Mehrsprachigkeit im Team nutzen

Der Text fokussiert auf Chancen und diskutiert Herausforderungen für den Einsatz vorhandener sprachlicher Ressourcen im pädagogischen Team in der Kindertagesbetreuung. Wer profitiert, wo könnte es Stolpersteine geben? Immer wieder kommt bei Fachkräften in der Kindertagesbetreuung die Frage auf, ob Kindern und Eltern mit (noch) wenigen bis gar keinen Deutschkenntnissen geholfen ist, wenn vorhandene Sprachkompetenzen im pädagogischen Team – die sich mit den Herkunftssprachen der Familien decken – genutzt werden. Es wird hierbei gefragt, ob die Anwendung der Herkunftssprache der Kinder nicht eher kontraproduktiv für das Erlernen der deutschen Sprache ist. Kindertagesbetreuungsangebote sind ja für viele Familien der erste systematisch strukturierte Zugang zur deutschen Sprache, der relativ zeitintensiv qualitativ hochwertigen Sprachinput bieten kann.

Chancen für den pädagogischen Alltag

Die Kindertagesbetreuung strikt einsprachig zu gestalten, macht aus dem pädagogischen Alltag eine künstliche Situation. Die Umgebung außerhalb der Kindertagesbetreuung ist ja auch nicht einsprachig. Und für eine mehrsprachige Fachkraft kann es unnatürlich erscheinen, ihre Sprachressourcen im pädagogischen Alltag zu verleugnen bzw. zu unterdrücken.

  1. Familien mit kaum vorhandenen Deutschkenntnissen erhalten ein wenig Sicherheit im potentiell bis dato unbekannten und ungewohnten Kontext der frühkindlichen Kindertagesbetreuung. Der Informationsfluss ist wahrscheinlich mit weniger Missverständnissen organisierbar und Bedürfnisse können klarer kommuniziert werden.
  2. Auch der Vertrauensaufbau gelingt meist schneller, wenn Fachkraft und Eltern „die gleiche Sprache“ sprechen. Familien fühlen sich zudem oftmals besser in ihrer kulturellen Identität verstanden und wertgeschätzt, wenn sie in der ihnen vertrauten Sprache angespro-chen werden können, die ja ebenso Werte und Traditionen transportiert.
  3. Für die Kinder ist eine Ansprechperson in der Herkunftssprache von Vorteil, wenn sie ihre Bedürfnisse (noch) nicht eindeutig anders kommunizieren können. Sie erleben Vertrautes in einem potentiell noch unvertrauten Kontext durch die „Brückenfunktion der Erstsprache“. (2)
  4. Durch den Einbezug und die Wertschätzung bzw. Förderung der Erstsprache wird das Erlernen der Zweitsprache erleichtert.
  5. Einsprachige Kinder erleben eine mehrsprachige Kindertagesbetreuung, die der mehrsprachigen und multikulturellen Welt, die sie umgibt, entspricht. Das reduziert Berührungsängste zu Menschen mit anderem sprachlich-kulturellen Hintergrund und befördert potentiell die Neugier auf das Erlernen von anderen Sprachen.

Vermeintliche Nachteile bzw. Herausforderungen für den pädagogischen Alltag

  1. Die Mischung von Sprachen im Kontext der Kindertagesbetreuung könnte einen ausreichenden, qualitativ und quantitativ hochwertigen Input der deutschen Sprache für Familien und Kinder hemmen. Auch die Motivation die deutsche Sprache zu erlernen könnte durch das erweiterte Sprachangebot leiden. Ein hochwertiger Input ist im Kontext der Kindertagesbetreuung aber essentiell, wenn die sprachliche Anregung zum Erlernen der deutschen Sprache zu Hause eher gering ausfällt. (3) Letzteres ist auch für einsprachig mit der deut-schen Sprache aufwachsende Kinder relevant.
  2. Für das pädagogische Team werden ebenso Stolpersteine befürchtet: a) die mehrsprachigen pädagogischen Fachkräfte könnten „nur noch“ als Dolmetscher wahrgenommen und sich nicht in ihrer pädagogischen Kompe-tenz gesehen fühlen; b) einsprachige Fachkräfte könnten eine Art Kontrollverlust erleben, wenn sie nicht verstehen, was in einer bestimmten Situation kommuniziert wurde, in einer ihnen nicht verständlichen Sprache. Hier ist eine stabile Vertrauensbasis im Team, sowie eine hohe Professionalität gefragt.


„Entscheidend ist, dass das Kind eine klare Orientierung hat, in welchem Kontext und bei welchen Personen wel-che Sprache angemessen ist und mit wem und wo es welche Sprache(n) sprechen kann.“ (4)


Die Meinungen zu diesem Thema gehen also weit auseinander. Aus dem wissenschaftlichen und Praxisdiskurs ergibt sich aber, dass die Vorteile der potentiellen Nutzbarkeit von sprachlichen Ressourcen von Fachkräften im pädagogischen Alltag überwiegen. Eine Vielfalt an Strategien und Modellen wird diesbezüglich täglich gelebt: das ImmersionImmersion|||||Immersion:  bedeutet sinngemäß Eintauchen oder Sprachbad und wird in der Pädagogik als Vorgehensweise genutzt um kindliches Sprachlernen bei  Mehrsprachigkeit zu fördern. Immersion gilt als im Ausland erfolgreich erprobte Methode und fokussiert auf das natürlich alltägliche Sprachlernen von Kindern, was unter anderem durch MuttersprachlerInnen und permanenter Verständigung in der neuen Sprache erreicht wird.s-/ bzw. Submersionsmodell, das Modell „eine Person, eine Sprache“ oder auch die so genannten Situations-/Angebotsmodelle.

Im Immersions-/Submersionsmodell wird darauf fokussiert, dass die Kommunikations-/Bildungssprache in der Kindertagesbetreuung „in einem Sprachbad“ erlernt wird. Sprachen, die zuhause sonst noch gesprochen werden, werden nicht systematisiert und aktiv als Ressource im Betreuungskontext genutzt, aber es gibt oft eine wertschätzende Willkommenskultur.

Zweisprachige Kindertagesbetreuungskontexte (z. B. Deutsch-Türkisch) verfolgen oft das Modell, dass bestimmte pädagogische Fachkräfte explizit und ausschliesslich die eine Sprache (z. B. Deutsch) sprechen und andere Fachkräfte die andere Sprache (z. B. Türkisch) in diesem Kontext vertreten.

Situations-/Angebotsmodelle bieten Raum für andere Sprachen ausschliesslich in speziellen vorstrukturierten und abgrenzbaren Situationen/ Angeboten. Zudem gibt es auch Betreuungskontexte, die die Erstsprachen von Kindern explizit und konsequent im Alltag einbeziehen; das ist aber bis dato nur punktuell der Fall. (5) In der Praxis sind die Modelle oft nicht so klar abgrenzbar, es entstehen Misch-Modelle. (6)

Letztendlich ist es wichtig, dass das Team sich auf eine Vorgehensweise einigt, mit der alle gut umgehen können, diese konsequent im Alltag lebt und dabei authentisch und familiennah bleibt. Ziel ist es, eine chancengerechte Bildungskarriere der Kinder durch qualitativ und quantitativ hochwertige Sprachanregung zu unterstützen. Hierfür ist ein reibungsarmer Informationsfluss zwischen Familien und pädagogischen Fachkräften wichtig. Die Erstsprachen in bestimmten Interaktionen als angemessene Hilfestellung bei der Kommunikation zu nutzen, wird dabei in allen Modellen als hilfreich diskutiert. (1)

Anmerkungen:

(1) Schmidt, M. (2018). Kinder in der Kita mehrsprachig fördern. Schritt für Schritt in die Praxis. München: Reinhardt.

(2) Küpelikilinc, N. & Özbölük, M.T. (2016). Mehrsprachigkeit. Aktionen und Projekte in Kindertagesstätte und Schule. Frankfurt/Main: Magistrat der Stadt Frankfurt/Main.

(3) Schölmerich, A., AlSari, S. & Willard, J. (2010). Zweisprachigkeit: vom Risikofaktor zum Leitbild. Bochum: Ruhr-Universität Bochum. https://www.nifbe.de/images/nifbeold/Aktuelles/ 2008%20bis%202010/Nifbe-Workshop2010.pdf

(4) Chilla, S. & Fox-Boyer, A. (2014). Zweisprachigkeit / Bilingualität. Ein Ratgeber für Eltern (S.44). Idstein: Schulz-Kirchner.

(5) Kratzmann, J., Sachse, S., Jahreiß, S. & Frank, M. (2016). Multilingualism in Preschool Education. Conference ECER 2016, Leading Education: The Distinct Contributions of Educational Research and Researcher. Symposium Paper.

(6) Nauwerck, P. (2005). Zweisprachigkeit im Kindergarten. Freiburg: FillibachDer Text fokussiert auf Chancen und diskutiert Herausforderungen für den Einsatz vorhandener sprachlicher Ressourcen im pädagogischen Team in der Kin-dertagesbetreuung. Wer profitiert, wo könnte es Stolpersteine geben?1] Schmidt, M. (2018). Kinder in der Kita mehrsprachig fördern. Schritt für Schritt in die Praxis. München: Reinhardt.

 
Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.


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