Offene Arbeit in Corona-Zeiten

Durch die Vorgaben und eingeführten Maßnahmen zum Schutz vor einer Ausbreitung der Infektion durch Covid 19 erlebe ich, dass die Offene Arbeit häufig in Frage gestellt und vereinzelt untersagt wird. Pädagog*innen beschreiben Verunsicherung, die sich in der Tendenz des Rückzugs zur Gruppen- und „Einraum“-Pädagogik zeigt. Genauso beobachte ich, dass Offene Arbeit seit Einführung der bestehenden Vorgaben und Maßnahmen vielfältig gestaltet wird. Die anschließenden Ausführungen greifen gestellte Fragen von Pädagog*innen auf und bietet Impulse zum Weiterdenken in der veränderten Situation.

Meine Anregungen und Impulsfragen orientieren sich an dem folgenden Verständnis der Offenen Arbeit. „Die pädagogische Arbeit hat sich am Wesen des Kindes und an seinen Lebensverhältnissen zu orientieren.“ Zitat Fröbel

Schon Fröbel hat in dieser Aussage den Grundgedanken der Offenen Arbeit formuliert. Dem Konzept der Offenen Arbeit liegt ein Partizipationsverständnis zugrunde, das alle Beteiligten zu aktiven Gestaltern und Akteuren ihrer Umwelt macht. Alle Mitarbeiter*innen einer Einrichtung sind in der Rolle als Begleiter, Lernpartner, Zuhörer, Unterstützer, Berater und Coach. Dieses erfordert die Präsenz im Alltag um die Beobachtungen, die Dialoge und das pädagogische Handeln zu gestalten. Die pädagogische Arbeit ist deshalb nie etwas endgültiges, sie unterliegt vielfältigen Einflüssen und entwickelt sich prozesshaft.

Bildungsprozesse werden durch den Wechsel von innerer Neugier und äußeren Impulsen sowie dem Wechsel von Autonomie und Verbundenheit angeregt. Die Offene Arbeit ist deshalb gekennzeichnet von Veränderungsprozessen. Die Strukturen und Arbeitsweisen müssen immer wieder überprüft und weiterentwickelt werden. Auf dieser Grundlage ergibt sich für jede Einrichtung eine individuelle Umsetzung der offenen Arbeit.

Das Verständnis von offener Arbeit vereint zwei grundlegende Prinzipien: Offenheit und Öffnung

Das Prinzip der Offenheit bezieht sich auf die Haltung gegenüber Kindern, Kolleg*innen und Kollegen, Eltern, Lehrer*innen und weiteren Kooperationspartner*innen. Dazu gehören Kompetenzen, die den Zugang zu Anderen und zur Welt erschließen. Ein partnerschaftliches Miteinander wird somit ermöglicht.

Das Prinzip der Öffnung nach innen und außen umfasst das entwicklungsangemessene Arbeiten und die auf kindliche Bedürfnisse abgestimmte räumliche Umgestaltung.

„Öffnung meint die sichtbare Seite pädagogischer Veränderungen, während sich Offenheit als unsichtbare Seite in der Haltung und im Umgang mit Kindern zeigt. Darin setzen sich anthropologische Grundannahmen zu Kindern um: Kinder sind einmalig und unverwechselbar, kompetent von Anfang an, kommunizierfähig mit 100 Sprachen, gleich würdig und gleichwertig, selbst gestaltend in ihrer Entwicklung“ (Regel Gerhard: Handwörterbuch für Erziehungskräfte, Beltz)

Auch wenn unter den gegebenen Umständen das räumliche Angebot eingeschränkt ist und evtl. die direkte Begegnung mit gewünschten Sozialpartner*innen ausgeschlossen ist, bestehen weiterhin Möglichkeiten die Offene Arbeit fortzuführen. Die Umsetzung muss den Bedingungen konzeptionell anpasst werden. Wir sind aufgefordert unsere Vorstellungen von Normalität zu hinterfragen. Dazu ist es notwendig, die bestehende Denkstrukturen, Handlungsmuster, liebgewonnene Gewohnheiten und Rituale sowie bisherige Selbstverständlichkeiten zu überprüfen. Aus der Reflexion ergeben sich Lösungen zur Anpassung und zu veränderten Umsetzungen.

Um dieses zu erreichen, stehen die Fragen „Wie kann es gelingen?“ und „Wie schaffen wir gemeinsam (mit den Kindern und deren Eltern) Möglichkeiten?“ im Mittelpunkt.

Wesentlich sind dabei die Bedürfnisse und Themen der Kinder durch Beobachtung sowie Dialoge zu erkennen und aufzugreifen. Sie bilden die Grundlage für gemeinsame Aktivitäten und Impulse. Die Anzahl der betreuten Kinder und die Kontinuität in den Betreuungsgruppen bieten Raum und Zeit für hohe Interaktionsqualität, die ein Bedingungsfaktor der Offenen Arbeit ist.

Die Impulsfragen sollen Ihnen Orientierung bieten und Sie in Ihrer pädagogischen Arbeit in der außergewöhnlichen Situation bestärken und unterstützen. Es sind auch grundlegende Fragen verankert, die mir jetzt besonders bedeutsam erschienen. Ich empfehle aus der Vielzahl der Fragestellungen, entsprechend des Bedarfes in der Kindertageseinrichtung, einzelne Fragen auszuwählen und zu vertiefen. In der Auseinandersetzung entstehen sicherlich eine Fülle an Ideen und Sie entdecken Möglichkeiten, die von der gewohnten Umgangsweise abweichen und gerade das kennzeichnet die Offene Arbeit.

Im Vorfeld sollten den Pädagog*innen alle bestehenden Vorgaben und Empfehlungen bekannt sein. Es muss die Gelegenheit gegeben sein alle aufkommenden Fragen zum Verständnis zu bearbeiten und zu klären.

Vertiefende Impulsfragen zur Gestaltung des strukturellen und organisatorischen Rahmens
  • Welche Räume stehen den Kindern zur Verfügung?
  • Was ist ein Raum für Kinder?
  • Welche räumlichen Möglichkeiten bestehen für die mittelbaren Begegnungen und gemeinsamen Erlebnisse?
  • Welche Materialien stehen uns zur Verfügung?
  • Wer ist wo im Haus tätig?
  • Wer steht für Fragen zur Verfügung?
  • Wie binde ich die Vorgaben in die pädagogische Arbeit ein?

Vertiefende Impulsfragen zur pädagogischen Umsetzungsentwicklung


Orientiert an den Perspektiven der Kinder
  • Welche Fragen hat das Kind/die Kinder zur Situation?
  • Welche Bedürfnisse und Interessen äußert/n das Kind/die Kinder?
  • Wie erkenne ich was das Kind/die Kinder beschäftigt?
  • Wie formuliere ich Fragen an das Kind/die Kinder?
  • Wie beantwortet das Kind meine Fragen?
  • Welche Handlungsabläufe und Gewohnheiten sind für das Kind/die Kinder wichtig?
  • Welche Rituale geben den Kindern Orientierung und Sicherheit um ihre Autonomie zu leben?
  • Welche Rituale eigenen sich für das Kind/die Kinder?
  • Wie unterstütze ich das Kind/die Kinder entsprechend seiner Entwicklung in seiner/ihrer Selbsttätigkeit?
  • Wie ermuntere ich das Kind/die Kinder den zur Verfügung stehenden Raum zur Selbsttätigkeit zu nutzen?
  • Wie nutzen die Kinder den zur Verfügung stehenden Raum für Ihre Interessen und Erfahrungen?
  • Wie können die Kinder mittelbar in Kontakt treten?
  • Welche Möglichkeiten bestehen, dass sich die Kinder mittelbar begegnen?
  • Wie können die Kinder sich Ihre Erlebnisse mittelbar mitteilen, um Gemeinsamkeit zu leben?
  • Wie können die Kinder mittelbar und gemeinsam Themen teilen?
  • Welche Materialien benötigen die Kinder für Ihre Interessen und Erfahrungen?
  • Welche Zeiten können sich die Kinder gestalten?
  • Wie gestalten sich die Kinder die Räume?
  • In welcher Form sind die Kinder aktiv an der Gestaltung der Räume beteiligt?
  • In welcher Form sind die Materialien für die Kinder zu erreichen?
  • Wie beteiligen wir die Kinder bei der Beschaffung/Bereitstellung von Materialien?
  • Wie unterstützen wir die Kinder in ihrem Bedürfnis nach Autonomie und Selbstständigkeit?
  • Wo / wie können die Kinder ihre Aktivitäten (Lernerfahrungen) ungestört gestalten?
  •  Welche Möglichkeiten bestehen, dass sich die Kinder direkt begegnen?

Orientiert an der Perspektive der Eltern
  • Wie gelingt mir eine respektvolle Haltung trotz unterschiedlicher Werte und Erziehungsziele?
  • Wie beziehe/n ich/wir die Eltern aktiv mit ein?
  • Wie erhalten Eltern die Informationen zum Tag?
  • Wie gelingt es mir, mein Handeln zu verdeutlichen?
  • Wie sind die Entwicklungsgespräche organisiert?
  • Wie ist Orientierung für die Eltern gewährleistet?
  • Wie ist die Transparenz für Eltern gewährleistet?
  • Wie erfasse ich Meinungen und Wünsche von Eltern?
  • Wie können Eltern erleben wie es ihrem Kind geht?
  • Wie können wir die Rückmeldung an die Eltern gestalten?
  • Wie ist der Ansprechpartner*in für Eltern geregelt?
  • Welche „Elternnetzwerk-Ideen“, passend zur der bestehenden Situation, sind mir bekannt?
  • Wie unterstützen wir die mittelbaren Kontakte der Eltern?
  • Wie unterstützen wir die einrichtungsbezogenen „Elternnetzwerke“ sowie deren Weiterentwicklung in der jetzigen Situation.
Orientiert an der Perspektive der Zusammenarbeit im Team
  • Wie treffen wir Absprachen?
  • Zu welchen Punkten müssen wir Absprachen treffen?
  • Wann treffen wir Absprachen?
  • Welche Strukturen sind verbindlich erarbeitet?
  • Welche Regeln müssen wir uns miteinander geben?
  • Welche Regeln sind notwendig?
  • Was ist mir wichtig für den Einigungsprozess?
  • Wie nutzen wir die Zeiten für Reflexion?
  • Welche Rolle habe ich in der Einrichtung?
  • Welche individuelle Verantwortung trage ich?
  • Wie definiere ich die Rolle als Entwicklungsbegleiterin?
  • Wie unterschiedlich dürfen wir sein? - wie einmalig dürfen wir sein?
  • Über welche Ressourcen verfüge ich?
  • Welche Ressourcen erachte ich als sinnvoll sie einzubringen?
  • Wie erfahren wir von den vielfältigen Ressourcen?
  • Wie kommen diese Ressourcen der gesamten Einrichtung zu gute?
  • Wie kommen unsere individuellen Ressourcen zum Tragen?
  • Wie kann ich mit Veränderungen umgehen?
  • Welche Vorbehalte habe ich?
  • Wie gestalten wir Veränderungen?
  • Wie gehen wir mit Bedenken, kritischen Rückmeldungen und Beschwerden um?
  • Wie gelingt es mir mein Handeln zu verdeutlichen?
  • Welche Veränderungen sind im Moment wesentlich und dringend?
  • Welche Verantwortung besteht für mich?
  • Wobei fühle ich mich unsicher?
  • Was traue ich mir zu?
  • Wobei benötige ich Unterstützung?
  • Wie muss die Unterstützung gestaltet sein?
  • Was ist der Rahmen der Eltern-Partizipation?
  • Bei welchen Themen können die Eltern mitentscheiden?
  • Wie gehe ich die Meinungen und Wünsche von Eltern ein?
Diese Praxisbeispiele bieten einen Einblick zu entstehenden Möglichkeiten und Vielfalt:
  • Raumwechsel – Die Gruppen wechseln täglich oder in einem anderen Rhythmus die Räume der Kita.
  • Einblicke und Ausblicke – viele Kitas verfügen über Fenster(-streifen) an den Türen. Diese werden für mittelbare Kontakte bewusst genutzt.
  • Gemeinsame Räume – Flure, Eingangsbereiche, Gärten, Zwischenzimmer lassen es evtl. zu, dass daraus ein Raum für gemeinsame Aktivitäten bei wechselseitiger Nutzung entsteht (z.B. Bauen, Plakat gestalten, Pflanzkästen anlegen)
    • Prinzip der sprechenden Wände:
    o Erlebnisse teilen durch Aushänge in Fluren oder „Briefe“ schreiben.
    o Die Ideen der Kinder den anderen Kindern innerhalb oder außerhalb der Kita durch Aushänge zur Verfügung stellen und evtl. verbinden und gemeinsam daran arbeiten.