Bindung, Eingewöhnung und Qualität in der KiTa

Inhaltsverzeichnis

  1. Befriedigung der seelischen Grundbedürfnisse
  2. Sichere Bindungsbeziehungen für mutige Exploration
  3. Feinfühlige Zuwendung für eine optimale Gehirnentwicklung
  4. Feste Bezugspersonen auch in der Kindertageseinrichtung
  5. Kindertageseinrichtungen in hervorragender Qualität
  6. Investitionen in die Qualität frühkindlicher Bildung und Erziehung zahlen sich aus
  7. Literatur

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2. Sichere Bindungsbeziehungen für mutige Exploration


Zu Lebensbeginn entsteht zwischen Kind und Mutter eine enge Beziehung, deren Ziel es ist, die Nähe zwischen beiden aufrechtzuerhalten, um damit dem Kind möglichst hohen Schutz zu geben. Kinder verfügen von Geburt an über ein Verhaltenssystem, das es ihnen ermöglicht, Bindungsverhalten gegenüber einer oder einigen wenigen Personen zu zeigen. Dabei ist das Kind aktiv und hat die Initiative bei der Bildung von Bindung. Es bindet sich nicht nur an die Mutterperson, die es füttert und seine leiblichen Bedürfnisse befriedigt, sondern auch an andere Personen, die einfach mit ihm spielen und interagieren (Ainsworth 1976/2003), also z.B. auch an die Tagesmutter oder die Erzieherin in der Krippe.

In den ersten Lebensmonaten zeigen Säuglinge einfach strukturierte Verhaltensmuster wie Weinen, Nähe-Suchen und Anklammern. Im Laufe des ersten Lebensjahres wird das Bindungsverhalten zunehmend komplexer. Das dem Bindungsverhalten zugrunde liegende Bindungssystem wird durch Fremdheit, Unwohlsein oder Angst ausgelöst und die Erregung wird durch Wahrnehmung der Bindungsperson, besonders durch Nähe und liebevollen Körperkontakt zu ihr und Interaktion mit ihr, beendet (Grossmann und Grossmann, 2003).

Die meisten Kinder entwickeln in den ersten neun Lebensmonaten Bindungen gegenüber Personen, die sich dauerhaft um sie kümmern. Auch wenn es zu mehreren Personen Bindungsbeziehungen entwickelt, sind diese eindeutig hierarchisch geordnet, d.h. das Kind bevorzugt eine Bindungsperson vor den anderen. Hat ein Kind eine Bindung zu einer bestimmten Person aufgebaut, so kann diese nicht ausgetauscht werden. Längere Trennungen oder gar der Verlust dieser Bindungsfigur führen zu schweren Trauerreaktionen und großem seelischen Leid (Grossmann und Grossmann, 2004).

Der Begründer der Bindungstheorie, John Bowlby (1969), hat als erster erkannt, dass Kinder von Geburt an sowohl mit einem Bindungsverhaltenssystem als auch mit einem Explorationsverhaltenssystem ausgestattet sind, und dass diese beiden phylogenetisch angelegten Verhaltenssysteme von Anfang an das Verhalten des Kindes bestimmen und damit sein Überleben und das Überleben der Art sichern. Während das Bindungsverhalten dazu dient, die Nähe zur Bindungsperson aufrecht zu erhalten oder wieder zu gewinnen, um dort Schutz zu finden, ermöglicht das Explorationsverhalten die Erkundung der Umwelt, und ist damit die Grundlage allen Lernens. Bowlby (1969; 1987/2003) hat darüber hinaus beschrieben, dass diese beiden Verhaltenssysteme komplementär sind, d.h. dass das Explorationsverhaltenssystem nur dann aktiviert werden kann, wenn das Bindungsverhaltenssystem deaktiviert ist, und umgekehrt.

Kinder sind also von Geburt an „geborene Lerner“, sie sind von Geburt an – genau genommen schon vorgeburtlich verhaltensbiologisch dafür ausgestattet zu Erkunden und zu Lernen. Die Bereitschaft zur Exploration, also zur Auseinandersetzung mit der Umwelt, ist jedoch nur dann gegeben, wenn das Bindungsverhaltenssystem beruhigt ist. Das Bindungsverhaltenssystem wird durch jeden Zustand von Unwohlsein aktiviert. Dazu gehören Hunger, Durst, Müdigkeit genauso wie Angst, Fremdheit und Überreizung. Zunächst versucht der Säugling durch Weinen die Nähe zur Bindungsperson wieder herzustellen, später durch Arme ausstrecken, Hochziehen, Nachfolgen, usw. Durch den Körperkontakt zur primären Bindungsperson (meist die Mutter) wird das Bindungsverhaltenssystem wieder beruhigt und das Explorationssystem kann wieder aktiviert werden.

Mit Vollendung des ersten Lebensjahres kann man beobachten, wie Kleinkinder ihre Bindungsperson als „sichere Basis“ nutzen, um von ihr aus die Umwelt zu erkunden. Bei Unsicherheit oder Unwohlsein kehren sie zur Bindungsperson zurück, „tanken“ im Körperkontakt zu ihr wieder Sicherheit auf, um weiter erkunden zu können (vgl. Ainsworth, 1978, Grossmann & Grossmann, 2004).

Das Bindungsverhaltenssystem dient aber auch selber dem Lernen, da es die Nähe des Kindes zur Bindungsperson aufrecht erhält und das Kind in der Interaktion mit seiner Bindungsperson am meisten von ihr lernen kann (z.B. durch Beobachtung und Nachahmung). Frühkindliche Bildungsprozesse sind also nicht unabhängig von der Entwicklung von Bindungsbeziehungen zu sehen und diese gelingen auch im Kontext sicherer Bindungsbeziehungen am besten (vgl. Ahnert, 2007). Sichere Bindungsbeziehungen sind damit die Grundlage für eine gesunde Entwicklung und für lebenslanges Lernen.

Bindung und Exploration sind jedoch nicht nur verhaltensbiologische Grundlagen frühkindlicher Entwicklung sondern auch psychische Grundbedürfnisse, deren Befriedigung durch die soziale Umwelt die Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung bildet.

 


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