Überforderung total?

Was brauchen Berufseinsteiger*innen in der KiTa?

Wer neu in einer Kita startet, braucht Unterstützung. Aber wie soll die aussehen? Unsere Autorin erläutert, warum Interaktion mit den Kindern im Fokus stehen muss, dabei nicht nur die Praxisanleiterin gefragt ist und was eine Kamera damit zu tun hat.

"Der war fürchterlich. Weil ich mich einfach komplett überfordert gefühlt habe, (…) und ich das Gefühl hatte: Ich komme hier rein, es ist ein teiloffenes Konzept, (…) dann sehe ich die Kinder zehn Minuten, dann sind sie plötzlich weg in irgendwelchen Bereichen (…) – ich war einfach überfordert, komplett.“

Überforderung und das Gefühl, in der beruflichen Einstiegsphase alleingelassen zu werden, sind keine Seltenheit, wenn man an die Erfahrungsberichte von Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern denkt, die als Fachkraft neu in einem Kita-Team starten – wie oben stehendes Zitat zeigt. Es stammt aus der Studie zu multiprofessionellen Teams in Baden-Württemberg, die wir in unserem Forschungszentrum an der Evangelischen Hochschule Freiburg im Auftrag des baden-württembergischen Kultusministeriums durchgeführt haben.
Aber gerade auch Quereinsteiger wie zum Beispiel Physio- oder Ergotherapeutinnen, Heilerziehungspfleger oder Logopädinnen, die nach den erweiterten Fachkräftekatalogen im Kita-Bereich arbeiten dürfen, sind trotz ihrer Berufserfahrung und hoher Motivation, mit Kindern zu arbeiten, häufig zu Beginn ihrer Tätigkeit überfordert. Woran liegt das?

Das Arbeiten mit Kindern ist im pädagogischen Alltag mit Herausforderungen verbunden, die selbst für Fachkräfte mit Berufserfahrung im pädagogischen, therapeutischen oder pflegerischen Bereich überraschend groß sind. Denn das wesentliche Kennzeichen des pädagogischen Alltags ist das Arbeiten mit Gruppen, und die finden sich dynamisch je nach Tageszeit und Angebot zusammen, lösen sich spontan auf und bilden sich in anderer Zusammensetzung neu. Auch sind die Gruppen durch eine große Vielfalt in Hinblick auf die sprachlichen, sozial-emotionalen, kognitiven oder motorischen Kompetenzen der Kinder geprägt. Der Anspruch, den Bedürfnissen aller Kinder gerecht zu werden, für die man Verantwortung trägt, ist daher nicht leicht einzulösen; schon gar nicht, wenn das Handlungsfeld Kita neu ist und man nicht auf Erfahrungswissen zurückgreifen kann. Zugleich spricht es für die neuen Fachkräfte, dass sie mit dem Anspruch, professionelle Beziehungen zu den Kindern aufzubauen, in die Einrichtung kommen. Eine Physiotherapeutin beantwortete die Frage, warum sie eine Stelle in der Kita annehmen wolle, auf diese Weise: „Weil man mehr Zeit für die Kinder hat. In der physiotherapeutischen Praxis hat man einen Zwanzig-Minuten-Takt, man muss die Kinder manchmal wegschicken, auch wenn es ihnen ein bisschen schlecht geht. Und hier hat man halt Zeit, die Kinder aufzufangen, wenn es ihnen schlecht geht.“

Was braucht es für den Einstieg?

In unserer Team-Baden-Württemberg-Studie zu multiprofessionellen Teams haben wir festgestellt, dass in der Praxis oftmals keine Einarbeitungskonzepte vorhanden sind, die auf die Berufseinsteigerinnen aus anderen Berufsfeldern übertragbar sind. Die bisherigen Konzepte sind ausgerichtet auf Erzieherinnen und Erzieher mit abgeschlossener Berufsausbildung plus Anerkennungsjahr und passen daher nicht für alle.
Um die Teams nicht zu überfordern und die Neuen – ob es nun Berufsanfängerinnen sind, die frisch von der Hochschule kommen, oder Quereinsteigerinnen – gleichzeitig gut mitzunehmen, empfehlen wir Einarbeitungskonzepte über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten. In diesen sechs Monaten sollten die neuen Fachkräfte die Handlungspraxis der Einrichtung kennenlernen. Dazu gehören die Beobachtung und Dokumentation, die Entwicklungsgespräche mit Eltern, Eingewöhnungskonzepte für Kinder sowie Gruppen- und Funktionsraumkonzepte. Vor allem aber sollen die neuen Fachkräfte fachlich gut vom Team begleitet werden in ihrer eigenen Handlungsplanung und -umsetzung, in der Vor- und Nachbereitung von Angeboten und Projekten oder auch der Umsetzung von Beobachtung und Dokumentation. Nur dann kann wirklich sichergestellt werden, dass die Erwartungen an die Neuen bestmöglich erfüllt, mögliche Wissenslücken geschlossen und Handlungskompetenzen im Sinne der pädagogischen Orientierungen und konzeptionellen Grundausrichtung der Einrichtung weiterentwickelt werden können.

Wie kann ein passgenaues Einarbeitungskonzept im Hinblick auf die professionelle Beziehungsgestaltung zu Kindern aussehen – welche Bausteine sind notwendig? Die Abbildung zeigt exemplarisch, welche Bausteine grundsätzlich eine konzeptionell gesicherte und systematische Einarbeitung enthalten sollte.

Seiten aus TPS 9 20 020 023 WeltzienMit Blick auf Wahrnehmung und Interaktionsgestaltung als pädagogische Kernelemente der Praxisanleitung lässt sich dieses Grundkonzept wie folgt ausdifferenzieren:

Baustein 1: Erstellung eines Kompetenzprofils der neuen Fachkraft (mit Leitung) und Planung der Einarbeitungsphase und des kollegialen Coachings:
  • Welche Methoden und Erfahrungen im Hinblick auf Wahrnehmung und Interaktionsgestaltung bringt die neue Kollegin mit?

Baustein 2: Zusammenarbeit im Team – Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche:
  • Auf welchen wertebezogenen und fachlichen Grundlagen basieren die praktizierten kindbezogenen Beobachtungsverfahren und die Fachkraft-Kind-Interaktion in der Einrichtung?

Baustein 3: Kennenlernen der Gruppen- und Funktionsbereiche, inklusive systematische Hospitationen und Einarbeitung in die eigenen Gruppen- und Funktionsbereiche:
  • Wie werden die pädagogischen Kernaufgaben sowie Spezialaufgaben entsprechend der fachlichen Expertise beziehungsvoll und dialogorientiert gestaltet?

Baustein 4: Einführung in die Zusammenarbeit mit Eltern und Familien:
  • Wie wird mit der Vielfalt und Diversität der Familien wertschätzend umgegangen? Wie gelingt es wirklich, Elterngespräche ressourcenorientiert zu gestalten?

Baustein 5: Kennenlernen von Sozialraum und Netzwerken:
  • Wie gestalten sich Vernetzungs- und Kooperationsaktivitäten etwa im Hinblick auf die Gestaltung des Übergangs Kita-Grundschule, Inklusion und Familienzentrum?
Baustein 6: Systematisches kollegiales Coaching mit festen Zuständigkeiten innerhalb des Teams und regelmäßigen Coachingterminen für mindestens sechs Monate:
  • Wie werden die Anleitungs-, Reflexions- oder Feedbackgespräche im Hinblick auf die Themen Beobachtung, Wahrnehmung und Interaktion konkret gestaltet?

Baustein 7: Leitungsgespräche zur Planung, Begleitung und Evaluation des Einarbeitungsverlaufs:
  • Welche Instrumente werden zur Evaluation des Verlaufs eingesetzt? Wie gestalten sich die Dialogorientierung und die Partizipation in den Leitungsgesprächen?

Sinnvolle Kommunikationskultur

Beobachtung, Wahrnehmung und Interaktion sind die wesentlichen Grundlagen der pädagogischen Arbeit mit Kindern. Wie Kindern begegnet wird, prägt entscheidend den Praxisalltag – und zwar sowohl in der konkreten Zusammenarbeit mit Kindern als auch in der Zusammenarbeit mit Eltern. Auch der fachliche Austausch im Team wird durch diese Themen geprägt: Welches Bild haben wir von Kindheit und Kindern? Wie gelingt es, das Verhalten der Kinder differenziert zu erkennen und zu verstehen? Je schneller diese Grundlagen gemeinsam hergestellt werden, desto leichter gelingt dann der Einstieg ins Team. Und umso wertvoller werden die neuen Teammitglieder, weil sie nur auf dieser pädagogischen Grundlage ihr fachliches Wissen und Können entfalten können. Wohlgemerkt: Das Herstellen einer gemeinsamen Basis im Team ist die Aufgabe aller Beteiligten, nicht nur die Praxisanleitung trägt hierfür die Verantwortung! Je besser der fachliche Austausch über die alltäglichen Interaktionen und das Herstellen von Beziehungen mit Kindern im ganzen Team ist, desto schneller wird es gelingen, die neuen Fachkräfte in das Team zu integrieren. Die täglichen fachlichen Gespräche mit Kindern und über Kinder, die wöchentlichen Fallbesprechungen auf der Grundlage systematisch angewendeter Beobachtungsverfahren und die fest verankerten Entwicklungsgespräche mit Eltern sowie die im Bedarfsfall durchgeführten Beratungsgespräche bieten Orientierung und Erfahrungsaustausch.

Wenn also Beobachtung, Wahrnehmung und Interaktion Kernelemente einer gut funktionierenden Zusammenarbeit im pädagogischen Alltag sind, kommt es in den Anleitungsgesprächen darauf an, gelingende Interaktionen mit Kindern in den Fokus zu nehmen. Hierbei können Sie zum Beispiel auf ein Konzept zurückgreifen, das wir gemeinsam mit Kindertageseinrichtungen entwickelt haben. Das Konzept nennt sich „Gestaltung von Interaktionsgelegenheiten im Alltag“. Diese Methode nimmt die wesentlichen Merkmale alltagstypischer Interaktionen in den Blick. (Mehr dazu lesen Sie auch in der TPS 1/20: „Ganz genau hinschauen“.)

Zu Beginn der Einarbeitungsphase kann die praktizierte Interaktionsgestaltung in der Einrichtung anhand von Videosequenzen erläutert werden. Hier kann auf Videos zurückgegriffen werden, die für Schulungszwecke freigegeben wurden. Material finden Sie zum Beispiel im Internet unter www.zfkj.de/gina.

Im weiteren Verlauf der Einarbeitungsphase können eigene Videosequenzen für Reflexions- und Feedbackgespräche genutzt werden. Dabei ist es wichtig, dass die wertvollen Potenziale von Gesprächsmomenten in den Blick genommen werden. Es sollte darüber gesprochen werden, was in der Interaktion zwischen (neuer) Fachkraft und Kindern bereits wahrzunehmen ist (und nicht darüber, was nicht zu sehen ist). Ich empfehle immer wieder: Würdigen Sie die feinen Signale von Zuwendung und Wertschätzung und feiern Sie die Gelassenheit auch in unübersichtlichen Situationen oder bei Störungen.
Bei der Methode geht es nicht um Bewertung oder gar um Fehlersuche. Das Verfahren eröffnet vielmehr eine vertiefte, positiv erlebte Möglichkeit der Reflexion, die in der Phase der Einarbeitung die vielfältigen Interaktionsgelegenheiten im Alltag sichtbar macht und neu erworbene Kompetenzen so verstärkt.

Im Hinblick auf schwierige Situationen, die auch zur pädagogischen Alltagswirklichkeit gehören und gerade in der Einarbeitungsphase Fachkräfte oftmals an die Grenzen ihrer Nervenkraft bringen, sollten keine Filme verwendet werden. Solche Gespräche erfolgen besser auf der Grundlage verdichteter Beschreibungen, also einer Zusammenfassung der konkreten Situation und auch einer vertieften Reflexion der Handlungen und Gefühle, die die Situation geprägt haben. Wenn eine Interaktion mit Kindern unglücklich verlaufen ist, wenn die Beteiligten unzufrieden mit dem Geschehen sind und auch im Nachhinein ein ungutes Gefühl bleibt, braucht man dafür keinen Videobeweis – man hat all dies ohnehin abgespeichert.

Anleitungsgespräche, die sich an den Merkmalen gelingender Gespräche orientieren, wie es dieses Verfahren tut, können auch schwierige Themen kompetent aufgreifen und bearbeiten. Um dieses zu gewährleisten, sollte in den Teams, in die die neuen Kolleginnen hineinwachsen, ein offener Austausch geführt werden, wie man miteinander spricht – wie also die professionellen Arbeitsbeziehungen auf Teamebene gestaltet werden. Es geht um die Kommunikationskultur auf Teamebene:
  • Wie zeigen wir Zuwendung in den Anleitungs- und Reflexionsgesprächen?
  • Wie vermitteln wir unser Interesse an dem, was der Gesprächspartner sagt?
  • Wie drücken wir Wertschätzung für die Kolleginnen, ihre Ideen und Initiativen aus?

Die Art und Weise, wie Beziehungen zu Kindern professionell gestaltet werden, ist eine sehr wesentliche, erste Grundlage für einen guten Einstieg in ein Team und die beste Chance für positive, langjährige und verlässliche Arbeitsbeziehungen. Für die Anleitungs- und Feedbackgespräche ist hierfür die Herstellung einer gemeinsamen, dialogisch und partizipativ ausgerichteten Gesprächskultur eine wichtige Basis. Denn dieses Gesprächsklima steht Modell dafür, was von den Neuen erwartet wird: Sie tragen die Verantwortung dafür, dass sie in der pädagogischen Arbeit mit Kindern positive Beziehungen gestalten, die Grundlagen werden durch dieselben Merkmale – dialogisch und partizipativ – gelegt. Auch die Zusammenarbeit mit Eltern und Familien und die Kooperationsbeziehungen im Sozialraum basieren ebenfalls auf der Grundlage wertschätzender, verlässlicher und vertrauensvoller Beziehungen. Die Art und Weise, wie sich die Gespräche in der Anleitung und im Coaching gestalten, geben daher das vor, was wir auf Dauer von den neuen Teammitgliedern in der Einrichtung erwarten können.

ZUM WEITERLESEN:
Weitere Information über das Konzept finden Sie auf der Homepage des Zentrums für Kinder- und Jugendforschung (ZfKJ) an der Evangelischen Hochschule Freiburg unter www.zfkj.de.

Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 9-2020, S. 20-23


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