Vielfältige Familienformen

Was bedeutet das für die pädagogische Praxis?

Im folgenden Text geht es um die zunehmende Vielfalt an Familienformen in Einrichtungen der Kindertagesbetreuung und die Bedeutung dieser Veränderungen für die Praxis.

Familienleitbilder

Eine besondere Herausforderung für frühpädagogische Fachkräfte besteht darin, neben der individuellen Perspektive auf das Kind auch eine Sensibilität für vielfältige Familienformen zu entwickeln und die eigenen Vorstellungen und Vorurteile zu reflektieren.

Innerhalb des pädagogischen Alltages bedeutet das mit Blick auf die Heterogenität von Familien, die unterschiedlichen Formen bewusst in den Blick zu nehmen und nicht nur mit den eigenen Bildern von Familien zu arbeiten.

Laut einer Studie über „Familienleitbilder“ von 2012 lässt sich ein Leitbild davon, was eine Familie ausmacht, nicht auf eine allgemein gültige Formel bringen. Die Konstellation Mutter, Vater, Kind wird übereinstimmend als Familie wahrgenommen. Die Wahrnehmung, was eine Familie ist, hängt insbesondere davon ab, in welcher Lebensform eine Person selbst lebt. Menschen, die in einer klassischen Kernfamilie lebten, zeigten sich dabei weniger offen als Menschen, die in nichtkonventionellen Lebensformen lebten. (1)

Eine lebenswelt- und lebenslagenbezogene Differenzierung von Familienformen ist von zentraler Bedeutung dafür, ein Verständnis für den aktuellen Lebensentwurf einer jeden Familie zu entwickeln und diesen z. B. organisatorisch beim Vereinbaren von Gesprächsterminen und Hausbesuchen mitzudenken. Wenn sich Fachkräfte zunehmend der Vielfalt an Familienformen bewusst werden, können sie die unterschiedlichen Bedürfnisse von Eltern und Kindern anders aufnehmen und sie berücksichtigen. (2)

Familien im Wandel

Neben den traditionellen Kernfamilien können noch die Ein-Eltern-Familien, die Stief- oder Patchworkfamilien, sowie andere familienähnliche Lebensgemeinschaften und Partnerschaften unterschieden werden. Lebensumstände und Anforderungen an Beziehungen und Elternschaft haben sich stark verändert. Das Partnerschaftsverhältnis von Frauen und Männern und die daraus resultierenden Rollenmodelle unterliegen dem gesellschaftlichen und kulturabhängigen Wandel. Familien tragende Netze müssen sich kontinuierlich auf das Tempo des ökonomischen, kulturellen und sozialen Wandels einstellen. (3)

Auch Familien mit Migrations- und/ oder Fluchthintergrund bringen eine sehr große Heterogenität hinsichtlich grundlegender Werte mit. Wenn zum Beispiel Familien in Mehr-Generationen-Verbänden in häuslichen Gemeinschaften sozialisiert worden sind, steht das Wohl der Gemeinschaft über dem Wohl des Einzelnen. Es ist aber nicht davon auszugehen, dass Familien aus denselben Herkunftsländern gleiche Werte haben. So können Familien mit vielen finanziellen und Bildungsressourcen sich eher an einem „westlichen“ Familienbild orientieren. (4)




Förderliche Haltung gegenüber Familien:
• Neugierde gegenüber Familien, Werten, Ritualen, Erziehungszielen etc.
• Bereitschaft für einen Prozess des Kennenlernens
• Offenheit gegenüber unterschiedlichen Werten
• Eltern als Experten für ihre Familie und die eigenen Werte sehen
• Wertschätzung/ Vertrauen als wichtigste Grundlage der Zusammenarbeit
• Kontinuität im Dialog mit den Familien und bei der eigenen Selbstreflexion



Es herrscht also eine sehr große Unterschiedlichkeit hinsichtlich grundlegender Werte in allen Familien, egal welcher Herkunft und es braucht Fachkräfte, die jedes System einzeln in den Blick nehmen. Die Familien leben jeweils mit ihren eigenen Regeln, Traditionen, Kommunikationsmustern und Wertvorstellungen. Die Unterscheidungsmerkmale, wie z. B. die Wohnsituation, die soziale Lage, die Sprache oder auch die Glaubensrichtungen sollten von Fachkräften mit einer wertschätzenden Haltung berücksichtigt werden.

Gramelt fasst wesentliche Unterscheidungsmerkmale und Faktoren als „Familienkultur“ zusammen. Diese sei identitätsstiftend für ein Kind und es definiere sich entscheidend über diese Bezüge. Kinder bemerken schnell, was an ihnen und ihrer Familie erwünscht und was nicht erwünscht sei und beziehen das in ihr persönliches Selbstbild ein. (5)

Kita als identitätsstiftender Ort

In der Praxis bedeutet das, die Kita zu einem Ort werden zu lassen, in dem alle Kinder ihre Familie als anerkannt wahrnehmen und damit die Zugehörigkeit zu dieser Bezugsgruppe als positiv in ihr Selbstbild einbauen können. Die pädagogischen Fachkräfte können verschiedene Ideen entwickeln, um Familienkulturen sichtbar zu machen.

Im Projekt Kinderwelten wurde zum Beispiel die Raumgestaltung als wesentlich erachtet und die sogenannten „Familienwände“ ins Leben gerufen. An diesen Wänden können die Kinder sich selbst und ihre Familie bzw. Aspekte ihres Familienlebens darstellen. Das unterstützt nachhaltig das positive Selbstbild eines jeden Kindes. Dabei ist entscheidend, dass die Fachkräfte dafür sorgen, dass die verschiedenen Familien im persönlichen Kontakt respektvoll wahrgenommen werden. (5)

Konzeptentwicklung

Basis für eine wertschätzende Haltung gegenüber der Heterogenität von Familien ist die ständige Reflexion der eigenen Wertvorstellungen. Familienarbeit in seiner ganzheitlichen Form verlangt parallele Veränderungen in den Einrichtungen insgesamt. Es sollte ein gemeinsames, von der Leitung und dem Team getragenes Konzept entwickelt werden. Wenn an dessen Entwicklung und Umsetzung alle wichtigen Akteure, insbesondere auch die Eltern, beteiligt werden, ist eine nachhaltige Öffnung möglich. Ein solcher Ansatz braucht (Zeit-)Ressourcen – zum Beispiel für Fortbildung, Supervision oder den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen. Dabei geht es um längerfristige Veränderungsprozesse in kleinen Schritten. (6)


Anmerkungen

(1) Schneider, N. F., Diabate, S. & Ruckdeschel, K. (Hrsg.). (2015). Familienleitbilder in DE: Kulturelle Vorstellungen zu Partnerschaft, Elternschaft und Familienleben. Berlin: Babara Budrich.

(2) Albers, T. & Ritter, E. (2015). Zusammenarbeit mit Eltern und Familien in der Kita. München: Ernst Reinhardt.

(3) Albers, T. (2012). Mittendrin statt nur dabei. Inklusion in Krippe und Kita. München: Ernst Reinhardt.

(4) Hendrich, A. (2016). Kinder mit Migrations- und Fluchterfahrung in der Kita. München: Ernst Reinhardt.

(5) Gramelt, K. (2010). Der Anti-Bias-Ansatz. Zu Konzept und Praxis einer Pädagogik für den Umgang mit (kultureller) Vielfalt. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

(6) Wesseln-Borgelt, G. (2013). Zusammenarbeit mit Eltern. In H. Keller (Hrsg.), Interkulturelle Praxis in der Kita (S. 123-133). Freiburg: Herder.



Hinweis:

Dieser Text ist im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des vom Bundesfamilienministerium geförderten Programms „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“ durch das nifbe entstanden. Er ist ein Teil des digitalen Sammelordners "Kita-Einstieg Wissen kompakt" mit knappen prägnanten Texten zu diesem Themenbereich und einer Einführung zum Hintergrund.

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