„Ich bau mir einen Corona Sauger“

Gestalterisches Denken der Kinder in der Kunstwerkstatt zu Corona – Zeiten

„Corona ist doof! Das Corona Virus müsste man aus dem Kindergarten weglocken können. Da muss man aber erst mal wissen, was es liebt, damit das geht. Und dann brauche ich einen Corona Sauger, mit dem ich überall hinfahre und das Corona wegsauge, auf der ganzen Welt. Das schmeiße ich dann in den Müll. Und wenn das Corona weg ist, können alle Menschen wieder alles machen!“

Diese Aussage traf Jonas (4 Jahre) während der Notbetreuungszeit auf der Schaukel im Garten der Kita im Gespräch mit einer Kollegin, bei dem er allerlei Gedanken darüber anstellte, warum er seine Freunde nun nicht mehr treffen darf. Jonas Mama berichtete später während der Abholzeit, dass er sich bereits zu Hause im Internet solch einen Corona Sauger bestellen wollte.

Am Tag darauf fragte ich Jonas, ob wir denn nicht gemeinsam so ein Gerät bauen können – und so war die Idee für eine „Corona Sauger–Werkstatt“ im Atelier MAL MIR MAL des Paritätischen Kindergartens in der Welt. Eine befreundete Künstlerin hörte diese kleine Geschichte und gab spontan ihre Gestaltungsidee für solch einen Sauger in Form einer Kunstpostkarte, mit dem Motiv ihres 2011 entstandenen Bildes „Energieabsauger“ an uns weiter.


Energieabsauger 2011 Hiltrud Esther Menz 250
„Energieabsauger“, 2011, Hiltrud Esther Menz
Inzwischen zog Jonas Idee und die gemeinsamen Gespräche darüber sowie das inspirierende Bild vom „Energieabsauger“ immer mehr Kinder in ihren Bann und nachdem alle Kinder wieder im Kindergarten sein konnten, wurde die Werkstatt eröffnet.

In Kleingruppen kamen die Kinder ins Atelier, berichteten sehr detailreich darüber, was sie über das Corona Virus alles wissen, wie man sich verhalten muss und was sie daran wirklich gar nicht gut finden: z.B. das man in Corona-Zeiten nicht allein den Teewagen in die Küche fahren oder die Handtücher für alle Kinder im Waschraum der Kita aufhängen darf. Deshalb wollten sie sich nun auch einen Corona–Sauger bauen, um das Virus einzusaugen und es dann entweder zu verbrennen, auf den Mond zu schießen oder ganz weit im Meer versenken zu können.

Die Erinnerung an einen Staubsauger zu Hause - „Der saugt den Dreck weg...“ - diente als Hinweis, wie so ein „Sauger“ funktioniert und den Unterschied zwischen pusten und saugen erprobten die Kinder dann direkt mit dem Mund. Jedes Kind wollte seinen eigenen Corona Sauger bauen, weil man damit erst einmal im Kindergarten und dann aber auch zu Hause alles absaugen müsse.

Die Kinder wissen, dass das der Kindergarten als Werkstattort ihnen die Möglichkeit eröffnet, aus einer Vielzahl an vorhandenen Materialien, Werkzeugen und Dingen zu wählen, um ihren Ideen und Vorstellungen eine Form zu geben. So wurden Strohhalme zu Ansaugstutzen. Knöpfe zu An- und Ausschaltern, CDs zu Sonnenkollektoren für die Stromzufuhr, Ü-Eier zu kleinen Verbrennungsöfen, Weihnachtsbaumkugeln zu Motoren.

Als Ergebnis ihres Suchens und Findens von Ideen und Materialien entstanden fliegende Corona Sauger, Luftkissen–Corona Sauger, Ladestationen für die Corona-Sauger mit Übertragungsmeldern aus Schleifen, Kastanien oder Glühbirnen, die den Füllstand der Sauger angeben.

Panorama
Coronasauger mit blauem Verbrennungsofen, Jasper; Fliegender Coronasauger, Marie; Luftkissen-Coronasauger, Großer Coronasauger mit Lupe, Tammo; Matthis



Die Kinder gaben sich gegenseitig Tipps, bestaunten und bewunderten sich für ihre tollen Einfälle. Sie philosophierten darüber, was denn die geeignetste Methode wäre, das eingesaugte Corona Virus zu vernichten und wie der „Sonnenstrom“ bis zum Anschaltknopf ihres Saugers geleitet werden kann. Jedes Kind konnte genau erklären und vorführen, welches Teil am eigenen Corona-Sauger welche Funktion hat.

Jonas erklärt seinen Corona Sauger 250
Jonas erklärt seinen Corona Sauger
Für uns als pädagogisches Team war dieses kleine Projekt der gelebte Wiedereinstieg in den Kitaalltag nach Beginn der Corona Pandemie. Es half eine Brücke zur Zeit des vorangegangenen Lockdowns zu bauen und die Freude über die Wiedereröffnung der Kita wurde für alle spürbare.

Die Kinder haben uns gezeigt, womit sie sich in ihrer (Gedanken) Welt zum aktuellen Weltgeschehen beschäftigen. Sie haben uns in ihrem gestalterischen Denken und Tun ganz individuell und fantasievoll von ihren Wünschen, ihren Nöten, ihrem Wissen in der Corona-Zeit erzählt. Sie haben ihrem Eindruck von der Welt einen Ausdruck gegeben, wie es in der Reggio Pädagogik so schön heißt.

Wir Erzieher*innen haben mit unserem pädagogisch geschulten Blick, unserer Haltung aktiv hingesehen, zugehört und den Rahmen für das kreative Lernen der Kinder geschaffen. Sie haben sich ernst genommen gefühlt, indem wir Jonas Idee aufgegriffen, uns gemeinsam damit auseinandergesetzt und sie ganz praktisch unter fachlicher Begleitung umgesetzt haben.

Die Gedanken und Fragen der Kinder zu würdigen, Vermutungen anzustellen, die Fragen der Kinder zurückzugeben und gemeinsam darüber nachzudenken, ist nicht nur alltagsintegrierte Sprachbildung. Sensibel geführte Dialoge zwischen uns pädagogischen Fachkräften und den Kindern sind ein Weg, die kognitive und soziale Entwicklung der Kinder zu unterstützen – trotz aller aktuellen partizipatorischen Einschränkungen in unserem Offenen Werkstattkonzept im Paritätischen Kindergarten.

Einmal mehr wurde uns in diesem kleinen Kunstprojekt deutlich, wie wichtig es allen ist und wie viel Spaß es macht, miteinander nachzudenken, Ideen zu teilen, darauf aufzubauen und von anderen Reaktionen dazu zu erhalten. Schlussendlich war es auch einfach wundervoll zu sehen, mit welcher Ernsthaftigkeit, Intensität, Fantasie und Freude alle beteiligten Kinder ihre ganz unverwechselbare Skulptur, ihren „Corona Sauger“ ertüftelt und konstruiert haben.




Verwandte Themen und Schlagworte