Gesunde Ernährung von Anfang an

Inhaltsverzeichnis

  1. Anwendungsforschung am Forschungsinstitut für Kinderernährung (FKE)
  2. Ernährung von Säuglingen
  3. Stillen
  4. Muttermilchersatz
  5. Produktgruppen
  6. Beikost
  7. Baukastensystem der Beikost
  8. Optimierte Mischkost
  9. Baukastensystem der Mahlzeiten
  10. Fazit für die Praxis
  11. Literatur

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Ernährung von Kleinkindern – Die Optimierte Mischkost

 

Ernährungsverhalten: Interindividuelle Variabilität


Im Kleinkindalter entwickeln Kinder eine zunehmende Eigenständigkeit in ihren motorischen und sprachlichen Fähigkeiten, sie essen mehr und mehr selbständig und äußern Wünsche und Ablehnung. Etwa im Alter von 15 Monaten können Kinder in der Regel eigenständig mit Händen, Löffel und Becher feste und flüssige Nahrung aufnehmen. Sie sollten zunehmend an die komplexen Texturen von Speisen gewöhnt werden, um voll am Familienessen teilzunehmen. Die große interindividuelle Variabilität in der senso-motorischen Entwicklung in den ersten Lebensjahren wird beim Übergang von der Säuglingsernährung auf die Familienernährung mit Optimierter Mischkost berücksichtigt. Allerdings ist eine wissenschaftliche Absicherung der zahlreich vorgeschlagenen praktischen Maßnahmen für die Einführung der Familienernährung bisher meist noch nicht möglich, auch wenn die Bedeutung dieser Übergangsphase für die kindliche Entwicklung allgemein anerkannt ist.

Große Unterschiede von Kind zu Kind gibt es auch bei den verzehrten Nahrungsmengen. So verzehren beispielsweise Kleinkinder im Alter von zwei Jahren bei üblicher Ernährung mehrheitlich Mengen in einer Bandbreite zwischen 500 g und 1.000 g am Tag.

 

Regulation der Nahrungsaufnahme


Säuglinge sind vielfach noch imstande, ihren Nahrungsverzehr an ihren Energiebedarf anzupassen. Sie trinken von Mahlzeiten mit einer geringen Energiedichte (kcal/g) mehr als von energiedichteren Mahlzeiten. Dieses Phänomen der endogenen Regulation der Energieaufnahme lässt sich bei Kleinkindern nur noch abgeschwächt nachweisen. Vermutlich gewinnen im Laufe des Kleinkindalters zunehmend Außenreize an Einfluss. Kleinkinder zum Essen zu drängen könnte demzufolge die Entwicklung einer ungestörten Hunger-Sättigungs-Regulation eher behindern.

Andererseits sind Empfehlungen weit verbreitet, dem Kind allein die Wahl der Essensmenge zu überlassen, indem die Eltern für ein ausgewogenes Essensangebot sorgen und die Kinder entscheiden wie viel sie davon essen. Dieses in der Mutter-Kind-Dyade beim Stillen vorherrschende interaktive Modell bedarf bei der Anwendung in komplexeren Fütter- und Essenssituationen noch einer wissenschaftlichen Absicherung. Bis dahin kann es sinnvoll sein, an das Augenmaß der Erwachsenen bei der Mengenzumessung für Kleinkinder zu appellieren.

 

Besonderheiten des Essverhaltens


Mit abnehmenden Wachstumsraten und abnehmendem relativen Energiebedarf (pro kg Körpergewicht) nimmt der Appetit der Kinder ab und das Essverhalten kann erratisch und unvorhersehbar erscheinen. Obwohl sich die Kinder in einer explorativen Phase ihrer Entwicklung befinden, wächst im zweiten und dritten Lebensjahr die Abneigung gegenüber neuen Lebensmitteln (food neophobia) und die Neigung zu einer wählerischen Lebensmittelauswahl (picky eaters). So empfanden Mütter von Säuglingen im Alter von vier bis sechs Monaten das Essverhalten des Kindes seltener als wählerisch im Vergleich zu Müttern von Kindern im Alter von sechs bis 24 Monaten. Das Empfinden der Mütter spiegelte sich in einer tatsächlich geringeren Lebensmittelvielfalt der als wählerisch beschriebenen Kinder wieder. Es ist für Eltern und Betreuer allerdings beruhigend, dass wählerisches Essverhalten in diesem Alter nicht automatisch zu einer messbar geringeren Zufuhr von Energie und Nährstoffen führt.

Das vorübergehende Phänomen von Neophobie und wählerischem Essen im Kleinkindalter scheint somit die Versorgung der Kinder nicht per se zu gefährden, sollte bei längerem Bestehen aber mit dem Kinder- und Jugendarzt abgeklärt werden.

 

Prägung von Ernährungsgewohnheiten


Es wird diskutiert, dass Lebensmittelpräferenzen und Ernährungsgewohnheiten der frühen Kindheit auf längere Sicht beibehalten werden. Ein prägendes Zeitfenster könnte die Einführung der Beikost und hier speziell die Vielfalt der Lebensmittel in der Beikost sein.

Im Zuge des anschließenden Übergangs auf die Familienernährung können sich charakteristische Ernährungsmuster ausbilden, die bereits eine allgemein als ‚gesund' bzw. ‚weniger gesund' geltende Ernährung widerspiegeln. Eine generelle Vielfalt beim Lebensmittelverzehr im Kleinkindalter kann sich nachhaltig positiv auf die Lebensmittelvielfalt sogar bis in das junge Erwachsenenalter auswirken. Bei Betrachtung einzelner Lebensmittel wie Obst und Gemüse sind die Zusammenhänge zwischen dem Verzehr im Säuglingsalter mit dem Verzehr im Schulalter dagegen inkonsistent.

Konsistent scheint allerdings der Einfluss der Mütter zu wirken: ihr Verzehrsverhalten bei Obst und Gemüse spiegelte sich im Verhalten der Kinder wider. Mit ihrem eigenen Ernährungsverhalten können Eltern also das Verhalten ihrer Kinder positiv beeinflussen. Das Konzept der Optimierten Mischkost als Familienernährung greift diese Chancen auf.

 

Grundzüge


Mit dem Konzept der Optimierten Mischkost für Kinder und Jugendliche werden die Referenzwerte für die Nährstoffzufuhr, die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) herausgegeben werden, und die wissenschaftlichen Kenntnisse zur Prävention ernährungsmitbedingter Krankheiten wie Adipositas und Diabetes in praxisnahe lebensmittel- und mahlzeitenbasierte Empfehlungen übersetzt. Auch Geschmackspräferenzen von Kindern und Jugendlichen werden dabei berücksichtigt. Die Optimierte Mischkost ist Standard der Kinderernährung in Deutschland. Sie eignet sich für Kinder und Jugendliche im Alter von ein bis 18 Jahren, in Familien ebenso wie in der Gemeinschaftsverpflegung in Krippe, Kindertagesstätte und Schule.

Ausgangspunkt der Optimierten Mischkost ist ein 7-Tage-Speiseplan mit den in Deutschland üblichen Ernährungsgewohnheiten und fünf Mahlzeiten am Tag. Anhand der Referenzgruppe von vier- bis sechsjährigen Kindern wurde die übliche Lebensmittelauswahl behutsam soweit optimiert, dass die Nährstoffreferenzwerte ohne Veränderung der grundlegenden Struktur der Mahlzeiten erreicht werden. Beispielsweise wurden übliches Weißbrot oder helle Nudeln teilweise gegen nährstoffreichere Vollkornprodukte ausgetauscht, Maiskeimöl- und Sonnenblumenöl wurden durch Rapsöl aufgrund seines ausgewogenen Fettsäuregehaltes ersetzt; die Mahlzeiten enthalten Gemüse, Rohkost oder Obst und ein energiefreies Getränk (Wasser, Früchtetee).

 

Lebensmittel: die richtige Mischung


Fasst man die Lebensmittel der optimierten 7-Tage-Speisepläne für die Referenzgruppe der vier- bis sechsjährigen Kinder unter ernährungsphysiologischen und praktischen Gesichtspunkten zusammen, ergeben sich Anhaltswerte für die mittleren täglichen Verzehrsmengen von elf Lebensmittelgruppen. Da die empfohlenen Nährstoffdichten (mg(g)/MJ) im Kindes- und Jugendalter weitgehend konstant sind, können altersgemäße Lebensmittelverzehrsmengen für andere Altersgruppen entsprechend des Energiebedarfs extrapoliert (und zum Teil gerundet) werden.

In einer ausgewogenen Kinderernährung verändern sich daher zwar die empfohlenen Verzehrsmengen mit dem Alter bzw. dem Energiebedarf, die Zusammensetzung der Kost, das heißt die Mengenverhältnisse der Lebensmittelgruppen untereinander, sind aber für alle Altersgruppen bei Kindern und Jugendlichen einheitlich. Für die Beurteilung der Ernährung eines einzelnen Kindes ist das Mischungsverhältnis der Lebensmittelgruppen untereinander also wichtiger als die absolute verzehrten Menge pro Tag.

Als praktische Konsequenz, auch für die Verpflegung in Krippe und Kindertagesstätte, lässt sich daraus ableiten, dass für alle Altersgruppen nach denselben Rezepten gekocht werden kann. Die Portionsgrößen ergeben sich aus dem Alter der Essensteilnehmer. Bei Bedarf müssen Speisen für Kleinkinder in ihrer Textur entsprechend hergerichtet werden.

In der Optimierten Mischkost werden „empfohlene" und „geduldete" Lebensmittel unterschieden. Die empfohlenen Lebensmittel decken zusammengenommen den Nährstoffbedarf zu hundert Prozent, aber nur etwa 90 Prozent des Energiebedarfs. Die Lücke von etwa zehn Prozent der Gesamtenergiezufuhr kann durch die sogenannten geduldeten Lebensmittel gedeckt werden. Zu den geduldeten Lebensmitteln zählen Lebensmittel mit niedrigen Nährstoffdichten, wie Süßwaren, Knabberartikel und gesüßte Getränke. Verbote von Lebensmitteln erübrigen sich dabei, sie sind darüber hinaus in der Ernährungserziehung kontraproduktiv.

 

Auswahl der Lebensmittel


Für die tägliche Praxis lassen sich die lebensmittelbezogenen Empfehlungen in drei Kurzbotschaften zusammenfassen und in der Beratung, z. B. von Eltern, mit den Ampelfarben visualisieren:


Reichlich (grün): Getränke und pflanzliche Lebensmittel (Obst, Gemüse, Getreide(-produkte), Kartoffeln)


Mäßig (gelb): Tierische Lebensmittel (Milch, -produkte, Fleisch, Wurst, Fisch, Eier)


Sparsam (rot): Fett- und zuckerreiche Lebensmittel (Speisefette und -öle, Süßwaren, Knabberartikel, Limonade)

 

Die drei Kurzbotschaften werden durch wenige Hinweise zur Lebensmittelauswahl ergänzt.


Abb.5

 



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