Die innere Goldmine zum Leuchten bringen

Ressourcenorientierung mit Marte Meo

Co-Autorin: Katja Saumweber


Marte Meo hilft Fachkräften, die Entwicklungsbotschaften der Kinder zu verstehen und ihre Entwicklungsprozesse anzuregen. Die Autorinnen berichten aus der Erfahrung in der Beratung und zeigen, wie es gelingt, Kinder zu ermutigen, ihre eigene Kraft zu nutzen.

Paula ist vier Jahre alt. Sie findet allein nicht ins Spiel – weder mit sich noch mit anderen Kita-Kindern. Wie ziellos scheint sie durch den Raum zu gehen und stört dabei immer wieder das Spiel der anderen.

In einer Marte-Meo-Beratung wird solch eine gefilmte Sequenz immer auf zwei Ebenen analysiert. Auf der ersten Ebene stellt sich die Frage, welche Entwicklungsbotschaft steckt hinter dem Verhalten von Paula? Auf der zweiten Ebene wird gefragt, was der Erwachsene tun kann, um Paula in ihrer Entwicklung zu unterstützen?

Durch Basiselemente und Checklisten der Methode wird deutlich, dass Paula erst wenige eigene Spielideen entwickelt hat, und dass sie Worte braucht, um ihre Spielideen auszudrücken. Die pädagogischen Fachkräfte können Paula nun unterstützen, indem sie in einem ersten Schritt aufmerksam abwarten und dadurch wahrnehmen, was Paula tut, und ihre Initiativen dann benennen. Zum Beispiel: „Ah, du hast dir die Puppe geholt. Und jetzt legst du sie in den Puppenwagen.“ Durch das Benennen bekommt Paula Worte für ihre Spielideen und zugleich mehr Sicherheit und Vertrauen in ihre eigenen Initiativen.

Diese Initiativen werden auch als die inneren Goldminen bezeichnet. Jedes Kind wird mit einer solchen Goldmine geboren. Das heißt: Alles, was das Kind zum Leben braucht, ist in ihm angelegt. Um diese inneren Goldminen zum Leuchten zu bringen, braucht es jedoch feinfühlige Erwachsene, die bei Initiativen des Kindes aufmerksam warten, diesen folgen und sie benennen.

Sich aus eigener Kraft entwickeln

Marte Meo ist eine videobasierte Methode, um Fähigkeiten für gelungene Interaktionen zwischen Kindern, pädagogischen Fachkräften und Eltern wahrzunehmen und zu stärken. Der Begriff Marte Meo ist aus dem Lateinischen abgeleitet und meint „aus eigener Kraft“. Entwickelt wurde Marte Meo bereits in den 1980er-Jahren von Maria Aarts aus ihrer Arbeit mit Kindern mit der Diagnose Autismus heraus. In dieser machte sie die Erfahrung, dass zwar Wissen und viele Theorien existieren, diese aber häufig zu abstrakt, zu problem- und zu wenig lösungsorientiert sind. Ihr Wissen nimmt Maria Aarts aus Beobachtungen des täglichen Lebens. In ihrer Haltung ist sie fest davon überzeugt, dass Menschen über das Potenzial verfügen, ihre Probleme selbst zu lösen und ihren eigenen Entwicklungsprozess voranzubringen. Manchmal brauchen sie dabei Unterstützung.

Pädagogische Fachkräfte, die die Marte-Meo-Methode lernen, werden darin ausgebildet, konsequent die Ressourcen zu entdecken und an diesen anzusetzen, um Entwicklungsprozesse in Gang zu bringen.

Erstaunliche Veränderungen entdecken

Marte Meo hilft, die Entwicklungsbotschaften hinter dem Verhalten von Kindern zu verstehen und konkrete Handlungsschritte zur Unterstützung abzuleiten. Dadurch lassen sich bereits nach wenigen sogenannten Reviews erstaunliche Veränderungen in der Interaktionsqualität und folglich auch im Verhalten des Kindes beobachten.

Eine wichtige Grundlage für diese Arbeit sind die sogenannten Basiselemente für eine gelingende Kommunikation. Dazu hat Maria Aarts ganz konkrete Informationen und praktische Kenntnisse formuliert, wie Erwachsene die kindliche Entwicklung in alltäglichen Interaktionsmomenten unterstützen können.

Freie Spielsituationen: Warten – Folgen – Benennen
Das kindliche Spiel hat mittlerweile einen sehr hohen Stellenwert in der Frühpädagogik. Im Spiel entdecken Kinder die Welt. Sie lernen sich selbst und andere kennen und erleben sich dabei als selbstwirksam. Dadurch entwickeln sie wichtige Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Lösen von Problemen, Ausdauer und Konzentration. Auch bei Marte Meo haben das Thema Spiel und die Spielfähigkeit eine hohe Bedeutung. Gut ausgebildete Spielfähigkeit bildet die Grundlage für eine gute Kooperationsfähigkeit. Ein zentraler Fokus in der Arbeit mit Marte Meo ist daher die Frage, wie der Erwachsene das Spiel des Kindes unterstützen kann. Besonders entwicklungsförderlich ist der Dreiklang aus Warten – Folgen – Benennen im freien, selbstbestimmten Spiel des Kindes. Eine Fachkraft wartet im freien Spiel ab, bis das Kind eine Initiative zeigt. Sie folgt dieser und benennt sie: „Ah, du fährst mit dem Auto.“ Das Kind spürt so, dass es gesehen wird. Dadurch lernt es, seinen eigenen Ideen und Initiativen zu vertrauen, wird im Selbstbewusstsein gestärkt und bekommt außerdem Wörter für den Gegenstand, seine Handlungen und Gefühle.

Strukturierte Situationen: positiv Leiten
Marte Meo beschäftigt sich neben einer entwicklungsförderlichen Begleitung von Kindern in freien Spielsituationen auch mit der Gestaltung von sogenannten strukturierten Situationen. Strukturierte Situationen haben einen klaren Anfang sowie ein klares Ende. Solche Situationen sind zum Beispiel das An- und Ausziehen, Mahlzeiten, der Morgenkreis oder auch Spiele mit Regeln wie beispielsweise Brettspiele. In diesen Situationen gibt es ein im Voraus festgelegtes Ziel und konkrete Erwartungen an das Kind. Der Erwachsene wiederum hat die Verantwortung, das Kind durch den Ablauf der strukturierten Situation zu führen und ihm beim Bewältigen der Aufgaben beizustehen. Die erwachsene Person hat dabei die Leitung. Entscheidend bei Marte Meo ist die Frage, wie die Erwachsenen die leitende Rolle ausfüllen. Hier beschreibt Maria Aarts ausführlich in einer ihrer Checklisten, auf welche Art und Weise Erwachsene Kinder entwicklungsförderlich in strukturierten Situationen begleiten können.

Maria Aarts spricht vom „positiv Leiten“. Der Erwachsene muss dabei immer im Blick behalten, wie die Situation für das Kind im Augenblick ist. Im Fokus steht, dass die Situation von jedem einzelnen Kind erfolgreich bewältigt werden kann, denn nur dann erleben sich Kinder selbstwirksam, können ein positives Selbstbild aufbauen.

Marte Meo betont also die Verantwortung des Erwachsenen: Nicht das Kind muss dem Rahmen, sondern der Rahmen dem Kind angepasst werden. Dabei muss jedes einzelne Kind im Blick sein, um bei der Bewältigung solcher Anforderungen in strukturierten Situationen die individuell nötige Unterstützung durch den Erwachsenen zu erfahren.

Hilfreiche Elemente für das positive Leiten sind zunächst, Anschluss zum Kind und eine gute Atmosphäre herzustellen. So einfach und doch so entscheidend sind hierbei das gute Gesicht der Fachkraft mit einem Lächeln sowie ihre Worte und ihr Tonfall. Das Kind soll sich wahrgenommen fühlen und sich in seinem Tempo auf die Situation einstellen können. Die Fachkraft nimmt dafür die Signale des Kindes sensibel wahr, reflektiert, ob das Kind zum Beispiel noch mit etwas anderem beschäftigt ist, und stimmt ihr Tun daraufhin ab.

Das gute Gesicht und ein freundlicher Tonfall

Um den Kindern Orientierung zu geben, ist es wichtig, sowohl die eigene Handlung als auch die Initiative des Kindes zu benennen. Benennt die Fachkraft, was sie tut, ist die Handlung für das Kind vorhersehbar und es kann sich darauf einstellen. So bekommt es die Möglichkeit, zu kooperieren und mitzuhelfen. Benennt die Fachkraft außerdem die Initiative des Kindes, fühlt dieses sich wiederum wahrgenommen. Das hilft ihm, Gefühle zu registrieren und diese gegebenenfalls auch zu regulieren.

Ein Beispiel aus der Praxis: Die pädagogische Fachkraft mochte mit dem Mittagessen beginnen. Alle Kinder sitzen bereits. Die Fachkraft nimmt wahr, dass Paula mit ihrer Aufmerksamkeit noch bei dem Auto in ihren Händen ist. „Paula, ich mochte jetzt mit dem Mittagessen beginnen. Du kannst das Auto unter deinen Stuhl legen und nach dem Mittagessen wieder damit spielen.“ Wichtig sind hierbei das gute Gesicht und ein freundlicher Tonfall der pädagogischen Fachkraft. Jetzt ist das aufmerksame Warten der Fachkraft notwendig, um zu überprüfen, ob das Gesagte beim Gegenüber angekommen ist. Erst durch dieses Abwarten und Tempo herausnehmen hat das Kind die Möglichkeit, Tätigkeiten selbst zu übernehmen, und der Erwachsene kann wahrnehmen, ob es dabei Unterstützung benötigt. Übernimmt das Kind bestimmte Tätigkeiten oder zeigt Initiativen, ist das bereits erwähnte Folgen wichtig. Die pädagogische Fachkraft nimmt also wahr, womit sich das Kind gerade beschäftigt, erkennt dessen Bedürfnisse und lernt es dadurch besser kennen. Dann kann sie das Kind positiv ans Ziel leiten. Das Kind spürt dabei, dass der Erwachsene ernsthaftes und ehrliches Interesse an ihm oder ihr hat.

Ein schöner Nebeneffekt: zufriedene Fachkräfte

Ein weiterer wichtiger und hilfreicher Marte-Meo-Satz lautet: informieren statt korrigieren. Die pädagogischen Fachkräfte haben die Aufgabe, dem Kind in bewältigbaren Schritten zu sagen, wie sie einen Ablauf haben möchten. Sind Handlungsabläufe beim Kind noch einzuüben, wird das Kind Schritt für Schritt angeleitet. So wird das Kind nicht ständig korrigiert, sondern erlebt sich als selbstwirksam, wodurch das Selbstwertgefühl und das Selbstbild erneut gestärkt werden. Eine weitere Stärkung erlebt das Kind durch das sogenannte Bestätigen. Kinder sind in strukturierten Situationen abhängig vom Erwachsenen und manchmal noch auf Hilfe und Begleitung angewiesen. Das Bestätigen der Handlungen und der Initiativen des Kindes zum Beispiel durch ein Lächeln oder ein „Ja, genau, Paula“ geben dem Kind Sicherheit.

Die Marte-Meo-Methode kann in der Kindertageseinrichtung vielfältig genutzt werden. Zum einen, um Kinder genauer in den Blick zu nehmen, zum anderen, um die Arbeit der pädagogischen Fachkräfte zu reflektieren und weiterzuentwickeln. Für die Zusammenarbeit mit den Eltern wurde speziell das Marte-Meo-Eltern-Einladungsprogramm entwickelt. Im videobasierten Elterngespräch zeigt die pädagogische Fachkraft, wie sie mithilfe der Marte-Meo-Elemente das Kind unterstützt, wodurch die Eltern eine Idee bekommen, was sie tun können, um ihr Kind gut zu begleiten.

Um als Einrichtungsleitung oder pädagogische Fachkraft in einer Kindertagesstätte selbst mit der Marte-Meo-Methode zu arbeiten, ist eine Qualifizierung durch ausgebildete und zertifizierte Marte-Meo- Kollegentrainerinnen und -Kollegentrainer oder Marte-Meo-Supervisorinnen und -Supervisoren erforderlich. Auch wenn die Methode zunächst ganz einfach erscheint, brauchen die pädagogischen Fachkräfte eine Ausbildung, um die Methode in der täglichen Arbeit selbst anwenden und nutzen zu können. Es gibt verschiedene Ausbildungsstufen. Ziel der Ausbildung zur Marte-Meo-Praktikerin oder zum-Praktiker ist es, die Handlungsoptionen der Teilnehmenden – insbesondere im Umgang mit Kindern, die einen besonderen Bedarf an Begleitung und Unterstützung haben – zu erweitern und die eigene Wahrnehmung zu sensibilisieren.

In der Ausbildung zur zertifizierten Marte-Meo-Kollegentrainerin oder -Elternberaterin geht es vor allem darum, zu lernen, Filmsequenzen zu analysieren und später in der Beratung die richtigen Clips auszuwählen, um Menschen in Entwicklungsstimmung zu bringen. Diese innere Motivation ist wichtig, um das Handeln der Menschen anzustoßen und damit ihre persönliche Weiterentwicklung erlebbar zu machen. Insgesamt trägt Marte Meo zur Verbesserung der Interaktionsqualität und somit zur qualitativen Verbesserung der Pädagogik für Kinder in Kindertageseinrichtungen bei. Ein schöner Nebeneffekt, den wir immer wieder in unserer Begleitung von Fachkräften mit der Marte-Meo-Methode beobachten, ist die größere Arbeitszufriedenheit der pädagogischen Fachkräfte.


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
TPS 1-2020, S. 32-25





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