Zur Leitungspraxis in Tageseinrichtungen für Kinder

Ergebnisse einer quantitativen Fragebogenstudie in Niedersachsen

Für die Qualität von Institutionen der frühen Bildung, Betreuung und Erziehung wird dem Arbeitsbereich Leitungen ein enormer Stellenwert zugeschrieben, auf Forschungsebene ist hingegen noch zu wenig über diese Beschäftigungsgruppe und ihre Tätigkeit bekannt. Der folgende Beitrag stellt einige Erkenntnisse aus einer empirischempirisch|||||Empirie bezeichnet wissenschaftlich durchgeführte Untersuchungen und Erhebung, die gezielt und systematisch im Forschungsfeld oder im Labor durchgeführt werden. Empirische Forschungen können durch verschiedene Methoden praktisch angewendet werden.en Untersuchung vor, die den Blick auf das Leitungspersonal und seine Aufgaben richtet.

Der Elementarbereich unseres Bildungssystems befindet sich seit Jahren in einem umfassenden Umbruch und Weiterentwicklungsprozess – begleitet von einer intensiven Qualitätsdebatte. Tageseinrichtungen für Kinder und das dort tätige pädagogische Personal begegnen veränderten und wachsenden Ansprüchen, die insgesamt aus Gesellschaft und Politik an sie herangetragen werden. Vor allem die Leitungskräfte werden zu entscheidenden Akteuren innerhalb dieses Wandels und ihre zentrale Rolle in diesem Zusammenhang verstärkt betont.

So heißt es etwa im Orientierungsplan des Landes Niedersachsen: »Die Einrichtungsleitung hat eine verantwortungsvolle Lenkungsfunktion für die Umsetzung des Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrags der Tageseinrichtung« (Niedersächsisches Kultusministerium 2018, S. 39).

Von frühpädagogischen Leitungspersonen wird die Umsetzung einer Fülle an Aufgaben erwartet, die mit den deutlich gestiegenen Anforderungen einhergehen. In Hinsicht auf den Mangel an Forschungsarbeiten stellt sich die Frage, wie sich der Arbeitsalltag in der Praxis konkret gestaltet. An diesem Punkt setzt eine Masterthesis aus dem Jahr 2014 an, die die Leitungstätigkeit näher betrachtet und dabei die Aufgaben in diesem Arbeitsbereich besonders berücksichtigt.

Hierfür wurde eine quantitative Untersuchung in Form einer Online-Befragung durchgeführt, an der sich insgesamt 160 niedersächsische Leitungen beteiligt haben. Die Leitungsverantwortlichen wurden einerseits darum gebeten, Auskunft zu geben über ihre Person, die Einrichtung, in der sie beschäftigt sind und ihren Arbeitsplatz. Andererseits sollte eine Beurteilung des Zeitfensters vorgenommen werden, innerhalb dessen sie Leitungsaufgaben wahrnehmen.
Personen-, einrichtungs- und arbeitsplatzspezifische Merkmale der Leitungstätigkeit

Die niedersächsischen Leitungskräfte sind nahezu ausschließlich weiblich und mit rund 70% größtenteils ausgebildete Erzieher und Erzieherinnen, weniger als 20% haben einen akademischen Berufsabschluss. Weitere 70% sind älter als 45 Jahre, wobei die Leitungen mit zunehmendem Alter seltener in kleinen Einrichtungen anzutreffen sind. Öffentliche Trägerorganisationen sind als Arbeitgeber mit 57,5% vertreten, freigemeinnützige mit 40% und privat-gewerbliche mit 2,5%.

46,2% der Leitungstätigen sind vollständig von der Arbeit in der Gruppe freigestellt, 41,9% stundenweise und Ganzen 11,9% steht kein offizielles Zeitkontingent zur Umsetzung von Leitungsaufgaben zur Verfügung. Haderlein (2017, S. 14) kommt in einer aktuellen Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Hälfte von mehr als 2.500 befragten Leitungen ihren Freistellungsgrad als unzureichend einstuft, um Leitungsaufgaben ausführen zu können.

Von den 160 Leiter/innen geben 46,5% darüber hinaus an, dass ihnen eine durch den Träger formulierte einrichtungsspezifische Aufgabenbeschreibung als Arbeitsgrundlage zur Verfügung steht, dem können 48,5% jedoch nicht zustimmen, ein kleiner Anteil von 5% hat hiervon keinerlei Kenntnis.

Wird die Notwendigkeit eines solchen Vorliegens in Zusammenhang mit dem Freistellungsumfang der Leitungskräfte betrachtet, zeigt sich, dass vor allem vollständig und anteilig freigestellte Leitungen mit jeweils gut 90% eine Dokumentation ihrer Aufgaben als unverzichtbar bewerten. Diese ermöglicht Sicherheit, Orientierung und verbindliche Regelungen von Zuständigkeitsbereichen.

Über 40% der gar nicht freigestellten Befragten halten eine schriftliche Fixierung von Leitungsaufgaben indes als nicht erforderlich. Anzunehmen ist, dass in diesem Fall eine Ausweitung der Tätigkeiten befürchtet wird, müssen die ohnehin schon zu bewältigenden Aufgaben vermutlich »nebenher« geleistet werden.

Leitungsaufgaben und ihre zeitliche Gewichtung

In welchem Umfang widmen sich die befragten Leitungskräfte den Aufgaben in ihrem Arbeitsbereich? Der Fragebogen erfasst insgesamt acht Kernaufgaben. Dazu zählen:
  • Betriebsführung (Organisation und Verwaltung)
  • Zusammenarbeit mit Eltern
  • Öffentlichkeitsarbeit
  • Zusammenarbeit mit dem Träger
  • Personalmanagement (unterteilt in Personalbeschaffung, -einsatz, -führung und -entwicklung)
  • Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Institutionen sowie Personen
  • Qualitätsentwicklung und -sicherung
  • Pädagogische Leitung


Als Antwortmöglichkeiten stehen folgende zeitliche Dimensionen zur Verfügung: täglich, wöchentlich mehrmals, wöchentlich einmal, monatlich mehrmals, monatlich einmal, seltener und nie.

Eindeutige Ergebnisse zeigen sich im Aufgabenfeld der Betriebsführung: Mit einem nennenswerten Anteil von 90,7% beschäftigt sich die große Mehrheit der befragten Leitungspersonen täglich mit Tätigkeiten rund um die Verwaltung und Organisation innerhalb der Kindertageseinrichtungen (vgl. Abb. 1). Damit prägt diese Leitungsaufgabe das Alltagshandeln Leitungen in hohem Maße. Berechnungen der Bertelsmann Stiftung zeigen hierzu auf, dass rund 8% aller deutschen Kindertageseinrichtungen auf eine zusätzliche Unterstützung durch Verwaltungsangestellte zurückgreifen können (vgl. Bertelsmann Stiftung 2017, S. 11). Vorliegende Forschungsarbeiten weisen zunehmend darauf hin, dass Leitungskräfte die anfallenden Verwaltungsarbeiten als einschränkend und beanspruchend erleben (vgl. Haderlein 2017/Nentwig-Gesemann u.a. 2016).

69329906 KiTa ND 2019 06 Drexhage.pdf Seite 3 kopie kopieIn direktem Vergleich und starkem Kontrast zur Umsetzung der Betriebsführung geben 5,6% der Leitungsverantwortlichen an, für die Gestaltung und Steuerung der pädagogischen Arbeit jeden Tag Zeit zu nutzen (vgl. Abb. 2). In der Leitungspraxis tritt diese Aufgabe damit in den Hintergrund: Von 28,8% der Leitungspersonen wird sie monatlich einmal und von 30% noch seltener wahrgenommen. Neben dem Erziehungs- und Betreuungsauftrag von Kindertageseinrichtungen ist insbesondere ihre Bildungsarbeit in den Fokus des öffentlichen Interesses gerückt und hat einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren, politische Bestrebungen mündeten etwa in die Erstellung und Implementierung von Bildungsplänen. Trotz derartiger Bewegungen im Feld und dem pädagogischen Auftrag als zentrales Kennzeichen von Tageseinrichtungen für Kinder dominieren andere Aufgaben die Tätigkeitsebene von Leitungen.

Stimmen aus der Praxis zeigen jedoch auf, dass Kitaleitungskräfte die pädagogische Arbeit als Hauptanteil ihres professionellen Wirkens verstehen und die hierfür fehlende Zeit bemängeln (vgl. Nentwig-Gesemann u.a. 2016).

Neben diesen beiden markanten Befunden nimmt auch die Zusammenarbeit mit Eltern großen Raum ein: Fast 80% der befragten Leitungskräfte konzentriert sich täglich auf diese Aufgabe, 15% wöchentlich mehrmals. Die Personalführung beschäftigt 64,3% täglich und weitere 15,3% wiederholt in der Woche. 45,7% der Leitungen sieht sich dem Personaleinsatz jeden Tag gegenüber, 31,8% wöchentlich. Weniger zeitintensiv stellt sich die Gewinnung neuer Mitarbeiter/innen dar: 65% der Leitungen begegnet dieser Aufgabe seltener als einmal im Monat. Ein Viertel der Leitungen arbeitet täglich mit den Trägervertretungen der Einrichtungen zusammen, knapp 55% sind sowohl einmal als auch mehrfach in der Woche miteinander in Kontakt.

Die Erfüllung der übrigen Leitungsaufgaben variiert zeitlich: Bei der Qualitätsentwicklung und -sicherung, Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Personalentwicklung sowie Öffentlichkeitsarbeit ist eine wie eben dargestellte Schwerpunktsetzung nicht zu erkennen. Es kann festgehalten werden, dass nahezu alle Leitungen die in dem Fragenbogen benannten Tätigkeiten zu ihrem Arbeitsbereich zählen. Insgesamt ist davon auszugehen, dass bei der Ausführung von Leitungsaufgaben und ihrer zeitlichen Gewichtung vielfältige Aspekte zum Tragen kommen: Unterschiedliche Freistellungsgrade von Leitungen, verschiedene Größen, Trägerschaften und Formen von Kindertageseinrichtungen (z.B. Familienzentren, heilpädagogische Institutionen) mit ihren jeweils spezifischen Konzeptionen und diversen pädagogischen Ansätzen (Waldorf, Montessori usw.), regionale Lagen und sozialräumliche Strukturen der Institutionen, individuelle Qualifikationen, Kompetenzen und Persönlichkeiten der Leitungskräfte, aber auch aktuelle und zukünftige Anforderungen sowie Entwicklungen (gesetzlicher Auftrag zur alltagsintegrierten Sprachbildung und -förderung, weiter fortschreitender Fachkräftemangel) sind Punkte, die hierbei durchaus einwirken.

Ausblick

Der Wandel innerhalb der frühpädagogischen Praxis hat mit den gestiegenen Anforderungen nicht zuletzt zu Veränderungen im Arbeitsbereich von Leitungskräften geführt. Träger von Tageseinrichtungen für Kinder und die dort tätigen Leitungen sind gefragt, in den Dialog zu treten und das Verständnis von Leitung gemeinsam zu reflektieren. Es sollte in diesem Rahmen ein Austausch und eine Verständigung über die Aufgaben der Leitungsfunktion stattfinden und geklärt werden, welche Tätigkeiten konkret erforderlich sind, um eine gute Bildung, Erziehung und Betreuung sicherstellen zu können. Eine Überprüfung der zeitlichen Umfänge und notwendigen Ressourcen zur Umsetzung der vorhandenen Leitungsaufgaben ist hierbei nicht von der Hand zu weisen. Gleichzeitig ist im System der Kindertageseinrichtungen vor allem die Politik an entscheidender Stelle aufgefordert, die bestehenden Rahmenbedingungen – wie etwa das zeitliche Freistellungsmaß der Leitungskräfte – im Hinblick auf ihre Aktualität und Wirksamkeit zu bewerten.

Fazit

Leitungspersonen in Tageseinrichtungen für Kinder üben eine bedeutsame und verantwortungsvolle Position aus. Um zu belegen, dass Kitaleitungen der an sie gerichteten Erwartung – ein Garant für eine hohe Qualität in den Einrichtungen zu sein – gerecht werden, braucht es eine intensive empirische Auseinandersetzung mit der Leitungspraxis. Die Ergebnisse bilden eine fundierte Grundlage für einen möglichen Handlungsbedarf auf Ebene von Politik und Trägerorganisationen.



Literatur
  • Bertelsmann Stiftung (2017): Qualitätsausbau in KiTas 2017. 7 Fragen zur Personalausstattung für Führung und Leitung in deutschen KiTas. 7 Antworten der Bertelsmann Stiftung. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
  • Drexhage, M. (2014): Zur Leitungstätigkeit in Tageseinrichtungen für Kinder unter besonderer Berücksichtigung der Aufgaben in diesem Arbeitsbereich – Eine empirische Betrachtung. Masterthesis. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg.
  • Haderlein, R. (2017): DKLK-Studie 2017. Befragung zur Wertschätzung und Anerkennung von Kitaleitungen. Wolters Kluwer Deutschland.
  • Nentwig-Gesemann, I./Nicolai, K./Köhler, L. (2016): KiTa-Leitung als Schlüsselposition. Erfahrungen und Orientierungen von Leitungskräften in Kindertageseinrichtungen. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
  • Niedersächsisches Kultusministerium (2018): Orientierungsplan für Bildung und Erziehung im Elementarbereich niedersächsischer Tageseinrichtungen für Kinder. Hannover.


Übernahme des Beitrags mit freundlicher Genehmigung aus
KiTa aktuell ND 6-2019, S. 128 -130




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