliche von ein bis 18 Jahren bilden ein Ernährungskontinuum, das auch die Schwangerschaft und Stillzeit einbezieht und sich somit über die Ernährung in allen Wachstumsphasen erstreckt (Abbildung 1).

 

Abb. 1Abbildung 1: Das Ernährungskontinuum von Säuglings- und Familienernährung mit Einbindung von Schwangerschaft und Stillzeit



Diese Konzepte vereinen wissenschaftliche Kriterien der Nährstoffzufuhr und der Krankheitsprävention mit praktischen Kriterien von Lebensmittelauswahl und Mahlzeitengewohnheiten, so dass sie in der Lebenswirklichkeit umgesetzt werden können. Sie sind Standard der Kinderernährung in Deutschland und gleichzeitig vorbildhaft für die Entwicklung lebensmittelbezogener Ernährungsrichtlinien für die Säuglings- und Kinderernährung in Europa.

Die wissenschaftliche Transparenz der FKE-Empfehlungen wird durch kalkulierte Angaben zu Lebensmittelmengen und Mahlzeiten-Rezepturen und die Evaluation der Nährstoffzufuhr gewährleistet. Diese Daten sind für die Hand von Experten und Multiplikatoren gedacht. Für die Umsetzung in der Beratung und Praxis ist es wichtig, die Empfehlungen nicht als starren Diätplan zu verstehen, sondern als Rahmen, innerhalb dessen Eltern und Betreuer die Ernährung des Säuglings und Kindes individuell gestalten können. In diesem Sinne bilden die Empfehlungen des FKE unter anderem eine Grundlage der Handlungsempfehlungen für die Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern, die das Netzwerk Junge Familie im Rahmen der INFORM-Kampagne des Bundes herausgibt.

Ein Forschungskontinuum, das am FKE konzipiert wurde, dient dazu, die wissenschaftliche Absicherung der Ernährungsempfehlungen, die so genannte Evidenzbasierung, stetig voranzubringen, auch wenn dies in Anbetracht der komplexen Zusammenhänge zwischen Ernährung und Krankheitsentstehung generell und erst recht im Kindesalter schwierig ist. Hierzu werden aktuelle Fragen in Interventions- und Evaluationsstudien unter Praxisbedingungen untersucht, mit aktiver Teilnahme von Eltern, Säuglingen und Kindern, sowie von Kitas, Schulen und Essensanbietern aus Dortmund und Umgebung. Themen aus dem Bereich Säuglings- und Kleinkindernährung sind zurzeit unter anderem: (1) die Versorgung mit Eisen als kritischem Nährstoff in der frühen Kindheit, (2) die Optimierung der Versorgung mit den für die kindliche Entwicklung wichtigen omega-3 Fettsäuren aus Fisch und Rapsöl, (3) das Potential von Tiefkühl-Beikost als Innovation auf dem Lebensmittelmarkt.

Für Eltern und Multiplikatoren ist es wichtig, dass die Forschungserkenntnisse und Empfehlungen effektiv in die heutige Lebenswirklichkeit von Kindern und Familien transferiert werden, also in Produkte, die Convenience, Gesundheit und Geschmack in bestmöglicher Weise kombinieren, und mit einem attraktiven Marketing an Kinder und Jugendliche gebracht werden. Im Forschungskontinuum des FKE wird hierzu eine realitätsnahe Produktentwicklung und experimentelle Kommunikationsforschung betrieben. Schließlich dient der Transfer über Medien und Fortbildungen des FKE der direkten Verbreitung des Wissens aus erster Hand an Multiplikatoren und die Bevölkerung.

 


 

Ernährung von Säuglingen

Der Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr


Der Ernährungsplan (Abbildung 2) entspricht den ernährungsphysiologischen und entwicklungsphysiologischen Bedürfnissen von Säuglingen und vereint wissenschaftliche und praktische Kriterien: (1) Er deckt den altersentsprechenden Bedarf an Energie und Nährstoffen, (2) Er berücksichtigt bei der Lebensmittelauswahl und -darreichung die neuromotorische und soziale Entwicklung der Kinder, z. B. die Fähigkeit zur Löffelfütterung und zum Selberessen („finger food") sowie die soziale Teilhabe, (3) er berücksichtigt auch die Gewohnheiten der Säuglingsernährung in Deutschland, z. B. mit Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei als erste Beikost.

Abb. 2

 

Vor diesem Hintergrund ergeben sich drei Abschnitte bei der Ernährung im 1. Lebensjahr:

Ausschließliche Milchernährung in den ersten 4 bis 6 Lebensmonaten
In den ersten sechs Lebensmonaten erhält der Säugling mit Muttermilch alles, was er für Wachstum und Entwicklung braucht. Für Kinder, die nicht gestillt werden, ist eine industriell hergestellte Säuglingsanfangsnahrung die beste Wahl. Zusätzliche Lebensmittel und Getränke wie Saft oder Karotten sind in den ersten Monaten nicht notwendig und auch nicht sinnvoll. Sie können unter anderem die Entstehung von Übergewicht und Allergien fördern.

Einführung der Beikost ab dem Beginn des 5. bis 7. Lebensmonats
Frühestens mit Beginn des 5. Monats und nicht später als mit Beginn des 7. Monats ist es Zeit für den ersten Brei, die sogenannte Beikost. In diesem Zeitraum lässt der Saugreflex nach, der Säugling kann mit Unterstützung aufrecht sitzen und leicht lernen, vom Löffel zu essen.

Übergang auf die Familienkost ab dem 10. Lebensmonat
Etwa ab dem 10. Monat können Säuglinge nach und nach am Familienessen teilnehmen. Auch wenn sie erst wenige Zähne haben, können sie feste Lebensmittel mit dem Kiefer zerdrücken.

Im Ernährungsplan werden keine festen Zeitpunkte angegeben, wann der Übergang von einem Abschnitt der Säuglingsernährung zum nächsten erfolgen soll, sondern Zeitfenster. Diese berücksichtigen die große Variabilität in der Entwicklung der Essfertigkeiten von Kind zu Kind.

 


 

Stillen

Vorteile von Muttermilch und Stillen


Stillen ist in die natürliche Ernährung für Neugeborene. Muttermilch und Stillen haben zahlreiche Vorteile für das Kind und die Mutter:

 

 

Die optimale Stilldauer


Jede auch nur kurze Stillzeit ist sinnvoll. In Deutschland empfehlen die Fachinstitutionen wie die Nationale Stillkommission, die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin und das FKE das ausschließliche Stillen, d. h. Stillen ohne Zufüttern von anderen Flüssigkeiten oder Brei in den ersten vier bis sechs Lebensmonaten, und anschließendes weiteres Teilstillen neben der Beikost, solange Mutter und Kind dies möchten.

Erfreulicherweise beginnen in Deutschland etwa 90 Prozent der Mütter mit dem Stillen, aber bereits innerhalb der ersten Wochen nach der Entbindung geben viele das Stillen auf und nur etwa 50 Prozent stillen noch nach sechs Monaten. Die als vermeintliche Abstillgründe häufig genannten Stillprobleme lassen sich mit fachkundiger Hilfe lösen oder von vornherein vermeiden. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern schon im Rahmen der Schwangerenvorsorge über das Stillen ausreichend informiert werden. Das System der Hebammen-Nachsorge und der kinderärztlichen Vorsorge-Untersuchungen bieten sich für die weitere Stillberatung an.

 

Ernährung der stillenden Mutter


Eine ausgewogene Ernährung während der Stillzeit ist wichtig für die Gesundheit von Mutter und Kind. Grundlage kann die Optimierte Mischkost sein, die mit entsprechenden Lebensmittelzulagen den Mehrbedarf an Energie und Nährstoffen für Milchbildung und Milchabgabe deckt. Zur ausreichenden Versorgung mit Jod, einem gerade für die frühkindliche Entwicklung bedeutsamen Nährstoff, sollte die Mutter – wie schon in der Schwangerschaft – Jod mit Tabletten supplementieren (100-150 µg Jod pro Tag).

Eine Einschränkung der Lebensmittelauswahl in Schwangerschaft und Stillzeit hat keine Vorteile für die Vorbeugung von Allergien. Sie kann daher nicht empfohlen werden. Im Gegenteil kann eine variationsreiche Ernährung der Mutter möglicherweise die Geschmackspräferenzen ihres Kindes positiv beeinflussen, denn Aromen und Geschmacksstoffe aus der Ernährung der Mutter erreichen über ihre Milch auch den Säugling. Gestillte Kinder akzeptieren neue Lebensmittel in der Beikost eher als nichtgestillte Kinder.

 


 

Muttermilchersatz

Grundzüge


Für Säuglinge, die nicht oder nicht voll gestillt werden, stehen industriell hergestellte Säuglingsnahrungen zur Verfügung. Dank intensiver Forschungs- und Entwicklungsarbeiten, orientiert am Vorbild der Muttermilch, ermöglichen diese Produkte heute eine sichere Ernährung von Säuglingen. Ihre Zusammensetzung und Vermarktung sind in Deutschland in der Diätverordnung, die EU-Richtlinien in nationales Recht umsetzt, geregelt.

Als Grundlage für Säuglingsnahrung zugelassen sind Kuhmilchprotein, Proteinhydrolysate (in denen das ursprüngliche Protein teilweise abgebaut wurde und dann weniger allergieauslösend wirken soll), oder Sojaproteinisolate und seit kurzem auch Ziegenmilchprotein. In allen Fällen muss die Eignung eines Produktes für die Säuglingsernährung durch entsprechende Studien nachgewiesen werden.

Nicht geeignet ist die Selbstherstellung von Säuglingsnahrung aus Tiermilch (z. B. Kuh, Ziege, Stute) oder auf pflanzlicher Basis (Getreide'milch', Soja'drink'), aufgrund der hygienischen und ernährungsphysiologischen Risiken.

 


 

Produktgruppen


Im Lebensmittelrecht werden Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung unterschieden. Im Produktangebot in Deutschland sind sie durch unterschiedliche Bezeichnungen erkennbar.

Säuglingsanfangsnahrung (Bezeichnung: „Pre", „1") sind Lebensmittel, die für die besondere Ernährung von Säuglingen während der ersten Lebensmonate bestimmt sind und für sich allein den Ernährungserfordernissen dieser Säuglinge bis zur Einführung angemessener Beikost entsprechen.

Folgenahrung (Bezeichnung „2", „3") sind Lebensmittel, die für die besondere Ernährung von Säuglingen ab Einführung einer angemessenen Beikost bestimmt sind und den größten flüssigen Anteil einer nach und nach abwechslungsreicheren Kost für diese Säuglinge darstellen.

Säuglingsanfangsnahrungen werden aufgrund ihrer Kohlenhydratkomponenten weiter unterteilt: Nahrungen mit der Bezeichnung „Pre" enthalten (wie Muttermilch) als einziges Kohlenhydrat Laktose und sind ähnlich dünnflüssig wie Muttermilch. In „1"-Nahrungen ist ein geringer Teil der Laktose durch Stärke ersetzt. Dadurch ist „1"-Nahrung etwas dickflüssiger als „Pre"-Nahrung und soll länger sättigen – einen wissenschaftlichen Nachweis für diese Annahme gibt es nicht.

Anfangsnahrung ist für den Einsatz im gesamten 1. Lebensjahr geeignet, in den ersten Monaten als alleinige Nahrung und danach als Teilernährung in Kombination mit der Beikost. Hinsichtlich der Gehalte an Energie und Hauptnährstoffen sind Anfangs- und Folgenahrungen in letzter Zeit weitgehend einander angeglichen worden. Ein Wechsel von Anfangsnahrung auf Folgenahrung mit Beginn der Beikost ist möglich, bringt aber keine Vorteile.

In sogenannter ‚hypoallergener' (HA) Nahrung ist das Eiweiß teilweise abgebaut (Hydrolysat) und wirkt so weniger allergen. Säuglinge mit einem familiär erhöhten Allergierisiko, d. h. mit Verwandten 1. Grades mit einer nachgewiesenen Allergie, sollten, wenn sie nicht gestillt werden, bis zum Beginn der Beikost eine HA-Nahrung erhalten.

Heute werden vielen Säuglingsnahrungen spezielle Zusätze zugegeben, die am Vorbild oder an Wirkungen der Muttermilch orientiert sind, wie

 

Ob die Produkte tatsächlichen die erwarteten Vorteile bieten, kann aufgrund der derzeitigen Studienlage nicht zweifelsfrei entschieden werden.

 


 

Beikost

Argumente für die Einführung von Beikost


Als Beikost werden alle festen und flüssigen Speisen (ohne Wasser) für den Säugling außer Muttermilch, Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung verstanden. Im 2. Lebenshalbjahr wird die Beikost zu einem zentralen Element der Ernährung, wie der „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr" aufzeigt.

Für die Einführung der Beikost gibt es verschiedene ineinander greifende Argumente:

Die senso-motorische Entwicklung ist bei den meisten Kindern nach den ersten vier bis fünf Monaten soweit fortgeschritten, dass der Saugreflex bzw. Extrusionsreflex und seine Zungenbewegungen verschwinden. Damit einhergehend entwickelt sich die Fähigkeit, Brei von der Zungenspitze in den Rachen zu transportieren. Einige Kinder essen Brei bereits problemlos mit vier Monaten, die meisten mit fünf bis sechs Monaten, manche dagegen erst mit sieben bis acht Monaten. Zudem äußern Säuglinge im Alter von etwa fünf bis sechs Monaten Interesse am Essen (Öffnen des Mundes) und Sättigung (Verweigerung), sie können aufrecht sitzen und die Kopfhaltung kontrollieren. All das spricht für einen Beginn der Beikost im Zeitfenster von vier bis sechs Lebensmonaten.

Die Versorgung mit Energie und den meisten Nährstoffen ist mit ausschließlichem Stillen in den ersten sechs Lebensmonaten bei guter Ernährung der Mutter in der Regel gewährleistet. Bei einigen empfindlichen Säuglingen kann allerdings die Versorgung mit Eisen und Zink knapp werden, da Muttermilch diese Mineralstoffe nicht in ausreichenden Mengen enthält. Der Eisenbedarf (pro Kilogramm Körpergewicht) ist im zweiten Lebenshalbjahr und auch noch im zweiten Lebensjahr wachstumsbedingt höher als jemals sonst im späteren Leben. Beikost sollte deshalb insbesondere reich an Eisen sein. Im zweiten Lebenshalbjahr wird rechnerisch bei ausschließlichem Stillen des weiteren die Zufuhr von Energie, Vitamin B6, Niacin, Vitamin D und Kalzium kritisch.

Neuere Studienergebnisse deuten darauf hin, dass es für die Entwicklung einer immunologischen Toleranz ein Zeitfenster im Alter von etwa vier bis sechs Monaten gibt. Dies gilt auch für Nahrungsmittel, denen eine starke Allergenität zugesprochen wird, wie Kuhmilch, Fisch oder Eigelb. Die bisherige Vorstellung, eine frühe im Vergleich zu einer späten Beikosteinführung würde die Häufigkeit der Entwicklung von Lebensmittelallergien, Ekzem oder Asthma erhöhen, kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Auch für Säuglinge mit einem erhöhten familiären Allergierisiko gibt es aus allergiepräventiver Sicht derzeit keine gesicherten Belege für eine Verzögerung der Beikosteinführung über den vollendeten vierten Lebensmonat hinaus.

Zusammengenommen ergibt sich die heute in Deutschland konsentierte Empfehlung, dass Beikost frühestens mit Beginn des fünften, spätestens mit Beginn des siebten Monats eingeführt werden sollte. Dieses Beikost-Zeitfenster gilt auch für nicht gestillte Säuglinge. Beikosteinführung bedeutet nicht Abstillen, sondern schrittweise Verminderung der Muttermilchmengen und der Anzahl der Stillmahlzeiten. Auch nach der Einführung der Beikost sollte weiter gestillt werden, solange Mutter und Kind dies wünschen.

 


 

Das Baukastensystem der Beikost


Im „Ernährungsplan für das 1. Lebensjahr" werden im Abstand von etwa einem Monat nacheinander drei aufeinander abgestimmte Breimahlzeiten eingeführt (Abbildung 3): (1) ein Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei, (2) ein Milch-Getreide-Brei, (3) ein Getreide-Obst-Brei.

Abb. 3



Die zeitliche Abfolge der Mahlzeiten und die Lebensmittelauswahl berücksichtigen die limitierenden Nährstoffe beim Stillen. Der fleischhaltige Brei liefert vor allem die für die kindliche Entwicklung und das Wachstum wichtigen Nährstoffe Eisen und Zink in einer für den Körper gut verfügbaren Form. Der Milchbrei enthält neben hochwertigem Eiweiß auch wichtige Mineralstoffe, besonders Kalzium. Der Gemüse-Obst-Brei ergänzt die Vitaminzufuhr. Die unterschiedlichen Lebensmittel- und Nährstoffprofile der Beikostmahlzeiten ergänzen sich zusammen mit der verbleibenden Milch (Muttermilch, Anfangs-, Folgenahrung) zu einer ausgewogenen Tageskost und Nährstoffzufuhr, das sogenannte Baukastensystem der Beikost.

 

Variation in der Lebensmittelauswahl


Für die Beikost werden nur wenige nährstoffreiche Lebensmittel in wohlüberlegt zusammengesetzten Mahlzeiten benötigt. Nach Beginn der Beikost mit Gemüse kann durch Hinzufügen von Kartoffeln, Fleisch und Öl rasch eine vollständige Mahlzeit aufgebaut werden. Neue Studien zeigen, dass anstatt der monotonen Gabe von Gemüse, z. B. Karotte, eine Abwechslung der Gemüse in der Beikost die Akzeptanz neuer Lebensmittel bei Säuglingen fördert. Dieser Effekt ist bei gestillten Säuglingen ausgeprägter als bei nicht gestillten Säuglingen. Er könnte die spätere Akzeptanz einer gemischten Kost wie der Optimierten Mischkost erleichtern.

Für eine allgemeine Diät zur Allergieprävention im ersten Lebensjahr gibt es keine Belege. Ein Verzicht auf stark allergene Lebensmittel, z. B. auf Kuhmilch, Weizen oder Fisch kann deshalb nicht empfohlen werden. Vielmehr gibt es Hinweise, dass Fischkonsum im ersten Lebensjahr einen vorbeugenden Effekt auf die Entwicklung atopischer Erkrankungen hat. Da fettreicher Fisch, z. B. Lachs, für die kindliche Entwicklung wichtige omega-3 Fettsäuren enthält, kann ein bis zwei Mal pro Woche das Fleisch in der Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Mahlzeit durch Fisch ersetzt werden. Die Zugabe von Süßungsmitteln und Salz ist dagegen zu vermeiden, da durch eine frühe Gewöhnung spätere Präferenzen für diese Geschmacksrichtungen verstärken werden können.

 

Selber kochen oder Fertigprodukte?


Wie Abbildung 3 zeigt, gibt es im „Ernährungsplan" neben der Selbstherstellung der Beikostmahlzeiten auch die Möglichkeit, industriell hergestellte Produkte einzusetzen. Selbstherstellung und industrielle Herstellung haben ihre je spezifischen Vor- und Nachteile, die Eltern in ihrem eigenen Ermessen gegeneinander abwägen können.

Für industriell hergestellte Beikost gelten höhere gesetzliche Qualitätsansprüche als für andere Lebensmittel, besonders für den Gehalt an Schadstoffen wie Pflanzenschutzmittel oder Nitrat. Sie gehen noch über die Kriterien für ‚Bio'produkte hinaus. Aber auch übliche Lebensmittel sind ausreichend sicher und für die Zubereitung von Beikost im Haushalt geeignet.

Die Verwendung von Fertigprodukten spart Zeit und Arbeit. Der hohe Conveniencegrad verteuert Fertigprodukte gegenüber der Selbstherstellung. Bei der Selbstzubereitung kann die Geschmacksvielfalt von Gemüse und Obst genutzt werden. Auf Zugabe von Salz und Zucker kann bewusst verzichtet werden.

Industriell hergestellten Milchbreien wird in der Regel ein Mix an Nährstoffen, vor allem Vitaminen zugesetzt. Diese Anreicherung bietet in der Regel keinen Vorteil. Im „Ernährungsplan" liefern die selbst hergestellten Breie die notwendigen Nährstoffe mit Ausnahme von Jod. Gestillte Säuglinge, die ausschließlich selbsthergestellte Beikost erhalten, sollten deshalb zusätzlich Jod als Supplement (50 µg/Tag als Tablette) erhalten, oder einen jodangereicherten Fertigmilchbrei. Wesentlicher als die Entscheidung für die Selbstherstellung oder für Fertigprodukte ist die Einhaltung des Baukastensystems der Beikost.

 

Tipps für die Auswahl von Beikost-Fertigprodukten


In Deutschland werden mehr als 1.000 industriell hergestellte Beikostprodukte am Markt angeboten. In der Ernährungspraxis sind Fertigprodukte in der Beikost beliebt: im Alter von sechs (zwölf) Monaten erhalten bis zu 80 (60) Prozent der Säuglinge den Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei in Form von industriell hergestellten Mahlzeiten.

Bei der Auswahl von Fertigprodukten können folgende Kriterien als Orientierung dienen:

Informationen bietet eine Online Beikostatenbank, die vom FKE gepflegt und vom Land Hessen technisch verwaltet wird. Hier sind die im Markt angebotenen Beikostprodukte und deren Zusammensetzung aufgelistet, zusammen mit Kommentaren zur Verwendung im Rahmen des Ernährungsplans.

 

Immer wieder in der Diskussion: Kuhmilch im 1. Lebensjahr ?


In Kuhmilch sind wichtige Nährstoffe für den Säugling, z. B. Eisen, Jod und Kupfer, nicht ausreichend enthalten, der Anfangs- und Folgenahrung werden sie wie gesetzlich vorgeschrieben zugesetzt. Größere Mengen an Kuhmilch können die Versorgung des Säuglings mit Eisen beeinträchtigen und die Eiweißzufuhr überhöhen.

Die Gabe von Kuhmilch ist im „Ernährungsplan" auf die Beikost und auf die Menge von 200 ml pro Tag im Milch-Getreide-Brei beschränkt. Als Ersatz für Muttermilch oder industriell hergestellte Säuglingsnahrung ist Kuhmilch nicht geeignet. Die Kuhmilch (Vollmilch, 3,5 Prozent Fett) sollte altersgerecht aus der Tasse getrunken werden, nicht aus der Flasche, z. B. bei der Brot-Mahlzeit morgens und abends, um einen unnötig hohen Verzehr zu vermeiden. Milchprodukte wie Joghurt sind wie Vollmilch anzusehen. Sie können die Milch im Vollmilch-Getreide-Brei oder das Tassengetränk ersetzen. Quark oder Frischkäsezubereitungen sind konzentrierte Milch und für Säuglinge nicht zu empfehlen.

 

Neu in der Diskussion: Brei oder finger food?


In letzter Zeit wird die bisherige Breifütterung durch die Propagierung des von einer britischen Hebamme entwickelten „Baby led Weaning", also der vom Baby gesteuerten Beikost, in Frage gestellt. Bei dieser Form der Beikost wird das Prinzip des Stillens nach Bedarf bei der Beikost weitergeführt, indem das Kind die Auswahl und Menge der Lebensmittel steuert. Die Befürworter gehen davon aus, dass Kinder ab dem Alter von etwa sechs Monaten ihre Hand-Mund-Motorik ausreichend steuern können um eigenständig zu essen. Das Baby soll schon früh bei den Mahlzeiten der Familie mit essen und erhält die Lebensmittel in mundgerechten Stücken, mit denen es sich selbst füttert. Unter diesen Annahmen erübrigt sich eine Breiphase.

Die in der Literatur auffindbaren wenigen Studien zum Baby led Weaning können die pädiatrisch-ernährungswissenschaftlichen Vorbehalte nicht ausräumen:

Das Baby led Weaning kann aber Denkanstöße für eine Öffnung der bestehenden Breiempfehlungen geben. Auf diese Weise können die Vorteile der Ernährung nach dem „Ernährungsplan" (ausreichende Energie- und Nährstoffzufuhr) und des Baby led Weaning (frühzeitige Gewöhnung an sensorisch vielfältige Lebensmittel) einander ergänzen. Beikost als Finger Food und die traditionelle Breieinführung schließen einander nicht aus.

 

Getränke


Der Flüssigkeitsbedarf ist bei Säuglingen, bezogen auf Kilogramm Körpergewicht, höher als bei älteren Kindern und bei Erwachsenen, da der Wassergehalt des Körpers und der tägliche Wasserumsatz höher sind und die Ausscheidungsfunktionen der Nieren noch reifen. Bei der ausschließlichen Milchernährung in den ersten Lebensmonaten ist eine zusätzliche Zufuhr von Flüssigkeit nicht notwendig (Ausnahme: Fieber, Erbrechen, Durchfall). Mit Einführung der Beikost wird die Nahrung fester, der Wassergehalt (bezogen auf den Energiegehalt) nimmt ab. Nach Einführung aller drei Breimahlzeiten sollte Säuglingen deshalb zusätzlich als Getränk Wasser oder für Säuglinge geeignete, nicht gesüßte Tees angeboten werden.

 

Übergang auf die Familienernährung


Zwischen neun und 15 Monaten ist ein Kind soweit entwickelt, dass es durch Nachahmung lernt, aus der Tasse zu trinken und mit einem Löffel zu essen, von fester Nahrung kann es abbeißen. Etwa ab dem zehnten Lebensmonat kann die spezielle Säuglingsernährung schrittweise durch Speisen aus der ausgewogenen Familienernährung ergänzt und erweitert werden. Die Brei- und Milchmahlzeiten gehen, beginnend mit der Einführung von Brot, nach und nach in die drei Hauptmahlzeiten (Frühstück, Mittagessen, Abendessen) und zwei Zwischenmahlzeiten (vormittags, nachmittags) der Familienernährung über. Vorsicht ist geboten bei kleinen festen Lebensmitteln bzw. sehr harten aber brechbaren Wurzelgemüse. Nüsse oder rohes Wurzelgemüse sollten wegen der möglichen Aspirationsgefahr nicht gegeben werden.

 


 

Ernährung von Kleinkindern – Die Optimierte Mischkost

 

Ernährungsverhalten: Interindividuelle Variabilität


Im Kleinkindalter entwickeln Kinder eine zunehmende Eigenständigkeit in ihren motorischen und sprachlichen Fähigkeiten, sie essen mehr und mehr selbständig und äußern Wünsche und Ablehnung. Etwa im Alter von 15 Monaten können Kinder in der Regel eigenständig mit Händen, Löffel und Becher feste und flüssige Nahrung aufnehmen. Sie sollten zunehmend an die komplexen Texturen von Speisen gewöhnt werden, um voll am Familienessen teilzunehmen. Die große interindividuelle Variabilität in der senso-motorischen Entwicklung in den ersten Lebensjahren wird beim Übergang von der Säuglingsernährung auf die Familienernährung mit Optimierter Mischkost berücksichtigt. Allerdings ist eine wissenschaftliche Absicherung der zahlreich vorgeschlagenen praktischen Maßnahmen für die Einführung der Familienernährung bisher meist noch nicht möglich, auch wenn die Bedeutung dieser Übergangsphase für die kindliche Entwicklung allgemein anerkannt ist.

Große Unterschiede von Kind zu Kind gibt es auch bei den verzehrten Nahrungsmengen. So verzehren beispielsweise Kleinkinder im Alter von zwei Jahren bei üblicher Ernährung mehrheitlich Mengen in einer Bandbreite zwischen 500 g und 1.000 g am Tag.

 

Regulation der Nahrungsaufnahme


Säuglinge sind vielfach noch imstande, ihren Nahrungsverzehr an ihren Energiebedarf anzupassen. Sie trinken von Mahlzeiten mit einer geringen Energiedichte (kcal/g) mehr als von energiedichteren Mahlzeiten. Dieses Phänomen der endogenen Regulation der Energieaufnahme lässt sich bei Kleinkindern nur noch abgeschwächt nachweisen. Vermutlich gewinnen im Laufe des Kleinkindalters zunehmend Außenreize an Einfluss. Kleinkinder zum Essen zu drängen könnte demzufolge die Entwicklung einer ungestörten Hunger-Sättigungs-Regulation eher behindern.

Andererseits sind Empfehlungen weit verbreitet, dem Kind allein die Wahl der Essensmenge zu überlassen, indem die Eltern für ein ausgewogenes Essensangebot sorgen und die Kinder entscheiden wie viel sie davon essen. Dieses in der Mutter-Kind-Dyade beim Stillen vorherrschende interaktive Modell bedarf bei der Anwendung in komplexeren Fütter- und Essenssituationen noch einer wissenschaftlichen Absicherung. Bis dahin kann es sinnvoll sein, an das Augenmaß der Erwachsenen bei der Mengenzumessung für Kleinkinder zu appellieren.

 

Besonderheiten des Essverhaltens


Mit abnehmenden Wachstumsraten und abnehmendem relativen Energiebedarf (pro kg Körpergewicht) nimmt der Appetit der Kinder ab und das Essverhalten kann erratisch und unvorhersehbar erscheinen. Obwohl sich die Kinder in einer explorativen Phase ihrer Entwicklung befinden, wächst im zweiten und dritten Lebensjahr die Abneigung gegenüber neuen Lebensmitteln (food neophobia) und die Neigung zu einer wählerischen Lebensmittelauswahl (picky eaters). So empfanden Mütter von Säuglingen im Alter von vier bis sechs Monaten das Essverhalten des Kindes seltener als wählerisch im Vergleich zu Müttern von Kindern im Alter von sechs bis 24 Monaten. Das Empfinden der Mütter spiegelte sich in einer tatsächlich geringeren Lebensmittelvielfalt der als wählerisch beschriebenen Kinder wieder. Es ist für Eltern und Betreuer allerdings beruhigend, dass wählerisches Essverhalten in diesem Alter nicht automatisch zu einer messbar geringeren Zufuhr von Energie und Nährstoffen führt.

Das vorübergehende Phänomen von Neophobie und wählerischem Essen im Kleinkindalter scheint somit die Versorgung der Kinder nicht per se zu gefährden, sollte bei längerem Bestehen aber mit dem Kinder- und Jugendarzt abgeklärt werden.

 

Prägung von Ernährungsgewohnheiten


Es wird diskutiert, dass Lebensmittelpräferenzen und Ernährungsgewohnheiten der frühen Kindheit auf längere Sicht beibehalten werden. Ein prägendes Zeitfenster könnte die Einführung der Beikost und hier speziell die Vielfalt der Lebensmittel in der Beikost sein.

Im Zuge des anschließenden Übergangs auf die Familienernährung können sich charakteristische Ernährungsmuster ausbilden, die bereits eine allgemein als ‚gesund' bzw. ‚weniger gesund' geltende Ernährung widerspiegeln. Eine generelle Vielfalt beim Lebensmittelverzehr im Kleinkindalter kann sich nachhaltig positiv auf die Lebensmittelvielfalt sogar bis in das junge Erwachsenenalter auswirken. Bei Betrachtung einzelner Lebensmittel wie Obst und Gemüse sind die Zusammenhänge zwischen dem Verzehr im Säuglingsalter mit dem Verzehr im Schulalter dagegen inkonsistent.

Konsistent scheint allerdings der Einfluss der Mütter zu wirken: ihr Verzehrsverhalten bei Obst und Gemüse spiegelte sich im Verhalten der Kinder wider. Mit ihrem eigenen Ernährungsverhalten können Eltern also das Verhalten ihrer Kinder positiv beeinflussen. Das Konzept der Optimierten Mischkost als Familienernährung greift diese Chancen auf.

 

Grundzüge


Mit dem Konzept der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche werden die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) herausgegeben werden, und die wissenschaftlichen Kenntnisse zur Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten wie Adipositas und Diabetes in praxisnahe lebensmittel- und mahlzeitenbasierte Empfehlungen übersetzt. Auch Geschmackspräferenzen von Kindern und Jugendlichen werden dabei berücksichtigt. Die Optimierte Mischkost ist Standard der Kinderernährung in Deutschland. Sie eignet sich für Kinder und Jugendliche im Alter von ein bis 18 Jahren, in Familien ebenso wie in der Gemeinschaftsverpflegung in Krippe, Kindertagesstätte und Schule.

Ausgangspunkt der Optimierten Mischkost ist ein 7-Tage-Speiseplan mit den in Deutschland üblichen Ernährungsgewohnheiten und fünf Mahlzeiten am Tag. Anhand der Referenzgruppe von vier- bis sechsjährigen Kindern wurde die übliche Lebensmittelauswahl behutsam soweit optimiert, dass die Nährstoffreferenzwerte ohne Veränderung der grundlegenden Struktur der Mahlzeiten erreicht werden. Beispielsweise wurden übliches Weißbrot oder helle Nudeln teilweise gegen nährstoffreichere Vollkornprodukte ausgetauscht, Maiskeimöl- und Sonnenblumenöl wurden durch Rapsöl aufgrund seines ausgewogenen Fettsäuregehaltes ersetzt; die Mahlzeiten enthalten Gemüse, Rohkost oder Obst und ein energiefreies Getränk (Wasser, Früchtetee).

 

Lebensmittel: die richtige Mischung


Fasst man die Lebensmittel der optimierten 7-Tage-Speisepläne für die Referenzgruppe der vier- bis sechsjährigen Kinder unter ernährungsphysiologischen und praktischen Gesichtspunkten zusammen, ergeben sich Anhaltswerte für die mittleren täglichen Verzehrsmengen von elf Lebensmittelgruppen. Da die empfohlenen Nährstoffdichten (mg(g)/MJ) im Kindes- und Jugendalter weitgehend konstant sind, können altersgemäße Lebensmittelverzehrsmengen für andere Altersgruppen entsprechend des Energiebedarfs extrapoliert (und zum Teil gerundet) werden.

In einer ausgewogenen Kinderernährung verändern sich daher zwar die empfohlenen Verzehrsmengen mit dem Alter bzw. dem Energiebedarf, die Zusammensetzung der Kost, das heißt die Mengenverhältnisse der Lebensmittelgruppen untereinander, sind aber für alle Altersgruppen bei Kindern und Jugendlichen einheitlich. Für die Beurteilung der Ernährung eines einzelnen Kindes ist das Mischungsverhältnis der Lebensmittelgruppen untereinander also wichtiger als die absolute verzehrten Menge pro Tag.

Als praktische Konsequenz, auch für die Verpflegung in Krippe und Kindertagesstätte, lässt sich daraus ableiten, dass für alle Altersgruppen nach denselben Rezepten gekocht werden kann. Die Portionsgrößen ergeben sich aus dem Alter der Essensteilnehmer. Bei Bedarf müssen Speisen für Kleinkinder in ihrer Textur entsprechend hergerichtet werden.

In der Optimierten Mischkost werden „empfohlene" und „geduldete" Lebensmittel unterschieden. Die empfohlenen Lebensmittel decken zusammengenommen den Nährstoffbedarf zu hundert Prozent, aber nur etwa 90 Prozent des Energiebedarfs. Die Lücke von etwa zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr kann durch die sogenannten geduldeten Lebensmittel gedeckt werden. Zu den geduldeten Lebensmitteln zählen Lebensmittel mit niedrigen Nährstoffdichten, wie Süßwaren, Knabberartikel und gesüßte Getränke. Verbote von Lebensmitteln erübrigen sich dabei, sie sind darüber hinaus in der Ernährungserziehung kontraproduktiv.

 

Auswahl der Lebensmittel


Für die tägliche Praxis lassen sich die lebensmittelbezogenen Empfehlungen in drei Kurzbotschaften zusammenfassen und in der Beratung, z. B. von Eltern, mit den Ampelfarben visualisieren:


Reichlich (grün): Getränke und pflanzliche Lebensmittel (Obst, Gemüse, Getreide(-produkte), Kartoffeln)


Mäßig (gelb): Tierische Lebensmittel (Milch, -produkte, Fleisch, Wurst, Fisch, Eier)


Sparsam (rot): Fett- und zuckerreiche Lebensmittel (Speisefette und -öle, Süßwaren, Knabberartikel, Limonade)

 

Die drei Kurzbotschaften werden durch wenige Hinweise zur Lebensmittelauswahl ergänzt.


Abb.5

 


 

Mahlzeiten: das Baukastensystem


Regelmäßige Mahlzeiten können eine gute Ernährungsqualität fördern und bei der Prävention von Übergewicht helfen. Außerdem sind mahlzeitenbezogene Verzehrsempfehlungen im Alltag praktisch. Aus den Referenz-Speiseplänen der Optimierten Mischkost wurden daher auch Empfehlungen für die Zusammensetzung der Mahlzeiten abgeleitet. Dabei gibt es entsprechend den traditionellen Ernährungsgewohnheiten in Deutschland fünf Mahlzeiten am Tag:

Die unterschiedlichen Lebensmittel- und Nährstoffprofile der Mahlzeiten ergänzen sich gegenseitig in einem Baukastensystem zu einer empfehlungsgerechten Tagesernährung und Nährstoffzufuhr. Das Mittagessen ist in Deutschland üblicherweise eine warme Mahlzeit. Sie hebt sich von den anderen Mahlzeiten durch ihren spezifischen Gehalt z. B. an Vitaminen und wichtigen ungesättigten Fettsäuren ab. Für die Gesundheit ist es aber unerheblich, zu welcher Tageszeit die warme Mahlzeit eingenommen wird. Kinder, die mittags kein warmes Essen bekommen, sind mit einer kalten Hauptmahlzeit nach den Empfehlungen der Optimierten Mischkost gut versorgt. Für die Ernährung am Vormittag empfiehlt sich ein Frühstücks-Zweimaleins mit einem ersten einem zweiten Frühstück. Für Kinder, die am Morgen mit Appetit frühstücken (Frühaufsteher), ist ein kleineres zweites Frühstück ausreichend. Kinder, die früh am Morgen noch wenig Appetit haben (Morgenmuffel), erhalten ein größeres zweites Frühstück.

 

Die Mahlzeiten im Einzelnen


In den kalten Hauptmahlzeiten sind die mengenmäßig wichtigsten Lebensmittel Milch oder Milchprodukte. Dazu kommen Obst oder Gemüserohkost, sowie Getreideflocken (als Müsli) oder ein belegtes Brot.

Beispiele für kalte Mahlzeiten:
- Müsli aus Joghurt, Obst und Getreideflocken
- Wurstbrot mit einem Glas Milch und einem Apfel
- Käsebrot mit geraspelter Rohkost
- Nudelsalat mit Tomaten, Gurken und Joghurtdressing

In der warmen Mahlzeit sind Kartoffeln, Reis oder Nudeln die Hauptbestandteile, dazu kommt reichlich Gemüse oder ein Rohkostsalat. Eine kleine Portion fettarmes Fleisch (als Beilage) sollte etwa drei Mal in der Woche auf dem Speiseplan stehen, eine Mahlzeit mit Fisch einmal pro Woche. An den anderen Tagen gibt es vegetarische Gerichte. Ein Dessert ist in der Optimierten Mischkost nicht vorgesehen, es kann stattdessen zur Zwischenmahlzeit am Nachmittag gegeben werden. In der warmen Mahlzeit stehen die nährstoffreichen Lebensmittel im Vordergrund.

Beispiele für warme Mahlzeiten:
- (Vollkorn-)Nudeln mit Tomatensoße
- Kartoffeln, Gemüse und eine kleine Portion Fleisch bzw. Fisch
- Eintopf mit Hülsenfrüchten
- Auflauf mit Kartoffeln (oder Nudeln, Getreide) und Gemüse

Die zwei Zwischenmahlzeiten werden üblicherweise vormittags (z. B. als zweites Frühstück) und nachmittags gegessen. Sie bestehen hauptsächlich aus Obst oder Gemüserohkost, Brot oder Getreideflocken und einer Portion Milch oder einem Milchprodukt. Gelegentlich können auch Süßigkeiten, Kekse oder Kuchen gegessen werden.

Beispiele für Zwischenmahlzeiten:
- Apfel und Rosinenbrötchen
- Joghurt mit Haferflocken und Obst
- Brot mit Frischkäse und Tomatenscheiben

Zu jeder Mahlzeit gehört ein Getränk, vorzugsweise energiefrei, in Form von Trinkwasser. Auch zwischen den Mahlzeiten sollten Kinder Gelegenheit haben, Wasser zu trinken.

Abbildung 4 stellt die Zusammensetzung der Mahlzeiten unter Verwendung der Ampelfarben grafisch dar. Von den Lebensmittelgruppen, die den Sockel der Dreiecke bilden, sollen größere Portionen gegessen werden, als von den Lebensmittelgruppen in der Spitze.

Abb. 4

 

Familienmahlzeiten und Ernährungserziehung


Kinder lernen auch bei der Ernährung schon früh am Vorbild der Eltern. Dieses Rollenmodell der Eltern kann auf einfache Weise bei gemeinsamen Mahlzeiten in angenehmer Atmosphäre genutzt werden. Hilfreich ist das Vereinbaren von Regeln, z. B. gemeinsamer Mahlzeitenbeginn, vor dem Aufstehen fragen, sich Zeit nehmen für das Essen, Tischmanieren pflegen.

Zwischen dem Erziehungsstil der Eltern und dem Ernährungsverhalten der Kinder bestehen systematische Zusammenhänge. Eine starke Kontrolle des kindlichen Verhaltens durch die Eltern fördert ein schlechteres Ernährungsverhalten. Umgekehrt führt eine flexiblere Erziehung zu einem besseren Ernährungsverhalten.

 

Vegetarische Ernährung – auch schon für Säuglinge und Kleinkinder?

Grundzüge
In letzter Zeit ist die vegetarische Ernährung auch in der Kinderernährung zu einem häufig angesprochenen Thema geworden. Sie muss differenziert betrachtet werden. Es gibt verschiedene Ausprägungen der vegetarischen Ernährung, in der Praxis sind die Übergänge oft fließend:

Grundsätzlich gilt: je jünger das Kind und je mehr Lebensmittel ausgeschlossen werden, umso größer werden die Risiken für Nährstoffdefizite und negative gesundheitliche Auswirkungen. Allerdings gibt es nur wenige aussagekräftige Studien, die die Nährstoffversorgung und den Ernährungs- und Gesundheitsstatus von Kindern unter definierter vegetarischer Ernährung ermittelt haben.

 

Hinweise für die Praxis


Bei Verzicht auf Fleisch kann – ernährungsmedizinisch betrachtet – die Versorgung mit Eisen (mit hoher Bioverfügbarkeit) und bei Verzicht auf Fisch zusätzlich die Jodversorgung kritisch werden. Beide Nährstoffe sind für die kindliche Entwicklung wichtig.

In der Säuglingsernährung kann der Gemüse-Kartoffel-Fleisch-Brei durch einen vegetarischen Brei ersetzt werden, in dem eisenreiches Vollkorngetreide verwendet und die geringe Bioverfügbarkeit des Eisens durch Vitamin C (Obst-Püree) verbessert wird. Bei Verwendung industriell hergestellter vegetarischer Gemüse-Vollkorngetreide-Breie (Gläschen) sollte dem Brei Vitamin-C-reicher Obstsaft oder Obstpüree zugefügt werden.

In der vegetarischen Familienernährung können geeignete Mahlzeiten unter Verwendung herkömmlicher Lebensmittel zusammengestellt werden, z. B.:

Bei veganer Ernährung ist die Zufuhr weiterer Nährstoffe (Calcium, Vitamin B12, D, B2) und ggf. Protein und Energie betroffen. Je nach individueller Lebensmittelauswahl müssen Nährstoffe supplementiert oder mit angereicherten Lebensmitteln zugeführt werden.

Vitamin B12 ist in pflanzlichen Lebensmitteln nicht enthalten und muss bei veganer Ernährung zugesetzt werden. Dies gilt insbesondere für Schwangere, die sich vegan ernähren. Es sind wiederholte Fälle schwerer neurologischer, teilweise irreparabler Entwicklungsdefizite bei gestillten Säuglingen vegan ernährter Mütter beschrieben.


Kinder sind beim Essen den diesbezüglichen Wertvorstellungen ihrer Eltern ausgeliefert. Eltern, die sich von den offiziellen Ernährungsempfehlungen, z. B. aus ökologischen, ethisch-philosophischen oder gesundheitlichen Erwägungen abwenden, möchten ihre alternativen Ernährungsvorstellungen in guter Absicht meist auch für ihre Kinder anwenden. Oft sind sie sich nicht darüber bewusst, dass die Folgen einer Fehlernährung bei Kindern wesentlich schwerwiegender sind als bei Erwachsenen.

Eine vegetarische Ernährungsform für Säuglinge und Kinder erfordert ausreichende Ernährungs- und Lebensmittelkenntnisse. Sie sollte nicht ohne Rücksprache mit dem Kinder- und Jugendarzt durchgeführt werden. Bei der Beratung kommt es darauf an, mit Verständnis und ohne Dogmatismus auf die Eltern einzugehen. Oft können schon geringfügige, aber wohldurchdachte Lockerungen eines restriktiven Ernährungsregimes die Kostqualität und das Wachstum der Kinder nachhaltig verbessern.

 


 

Fazit für die Praxis

 

 

Prof. Dr. Mathilde Kersting ist stellvertretende Leiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) Dortmund, Universität Bonn.

Dr. oec. troph. Annett Hilbig ist Mitarbeiterin des Forschungsinstituts für Kinderernährung (FKE) Dortmund, Universität Bonn.

 


 

Literatur (Auswahl)

 

 

 

Wir übernehmen diesen Beitrag mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus der Ausgabe  01/15 von frühe Kindheit.


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