Bindung, Eingewöhnung und Qualität in der KiTa

Inhaltsverzeichnis

  1. Befriedigung der seelischen Grundbedürfnisse
  2. Sichere Bindungsbeziehungen für mutige Exploration
  3. Feinfühlige Zuwendung für eine optimale Gehirnentwicklung
  4. Feste Bezugspersonen auch in der Kindertageseinrichtung
  5. Kindertageseinrichtungen in hervorragender Qualität
  6. Investitionen in die Qualität frühkindlicher Bildung und Erziehung zahlen sich aus
  7. Literatur

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3. Feinfühlige Zuwendung für eine optimale Gehirnentwicklung


Wie Mütter auf die Bindungs- und Explorationsbedürfnisse ihres Kindes reagieren, ist sehr unterschiedlich und hängt weitgehend mit ihren eigenen Kindheitserfahrungen zusammen. Mary Ainsworth hat dieses mütterliche Antwortverhalten als Feinfühligkeit beschrieben (Ainsworth, 1978/2003). Feinfühligkeit von Bindungspersonen gegenüber den Signalen des Kindes bedeutet, sich in die Lage des Kindes versetzen zu können und es als eigenständige Person mit eigenen Bedürfnissen und Absichten anzuerkennen.

Feinfühliges Verhalten gegenüber einem Kleinkind ist die Voraussetzung für den Aufbau einer emotional vertrauensvollen und tragfähigen Beziehung und beinhaltet, die Signale des Kindes wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und prompt sowie angemessen darauf zu reagieren.

Neuere Untersuchungen zur Rolle des Vaters und zur väterlichen Feinfühligkeit legen nahe, dass diese für eine sichere Exploration für das Kind eine ebenso bedeutende Rolle spielt, wie die mütterliche Feinfühligkeit für eine sichere Bindungsorganisation (Kindler & Grossmann 2008). Das Konzept der „feinfühligen Herausforderung im Spiel“ geht davon aus, dass der erwachsene Spielpartner in seiner Interaktion mit dem Kind nicht nur feinfühlig auf die Bindungsbedürfnisse des Kindes eingeht, sondern ebenso die Neugier, die Exploration und die Tüchtigkeit des Kindes unterstützt und fördert. Bei feinfühliger Herausforderung lässt das Kind den Beobachter deutlich erkennen, dass es das Werk selbst gemacht und so gewollt hat. Untersuchungen (vgl. Kindler & Grossmann 2008) zeigen, dass feinfühlige Unterstützung kindlicher Exploration der Bereich ist, von dem aus sich väterliche Einflüsse auf zentrale Aspekte der sozial-emotionalen und Bindungsentwicklung über Zeiträume bis zum 22. Lebensjahr entfalten.

Eine gesunde Entwicklung über den Lebenslauf braucht sowohl die Sicherheit der Exploration als auch die Sicherheit der Bindung. Feinfühliges Verhalten gegenüber einem Kind fördert somit die Befriedigung der drei psychischen Grundbedürfnisse nach Bindung, Kompetenz und Autonomie.

Die Feinfühligkeit der Eltern hat neben den Temperamenteigenschaften des Kindes Einfluss auf die Bindungsqualität zwischen Kind und Elternteil. Feinfühliges Verhalten kann mit relativ geringem Aufwand trainiert werden, und das sogar gegenüber Kindern mit sehr schwierigem Temperament. Eine der eindrücklichsten Untersuchungen dazu hat die Forscherin Dymphna van den Boom (1994) durchgeführt. Sie hat die Feinfühligkeit von Müttern von sehr irritierbaren Säuglingen durch Intervention trainiert und dadurch eine Verdoppelung der Anzahl sicherer Bindungsbeziehungen erreicht.

Ein Kind braucht von Geburt an einige wenige verlässliche Bezugspersonen, die feinfühlig seine Bedürfnisse nach Bindung und Exploration beantworten. Meistens ist die Mutter die erste, der Vater die zweite Bindungsperson und je nach Betreuungssituation kann die Tagesmutter oder Erzieherin die dritte Bezugsperson für ein Kind sein. Entscheidend für das Kind sind die Stabilität der Beziehungen und die Feinfühligkeit der einzelnen Bezugspersonen gegenüber seinen Signalen (Becker-Stoll, 2007).

Neuere Erkenntnisse aus der Neurobiologie und Gehirnforschung (Braun et al., 2009) zeigen, wie sich frühe Bindungserfahrungen auf die Entwicklung im Gehirn auswirken. Das kindliche Gehirn erfährt in den ersten Lebensjahren nicht nur ein enormes Wachstum (ca. 400g bei Geburt und ca. 1000g im Alter von zwei Jahren), sondern auch eine starke Verdichtung der neuronalen Netzwerke. Die Erkenntnisse der Hirnforschung zur Entwicklung des frühkindlichen Gehirns lassen sich in vier Aussagen zusammenfassen:

  1. Das frühkindliche Gehirn wird auch auf der Ebene der Molekularstruktur, der Entstehung von Synapsen und des Aufbaus der Vernetzungen viel stärker durch Umwelteinflüsse, insbesondere durch Erfahrungen mit den primären Bezugspersonen, beeinflusst als bisher gedacht. Die Annahme, das Gehirn, seine Entwicklung auf struktureller Ebene und seine Leistungsfähigkeit seien im Wesentlichen genetisch bestimmt, muss heute revidiert werden. Es sind nicht die Gene, sondern die Erfahrungen, die das Kind vorgeburtlich und in den ersten fünf Lebensjahren mit seiner unmittelbaren sozialen Umwelt – seinen wichtigsten Bezugspersonen – macht, die über die spätere Leistungsfähigkeit des Gehirnes entscheiden (Braun 2002/2009).

     

  2. Damit sich im Gehirn neue Strukturen und Vernetzungen entwickeln können, bedarf es eines gleichzeitigen Zusammenwirkens dreier Bereiche: Sinnes- und Bewegungszentren im Neocortex, Limbisches System – Emotionszentrum und präfrontaler Cortex. Nur die gleichzeitige Stimulation dieser drei Areale führt zum Aufbau neuer Strukturen, die auch nachhaltig sind. Diese optimale Stimulation erfährt das frühkindliche Gehirn am besten in der liebevollen Interaktion mit seiner Hauptbezugsperson, weil dabei – eingebettet in eine emotional bedeutsame Beziehung – visuelle, auditive, taktile Reize mit dem Limbischen System und dem präfrontalen Cortex vernetzt werden. Durch Fernsehen oder Videos werden Babys nicht klüger, weil sie bei einer solchen Reizdarbietung keine Stimulation des emotionalen Zentrums, des Limbischen Systems, erleben. Dabei findet keine gleichzeitige Aktivierung verschiedener zentraler Areale, sondern nur eine visuelle und auditive Stimulation ohne emotionale Einbettung statt.

     

  3. Frühkindliches Lernen findet dann statt, wenn die Aktivität vom Kind ausgeht und es selbst erkundet, handelt, begreift, erfährt – mit möglichst vielen Sinnen und in emotionaler Sicherheit. Das frühkindliche Gehirn ist für aktives Erkunden und Lernen geschaffen. Jedes vom Kind ausgehende aktive Erkunden, Lernen, Begreifen, Verstehen wird durch „Belohnungsmechanismen“ unterstützt. Mit jeder Erkenntnis erfährt das Kind eine intrinsische Beglückung, sodass es immer weiter verstehen und lernen möchte. Dieser Belohnungsmechanismus funktioniert jedoch nur bei selbst initiiertem Lernen. Frühkindliches Lernen unterscheidet sich von erwachsenem Lernen, indem es ausschließlich von der unmittelbaren eigenen Erfahrung, der eigenen Aktivität abhängt. Heranwachsende und Erwachsene können auch aus Erklärungen und Informations- oder Wissensvermittlung im herkömmlichen Sinne lernen.

     

  4. Die emotionale Sicherheit ist umso bedeutsamer, je jünger ein Kind ist. Sie ist Voraussetzung dafür, dass das Kind sich mit seiner Umwelt aktiv auseinandersetzen kann und Grundlage jedes Lernens. Kinder lernen in und durch die Beziehung zu ihren primären Bezugspersonen. Auch die angeborenen Spiegelneurone des Säuglings können sich nur dann entfalten, wenn sie durch soziale Interaktion mit den Bezugspersonen stimuliert werden (Bauer 2005).


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